Eine ausländische Sorgerechtsentscheidung ist nach Art. 21 Abs. 1 lit. a Brüssel IIa-VO nicht nach dem materiellen ordre public, sondern dem anerkennungsrechtliche ordre public zu messen. Zu prüfen ist danach, ob das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts in der anzuerkennenden Entscheidung im konkreten Fall zu den Grundgedanken der deutschen Regelung und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass eine Anerkennung der ausländische Entscheidung nach deutscher Vorstellung untragbar erscheint bzw. dass die Abweichung von den inländischen verfahrensrechtlichen Vorgaben so schwerwiegend erscheint, dass die fremde, anzuerkennende Entscheidung nicht mehr als eine in einem geordneten, rechtsstaatlichen Verfahren ergangene Entscheidung erachtet werden kann.
Ein etwaiger Widerspruch der ausländischen (hier: bulgarischen) Sorgerechtsentscheidung gegen andere Entscheidungen desselben Staates kann ihre Anerkennung für das Inland nicht verhindern, da dies eine gem. Art. 26 Brüssel IIa-VO unzulässige révision au fond wäre. Denn um den behaupteten Widerspruch feststellen zu können, müsste geprüft werden, ob die betreffenden ausländischen Spruchkörper ihr eigenes, nationales Recht zutreffend angewandt haben.
Die Anhörung eines Kindes durch den ausländischen Spruchkörper wird in Anerkennungssachen regelmäßig für Kinder, die im Zeitpunkt des Erlasses der anzuerkennendne Entscheidung das dritte bzw. vierte Lebensjahr vollendet haben, für sinnvoll erachtet, um den Anforderungen des Ordre-public-Vorbehalts nach Art. 23 lit. b Brüssel IIa-VO gerecht zu werden. Ist dem ausländischen Spruchkörper trotz Bemühungen der Aufenthaltsort des Kindes unbekannt, so stellt die unterbliebene Kindesanhörung keinen Verstoß gegen wesentliche Verfahrensgrundsätze i.S.d. Art. 23 lit. b Brüssel IIa-VO dar.
Enthält eine anerkennungsfähige ausländische Titel in einer Kindschaftssache implizit eine Herausgabeanordnung, so kann ein inländisches Gericht den Titel um eine ausdrückliche Herausgabeanordnung ergänzen. [LS der Redaktion]
Die Mutter wendet sich gegen den am 2. August 2024 erlassenen Beschluss des Familiengerichts, mit dem die am 2. Juli 2018 auf die mündliche Verhandlung vom 31. Mai 2018 ergangene, seit dem 11. Februar 2021 rechtskräftige Entscheidung der 117. Kammer des Amtsgerichts S.../Bulgarien - Aktenzeichen-/Beschluss-Nr. 438360 - hinsichtlich der folgenden Regelung: "Die elterliche Sorge für das Kind ... ... ..., geboren am .... ... 2015, wird dem Vater, bei dem das Kind leben wird, übertragen" in Deutschland anerkannt und die vorgenannte Entscheidung in Verbindung mit der von der 117. Kammer des Amtsgerichts S.../Bulgarien für diese Entscheidung erteilten vollstreckbaren Ausfertigung vom 12. März 2024 hinsichtlich der folgenden Anordnung: "Es wird angeordnet, dass die Mutter ... ... ... (...) das Kind ... ... ... an dessen Vater und gesetzlichen Vertreter ... ... ... zu übergeben hat" in Deutschland für vollstreckbar erklärt wurde.
Mit ihrer Beschwerde beantragt die Kindesmutter, den familiengerichtlichen Beschluss über die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung der bulgarischen Entscheidung aufzuheben und den entsprechenden Antrag des Vaters zurückzuweisen.
[1]II.
[2]1. Die Beschwerde der Mutter ist zulässig:
[3]a) Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte, die aufgrund der grenzüberschreitenden Bezüge der zu entscheidenden Sache fraglich sein könnte und die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist (vgl. KG, Beschluss vom 26. Juli 2018 -
[4]b) Die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen sind ebenfalls gegeben:
[5](aa) Aus der intertemporalen Übergangsvorschrift des § 55 IntFamRVG n.F. folgt, dass auf Verfahren, die wie das Verfahren, dass der bulgarischen Sorgerechtsentscheidung vom 2. Juli 2018 vorausgegangen ist, vor dem 1. August 2022 eingeleitet worden sind und die deshalb noch den Regelungen der Brüssel IIa-VO unterstehen, das IntFamRVG in seiner bisherigen (alten) Fassung Anwendung findet.
