Bei der fristgerechten Begründung der Beschwerde gegen eine Entscheidung im Verfahren nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen handelt es sich um eine Zulässigkeitsvoraussetzung. Wird die Beschwerde entgegen § 40 Abs. 2 Satz 2 IntFamRVG nicht fristgerecht begründet, so ist sie nicht in der gesetzlichen Frist eingelegt und dementsprechend gem. § 68 Abs. 2 Satz 2 FamFG als unzulässig zu verwerfen.
[1]Die Beschwerde der Kindesmutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht -Schleswig vom 5. Februar 2021 ist gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 IntFamRVG, § 58 Abs. 1 FamFG statthaft. Sie ist auch gem. § 40 Abs. 2 Satz 2 IntFamRVG, § 63 Abs. 3, § 64 Abs. 1 Satz 1 FamFG fristgerecht innerhalb von zwei Wochen ab der schriftlichen Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses beim Amtsgericht Schleswig eingelegt worden. Der familiengerichtliche Beschluss ist der Verfahrensbevollmächtigten der Kindesmutter am 5. Februar 2021 zugestellt worden, die Beschwerdeschrift der Kindesmutter ist am 18. Februar 2021 vorab per Fax und damit noch vor Ablauf der Beschwerdefrist beim Familiengericht eingegangen.
[2]Die Beschwerde ist allerdings nicht gem. § 40 Abs. 2 Satz 2 IntFamRVG innerhalb von zwei Wochen begründet worden. Bei der fristgerechten Begründung der Beschwerde gegen eine Entscheidung im Verfahren nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen handelt es sich nach der in der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung inzwischen einhellig vertretenen Auffassung um eine Zulässigkeitsvoraussetzung. Wird die Beschwerde entgegen § 40 Abs. 2 Satz 2 IntFamRVG nicht fristgerecht begründet, so ist sie nicht in der gesetzlichen Frist eingelegt - § 68 Abs. 2 Satz 1 FamFG - und dementsprechend gem. § 68 Abs. 2 Satz 2 FamFG als unzulässig zu verwerfen (OLG Stuttgart, FamRZ 2020, 2024 (IPRspr 2020-265); OLG Jena, Beschluss vom 2. Juli 2018, Az.
[3]Der Wortlaut des § 40 Abs. 2 Satz 2 IntFamRVG sieht ausdrücklich und eindeutig vor, dass die Beschwerde innerhalb von zwei Wochen einzulegen und zu begründen ist.
[4]Während die allgemeinen Regelungen des FamFG für Familiensachen, die keine Familienstreitsachen sind, eine Frist lediglich für die Einlegung der Beschwerde vorsehen und hinsichtlich der Beschwerdebegründung die Bestimmung enthalten, dass die Beschwerde begründet werden soll (§ 65 Abs. 1 FamFG), enthält das IntFamRVG als Ausführungsgesetz im Sinne von § 97 Abs. 2 FamFG und damit als gegenüber dem FamFG in seinem Anwendungsbereich vorrangiges Gesetz in § 40 Abs. 2 Satz 2 auch eine (zwingende) Begründungsfrist für Beschwerden in Verfahren nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen.
[5]Nach dem Willen des Gesetzgebers sollten die nach § 40 Abs. 2 Satz 1 IntFamRVG grundsätzlich für anwendbar erklärten Vorschriften des FamFG über die Beschwerde modifiziert werden, um den Beschleunigungsvorgaben des Haager Kindesentführungsübereinkommens weiterhin gerecht zu werden (vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs des FGG-Reformgesetzes, BT-Drs. 16/6308, S. 332). Bei Verfahren nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen handele es sich um besonders eilbedürftige Verfahren, was sich insbesondere aus Art. 11 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 (“Brüssel Ila-Verordnung") ergebe, auf den § 38 Abs. 1 Satz 3 IntFamRVG Bezug nehme (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs des FGG-Reformgesetzes, a.a.O.). Art. 11 Abs. 3 der Brüssel Ila-Verordnung sieht vor, dass sich das Gericht, bei dem die Rückgabe eines Kindes nach Art. 11 Abs. 1 der Brüssel Ila-Verordnung beantragt wird, mit gebotener Eile mit dem Antrag befasst und sich dabei der zügigsten Verfahren des nationalen Rechts bedient. Unbeschadet dessen erlässt das Gericht seine Anordnung spätestens sechs Wochen nach seiner Befassung mit dem Antrag, es sei denn, dass dies aufgrund außergewöhnlicher Umstände nicht möglich ist (Art. 11 Abs. 3 Unterabsatz 2 der Brüssel Ila-Verordnung).
