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Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf, Urt. vom 25.02.2021 – 9 Ca 5918/20
ArbG Düsseldorf, Urt. vom 06.05.2021 – 9 Ca 1053/21
ArbG Düsseldorf, Urt. vom 01.06.2021 – 4 Ca 5890/20
LAG Düsseldorf, Urt. vom 15.12.2021 – 12 Sa 347/21, IPRspr 2021-358
BAG, Sonstige: Vergleich vom 31.05.2023 – 2 AZR 110/22

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht → Individualarbeitsrecht
Zuständigkeit → Versicherungs-, Verbraucher-, Arbeitsgerichtsstand

Leitsatz

Zum räumlichen Geltungsbereich des KSchG für einen Luftverkehrsbetrieb mit einem Standort in Deutschland, dessen Leitung ihren Sitz im Ausland hat. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

BetrVG § 24
EuGVVO 1215/2012 Art. 1; EuGVVO 1215/2012 Art. 20; EuGVVO 1215/2012 Art. 21; EuGVVO 1215/2012 Art. 66
GG Art. 3; GG Art. 12
KSchG § 1; KSchG § 3; KSchG § 4; KSchG § 9; KSchG § 10; KSchG § 15; KSchG §§ 17 ff.; KSchG § 22; KSchG § 23; KSchG § 24
Rom I-VO 593/2008 Art. 3; Rom I-VO 593/2008 Art. 8; Rom I-VO 593/2008 Art. 10; Rom I-VO 593/2008 Art. 12

Sachverhalt

[Siehe auch die im Wesentlichen inhaltsgleichen Parallelentscheidungen des LAG Düsseldorf vom 1.7.2022 – 10 Sa 429/21 / vom 13.4.2022 – 4 Sa 540/21 / vom 21.1.2022 – 7 Sa 403/21 / vom 15.12.2021 – 12 Sa 348/21 / vom 15.12.2021 – 12 Sa 600/21 (IPRspr 2021-357) / vom 15.12.2021 – 12 Sa 349/21 / vom 15.12.2021 –12 Sa 601/21/ vom 9.3.2022 – 12 Sa 598/21 (IPRspr 2022-234).]


Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz zuletzt noch über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung der Beklagten zu 1). Die Beklagte zu 1) war ein Flugdienstleistungsunternehmen im S.-Konzern mit Sitz in T. (x.). Zwischen ihr und dem Kläger bestand seit August 2019 ein Arbeitsverhältnis. Grundlage war zuletzt der in englischer Sprache abgefasste Arbeitsvertrag vom 30.12.2019/7.1.2020. Der Kläger war danach als Flugkapitän an der Heimatbasis B. beschäftigt. Der Arbeitsvertrag enthielt eine Versetzungsklausel, welche sich auch auf einen Einsatz in einem anderen Land als desjenigen der Heimatbasis bezog. Das für die Beklagte zu 1) von einem externen Dienstleister betriebene Operations Control Center (OCC) nebst Einsatzplanung ("Rostering") befand sich in X. (Polen), verschiedene Funktionsträger der Beklagten zu 1), etwa der Director of Operations und andere für den Flugbetrieb vorgeschriebene "nominated persons" saßen in T. Die Beklagte zu 1) betrieb mindestens 24 in x. registrierte Flugzeuge des Modells Airbus A-320 von vier Basen aus (X., B., Q. und T.). In B. waren sieben Flugzeuge stationiert, die zumindest wegen der in X. durchgeführten Wartung wechselten. Weiter hatte die Beklagte zu 1) in B. als Ansprechpartner für das Personal und Externe einen sog. "Base Captain" eingesetzt, dessen Befugnisse im Betriebshandbuch, Teil A, Ziffer 1.3.5 ("Operations Manual", im Folgenden OMA) festgehalten waren, und einen "Base Supervisor". Inwieweit der Base Captain Weisungsbefugnis gegenüber den Mitarbeitern der Basis hatte, ist streitig. Wesentliche Personalentscheidungen z. B. über Einstellungen und Kündigungen traf er nicht, setzte aber zumindest Entscheidungen der Unternehmensleitung in "ad hoc-Maßnahmen" gegenüber dem Personal der Basis um. Die Beklagte zu 1) hatte am Flughafen B. neben Parkplätzen und einem Schulungsraum einen Crewraum angemietet, in dem Schreibtische mit Telefon- und Telefaxanschlüssen eingerichtet waren. Einen Betriebsrat gab es nicht. Der Kläger begann und beendete den Arbeitstag stets in B. Er musste sich zur Aufnahme seiner Tätigkeiten nicht an einen anderen Ort begeben, weil die Beklagte zu 1) lediglich sog. "point-to-point-Verbindungen" anbot. Die Beklagte zu 1) hatte am Standort B. den Status eines sog. "Home base carriers", der mit bestimmten Privilegien, insbesondere betreffend Start- und Landerechte in der Nacht verbunden war. Voraussetzung für die Erteilung dieses Status durch das NRW-Verkehrsministerium war das Vorhalten eines durch das Luftfahrtbundesamtes anerkannten Wartungsbetriebs am Flughafen B. Diese Voraussetzung erfüllte die Beklagte zu 1) durch Beauftragung eines externen Dienstleisters. Mit Schreiben vom 10.9.2020 bzw. nach Vorliegen notwendiger behördlicher Zustimmungen kündigte die Beklagte zu 1) die Arbeitsverhältnisse der in Deutschland beschäftigten Mitarbeiter, darunter auch das des Klägers.