[6](bb) ... (cc) ...
[7]2. In der Sache selbst hat die Beschwerde der Mutter indessen keinen Erfolg, sondern ist zurückzuweisen. Denn das Familiengericht hat die bulgarische Sorgerechtsentscheidung vom 2. Juli 2018 in Verbindung mit der vollstreckbaren Ausfertigung vom 12. März 2024 zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen, denen der Senat sich nach Prüfung anschließt, für das Inland anerkannt und für vollstreckbar erklärt:
[8](a) (aa) Die Mutter meint, die Anerkennung des bulgarischen Sorgerechtsbeschlusses vom 2. Juli 2018 verstoße gegen den deutschen ordre public (Art. 23 lit. a Brüssel IIa-VO), weil die Sorgerechtsentscheidung vom 2. Juli 2018 den Beschlüssen vom 9. Oktober 2017 - Aktenzeichen 69727 - und vom 18. Juli 2018 - Aktenzeichen 72547 - jeweils des Amtsgerichts S.../Bulgarien widerspräche bzw. diese beiden, jeweils in Gewaltschutzsachen ergangenen Entscheidungen der Sorgerechtsentscheidung vom 2. Juli 2018 entgegenstünden.
[9](bb) Dieser Vortrag der Mutter hindert nicht die Anerkennung der Sorgerechtsentscheidung vom 2. Juli 2018:
[10](i) Prüfungsmaßstab, an dem der Vortrag der Mutter zu messen ist, ist nach Art. 21 lit. a Brüssel IIa-VO nicht der materielle (kollisionsrechtliche) ordre public im Sinne von Art. 6 EGBGB, sondern der anerkennungsrechtliche ordre public, nämlich der ordre public atténué de la réconnaissance (vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 2015 - C-455/15 PPU, FamRZ 2016, 111 [Rz. 35, 36, 39f.]; BGH, Beschluss vom 27. Mai 2020 -
[11](ii) Damit kann der von der Mutter gerügte, ihres Erachtens vorliegende Widerspruch der bulgarischen Sorgerechtsentscheidung vom 2. Juli 2018 gegen andere, weitere Entscheidungen bulgarischer Gerichte deren Anerkennung für das Inland nicht verhindern: Denn um den behaupteten Widerspruch nachvollziehen (und ggf. feststellen) zu können, müsste geprüft werden, ob die betreffenden bulgarischen Spruchkörper ihr eigenes, nationales Recht zutreffend angewandt haben: Zur Entscheidung dieser Frage sieht sich der Senat nicht in der Lage und dazu ist er auch nicht befugt. Denn eine révision au fond, eine Nachprüfung der anzuerkennenden Entscheidung in der Sache selbst, ist den Gerichten des Anerkennungsstaates ausdrücklich untersagt (Art. 26 Brüssel IIa-VO). Darauf läuft das Vorbringen der Mutter jedoch hinaus: Ihr Vortrag lässt sich im Kern darauf reduzieren, das bulgarische Gericht habe, als es mit dem Beschluss vom 2. Juli 2018 über die Sorgerechtsfrage entschieden habe, das eigene Recht bzw. weitere - andere - bulgarische Gerichtsentscheidungen missachtet und gegen deren Entscheidungssätze bzw. Anordnungen verstoßen. Dieser Vortrag - das der anzuerkennenden Entscheidung zugrundeliegende nationale Recht sei unrichtig angewandt worden - hindert die Anerkennung der betreffenden Entscheidung jedoch gerade nicht (vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 2015 - C-455/15 PPU, FamRZ 2016, 111 sowie Martiny in Schulte-Bunert/Weinreich, FamFG [6. Aufl. 2020], Art. 23 Brüssel IIa-VO Rn. 2 und im Ergebnis ebenso OLG Stuttgart, Beschluss vom 5. März 2014 -
[12](iii) Tatsächlich ist - soweit dies anhand der von den Beteiligten überreichten Unterlagen festgestellt werden kann - der von der Mutter behauptete Widerspruch der beiden weiteren, von ihr angeführten bulgarischen Entscheidungen zu der bulgarischen Sorgerechtsentscheidung vom 2. Juli 2018 nicht nachvollziehbar und jedenfalls auf keinen Fall "offensichtlich" im Sinn von Art. 23 lit. a Brüssel IIa-VO:
[13]- Dem Tenor der Entscheidung des Amtsgerichts S... vom 9. Oktober 2017 - Az. 69727 - zufolge wird dem Vater untersagt, gegen die Mutter oder den Jungen "häusliche Gewalt" anzuwenden und ihm wird weiter untersagt, sich der Mutter auf eine Entfernung von weniger als 100 Metern zu nähern: Ein Widerspruch, zumal ein "offensichtlicher", zu der Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater und die angeordnete Herausgabe des Jungen durch die Mutter an ihn ist darin nicht zu erkennen;
[14]- Im Ergebnis entsprechendes gilt für die Entscheidung des Amtsgerichts S... vom 15. Januar 2021 - Az. 61148: Auch dort handelt es sich um eine im Eilverfahren ergangene, einstweilige Entscheidung in einer Gewaltschutzsache und ganz offensichtlich nicht um eine Entscheidung in einer Kindschaftssache. Dem Vater wird denn auch "lediglich" untersagt, gegen die Mutter oder das Kind "häusliche Gewalt" anzuwenden und ihm wird verboten, sich der Mutter (und dem Jungen) auf weniger als 100 Meter zu nähern. Soweit ersichtlich, handelt es sich bei der Entscheidung vom 15. Januar 2021 um eine vorläufige, im einstweiligen (Eil-) Verfahren ergangenen Entscheidung: Dafür, dass mit dieser Entscheidung die etwa 2 ½ Jahre zuvor erlassene Sorgerechtsentscheidung vom 2. Juli 2018 abgeändert werden sollte, ist nichts ersichtlich; den Gründen der Entscheidung vom 15. Januar 2021 zufolge erscheint das vielmehr ausgeschlossen.
[15](iv) Letzte, danach eventuell noch verbliebene Zweifel an der Bestandskräftigkeit der Sorgerechtsentscheidung vom 2. Juli 2018 werden durch die vom Vater vorgelegte Übersetzung der (zweitinstanzlichen) Entscheidung des Stadtgerichts S... als Berufungs-/Appellationsgericht vom 11. Februar 2021 - Az. 260880 - zerstreut: Die (Appellationsgerichts-) Entscheidung ist ergangen auf das Rechtsmittel der Mutter gegen (u.a.) den Ausspruch über die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge und die Übertragung auf den Vater in der Entscheidung vom 2. Juli 2018 - Az. 438360. Im Tenor der (Appellations-) Entscheidung heißt es - soweit hier von Belang - ausdrücklich: "Zu Recht erkannt: […] Es bestätigt das Gerichtsurteil Nr. 438360 vom 2. Juli 2018 […] in Bezug auf […] die Gewährung des elterlichen und Sorgerechts dem Vater […]." Damit ist klar, dass die Sorgerechtsentscheidung vom 2. Juli 2018 endgültig ist: Das Appellationsgericht hat, als es am 11. Februar 2021 über das Rechtsmittel der Mutter gegen den Sorgerechtsbeschluss vom 2. Juli 2018 entschieden hat, in den beiden, von der Mutter hier angeführten Entscheidungen der bulgarischen Gerichte vom 9. Oktober 2017 - Az. 69727 - sowie vom 15. Januar 2021 - Az. 61148 - ganz offensichtlich keinen, wie auch immer gearteten Widerspruch gegen die Sorgerechtsentscheidung vom 2. Juli 2018 gesehen, sondern hat die Sorgerechtsentscheidung ausdrücklich bestätigt. Sie ist, wie die vollstreckbare Ausfertigung vom 12. März 2024, die für die Sorgerechtsentscheidung erteilt wurde, klar belegt, bestandskräftig.
[16](v) Die zusätzlichen, von der Mutter mit Schriftsatz vom 10. März 2025 vorgelegten Anträge bzw. Bescheinigungen - ein Antrag vom 22. Januar 2021 in einer Gewaltschutzsache sowie die Bescheinigung des Kassationsgerichtshofs der Republik Bulgarien vom 20. Dezember 2024, wonach ein Verfahren betreffend die Kassation einer Entscheidung des Landgerichts S.../Bulgarien vom 23. April 2024 - Az. 2434 vor dem Kassationsgericht anhängig sein soll - rechtfertigen keine andere Entscheidung: Die eingereichten Dokumente betreffen schon dem Vortrag der Mutter zufolge nicht die sorgerechtliche Entscheidung vom 2. Juli 2018 oder die für diese Entscheidung erteilte vollstreckbare Ausfertigung vom 12. März 2024.