[6]Sinn und Zweck der in § 40 Abs. 2 Satz 2 IntFamRVG vorgesehenen Begründungsfrist von zwei Wochen ist es damit, den strengen Beschleunigungsvorgaben des Art. 11 Abs. 3 der Brüssel Ila-Verordnung gerecht zu werden und (auch) dem Beschwerdegericht eine gerichtliche Entscheidung innerhalb von sechs Wochen zu ermöglichen. Würde es sich bei der Begründungsfrist nicht um eine Zulässigkeitsvoraussetzung handeln, müsste das Beschwerdegericht eine noch nach Fristablauf eingehende Begründung zur Wahrung des rechtlichen Gehörs im weiteren Verfahren und bei seiner Entscheidung berücksichtigen, selbst wenn diese erst kurz vor dem Erlass der Entscheidung eingeht. Eine verfahrensrechtliche Präklusionsvorschrift existiert nicht. Dies würde dem Beschleunigungsgrundsatz zuwiderlaufen und könnte je nach Zeitpunkt des Eingangs der Beschwerdebegründung und deren Inhalt zu erheblichen Verzögerungen und einer Nichteinhaltung der Sechs-Wochen-Frist führen. Wegen der erheblichen Bedeutung der Rückführung des Kindes für das Kind und dessen Eltern ist die Ermöglichung und Begünstigung einer solchen Verfahrensverzögerung nicht hinnehmbar.
[7]Soweit das OLG Stuttgart in einer früheren Entscheidung aus dem Jahre 2015 (FamRB 2015, 459 (IPRspr 2015-108)) noch vertreten hatte, dass es der Zulässigkeit der Beschwerde nicht entgegenstehe, wenn diese nicht innerhalb der Frist von zwei Wochen begründet werde, hält das OLG Stuttgart an seiner damaligen Auffassung mittlerweile ausdrücklich nicht mehr fest (vgl. OLG Stuttgart, FamRZ 2020,2024 (IPRspr 2020-265)).
[8]Das OLG Stuttgart hatte seine Auffassung im Wesentlichen damit begründet, dass § 40 Abs. 2 Satz 1 IntFamRVG von der Verweisung auf die §§ 58 ff. FamFG zwar die Vorschrift des § 65 Abs. 2 FamFG ausnehme, welche die Möglichkeit einer Fristsetzung für die Beschwerdebegründung vorsehe, hingegen die Vorschrift des § 65 Abs. 1 FamFG, wonach die Beschwerde nur begründet werden solle, von der Verweisung nicht ausgenommen sei und damit Anwendung finde. Hieraus hatte das OLG Stuttgart die Schlussfolgerung gezogen, .dass eine Begründung nicht zwingend sei.
[9]Bei einem solchen Rückschluss wird allerdings übersehen, dass die allgemeine Soll-Regelung des § 65 Abs. 1 FamFG überlagert wird von der insoweit vorrangig geltenden Ist-Regelung des § 40 Abs. 2 Satz 2 IntFamRVG. Im Übrigen ist in § 40 Abs. 2 Satz 1 IntFamRVG auch die Regelung des § 63 Abs. 1 FamFG betreffend die Monatsfrist zur Einlegung der Beschwerde nicht von der Anwendung ausgenommen, obwohl mit § 40 Abs. 2 Satz 2 IntFamRVG unzweifelhaft eine anderweitige Regelung der Beschwerdefrist von zwei Wochen vorhanden ist. Schließlich ist ebenso in § 113 Abs. 1 FamFG, der für Ehesachen und Familienstreitsachen bestimmte Vorschriften des FamFG von der Anwendung ausnimmt und stattdessen auf die Regelungen in der ZPO verweist, die Soll-Regelung.des § 65 Abs. 1 FamFG nicht von der Anwendung ausgenommen, zugleich aber in § 117 Abs. 1 FamFG geregelt, dass die Beschwerde binnen einer Frist von zwei Monaten zu begründen ist. Auch insoweit stehen eine Soll-Regelung und eine Ist-Regelung zur Beschwerdebegründung nebeneinander, ohne dass in Rechtsprechung und Literatur in Zweifel gezogen wird, dass die Ist-Regelung Geltung beansprucht und es sich bei der fristgerechten Begründung der Beschwerde um eine Zulässigkeitsvoraussetzung handelt.