Mit der am 1.10.2020 bei dem Arbeitsgericht Düsseldorf eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigung vom 10.9.2020 gewandt. Das Arbeitsgericht Düsseldorf hat sämtliche Klageanträge - soweit für das Berufungsverfahren noch von Bedeutung - abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]A. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die im Jahre 2020 eingegangenen Klagen gegen beide Beklagte folgt aus Art. 66 Abs. 1, 20 Abs. 1, 21 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (EUGVVO). Es handelt sich bei den arbeitsgerichtlichen Klagen um zivilrechtliche Streitigkeiten i.S.v. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EUGVVO (BAG 07.05.2020 - 2 AZR 692/19 (IPRspr 2020-142), Rn. 16). Der für die Anwendung der EUGVVO erforderliche Auslandsbezug besteht, weil die Beklagten ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat haben. Als Arbeitgeber mit Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats können sie in einem anderen Mitgliedstaat vor dem Gericht des Ortes, an dem oder von dem aus ihr Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat, verklagt werden (Art. 20 Abs. 1, 21 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i EUGVVO). Der Kläger hat seine Arbeit für die Beklagte zu 1) von B. aus verrichtet. Er hat von diesem Standort aus seine Flugdienste regelmäßig begonnen und dort auch wieder beendet. Entsprechendes sollte auch für seine Arbeit bei der Beklagten zu 2) gelten. Da er für diese noch keine Arbeit verrichtet hat, sind bereits aus diesem Grund die Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i EUGVVO erfüllt (EuGH 25.02.2021 - C-804/19 [Markt24], Rn. 39 ff.).

[2]B. Die zulässigen Berufungen des Klägers sind weitgehend unbegründet. Sie haben lediglich betreffend die gegen die Beklagte zu 1) gerichteten Zahlungsanträge zu II.4. und II.7. Erfolg. Im Übrigen haben die Berufungen des Klägers keinen Erfolg.

[3]I. Der gegen die Beklagte zu 1) gerichtete Kündigungsschutzantrag (Antrag zu I.) ist unbegründet, weil die Kündigung der Beklagten zu 1) vom 10.09.2021 das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31.12.2020 rechtswirksam beendet hat.

[4]1. Auf das Arbeitsverhältnis des Klägers zu der Beklagten zu 1) findet aufgrund der im Eckpunktepapier getroffenen Rechtswahl gemäß Art. 3 Abs. 1 und 2, Art. 8 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 (Rom I-VO) deutsches Recht Anwendung. Gemäß Art. 12 Abs. 1 lit. d Rom I-VO folgen die Regelungen über das Erlöschen von Verpflichtungen aus einem Vertrag und somit auch das Recht seiner Kündigung einschließlich des allgemeinen Kündigungsschutzes grundsätzlich dem Recht des Staates, das auf den Arbeitsvertrag Anwendung findet (BAG 24.08.1989 - 2 AZR 3/89 (IPRspr. 1989 Nr. 72)).

[5]Im Eckpunktepapier haben der Kläger und die Beklagte zu 1) Anfang Juli 2020 die in ihrem ursprünglichen Arbeitsvertrag vereinbarte Anwendung. Rechts zugunsten des deutschen Rechts derogiert. Im Eckpunktepapier ist u. a. vereinbart, dass die Beklagte zu 1) ab dem 01.07.2020 das deutsche Arbeitsrecht auf alle ihre in Deutschland direkt angestellten Piloten anwendet. Zudem wurde in den Anfang Juli 2020 zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1) gewechselten E-Mails vereinbart, dass das Eckpunktepapier ab dem 01.07.2020 die bisherigen Bedingungen und Konditionen ersetzt bzw. an deren Stelle tritt. Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Rom I-VO gestattet es den Parteien, eine einmal getroffene Rechtswahl jederzeit wieder abzuändern (MüKoBGB/Martiny, 8. Aufl. 2021, Rom I-VO Art. 3 Rn. 77; BeckOGK/Wendland, Stand 01.09.2021, Rom I-VO Art. 3 Rn. 202; OGH 25.11.2014 - 8 ObA 34/14d; im Internetabrufbar unter https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Justiz&Dokumentnummer=JJT_20141125_OGH0002_008OBA00034_14D0000_000). Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit dieser ändernden Rechtswahlvereinbarung auf der Grundlage des gewählten deutschen Rechts (Art. 3 Abs. 5 Rom I-VO i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO; s.a. BeckOGK/Wendland, Stand 01.09.2021, Rom I-VO Art. 3 Rn. 209) bestehen nicht. Im Hinblick auf den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Klägers in Deutschland ist davon gemäß Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO keine Abweichung veranlasst. Das deutsche Recht sieht im Übrigen für abändernde Rechtswahlklauseln keine Form vor (BGH 22.01.1997 - VII ZR 339/95, Rn. 31; BeckOK/Spickhoff, Stand 01.08.2021 VO (EG) 593/2008 Art. 3 Rn. 33). Die Rechtswahl entspricht dabei im Hinblick auf den vereinbarten Einsatzort des Flugpersonals in B. außerdem der objektiven Anknüpfung gemäß Art. 8 Abs. 2 Rom I-VO (in diesem Sinne wohl BAG 20.12.2012 - 2 AZR 481/11 (IPRspr 2012-201); EuGH 14.09.2017 - C-168/16; HWK/Tillmanns 9. Aufl. Rom I-VO Art. 9 Rn. 19 m. w. N.). Eine gesonderte Klauselkontrolle für vorformulierte Rechtswahlklauseln kommt nicht in Betracht. Insoweit wird über Art. 8 I Rom I-VO ein spezifisch kollisionsrechtlicher Schutz vor den Folgen einer Rechtswahl verwirklicht (ErfK/Schlachter, 22. Aufl. 2022, Rn. 6).