[17](cc) Die auf Art. 23 lit. a Brüssel IIa-VO gestützte Rüge der Mutter geht damit fehl.
[18]b) Der weitere, gegen die Anerkennung der Sorgerechtsentscheidung vom 2. Juli 2018 gerichtete Einwand der Mutter, dass das bulgarische Gericht den seinerzeit, bei Erlass der Sorgerechtsentscheidung im Juli 2018 etwa drei Jahre und vier Monate alten Jungen nicht angehört habe, verfängt ebenfalls nicht:
[19](aa) Die Brüssel IIa-VO hat für die Frage der Anhörung eines Kindes im Rahmen von sorge- und umgangsrechtlichen Entscheidungen kein einheitliches, unionsweit anzuwendendes Recht geschaffen:
[20](i) Art. 23 lit. b Brüssel IIa-VO bestimmt zwar, dass eine mitgliedstaatliche Entscheidung über die elterliche Verantwortung nicht anerkannt wird, wenn die Entscheidung ergangen ist, ohne dass das Kind die Möglichkeit hatte, gehört zu werden und damit wesentliche verfahrensrechtliche Grundsätze des Mitgliedstaates, in dem die Anerkennung beantragt wird, verletzt werden. Diese Bestimmung ist im Licht der Erwägungsgründe zu interpretieren: Im Erwägungsgrund 19 zur Brüssel IIa-VO heißt es dazu, dass die Anhörung des Kindes bei der Anwendung der Verordnung eine wichtige Rolle spiele, wobei diese jedoch nicht das Ziel habe, die diesbezüglich geltenden nationalen Vorschriften zu ändern. Und im Erwägungsgrund 21 zur Brüssel IIa-VO heißt es, dass die Anerkennung und Vollstreckung der in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens beruhen und die Gründe für eine Nichtanerkennung auf das notwendige Minimum beschränkt sein sollen. Damit ist klar, dass es in erster Linie auf das einschlägige bulgarische Recht ankommt (vgl. Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht a.a.O., Rn. J 83; Schulte-Bunert, FamRZ 2007, 1608 [1611]; Menne, FamRB 2015, 398 [399]). Bestätigung erfährt diese Auffassung durch die neue - aktuelle - Fassung der Verordnung (EU) Nr. 2019/1111, die Brüssel IIb-VO, und dort insbesondere durch den Erwägungsgrund 39: In der Neufassung der Brüssel IIb-VO wird nochmals klargestellt, dass Maßstab für die Anerkennung nicht das nationale Recht des Anerkennungsstaates - also deutsches Recht und damit § 159 FamFG - ist, sondern das Recht des Mitgliedstaates, in dem die Entscheidung ergangen ist. Im Hinblick auf die unverändert stark unterschiedliche Ausgestaltung der Beteiligung von Kindern in den EU-Mitgliedstaaten und die Verpflichtung, wechselseitig die verschiedenen nationalen Formen für die Beteiligung von Kindern zu respektieren (vgl. Erwägungsgründe 19, 21 Brüssel IIa-VO), sind daher Entscheidungen aus anderen EU-Mitgliedstaaten grundsätzlich anzuerkennen, wenn die Beteiligung des Kindes im Ausgangsverfahren im Einklang mit den dortigen Verfahrensvorschriften erfolgt ist (vgl. Schweppe in Oberloskamp/Dürbeck, Vormundschaft, Pflegschaft und Beistandschaft für Minderjährige [5. Aufl. 2023], Kap. 1 Rn. 141).