[10]Nicht hinreichend berücksichtigt hat das OLG Stuttgart in seiner früheren Entscheidung überdies den Umstand, dass in § 40 Abs. 2 Satz 1 IntFamRVG die Anwendung von § 65 Abs. 2 FamFG ausgeschlossen ist, wonach dem Beschwerdeführer eine Frist zur Begründung der Beschwerde eingeräumt werden kann. Auch dies zeigt, dass eine fristgerechte Beschwerdebegründung zwingend ist: Da die Beschwerde bereits nach der gesetzlichen Regelung innerhalb der zweiwöchigen Frist zu begründen ist, kommt die Einräumung einer Frist zur Begründung der Beschwerde nicht in Betracht.
[11]Der Senat vermag auch der Auffassung, das in § 40 Abs. 2 Satz 2 IntFamRVG enthaltene Erfordernis einer Begründung der Beschwerde binnen zwei Wochen sei einschränkend dahin auszulegen, dass es das in § 65 Abs. 1 FamFG enthaltene „Soll“ einer Begründung zur Verfahrensbeschleunigung nur in zeitlicher Hinsicht einschränke, da eine Sanktionierung der nicht fristgerecht erfolgten Begründung durch Verwerfung der Beschwerde als unzulässig oder durch Präklusion darin enthaltenen (neuen) Vortrags nicht dem Willen des Gesetzgebers entspreche (so Reichelt, Überlegungen zum Erfordernis einer Beschwerdebegründung bei Beschwerden nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen - Ist doch alles klar... oder etwa nicht?, NZFam 2020, 889), nicht zu folgen.
[12]Diese Auffassung geht davon aus, dass es dem Willen des Gesetzgebers entspreche, die Regelung des § 40 Abs. 2 Satz 2 IntFamRVG zur zweiwöchigen Begründungsfrist nicht als Zulässigkeitsvoraussetzung zu verstehen, sondern als zeitliche Einschränkung der Soll-Regelung in § 65 Abs. 1 FamFG, an deren Nichteinhaltung keinerlei verfahrensrechtliche „Sanktionen“ geknüpft seien, vielmehr auch eine nach Fristablauf eingehende Begründung der Beschwerde uneingeschränkt zu berücksichtigen sei, solange diese noch vor der abschließenden Entscheidung des Beschwerdegerichts eingehe. Daher sei die Regelung des § 40 Abs. 2 Satz 2 IntFamRVG in diesem Sinne einschränkend auszulegen.
[13]Einen solchen Willen des Gesetzgebers vermag der Senat nicht zu erkennen. Insbesondere wird aus der Gesetzesbegründung zum FGG-Reformgesetz deutlich, dass es sich bei der vorgenommenen Änderung des § 40 Abs. 2 IntFamRVG nicht lediglich um eine Anpassung unter Beibehaltung des früheren Regelungsgehalts des § 40 Abs. 2 IntFamRVG (so Reichelt, a.a.O.) gehandelt hat, sondern dass die grundsätzlich für anwendbar erklärten Vorschriften des FamFG über die Beschwerde modifiziert werden sollten, um den Beschleunigungsvorgaben des HKÜ weiterhin gerecht zu werden. Insoweit ist in der Begründung des Regierungsentwurfs zum FGG-Reformgesetz nicht nur ausgeführt, dass die Frist zur Einlegung der Beschwerde entsprechend der bisherigen Verweisung auf § 22 FGG zwei Wochen beträgt, sondern es ist auch ausdrücklich ausgeführt, dass die Beschwerde innerhalb dieser Frist zu begründen ist, ohne dass eine Fristverlängerung möglich ist (vgl. BT-Drs. 16/6308, S. 332). Für ein redaktionelles Versehen des Gesetzgebers bestehen vor diesem Hintergrund keine Anhaltspunkte. Auch der Vergleich mit den allgemeinen Regeln des FamFG über die Beschwerde ist nicht zwingend, da es sich bei den Regelungen des IntFamRVG - wie dargelegt - gerade um spezielle Regelungen über die Beschwerde in Verfahren nach dem HKÜ handelt, für welche in § 38 Abs. 1 Satz 3 IntFamRVG i.V.m. Art. 11 Abs. 3 Brüssel Ila-Verordnung besonders strenge Beschleunigungsvorgaben vorgesehen sind.