[6]Unabhängig von Vorstehendem gehen die Parteien in beiden Tatsacheninstanzen übereinstimmend von der Anwendbarkeit deutschen Rechts aus (vgl. zu einer - gemäß Art. 3 Abs. 2 Rom I-VO auch nachträglich möglichen - Rechtswahl BGH 19.01.2000 - VIII ZR 275/98, Rn 28; BGH 09.06.2004 - I ZR 266/00 (IPRspr 2004-44), Rn. 36 m. w. N.). Es geht hierbei auch nicht um die Frage einer bloß irrigen Rechtsansicht. Die Parteien gehen übereinstimmend von der Anwendbarkeit deutschen Rechts aus, wie sie noch einmal in der mündlichen Verhandlung bestätigt haben. Unter Berücksichtigung sämtlicher vorgetragenen Umstände in diesem Verfahren liegt jedenfalls eine stillschweigende Rechtswahl deutschen Rechts vor (vgl. dazu z.B. BeckOGK/Wendland, Stand 01.09.2021, Rom I-VO Art. 3 Rn. 131 ff; 179 ff.; zur stillschweigenden nachträglichen Rechtswahl Ferrari, Internationales Vertragsrecht, 3. Aufl. 2018, VO (EG) 593/2008 Art. 3 Rn. 43), denn den Parteien ist bewusst, dass ursprünglich österreichisches Recht vereinbart war und durch das Eckpunktepapier jetzt deutsches Recht zur Anwendung kommen soll. Genau auf dieser Rechtswahlgrundlage haben die Parteien sich verhalten und den Prozess geführt. Das Eckpunktepapier soll insgesamt zur Anwendung kommen, wie z.B. die Klage auf die Sektorzulage gerade auf der Grundlage des Eckpunktepapiers unter Berücksichtigung der Einlassung der Beklagten zu 1) dazu zeigt. Die Parteien streiten außerdem - mit insoweit unterschiedlichen Ergebnissen - sogar darüber, ob durch die Vereinbarung deutschen Arbeitsrechts gleichzeitig auch das deutsche Kündigungsschutzgesetz gilt. Dieser Streit ergibt nur auf der Grundlage des überhaupt vereinbarten deutschen Arbeitsrechts Sinn, was keine Partei - wie ausgeführt - in Abrede stellt. Es ist deshalb, nach den Umständen dieses konkreten Falles kein vernünftiger Grund gegeben, am realen Willen der Parteien zu zweifeln, sich unter den beiden in Betracht kommenden Rechten (x. und Deutschland) für die deutsche Rechtsordnung mit Geltungsabsicht zu entscheiden (vgl. a. OGH 25.11.2014 - 8 ObA 34/14d a.a.O.). In diesem konkreten Fall ist dann, so im Anwendungsbereich von Art. 3 Abs. 2 Rom I-VO überhaupt erforderlich, auch ein etwaiges - vom Kläger ohnehin nicht geltend gemachtes und ggfs. auch doppeltes - Schriftformerfordernis aus dem x. Arbeitsvertrag von den Parteien stillschweigend abbedungen (vgl. dazu BeckOGK/Wendland Stand 01.09.2021, Rom I-VI Art. 3 Rn. 210; sogar für eine mögliche Heilung ursprünglicher Formnichtigkeit durch Statutenwechsel Ferrari, Internationales Vertragsrecht, 3. Aufl. 2018, VO (EG) 593/2008 Art. 3 Rn. 46; MüKoBGB/Martiny, 8. Aufl. 2021, Rom I-VO Art. 3 Rn. 81). Hier kommt noch hinzu, dass zu dem Eckpunktepapier wechselseitige Erklärungen i.S.v. Angebot und Annahme per E-Mail ausgetauscht worden sind und die Schriftformklausel eine vertragliche Vereinbarung der Parteien ist. Es besteht zur Überzeugung der Kammer keinerlei Zweifel, dass von den Parteien die Geltung des Eckpunktepapiers mit der Anwendbarkeit deutschen Arbeitsrechts einvernehmlich gewollt ist.

[7]2. ... 3. ... 4. ... 5. ... 6. Die Kündigung ist nicht sozial ungerechtfertigt nach § 1 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 KSchG.

[8]a. Die gesetzlichen Voraussetzungen für den persönlichen und betrieblichen Anwendungsbereich des § 1 KSchG sind für das Arbeitsverhältnis des Klägers zu der Beklagten zu 1) erfüllt.

[9]aa ... bb. Die gesetzlichen Voraussetzungen des betrieblichen Anwendungsbereichs des § 1 KSchG der §§ 23, 24 KSchG sind erfüllt. Die Beklagte zu 1) unterhielt als Gesellschaft . Rechts nach hier vertretener Auffassung jedenfalls bei verfassungskonformer Auslegung dieser Normen einen Betrieb im räumlichen Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes.