[21](ii) Das bulgarische Recht bestimmt zur Anhörung von Kindern gemäß Art. 15 Abs. 1 des Gesetzes über den Schutz des Kindes vom 9. Juni 2000 (zitiert nach Jessel-Holst in Bergmann/Ferid/ Henrich/Dutta/Ebert, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Bulgarien [Stand Mai 2021]), dass "bei jedem Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren, durch welches Rechte oder Interessen eines Kindes berührt werden, dieses zwingend anzuhören ist, sofern es das zehnte Lebensjahr vollendet hat, es sei denn, dies würde seine Interessen beschädigen." Und im zweiten Absatz der Vorschrift heißt es, dass in Fällen, "in denen das Kind das zehnte Lebensjahr nicht vollendet hat, es in Abhängigkeit von seiner Entwicklung angehört werden kann" sowie weiter, dass "die Anhörungsentscheidung mit Gründen zu versehen" ist. Konkret heißt das, dass Kinder in Bulgarien vor dem zehnten Lebensjahr regelmäßig nicht angehört werden müssen; eine Entscheidung, ein unter zehn Jahre altes Kind anzuhören, ist vom Gericht zu begründen. Nachdem der Junge bei Erlass der Sorgerechtsentscheidung im Juli 2018 gerade einmal knapp über drei Jahre alt war, entspricht - nach allem, was ersichtlich ist - die ergangene Entscheidung daher den Vorgaben des bulgarischen Rechts und damit ist die Entscheidung grundsätzlich - im Interesse einer freien Zirkulation sorgerechtlicher Entscheidungen zwischen den Mitgliedstaaten der Brüssel IIa-VO - anzuerkennen.
[22](bb) Richtig ist, dass ein derartiger, anerkennungsfreundlicher Maßstab in ein Spannungsverhältnis zu "wesentlichen verfahrensrechtlichen Grundsätzen des Mitgliedstaates, in dem die Anerkennung beantragt wird" (Art. 23 lit. b Brüssel IIa-VO) geraten kann und zwar selbst dann, wenn die Gründe für eine Nichtanerkennung im Einklang mit dem Erwägungsgrund 21 Brüssel IIa-VO auf das notwendige Minimum beschränkt werden:
[23](i) Zur Auflösung dieses Spannungsverhältnisses ist die ultima-ratio Funktion des speziellen ordre public-Vorbehalts nach Art. 23 lit. b Brüssel IIa-VO mit dem Kindeswohl und dem Recht des Kindes gemäß Art. 12 Abs. 2 UN-Kinderrechtskonvention, in allen das Kind berührenden Gerichtsverfahren im Einklang mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften gehört zu werden - Bulgarien hat die Kinderrechtskonvention am 3. Juni 1991, Deutschland am 6. März 1992 ratifiziert - im Rahmen einer praktischen Konkordanz zu bestmöglicher Verwirklichung zu bringen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. April 2015 -
[24](ii) Nach dem Dafürhalten des Senats muss das für den Einzelfall maßgebliche Kriterium für die Herstellung einer praktischen Konkordanz - im Einklang mit Art. 12 Abs. 1 UN-Kinderrechtskonvention - das Alter des Kindes sein und dessen Fähigkeit, sich eine eigene Meinung bilden zu können:
[25]Tatsächlich differenzieren die deutschen Gerichte - soweit ersichtlich -, wenn es in Anerkennungssachen um die Kindesanhörung geht, überwiegend danach, welches Alter das vom Verfahren betroffene Kind bei Erlass der anzuerkennenden Entscheidung hatte. In Fällen, in denen das Kind in einem Alter ist, in dem es sich im Allgemeinen sprachlich äußern und mit Dritten, die es nicht kennt, ein Gespräch führen und seine Meinung vorbringen kann - kinder- und jugendpsychologischen Erkenntnissen zufolge ist das im Allgemeinen ab dem dritten/vierten Lebensjahr der Fall (vgl. Salzgeber, Familienpsychologische Gutachten. Rechtliche Vorgaben und sachverständiges Vorgehen [8. Aufl. 2024], Rn. 1106; Balloff, Kinder vor dem Familiengericht [4. Aufl. 2022], S. 250f.; Lack/Hammesfahr, Psychologische Gutachten im Familienrecht [2019], Rn. 400) -, es vor Erlass der in Rede stehenden Entscheidung vom ausländischen Gerichte (bzw. in dessen Auftrag) jedoch nicht angehört wurde, haben inländische Gerichte die vom Ausgangsgericht unterlassene Anhörung als Verstoß gegen einen wesentlichen innerstaatlichen verfahrensrechtlichen Grundsatz im Sinne von Art. 23 lit. a Brüssel IIa-VO erachtet (vgl. OLG München, Beschluss vom 20. Oktober 2014, FamRZ 2015, 602 [Rz. 2, 31ff.: drei Kinder, die im Zeitpunkt der anzuerkennenden Entscheidung jeweils sieben und knapp über vier Jahre alt waren; Anerkennung versagt] (IPRspr 2014-261); OLG Schleswig, Beschluss vom 19. Mai 2008 -