[14]Der Beschwerdeführer wird durch eine zweiwöchige Begründungsfrist als Zulässigkeitsvoraussetzung auch nicht unangemessen benachteiligt. Aus dem klaren und eindeutigen Wortlaut des einschlägigen § 40 Abs. 2 Satz 2 IntFamRVG kann der Beschwerdeführer zweifelsfrei erkennen, dass die Beschwerde innerhalb von zwei Wochen zu begründen ist. Angesichts der Eilbedürftigkeit des Verfahrens nach dem HKÜ ist es ihm zuzumuten, nicht nur innerhalb von zwei Wochen zu entscheiden, ob er Beschwerde gegen die familiengerichtliche Entscheidung einlegen will, sondern seine Beschwerde innerhalb dieser Frist auch zu begründen. Innerhalb der dann noch verbleibenden Zeit bis zum Ablauf der sechs-Wochen-Frist des § 38 Abs. 1 Satz 3 IntFamRVG i.V.m. Art. 11. Abs. 3 Brüssel Ila-Verordnung muss sich das Beschwerdegericht in die Sache einarbeiten, über die Beschwerde und den beabsichtigten weiteren Verfahrensablauf (vorläufig) beraten, den übrigen Beteiligten zur Wahrung des rechtlichen Gehörs Gelegenheit zur Stellungnahme geben, gegebenenfalls einen Anhörungstermin mit den Beteiligten durchführen, abschließend über die Beschwerde und seine Entscheidung beraten sowie seine Entscheidung abfassen. Angesichts dieser nach Eingang der Beschwerdebegründung innerhalb der verbleibenden Zeit noch erforderlichen verfahrensrechtlichen Schritte ist es mehr als ausreichend, dass dem Beschwerdeführer vom Gesetz zwei Wochen für die Begründung seiner Beschwerde eingeräumt werden.
[15]II.
[16]Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. §§ 17 ff. FamFG nicht in Betracht kommt …
[17]III.
[18]Unabhängig von ihrer Unzulässigkeit hätte die Beschwerde allerdings bei vorläufiger Würdigung auch in der Sache keinen Erfolg. Mit Recht und aus zutreffenden Gründen hat das Familiengericht die sofortige Rückgabe von M. S. nach Finnland angeordnet. Der Kindesvater kann die sofortige Rückführung des Kindes gemäß Art. 12 Abs. 1 HKÜ verlangen, weil die Kindesmutter M. S. widerrechtlich im Sinne von Art. 3 Abs. 1 HKÜ in die Bundesrepublik Deutschland verbracht hat und keiner der Ausnahmetatbestände des Art. 13 HKÜ gegeben ist.
[19]1.) Das Haager Kindesentführungsübereinkommen ist nach Art. 60 lit. e), Art. 11 Brüssel lla-VO, Art. 1 lit. a), Art. 37 f. HKÜ anwendbar. Die zweijährige M. S. hatte bis zu der von der Kindesmutter im August 2020 veranlassten Ausreise ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Finnland, das wie Deutschland Vertragsstaat des Übereinkommens ist (vgl. Art. 4 HKÜ).