[10](1) Nach seinem räumlichen Geltungsbereich erfasst § 23 KSchG nach herrschender Auffassung grundsätzlich nur inländische Betriebe (vgl. etwa BAG 09.10.1997 - 2 AZR 64/97 (IPRspr. 1997 Nr. 57); 03.06.2004 - 2 AZR 386/03 (IPRspr 2004-49); 17.01.2008 - 2 AZR 902/06 (IPRspr 2008-41); 26.03.2009 - 2 AZR 883/07 (IPRspr 2009-50); 08.10.2009 - 2 AZR 654/08 (IPRspr 2009-49b); 29.08.2013 - 2 AZR 809/12, Rn. 32; 24.05.2018 - 2 AZR 54/18 (IPRspr 2018-106), Rn. 29). Das ergebe die am Wortlaut, an der Systematik und der Entstehungsgeschichte sowie an Sinn und Zweck des § 23 KSchG orientierte Auslegung (krit. zu dieser Rspr. etwa LAG I. 22.03.2011 - 1 Sa 2/11, Rn. 30 ff., 34 ff; Deinert, ArbuR 2008, 300 ff; Pomberg, EWiR 2008, 667; Gravenhorst, jurisPR-ArbR 31/2008 Anm. 1; Straube, DB 2009, 1406-1408; Junker, FS Konzen 2006, 367, HWK/Quecke, 9. Aufl. 2020, § 23 Rn. 2 m. w. N.).

[11]Für die räumliche Lage eines Betriebes ist entscheidend, wo schwerpunktmäßig über Arbeitsbedingungen und Organisationsfragen sowie darüber entschieden wird, in welcher Weise Einstellungen, Entlassungen und Versetzungen vorgenommen werden. Der allgemeine Betriebsbegriff des § 23 KSchG knüpft an die organisatorische Einheit an. Eine betriebliche Struktur setzt einen einheitlichen organisatorischen Einsatz der Betriebsmittel und der Personalressourcen voraus. Die einen Betrieb konstituierende Leitungsmacht wird dadurch bestimmt, dass der Kern der Arbeitgeberfunktionen in personellen und sozialen Angelegenheiten von derselben institutionalisierten Leitung im Wesentlichen selbständig ausgeübt wird (BAG 03.06.2004 - 2 AZR 386/03 (IPRspr 2004-49)).

[12]Die Beklagte zu 1) beschäftigte danach zwar über Jahre verstetigt und koordiniert Mitarbeiter in Deutschland unter Einsatz erheblicher materieller Betriebsmittel. Sie unterhielt aber jedenfalls nach ihrem Vortrag keinen Betrieb oder ähnliches i.S.v. § 23 KSchG in Deutschland, von dem ausgehend der einheitliche Einsatz der Betriebsmittel und der Arbeitnehmer im Inland gesteuert wurde. Vielmehr erfolgte die Leitung des Flugbetriebs ausschließlich von X. aus. Der am Standort B. eingesetzte "Base Captain" hatte nach dem Vortrag der Beklagten zu 1) keine Weisungsbefugnisse und fungierte lediglich als Bindeglied für die Kommunikation zwischen dem Flugpersonal und der Leitung in X.. Von dort gingen alle maßgeblichen Weisungen aus.

[13](2) Es ist streitig, ob ein Flugbetrieb i. S. d. § 24 KSchG in gleicher Weise wie der allgemeine Betrieb i. S. d. § 23 KSchG als räumliche Anknüpfung eine im Inland gelegene Betriebsstätte erfordert, von der ausgehend der einheitliche Einsatz von Betriebsmitteln und Arbeitnehmern im Inland gesteuert wird.

[14](a) Die Fiktion des § 24 Abs. 2 KSchG grenzt Luftverkehrs- und Schifffahrtsbetriebe zunächst nur auf zweierlei Weise vom allgemeinen Betrieb i. S. d. § 23 KSchG ab: Zum einen trennt sie die Schiffe bzw. Luftfahrzeuge von ihren zugehörigen Land- bzw. Bodenbetrieben (vgl. dazu BAG 28.12.1956 - 2 AZR 207/56; 28.02.1991 - 2 AZR 517/90; LAG C.-Brandenburg 16.11.2010 - 7 Sa 1354/10). Zum anderen verhindert sie, dass ein einzelnes Luftfahrzeug, See- oder Binnenschiff als Betrieb angesehen wird, indem es deren Gesamtheit als den Betrieb i. S. d. Ersten und Zweiten Abschnitts des Gesetzes fingiert.

[15](b) Der Betriebsbegriff des § 24 BetrVG ist andererseits aber nicht völlig losgelöst von § 23 KSchG, sondern modifiziert diesen lediglich. Auch ein Flugbetrieb i. S. d. § 24 Abs. 1 und Abs. 2 KSchG fällt aber nur dann unter den Geltungsbereich des Ersten und Zweiten Abschnitts des KSchG, wenn darin gemäß § 23 Abs. 1 Sätze 2 - 4 KSchG mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt werden (BAG 28.12.1956 - 2 AZR 207/56). Selbst wenn es sich bei dem Betriebsbegriff des § 24 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 KSchG um einen eigenständigen Betriebsbegriff handelt (BAG 13.02.2020 - 6 AZR 146/19, Rn. 57), modifiziert die Norm doch lediglich den Betriebsbegriff des § 23 Abs. 1 KSchG (LAG C.-Brandenburg 26.03.2015 - 26 Sa 1513/14, 26 Sa 1632/14 (IPRspr 2015-199), Rn. 41; Linck/Krause/ Bayreuther, 16. Aufl. 2019, § 24 Rn. 8 m. w. N.). Es bestünde kein sachlicher Grund, diese Betriebe vom Schutz der Kleinbetriebsklausel (§ 23 Abs. 1 S. 2 - 4 KSchG) auszunehmen, zumal vor Inkrafttreten von § 24 KSchG bzw. der Vorgängernorm § 22 KSchG aF historisch gar kein Kündigungsschutz für Flugbetriebe bestand (vgl. MüKoBGB/Hergenröder, 8. Auf. 2020 § 24 KSchG Rn. 1 m. w. N.).