[26]In Fällen, in denen das Kind bei Erlass der anzuerkennenden Entscheidung dagegen bereits über drei Jahre alt war und vom erkennenden Gericht angehört wurde, werden die ausländischen Entscheidungen - soweit ersichtlich - im Allgemeinen anerkannt (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 30. April 2012 -
[27]Entsprechendes gilt, wenn das Kind bei Erlass der anzuerkennenden Entscheidung noch sehr jung bzw. in einem Alter ist, in dem es seine Meinung im Allgemeinen noch nicht ausreichend äußern kann. In derartigen Konstellationen steht eine unterlassene Kindesanhörung der Anerkennung der ergangenen Entscheidung - soweit ersichtlich - regelmäßig nicht entgegen (vgl. OLG München, Beschluss vom 22. Januar 2015 -
[28]Vor diesem Hintergrund erscheint es richtig, die Schwelle, ab wann eine Verletzung eines wesentlichen (deutschen) verfahrensrechtlichen Grundsatzes im Sinne von Art. 23 lit. b Brüssel IIa-VO in Betracht kommen kann, mangels anderer, maßgeblicher bzw. "besserer" Gesichtspunkte regelmäßig bei einem Kindesalter von etwa drei bis vier Jahren anzusiedeln. Diese Lösung bietet zudem den Vorteil, dass nicht ein Ziel - einerseits unionsweite Zirkulationsfähigkeit von Entscheidungen zur elterlichen Verantwortung, andererseits Sicherstellung der Möglichkeit für das Kind, gehört zu werden - einseitig auf Kosten des anderen verwirklicht wird, sondern dass tatsächlich eine praktische Konkordanz, ein bestmöglicher Ausgleich zwischen beiden Zielen im Einzelfall, angestrebt wird. Da das deutsche Recht im Vergleich mit demjenigen anderer EU-Mitgliedstaaten derzeit die strengsten bzw. am weitesten reichenden Anforderungen an die Kindesanhörung aufstellt (vgl. Schweppe in Heilmann/Lack, Festschrift Salgo [2016], 227 [239ff.]; Menne, FamRB 2015, 398ff.), ist diese Lösung zugleich geeignet, der Gefahr vorzubeugen, dass die angestrebte Zirkulationsfähigkeit von mitgliedstaatlichen Entscheidungen in Deutschland übermäßig starken Belastungen ausgesetzt wird.
[29](iii) Auf den konkreten Fall übertragen, heißt das, dass es gegen die unterbliebene Anhörung des Kindes durch das bulgarische Gericht im Hinblick auf die Anerkennungsfähigkeit der Entscheidung im Inland nichts zu erinnern gibt: Nicht nur, dass nach dem maßgeblichen bulgarischen Recht im konkreten Fall eine Kindesanhörung entbehrlich war, sondern der Junge war im Juli 2018, bei Erlass der anzuerkennenden Entscheidung, erst knapp über drei Jahre alt. Dass bei dieser Sachlage das erkennende (Erst-) Gericht auf eine Anhörung des Jungen verzichtet hat, verstößt nicht gegen wesentliche inländische Verfahrensgrundsätze. Denn nach gefestigter verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung sind Kinder im allgemeinen erst ab einem Alter von etwa drei Jahren persönlich anzuhören, weil sie (erst) ab diesem Alter generell in der Lage sind, ihre Bedürfnisse, Gefühle, Wünsche und Ängste direkt oder indirekt verbal zu äußern oder durch ihr Verhalten zum Ausdruck zu bringen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Juli 2010 -
[30](cc) Die von der Mutter gegen diese Überlegung vorgebrachten Einwände greifen nicht durch:
[31](i) Maßgeblicher Zeitpunkt, auf den für die Frage der rechtlichen Relevanz einer unterlassenen Kindesanhörung abzustellen ist, ist nicht der Zeitpunkt, zu dem über die Anerkennung der Entscheidung entschieden wird, sondern der Zeitpunkt, zu dem die anzuerkennende Entscheidung ergangen ist. Es kommt also auf die Rechtslage im Juli 2018 an (vgl. Geimer, Internationales Zivilprozessrecht [9. Aufl. 2024], Rn. 2798). Das deckt sich mit den Wertungen von Art. 100 Abs. 2 Brüssel IIa-VO und von § 55 IntFamRVG n.F.: Beide Vorschriften erklären das bei Erlass der anzuerkennenden Entscheidung (etwas genauer: bei Einleitung des zugrundeliegenden Verfahrens) geltende Recht für maßgeblich. Das spricht ebenfalls dafür, auf diejenige Rechtslage als "Vergleichsmaßstab" abzustellen, die im Inland - dem Anerkennungsstaat - im Juli 2018 galt, bei Erlass der anzuerkennenden Entscheidung. Im Juli 2018 galt jedoch noch nicht § 159 FamFG in seiner heutigen, durch das Gesetz vom 16. Juni 2021 (BGBl. 2021.I.1810) geschaffenen und seit Juli 2021 in Kraft stehenden Fassung, wonach Kinder grundsätzlich ungeachtet ihres Alters anzuhören sind bzw. sich das Gericht von ihnen einen persönlichen Eindruck zu verschaffen hat. Vielmehr galt im Jahr 2018 galt noch der Grundsatz, dass Kinder regelmäßig (erst) ab einem Alter von etwa drei Jahren persönlich anzuhören sind (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juni 2016 -