[20]2.) Die Kindesmutter hat M. S. widerrechtlich im Sinne von Art. 3 Abs. 1 HKÜ, Art. 2 Nr. 11 Brüssel lla-VO nach Deutschland verbracht und hält sie dort auch weiterhin widerrechtlich zurück. Denn mit der von ihr veranlassten Veränderung des Aufenthaltsortes des Mädchens hat die Kindesmutter das mit dem Kindesvater bestehende gemeinsame Sorgerecht verletzt, welches auch die Aufenthaltsbestimmung umfasst. Die Kindeseltern sind nach dem gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. a) HKÜ maßgeblichen finnischen Recht für M. S. gemeinsam sorgeberechtigt. Der Kindesvater hat die Mitsorge auch im Zeitpunkt der Abreise der Kindesmutter nach Deutschland tatsächlich ausgeübt.
[21]3.) Gemäß Art. 12 Abs. 1 HKÜ ist die sofortige Rückgabe des Kindes anzuordnen, ohne dass zu prüfen ist, ob sich M. S. zwischenzeitlich in Deutschland eingelebt hat. Bei Eingang des Antrags des Kindesvaters beim Familiengericht am 30. Dezember 2020 hat das widerrechtliche Verbringen des Kindes nach Deutschland weniger als ein Jahr angedauert. Die Kindesmutter ist mit M. S. im August 2020 nach Deutschland eingereist und hält sich seitdem hier auf.
[22]4.) Das Familiengericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass kein Grund zur Ablehnung der sofortigen Rückgabe nach Art. 13 HKÜ gegeben ist.
[23]a) Die Kindesmutter hat nicht nachgewiesen, dass der Kindesvater dem Verbringen von M. S. nach Deutschland zugestimmt oder das Verbringen nachträglich genehmigt hat (Art. 13 Abs. 1 lit a) HKÜ). Im Gegenteil zeigt ihr Vortrag zu angeblichen Drohungen des Kindesvaters für den Fall ihrer Ausreise nach Deutschland, dass der Kindesvater ihr gegenüber schon zuvor deutlich gemacht hat, dass er mit einem Verbringen des Kindes nach Deutschland nicht einverstanden ist, und dass die Kindesmutter in Kenntnis dieses Umstandes gleichwohl mit M. S. nach Deutschland ausgereist ist. Wie sein Antrag auf Rückführung vom Dezember 2020 zeigt, ist der Kindesvater auch weiterhin mit dem Aufenthalt von M. S. in Deutschland nicht einverstanden.
[24]b) Die Rückkehr von M. S. nach Finnland ist nicht mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind im Sinne von Art. 13 Abs. 1 lit. b) HKÜ verbunden und bringt dieses auch nicht auf andere Weise in eine unzumutbare Lage.
[25]aa) Bei Art. 13 Abs. 1 HKÜ handelt es sich um einen Ausnahmetatbestand, der eng auszulegen ist. Das Übereinkommen soll verhindern, dass ein Kind unter Verstoß gegen das Sorgerecht und somit widerrechtlich ins Ausland gebracht wird. Das durch einen Elternteil ohne Zustimmung des anderen Elternteils in einen anderen Vertragsstaat verbrachte Kind soll möglichst schnell zurückgeführt und die Sorgerechtsentscheidung am Ort des früheren gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes sichergestellt werden. Hierbei geht das Übereinkommen davon aus, dass eine sofortige Rückführung des Kindes an den bisherigen Aufenthaltsort grundsätzlich dem Kindeswohl am besten entspricht, weil dadurch die Kontinuität seiner Lebensbedingungen erhalten bleibt. Zudem berücksichtigt eine Rückführung an den bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort die Interessen beider Eltern, weil die ursprüngliche internationale Zuständigkeit für die Sorgerechtsentscheidung gewahrt bleibt und so vermieden wird, dass ein Elternteil aus dem rechtswidrigen Verbringen des Kindes in einen anderen Staat einen faktischen Vorteil zieht (zu allem BVerfG, Beschluss vom 29. Oktober 1998 -
[26]bb) Diese hohen Anforderungen sind vorliegend nicht erfüllt.