[16](c) Betriebe i. S. d. § 24 KSchG verfügen regelmäßig nicht über eine Binnen-Leitungsstruktur innerhalb der Gesamtheit ihrer Schiffe bzw. Luftfahrzeuge. Sie werden gewöhnlich von Land- oder Bodenbetrieben aus geleitet. Zugleich befinden sich die in § 24 angesprochenen Schiffe bzw. Luftfahrzeuge typischerweise in grenzüberschreitendem Einsatz. Beides führt zu der Frage, wie der räumliche Geltungsbereich des Ersten und Zweiten Abschnitts für Betriebe der Schifffahrt und des Luftverkehrs i. S. d. §§ 23, 24 KSchG zu bestimmen ist.

[17](aa) Das Bundesarbeitsgericht nimmt an, der Gesetzgeber habe die Betriebe der Schifffahrt und des Luftverkehrs einer eigenständigen Regelung zugeführt und damit "diese Sachverhalte unabhängig von den tatsächlichen Gegebenheiten mit einem Anknüpfungspunkt in der Bundesrepublik Deutschland versehen". Mit der in § 24 Abs. 2 KSchG (bzw. seinerzeit § 24 Abs. 1 Satz 2 KSchG aF) enthaltenen Fiktion habe der Gesetzgeber gerade auch Lebenssachverhalte erfasst, bei denen typischerweise Auslandsberührungen zu erwarten sind (BAG 17.01.2008 - 2 AZR 902/06 (IPRspr 2008-41), Rn. 25).

[18]Damit wäre der Geltungsbereich des § 24 KSchG räumlich nicht begrenzt und erfasste auch Betriebe der Schifffahrt und des Luftverkehrs, deren Boden- und Landbetriebe im Ausland angesiedelt sind, deren Fahrzeuge vielleicht nur gelegentlich oder auch gar nicht das Gebiet der Bundesrepublik berühren. Es genügte die Anwendung deutschen Rechts nach den Regeln des Internationalen Privatrechts (so LAG C.-Brandenburg 26.03.2015 - 26 Sa 1513/14, 26 Sa 1632/14 (IPRspr 2015-199), Rn. 40 f.). In diesem Fall würden für die Kleinbetriebsklausel des § 23 Abs. 2 Sätze 2-4 KSchG nur Arbeitnehmer mit deutschem Arbeitsvertragsstatut zählen (BAG 17.01.2008 - 2 AZR 902/06, Rn. 22; str., aA etwa Deinert, ArbuR 2008, 300 ff).

[19](bb) Demgegenüber verlangt das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (17.09.2021 - 7 Sa 32/21) auch für Betriebe des Luftverkehrs i. S. v. § 24 KSchG einen im Inland gelegenen einheitlichen Leitungsapparat, d.h. einen solchen vom Land oder Boden aus. Offen bleibt dabei, wo bzw. wie ein solcher Leitungsapparat "innerhalb der Gesamtheit der Luftfahrzeuge" eines Luftverkehrsbetriebs, die gemäß § 24 Abs. 2 KSchG den maßgeblichen Betrieb bildet, angesiedelt sein könnte. Da den mobilen Flugbetrieben in diesem Sinne des § 24 Abs. 2 KSchG regelmäßig eine innerbetriebliche Leitungsstruktur fehlt, wäre nicht erklärt, warum das Kündigungsschutzgesetz dennoch - unbestritten - auf die Flugbetriebe von Luftverkehrsgesellschaften anzuwenden ist, deren Leitungsapparat - am Boden bzw. an Land - sich im Inland befindet. Aus § 24 KSchG selbst (innerhalb der Gesamtheit der Luftfahrzeuge) ließe sich dies nicht ableiten.

[20](cc) Denkbar erscheint aber, den räumlichen Geltungsbereich von § 24 KSchG auf solche Schifffahrts- und Luftverkehrsbetriebe zu begrenzen, deren jeweiliger Land- bzw. Bodenbetrieb mit seiner Leitungsstruktur im Inland liegt. Die mobilen Betriebe wären hinsichtlich des Geltungsbereichs von § 24 KSchG somit akzessorisch zu ihren Land- bzw. Bodenbetrieben. Ihre jeweilige Anbindung an Land- bzw. Bodenbetriebe dürfte der Vorstellung des Gesetzgebers entsprochen haben (die "organisatorische Einheit" von mobilem Betrieb und zugehörigem Land- bzw. Bodenbetrieb betont auch Moll in APS, 6. Aufl. 2021, § 24 KSchG Rn. 6). Für eine Absicht des Gesetzgebers, mit § 24 Abs. 2 KSchG den internationalen Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes in Bezug auf die Betriebe der Schifffahrt und des Luftverkehrs abweichend von § 23 KSchG zu regeln, fehlen Anhaltspunkte in den Gesetzesmaterialien (das konstatiert auch BAG 17.01.2008 - 2 AZR 902/06 (IPRspr 2008-41), Rn. 26).

[21]Die Rechtslage entspräche bei Annahme einer Akzessorietät der mobilen Betriebe vom Land- oder Bodenbetrieb hinsichtlich des Geltungsbereichs des Ersten und Zweiten Abschnitts derjenigen ohne Trennung vom Land- bzw. Bodenbetrieb. Das den mobilen Betrieben zugeordnete Personal würde ebenso vom Kündigungsschutzgesetz erfasst, wie es ohne die Trennung der Fall wäre. Den Argumenten des Bundesarbeitsgerichts für die Beschränkung des Betriebsbegriffs in § 23 KSchG auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere hinsichtlich der vielfältigen Bezüge des Kündigungsschutzes zu den jeweiligen betrieblichen Verhältnissen (vgl. BAG 26.03.2009 - 2 AZR 883/07 (IPRspr 2009-50), Rn. 15 ff., dazu sogleich), wäre bei dieser Betrachtung Rechnung getragen.