[32](ii) Schließlich dürfte die heutige gesetzliche Erstreckung nach § 159 FamFG auf eine persönliche Anhörung bzw. eine "Inaugenscheinseinnahme" auch von Klein- und Kleinstkindern unter drei Jahren zwar einen wichtigen, aber in der Regel noch keinen "wesentlichen" inländischen verfahrensrechtlichen Grundsatz im Sinne des Art. 23 lit. b Brüssel IIa-VO darstellen. Denn andernfalls wäre die von der Brüssel IIa-VO angestrebte Zirkulationsfähigkeit kindschaftsrechtlicher Entscheidungen aus EU-Mitgliedstaaten in Deutschland - nachdem aktuell kaum ein EU-Mitgliedstaat über eine derartig weitreichende Regelung zur Kindesanhörung verfügt, wie § 159 FamFG n.F. sie vorsieht - sehr starken Belastungen ausgesetzt, was nicht gewollt sein kann.
[33](dd) Über die vorstehenden Überlegungen hinaus ist dem Einwand der Mutter, der Sorgerechtsentscheidung vom 2. Juli 2018 sei die Anerkennung zu versagen, weil das Amtsgericht S... (Bulgarien) den Jungen nicht angehört habe, aber auch aus einem weiteren Grund der Erfolg zu versagen:
[34](i) Aus der vom Vater vorgelegten Übersetzung der (zweitinstanzlichen) Entscheidung des Stadtgerichts S... (Bulgarien) als Berufungs-/Appellationsgericht vom 11. Februar 2021 - Az. 260880 -, mit dem die Beschwerde der Mutter gegen (u.a.) die Sorgerechtsentscheidung vom 2. Juli 2018 - Az. 260880 - als unbegründet zurückgewiesen wurde, ergibt sich folgender Sachverhalt: Seit dem 3. Oktober 2017 lebten die Eltern voneinander getrennt. Aufgrund von Zeugenaussagen stünde fest, dass die Mutter die Ehewohnung in S..., ..., in Abwesenheit des Vaters verlassen und das Kind ohne dessen Zustimmung mitgenommen habe. Seitdem halte sie den Jungen, wie das Appellationsgericht ausgeführt hat, dem Vater rechtswidrig vor; seit Oktober 2017 habe sie jeglichen Kontakt des Vaters zum Kind unterbunden und verschweige dem Vater gegenüber, wo sich das Kind aufhält. Das Kind sei deshalb am ... Juli 2018 von der bulgarischen Polizei zu einer landesweiten Fahndung ausgeschrieben worden. Die Fahndung nach dem Kind (und der Mutter) sei am ... August 2018 eingestellt worden, nachdem die bulgarische Polizei habe ermitteln können, dass Mutter und Kind sich in Deutschland aufhalten sollen. Das Appellationsgericht hat hierzu ausgeführt, dass die Verbringung des Kindes außerhalb der bulgarischen Landesgrenzen, ohne Zustimmung des Vaters, rechtswidrig gewesen sei und eine Kindeswohlgefährdung darstelle, weil die Mutter dadurch den Jungen seinem Vater entfremdet habe. Weiter wird erwähnt, dass die Zentrale Behörde (im Sinne von Art. 6 HKÜ) Bulgariens, nachdem der Junge in Deutschland habe lokalisiert werden können, in Deutschland einen Rückführungsantrag nach Art. 8 HKÜ angebracht bzw. den Vater dabei unterstützt habe. Aus den vorliegenden Verfahrensakten ergibt sich, dass der Rückführungsantrag nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen 1980 zurückgewiesen worden ist, weil es trotz Unterstützung durch Polizei und Staatsanwaltschaft nicht möglich gewesen sein soll, die Behauptung der Mutter, sie halte sich mit dem Kind nicht in Deutschland auf, zu entkräften und einen inländischen Aufenthaltsort des Jungen zu ermitteln (vgl. AG München, Beschluss vom 9. Oktober 2019 -
[35]Der Einwand der Mutter aus dem Schriftsatz vom 10. März 2025, das Appellationsgericht habe überhaupt keinen Versuch unternommen, das Kind anzuhören, verfängt nicht: Aus der Sachverhaltsschilderung in der Appellationsgerichtsentscheidung ergibt sich, dass der - zeitweilig polizeilich gesuchte - Junge unbekannten Aufenthalts gewesen sein soll, so dass eine Ladung nicht möglich war.