[27]Auf die Schilderungen der Kindesmutter zur früheren Situation im häuslichen Bereich und den Auseinandersetzungen mit dem Kindesvater kommt es nicht an. Im Rahmen dieses Verfahrens ist nicht darüber zu entscheiden, wessen Erziehung und Betreuung dem Wohl von M. S. am besten entspricht und bei welchem Elternteil M. S. deshalb künftig leben soll. Diese Prüfung ist Sache des am bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort des Kindes zuständigen Gerichts bei der Entscheidung darüber, ob nach der Trennung der Eltern einem von ihnen die elterliche Sorge zur alleinigen Ausübung zu übertragen ist. Diese Entscheidung ist grundsätzlich abzuwarten, bevor ein Kind von seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort und der Einflusssphäre eines Elternteils entfernt wird.
[28]Auch erfordert die Rückführung nach Finnland nicht zwangsläufig die Herausgabe des Mädchens an den Kindesvater. Die mit einer Trennung des Kindes von der Kindesmutter verbundenen Beeinträchtigungen des Kindeswohls können dadurch vermieden werden, dass die Kindesmutter gemeinsam mit M. S. nach Finnland zurückkehrt. Eine solche Rückkehr ist der Kindesmutter auch zuzumuten, weil sie mit der rechtswidrigen Entführung die Konfliktlage selbst geschaffen hat (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26. Oktober 2016 -
[29]Soweit die Kindesmutter auf die Erkrankungen von M. S. - nach den eingereichten Unterlagen eine globale Entwicklungsstörung, ein Chromosomendefekt, Hypotonie (niedriger Blutdruck), eine Wirbelsäulenverkrümmung sowie eine Fehlbildung des Gaumens - verweist, aufgrund deren M. S. den Entwicklungsstand eines einjährigen Kindes hat und einer intensiven medizinischen und therapeutischen Behandlung bedürfe, ist nicht ersichtlich, dass mit der Rückkehr von M. S. nach Finnland die schwerwiegende Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens verbunden wäre. Deshalb kommt es im vorliegenden Verfahren nicht darauf an, ob die ärztliche Versorgung und Betreuung des Mädchens in Finnland generell und dauerhaft in gleicher Weise wie in Deutschland gewährleistet wäre, woran der Senat keinen Zweifel hat. Auch ist nicht entscheidend, dass die Kindesmutter in Deutschland - anders als in Finnland - auf die Unterstützung ihrer Herkunftsfamilie zurückgreifen und so die Wahrnehmung ärztlicher Termine und die besonderen Anforderungen, die M. S. an ihre Betreuung und Beaufsichtigung stellt, besser sicherstellen kann. Maßgeblich ist, dass eine konkrete Gefährdung von M. S. bei einem Aufenthalt in Finnland bis zu einer Entscheidung in dem dort zwischenzeitlich eingeleiteten gerichtlichen Verfahren über die sorgerechtlichen Befugnisse nicht erkennbar ist. Insoweit sind in den vergangenen etwa zwei Jahren seit der Geburt von M. S. in Finnland Untersuchungen und Behandlungen nach den Schilderungen beider Eltern und den von der Kindesmutter vorgelegten Unterlagen erfolgt, ohne dass sich eine akute gesundheitliche Gefährdung ergeben hätte. Ob die zwischenzeitlich in Deutschland begonnene Therapie nach Vojta in Finnland weitergeführt werden könnte, kann dahinstehen. Selbst wenn dies bis zum Abschluss des Sorgerechtsverfahrens in Finnland nicht der Fall sein sollte, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, inwiefern dies eine schwerwiegende Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für M. S. begründen sollte. Dass in Finnland im Rahmen einer Kinderbetreuung eine Frühförderung und eine dem deutschen Familienhelfer vergleichbares Unterstützungssystem nicht verfügbar wären und M. S. deshalb in der Zeit bis zu einer sorgerechtlichen Entscheidung in ihrer körperlichen und geistigen Weiterentwicklung gegenwärtig gefährdet wäre, ist nicht dargetan.
[30]c) Im Hinblick auf das Alter und die von der Kindesmutter dargestellte und in den eingereichten Unterlagen belegte Entwicklungsstörung des Mädchens kann nicht festgestellt werden, dass M. S. sich einer Rückführung nach Finnland im Sinne von Art. 13 Abs. 2 HKÜ widersetzt.
[31]IV. ...