[22]Diese Sicht hätte zur Konsequenz, dass - auch bei Geltung deutschen Arbeitsrechts - das Kündigungsschutzgesetz grundsätzlich keine Anwendung findet, wenn der Boden- oder Landbetrieb im Ausland angesiedelt ist. Damit wäre die Rechtslage derjenigen bei den allgemeinen Betrieben i. S. d. § 23 KSchG angeglichen, wie sie das Bundesarbeitsgericht versteht. Dies hätte allerdings auch zur Folge, dass ein Betrieb, der - wie hier - regelmäßig von deutschen Häfen bzw. Flughäfen aus operiert und dementsprechend lokal rekrutiertes Personal dauerhaft einsetzt, aus dem Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes fiele, weil sein Leitungsapparat im Ausland angesiedelt ist (so im Ergebnis LAG Baden-Württemberg 17.09.2021 - 7 Sa 32/21). Darin könnte im Vergleich zu dem Flugpersonal inländischer Fluggesellschaften eine sachwidrige Ungleichbehandlung in einem grundrechtlich geschützten Bereich liegen.

[23](3) Die Frage, ob ein Flugbetrieb i. S. v. § 24 Abs. 2 KSchG grundsätzlich einer im Inland ansässigen Leitung bedarf, kann aber offenbleiben. Denn die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes auf den Standort der Beklagten zu 1) in B. folgt hier jedenfalls aus einer verfassungskonformen Auslegung der §§ 23, 24 Abs. 2 KSchG im Lichte von Art. 12 GG. Die konkreten Umstände des Falles gebieten auch von dem soeben unter (2) (cc) dargelegten Standpunkt aus die Annahme eines Luftverkehrsbetriebes i. S. v. § 24 KSchG, obwohl sich der maßgebliche Leitungsapparat - jedenfalls nach dem Sachvortrag der Beklagten zu 1) - im Ausland befindet.

[24](a) Das Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG garantiert die freie Wahl des Arbeitsplatzes. Damit ist zugleich geschützt - nicht garantiert - das Interesse des Arbeitnehmers an einer Erhaltung seines Arbeitsplatzes. Dem steht das Interesse des Arbeitgebers gegenüber, in seinem Unternehmen nur Mitarbeiter zu beschäftigen, die seinen Vorstellungen entsprechen und ihre Zahl auf das von ihm bestimmte Maß zu beschränken. Die kollidierenden Grundrechtspositionen sind in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und so zu begrenzen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden. Bundesverfassungsgericht und Bundesarbeitsgericht haben mehrfach darauf hingewiesen, dass die Anknüpfung des Kündigungsschutzgesetzes an den Betriebsbegriff verfassungsrechtlich nur unbedenklich ist, wenn es dadurch nicht zu sachwidrigen Ergebnissen kommt. Das ist möglich, weil der kündigungsrechtliche Betriebsbegriff so offengehalten ist, dass er einer Auslegung zugänglich ist (BVerfG 27.1.1998 - 1 BvL 15/87; BVerfG 12.3.2009 - 1 BvR 1250/08; ebenso BAG 2.3.2017 - 2 AZR 427/16, Rn. 27; 19.7.2016 - 2 AZR 468/15 (IPRspr 2016-98), Rn. 20; 24.1.2013 - 2 AZR 140/12, Rn. 22; 28.10.2010 - 2 AZR 392/08, Rn. 22; 21.9.2006 - 2 AZR 840/05; 15.3.2001 - 2 AZR 151/00; insbesondere BAG 17.01.2008 - 2 AZR 902/06 (IPRspr 2008-41), Rn. 28).

[25]Von Verfassungs wegen ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, den Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes auf Betriebe zu beschränken, die in der Bundesrepublik Deutschland liegen. Bei verfassungskonformer Auslegung des Betriebsbegriffs des § 23 Abs. 1 KSchG kann aber unter Umständen - insbesondere zur Vermeidung einer Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes - anderes gelten, wenn sich die Betriebsleitung zwar im Ausland befindet, die Arbeitsleistung von mehr als zehn Arbeitnehmern im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG, die den Betrieb im Übrigen bilden, aber in Deutschland erbracht wird (BVerfG 12.3.2009 - 1 BvR 1250/08; BAG 17.01.2008 - 2 AZR 902/06 (IPRspr 2008-41), Rn. 28; BAG 28.10.2010 - 2 AZR 392/08, Rn. 22). Maßgeblich ist eine alle Umstände des Einzelfalls einbeziehende, wertende Gesamtbetrachtung am Sinn und Zweck des Kündigungsschutzes einerseits und der (etwaigen) Herausnahme von Auslandsbetrieben andererseits (vgl. auch BAG 13.06.2002 - 2 AZR 327/0, Rn. 18).

[26](b) Daran gemessen handelte es sich bei der Geschäftstätigkeit der Beklagten zu 1) in B. um einen Flugbetrieb i. S. v. §§ 23, 24 Abs. 2 KSchG, der dem Geltungsbereich des Ersten und Zweiten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes unterfiel. Die im Inland manifestierten betrieblichen Strukturen der Geschäftstätigkeit der Beklagten zu 1) am Standort B. hatten ein Maß und eine Verfestigung erreicht, das einen vollständigen Ausschluss des dabei eingesetzten Flugpersonals vom Kündigungsschutzgesetz im Gegensatz zu dem kündigungsrechtlich geschützten Flugpersonal von im Inland ansässigen Luftverkehrsunternehmen nicht zu rechtfertigen vermag.