[36](ii) Für das interne deutsche Sachrecht ist in Sachverhaltskonstellationen, in denen ein Elternteil sich in Kenntnis eines laufenden Gerichtsverfahrens und ohne triftigen Grund weigert, mit dem vom Verfahren betroffenen Kind aus dem Ausland zum Gerichtsort zu reisen, um eine persönliche Anhörung des Kindes durch das erkennende Gericht sowie die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu ermöglichen, anerkannt, dass der Auslandsaufenthalt des Kindes in diesem Fall einen schwerwiegenden Grund darstellen kann, der es rechtfertigt, von einer Anhörung des Kindes abzusehen (§ 159 Abs. 2 Nr. 1 FamFG; vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 29. November 2024 -
[37](iii) Wenn in derartigen Situationen aber bereits nach dem internen deutschen Verfahrensrecht das Absehen von einer Kindesanhörung gerechtfertigt sein kann, dann wird die Entscheidung eines Gerichts aus einem EU-Mitgliedstaat, dass in einer vergleichbaren Situation auf eine Kindesanhörung verzichtet und stattdessen auf das Ergebnis einer Zeugeneinvernahme zurückgegriffen und versucht hat, bei den Sozialbehörden am zuletzt bekannten, mutmaßlichen bulgarischen Aufenthaltsort des Kindes Berichte und Auskünfte anzufordern, nicht als ein Verstoß gegen wesentliche verfahrensrechtliche Grundsätze des deutschen Rechts (als dem Recht des Anerkennungsstaates) im Sinne von Art. 23 lit. b Brüssel IIa-VO angesehen werden können: Damit kann die Mutter mit ihrem Einwand, das bulgarische Gericht habe das Kind vor Erlass der Sorgerechtsentscheidung vom 2. Juli 2018 unter Missachtung wesentlicher inländischer verfahrensrechtlicher Grundsätze nicht angehört, nicht gehört werden.
[38]c) (aa) Schließlich meint die Mutter, aus dem Umstand, dass die Sorgerechtsentscheidung vom 2. Juli 2018 (unstreitig) keine Herausgabeanordnung umfasse, sondern diese lediglich in der für die Sorgerechtsentscheidung erteilten vollstreckbaren Ausfertigung vom 12. März 2024 enthalten sei, folge, dass die Herausgabeanordnung nicht auf einer gerichtlichen Entscheidung beruhe und deshalb stünden die Artt. 31 Abs. 2, 23 lit. a Brüssel IIa-VO einer Vollstreckbarerklärung der Sorgerechtsentscheidung entgegen.
[39](bb) Dieser Einwand geht fehl. Das Recht der elterlichen Sorge ist - im deutschen Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB (vgl. nur Grüneberg/Sprau, BGB [84. Aufl. 2025], § 823 Rn. 17) - ein absolutes Recht und umfasst als solches auch das Recht, die Herausgabe des Kindes von jedem zu verlangen, der es einem sorgeberechtigten Elternteil widerrechtlich vorenthält. Der gesonderte Herausgabeanspruch, der im deutschen Recht in § 1632 Abs. 1 BGB eigens geregelt ist, wird lediglich als ein Ausfluss aus dem absoluten (Personen-) Sorgerecht nach §§ 1626ff. BGB angesehen (vgl. BGH, Urteil vom 24. April 1990 -
[40]Die Beschwerde der Mutter ist damit insgesamt zurückzuweisen.
[41]3. a) ...
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