Gemäß Art. 12 Abs. 1 lit. d Rom I-VO folgen die Regelungen über das Erlöschen von Verpflichtungen aus einem Vertrag und somit auch das Recht seiner Kündigung einschließlich des allgemeinen Kündigungsschutzes grundsätzlich dem Recht des Staates, das auf den Arbeitsvertrag Anwendung findet.
Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Rom I-VO gestattet es den Parteien, eine einmal getroffene Rechtswahl jederzeit wieder abzuändern. Das deutsche Recht sieht für abändernde Rechtswahlklauseln keine Form vor.
Eine gesonderte Klauselkontrolle für vorformulierte Rechtswahlklauseln in Arbeitsverträgen kommt nicht in Betracht. Insoweit wird über Art. 8 Abs. 1 Rom I-VO ein spezifisch kollisionsrechtlicher Schutz vor den Folgen einer Rechtswahl verwirklicht. [LS der Redaktion]
[Siehe auch die im Wesentlichen inhaltsgleichen Parallelentscheidungen des LAG Düsseldorf vom 1.7.2022 – 10 Sa 429/21 / vom 13.4.2022 – 4 Sa 540/21 / vom 21.1.2022 – 7 Sa 403/21 / vom 15.12.2021 – 12 Sa 348/21 / vom 15.12.2021 – 12 Sa 347/21 (IPRspr 2021-358) / vom 15.12.2021 – 12 Sa 349/21.]
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz zuletzt noch über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung der Beklagten zu 1), einer betriebsbedingten Kündigung der Beklagten zu 2), die Frage eines Betriebsübergangs von der Beklagten zu 1) auf die Beklagte zu 2) sowie über die Zahlung einer sog. Sektorzulage (Sektor Pay). Die Beklagte zu 1) war ein Flugdienstleistungsunternehmen im S.-Konzern mit Sitz in T. Zwischen ihr und dem Kläger bestand seit dem 01.03.2018 ein Arbeitsverhältnis. Grundlage der Arbeitsvertrag vom 10.02.2018. Der Kläger war danach als Kapitän (Commander) an der Heimatbasis B. beschäftigt. Der Arbeitsvertrag enthielt u.a. eine Rechtswahlklausel zugunsten des österreichischen Rechts. Infolge der Ausbreitung der Covid19-Pandemie setzte die Beklagte zu 1) den Flugverkehr an den deutschen Standorten von Mitte März bis Ende Juni 2020 vollständig aus. Dies wurde zunächst über die Gewährung offener Urlaubsansprüche und im Zeitraum von April bis Juni 2020 über Kurzarbeitergeld "Null" umgesetzt. Ab dem 01.07.2020 nahm die Beklagte zu 1) den Flugverkehr eingeschränkt wieder auf, erbrachte aber fortan jedenfalls zu einem großen Teil Flüge als wet-lease-Leistungen für S. von den Stationierungsorten B., Q., T. und X. aus, vermietete also die ihr zur Verfügung stehenden Flugzeuge nebst Personal, Wartung und Versicherung. S. übernahm dazu ganz überwiegend die bisher von der Beklagten zu 1) gehaltenen "Slots" (uhrzeitbezogene Start-/Landerechte an koordinierten Flughäfen wie B.). Die wenigen ihr verbliebenen B.er Slots nutzte die Beklagte zu 1) nicht mehr. Mit E-Mail vom Morgen des 3.7.2020 informierten die Geschäftsführer der Beklagten zu 1) alle in B. stationierten Piloten über die Tarifverhandlungen mit der Gewerkschaft v. über ein "Eckpunktepapier für in Deutschland stationierte Piloten" (im Folgenden Eckpunktepapier). Der Kläger erklärte per Antwort-E-Mail fristgerecht seine Zustimmung zu dem Eckpunktepapier. In diesem hieß es u.a.: "Ab dem 1. Juli 2020 wird M. das deutsche Arbeitsrecht auf alle in Deutschland direktangestellten Piloten von M. anwenden. Dies gilt nicht für bereits anhängige Gerichtsverfahren oder vor dem 01.07.2020 eingetretene Anlässe von Rechtsstreitigkeiten, welche weiterhin österreichischen Recht unterliegen. M. hat den Betrieb im März 2018 aufgenommen, was den frühesten Arbeitsbeginn/Beginn der Betriebszugehörigkeit für alle Piloten für M. darstellt. Alle früheren Dienste, Betriebszugehörigkeiten oder Ansprüche (vor März 2018) sind für die aktuellen Arbeitsverhältnisse der Piloten mit M. rechtlich irrelevant." Mit Schreiben vom 10.09.2020 kündigte die Beklagte zu 1) die Arbeitsverhältnisse der in Deutschland beschäftigten Mitarbeiter.