[27](aa) Die Beklagte zu 1) betrieb über mehrere Jahre in B. einen Standort mit zuletzt mehr als 120 Flugbegleiterinnen und Flugbegleitern sowie ca. 75 Piloten. Für alle Beschäftigten, die das Eckpunktepapier akzeptiert hatten, galt deutsches Arbeitsvertragsstatut. Das Flugpersonal begann und beendete seine tägliche Arbeit, also die Flüge, regelmäßig am Standort B.. Dort befanden sich auch gewisse örtliche Strukturen, da jedenfalls Büroräume und ein Crewraum am Flughafen B. unterhalten wurden und ein "Base Captain" benannt war, der, wenn auch ggfs. nicht weisungsbefugt, eine herausgehobene Position als beiderseitiger Ansprechpartner für das B.er Flugpersonal und die Flugleitung in X. einnahm. Der Standort hatte den Status als sogenannte Home Base (Heimatbasis, vgl. zu deren Bedeutung im Luftverkehr eingehend BAG 13.02.2020 - 6 AZR 146/19, Rn. 41 - 47). Damit verbunden war jedenfalls die faktische Notwendigkeit für die Beschäftigten, ihren Wohnsitz standortnah zu nehmen. Für die Piloten der Beklagten zu 1) und damit für den Kläger, stellte sich die betriebliche Lage im Wesentlichen so stetig und verfestigt dar, als wäre er in einem inländisch geführten Flugbetrieb tätig. Das von der Beklagten zu 1) angeführte Beispiel einer ausländischen Airline, deren Flugzeuge nur in Deutschland landen, unterscheidet sich hiervon grundlegend.

[28](bb) Die vom Bundesarbeitsgericht angenommenen Gründe für den Ausschluss ausländischer Betriebe aus dem betrieblichen Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes rechtfertigen unter diesen Umständen einen Ausschluss aus dem Schutz des Kündigungsschutzgesetzes nicht.

[29]Zunächst unterscheiden sich die dem deutschen Arbeitsvertragsstatut unterliegenden B.er Beschäftigten der Beklagten zu 1) in Bezug auf ihr Interesse an der Erhaltung ihres Arbeitsplatzes in keiner Weise von dem Flugpersonal eines im Inland ansässigen Luftverkehrsunternehmens. Auch das gegenläufige Interesse der Beklagten zu 1), in ihrem Betrieb über die Anzahl der Arbeitnehmer zu bestimmen, unterscheidet sich nicht von dem eines anderen im Inland ansässigen Luftverkehrsunternehmens. Hiervon ausgehend tragen die Gründe für den vollständigen Ausschluss der Arbeitnehmer von im Ausland ansässigen Betrieben aus dem Kündigungsschutz, wie sie das Bundesarbeitsgericht annimmt (BAG 17.01.2008 - 2 AZR 902/06 (IPRspr 2008-41), Rn. 24 ff. und 26.03.2009 - 2 AZR 883/07 (IPRspr 2009-50), Rn. 15 ff.), nicht (vgl. zur Kritik an dieser Rspr. etwa HWK/Quecke, 9. Aufl. § 23 Rn. 2 m. w. N.).

[30](aaa) Die Anknüpfung des Geltungsbereichs an den Begriff "Betrieb" im Wortlaut der Norm sagt für sich nichts über dessen Inlandsbezogenheit. Zwar lässt sich diesem Begriff ein gewisser Bezug zum Betriebsverfassungsgesetz entnehmen, das seinerseits internationalrechtlich nur im Inland Geltung beansprucht. Doch sind Kündigungsschutz und Betriebsverfassung seit langem entkoppelt; das Kündigungsschutzgesetz findet ohne weiteres auf Betriebe ohne Arbeitnehmervertretungen Anwendung. Soweit das Gesetz an verschiedenen Stellen Bezüge zum Betriebsverfassungsgesetz und zum Personalvertretungsgesetz herstellt, wie etwa in § 1 Abs. 2 Satz 2, § 1 Abs. 4 und § 1 Abs. 5, § 3, § 4 Satz 2 KSchG, hindert das seine Anwendung auf betriebsratslose Betriebe gerade nicht, wie die jahrzehntelange Handhabung des Gesetzes zeigt.

[31](bbb) Der systematische Zusammenhang (Umkehrschluss) zu § 24 Abs. 2 KSchG, der nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts im Gegensatz zu § 23 KSchG auf den Inlandsbezug verzichtet, besagt ebenfalls nichts; dieser Verzicht ist hier gerade zu beweisen.

[32](ccc) Aus den Gesetzesmaterialien ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine Inlandsbegrenzung des Betriebs i. S. d. §§ 23, 24 Abs. 2 KSchG. Im Rahmen der historischen Auslegung kann allenfalls das Schweigen des Gesetzgebers in Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts angeführt werden. Dieser allgemein eher schwache Anhaltspunkt kann einer verfassungskonformen Auslegung schon grundsätzlich nicht entgegenstehen.

[33](ddd) Der maßgebliche Grund für den Ausschluss im Ausland gelegener Betriebe liegt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts darin, dass die Frage nach der Sozialwidrigkeit nahezu immer eine Einbeziehung der betrieblichen Gegebenheiten erfordere. Anderenfalls würden die Kohärenzen und Korrespondenzen des Kündigungsschutzrechts zerrissen. Die Prüfung der Sozialwidrigkeit setze voraus, dass einheitlich deutsches Arbeitsrecht und insbesondere das Recht des Kündigungsschutzgesetzes angewendet und auch durchgesetzt werden könne. Dies gelte etwa in Bezug auf Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten in anderen Betrieben desselben Unternehmens oder die Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten. Auch bei der Auflösung des Arbeitsverhältnisses (§§ 9, 10 KSchG), beim Sonderkündigungsschutz nach § 15 KSchG und beim Massenentlassungsschutz (§§ 17 ff. KSchG) seien betriebliche Gegebenheiten und damit die Rechtsverhältnisse anderer im Betrieb beschäftigter Arbeitnehmer maßgeblich (so BAG 26.03.2009 - 2 AZR 883/07 (IPRspr 2009-50), Rn. 15 ff.).

[34]Dieser Grund rechtfertigt unter den hier gegebenen Umständen nicht den vollständigen Ausschluss der Arbeitnehmer der Beklagten zu 1) am Standort B. mit deutschem Arbeitsvertragsstatut von der Geltung des Kündigungsschutzgesetzes. Die Frage der Sozialwidrigkeit einer Kündigung, insbesondere die der Möglichkeit einer anderweitigen Weiterbeschäftigung, stellt sich hier in gleicher Weise wie etwa bei einem inländischen Betrieb, der über im Ausland gelegene Betriebsteile verfügt, dar. Hier ist das Kündigungsschutzgesetz ohne Zweifel auf die im Inland mit deutschen Arbeitsvertragsstatut Beschäftigten anzuwenden, sofern der gemäß § 23 Abs. 1 Sätze 2-4 KSchG erforderliche Schwellenwert im Inland überschritten ist. Die Frage einer anderweitigen Weiterbeschäftigung stellt sich ebenso wie etwa bei einem Unternehmen, das neben einem inländischen Betrieb über weitere Betriebe im Ausland verfügt. In beiden Fällen besteht nach allgemeiner Meinung für die inländischen Arbeitnehmer Kündigungsschutz; es stellt sich allein die Frage, ob und ggfs. unter welchen Voraussetzungen eine Berufung auf freie Arbeitsplätze im Ausland Erfolg haben kann. Das gleiche gilt für die nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gebotene Beschränkung der Sozialauswahl auf in Deutschland gelegene Betriebe (BAG 27.06.2019 - 2 AZR 38/19, Rn. 26; 29.08.2013 - 2 AZR 809/12, Rn. 40). Auch diese hindert nicht die Gewährung des Kündigungsschutzes im Übrigen.

[35]Der Anwendung des Gesetzes auf dauerhafte und verfestigte Beschäftigungsstrukturen der hier gegebenen Art steht auch der bei der Auflösung des Arbeitsverhältnisses (§§ 9, 10 KSchG), beim Sonderkündigungsschutz nach § 15 KSchG und beim Massenentlassungsschutz (§§ 17 ff. KSchG) auftretende Bezug zu betrieblichen Gegebenheiten nicht entgegen. Die Berücksichtigung betrieblicher Gegebenheiten, etwa bei der Frage einer den Betriebszwecken dienlichen weiteren Zusammenarbeit (§ 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG), ist ohne weiteres auch dann möglich, wenn sich Teile des Betriebs auf das Ausland erstrecken. Der Sonderkündigungsschutz nach § 15 KSchG spielt bei einem Betrieb, dessen Leitung im Ausland ansässig ist, keine Rolle, weil das Betriebsverfassungsgesetz territorial nur auf inländische Betriebe Anwendung findet. Es gibt keine gemäß § 15 KSchG geschützten Arbeitnehmer. Sollten sich Arbeitnehmer - in Verkennung des Betriebszuschnitts i. S. d. BetrVG - etwa als Wahlinitiatoren - engagieren, bestünde kein Sonderkündigungsschutz nach § 15 Abs. 3a und Abs. 3b KSchG. Beim Massenentlassungsschutz (§§ 17 ff. KSchG) gilt schließlich ohnehin der abweichende Betriebsbegriff der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 10. Juni 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (im Folgenden: MERL) (BAG 13.02.2020 - 6 AZR 146/19, Rn. 32).

[36](eee) Bei diesem Bild bedeutete ein Ausschluss des Klägers aus dem Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes eine Ungleichbehandlung gegenüber dem Flugpersonal inländisch angesiedelter Flugbetriebe ohne sachlichen Grund in einem grundrechtsrelevanten Bereich. Verletzt wäre das Grundrecht des Klägers aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG, das hier als speziellere Norm den ebenfalls berührten Schutzbereich des Art. 3 Abs. 1 GG mitumfasst. Die bloße apodiktische Behauptung, der Gesetzgeber sei nicht gehindert, die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes davon abhängig zu machen, dass ein Betrieb in der Bundesrepublik Deutschland gelegen ist (so BAG 17.01.2008 - 2 AZR 902/06 (IPRspr 2008-41), Rn. 32), bietet, wie dargelegt, unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des Kündigungsschutzgesetzes und der angeführten Gründe für seine nationale Begrenzung keine Rechtfertigung. Aufgrund dessen gebietet die verfassungskonforme Auslegung der §§ 23, 24 Abs. 2 KSchG die Erstreckung des Geltungsbereichs des Ersten und Zweiten Buchs des Kündigungsschutzgesetzes auf den hier gegeben Sachverhalt.

[37]b. ...

Fundstellen

nur Leitsatz

AuR, 2022, 236

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