Mit der Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigung vom 10.09.2020 gewandt. Er beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen ihm und der Beklagten zu 1) durch die vom 10.09.2020 nicht aufgelöst worden ist sowie festzustellen, dass das zwischen ihm und der Beklagten zu 1) bestehende Arbeitsverhältnis ab dem 01.11.2020 mit der Beklagten zu 2) zu unveränderten Arbeitsbedingungen fortbesteht.
[1]A. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die im Jahre 2020 eingegangenen Klagen gegen beide Beklagte folgt aus Art. 66 Abs. 1, 20 Abs. 1, 21 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (EUGVVO). Es handelt sich bei den arbeitsgerichtlichen Klagen um zivilrechtliche Streitigkeiten i.S.v. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EUGVVO (BAG 07.05.2020 -
[2]B. Die zulässigen Berufungen des Klägers sind weitgehend unbegründet. Sie haben lediglich betreffend die gegen die Beklagte zu 1) gerichteten Zahlungsanträge zu II.4. und II.7. Erfolg. Im Übrigen haben die Berufungen des Klägers keinen Erfolg.
[3]I. Der gegen die Beklagte zu 1) gerichtete Kündigungsschutzantrag (Antrag zu I.) ist unbegründet, weil die Kündigung der Beklagten zu 1) vom 10.09.2021 das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31.12.2020 rechtswirksam beendet hat.
[4]1. Auf das Arbeitsverhältnis des Klägers zu der Beklagten zu 1) findet aufgrund der im Eckpunktepapier getroffenen Rechtswahl gemäß Art. 3 Abs. 1 und 2, Art. 8 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 (Rom I-VO) deutsches Recht Anwendung. Gemäß Art. 12 Abs. 1 lit. d Rom I-VO folgen die Regelungen über das Erlöschen von Verpflichtungen aus einem Vertrag und somit auch das Recht seiner Kündigung einschließlich des allgemeinen Kündigungsschutzes grundsätzlich dem Recht des Staates, das auf den Arbeitsvertrag Anwendung findet (BAG 24.08.1989 -
[5]Im Eckpunktepapier haben der Kläger und die Beklagte zu 1) Anfang Juli 2020 die in ihrem ursprünglichen Arbeitsvertrag vereinbarte Anwendung österreichischen Rechts zugunsten des deutschen Rechts derogiert. Im Eckpunktepapier ist u. a. vereinbart, dass die Beklagte zu 1) ab dem 01.07.2020 das deutsche Arbeitsrecht auf alle ihre in Deutschland direkt angestellten Piloten anwendet. Zudem wurde in den Anfang Juli 2020 zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1) gewechselten E-Mails vereinbart, dass das Eckpunktepapier ab dem 01.07.2020 die bisherigen Bedingungen und Konditionen ersetzt bzw. an deren Stelle tritt. Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Rom I-VO gestattet es den Parteien, eine einmal getroffene Rechtswahl jederzeit wieder abzuändern (MüKoBGB/Martiny, 8. Aufl. 2021, Rom I-VO Art. 3 Rn. 77; BeckOGK/Wendland, Stand 01.09.2021, Rom I-VO Art. 3 Rn. 202; OGH 25.11.2014 - 8 ObA 34/14d; im Internetabrufbar unter https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Justiz&Dokumentnummer=JJT_20141125_OGH0002_008OBA00034_14D0000_000). Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit dieser ändernden Rechtswahlvereinbarung auf der Grundlage des gewählten deutschen Rechts (Art. 3 Abs. 5 Rom I-VO i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO; s.a. BeckOGK/Wendland, Stand 01.09.2021, Rom I-VO Art. 3 Rn. 209) bestehen nicht. Im Hinblick auf den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Klägers in Deutschland ist davon gemäß Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO keine Abweichung veranlasst . Das deutsche Recht sieht im Übrigen für abändernde Rechtswahlklauseln keine Form vor (BGH 22.01.1997 -
[6]Unabhängig von Vorstehendem gehen die Parteien in beiden Tatsacheninstanzen übereinstimmend von der Anwendbarkeit deutschen Rechts aus (vgl. zu einer - gemäß Art. 3 Abs. 2 Rom I-VO auch nachträglich möglichen - Rechtswahl BGH 19.01.2000 -
[7]2. ...