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Verfahrensgang

OLG Stuttgart, Beschl. vom 05.03.2014 – 17 UF 262/13, IPRspr 2014-257

Rechtsgebiete

Anerkennung und Vollstreckung → Ehe- und Kindschaftssachen

Leitsatz

Erlässt ein nach Art. 8 ff. EuEheVO in der Hauptsache zuständiges Gericht eine einstweilige Maßnahme, richtet sich die Anerkennung und Vollstreckung dieser Maßnahme in anderen Mitgliedstaaten nach Art. 21 ff. EuEheVO.

Der Begriff der „Entscheidung“ gemäß Art. 2 Nr. 4 EuEheVO setzt keine formelle Rechtskraft nach dem Recht des Erstgerichts voraus.

Im Rahmen des Anerkennungsverfahrens ist der Einwand des Antragsgegners, das Kindeswohl erfordere einen bestimmten Aufenthaltsort, nach Art. 26 EuEheVO nicht zubeachten.

Die fehlende Anhörung eines Kindes stellt im Rahmen des Art. 23 lit b EuEheVO kein Anerkennungshindernis dar, wenn es sich um ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gehandelt hat.

Eine Aussetzung des Anerkennungsverfahrens einer Sorgerechtsentscheidung steht im Ermessen des Gerichts; gegen eine die Aussetzung ablehnende Entscheidung des Gerichts ist kein Rechtsbehelf statthaft, weil durch diese Entscheidung des Gerichts nicht „über den Rechtsbehelf“ im Sinne von Art. 34 EuEheVO entschieden wird. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

EuEheVO 2201/2003 Art. 1; EuEheVO 2201/2003 Art. 2; EuEheVO 2201/2003 Art. 3 ff.; EuEheVO 2201/2003 Art. 8; EuEheVO 2201/2003 Art. 8 ff.; EuEheVO 2201/2003 Art. 10; EuEheVO 2201/2003 Art. 20; EuEheVO 2201/2003 Art. 21; EuEheVO 2201/2003 Art. 21 ff.; EuEheVO 2201/2003 Art. 23; EuEheVO 2201/2003 Art. 24; EuEheVO 2201/2003 Art. 26; EuEheVO 2201/2003 Art. 27; EuEheVO 2201/2003 Art. 28; EuEheVO 2201/2003 Art. 31; EuEheVO 2201/2003 Art. 33; EuEheVO 2201/2003 Art. 34; EuEheVO 2201/2003 Art. 35; EuEheVO 2201/2003 Art. 39
HKÜ Art. 16
IntFamRVG § 3; IntFamRVG § 20; IntFamRVG § 24

Sachverhalt

[Der BGH hat unterdessen mit Beschlüssen vom 30.4.2014 die Anträge des AGg. (auf Aufhebung der Anordnung der sofortigen Wirksamkeit des Beschlusses des OLG Stuttgart, auf vorübergehende Außerkraftsetzung dieser Anordnung und auf Aufhebung der weiteren Beschlüsse des OLG bzw. auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung) und vom 8.4.2015 die Rechtsbeschwerde (gegen den nachstehenden Beschluss des OLG Stuttgart) zurückgewiesen.]


Die ASt. und der AGg. sind miteinander verheiratet. Aus ihrer Ehe ist eine Tochter hervorgegangen. Die ASt. hat die ungarische, der AGg. die deutsche und die Tochter sowohl die deutsche als auch die ungarische Staatsangehörigkeit. In 2013 hat das Kreisgericht D./Ungarn im Wege der einstweiligen Anordnung das Sorgerecht für die Tochter auf die ASt. übertragen. Weiter wurde der AGg. verpflichtet, die Tochter innerhalb von zwei Tagen an die ASt. herauszugeben. Die ASt. begehrt die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung der Entscheidung des ungar. Kreisgerichts. Das AG – FamG – Stuttgart hat 2013 entschieden, dass die im Beschluss des ungar. Kreisgerichts getroffene Regelung der elterlichen Sorge und die Verpflichtung des AGg., die Tochter an die Mutter herauszugeben, anzuerkennen seien. Weiter hat das AG beschlossen, dass der Beschluss des ungar. Kreisgerichts hinsichtlich der Herausgabeverpflichtung mit der Vollstreckungsklausel für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu versehen sei. Gegen den Beschluss hat der AGg. beim OLG Stuttgart Beschwerde eingelegt.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1] II. Die Beschwerde des AGg. ist statthaft gemäß Art. 33 I EuEheVO, §§ 24 I, 3 I 1 Nr. 1 IntFamRVG.

[2]Die Beschwerde ist auch in zulässiger Form, insbesondere fristgerecht eingelegt. Gemäß Art. 33 V EuEheVO, § 24 III Nr. 1 IntFamRVG ist die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung und zwar beim OLG (§ 24 I 2 IntFamRVG) einzulegen ...

[3] III. 1. Gemäß Art. 21 I der EuEheVO, die gemäß Art. 1 II lit. a EuEheVO auf Entscheidungen, die das Sorgerecht betreffen, Anwendung findet, werden die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. Ungeachtet dessen kann ein Beteiligter, der ein Interesse hieran hat, gemäß Art. 21 III EuEheVO eine Entscheidung über die Anerkennung der Entscheidung beantragen.

[4]Gemäß Art. 28 EuEheVO werden die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen über die elterliche Verantwortung für ein Kind in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckt, wenn sie dort auf Antrag der berechtigten Partei für vollstreckbar erklärt werden.

[5] 2. a) Entscheidungen über Eilmaßnahmen, die im Wege einer einstweiligen Anordnung getroffen worden sind, fallen nicht ohne weiteres unter die Art. 21 ff. EuEheVO.

[6]Denn der EuGH hat entschieden (Urt. vom 15.7.2010 – Bianca Purrucker ./. Guillermo Vallés Pérez, Rs C-256/09, FamRZ 2010, 1521), dass die Vorschriften der Art. 21 ff. EuEheVO nicht auf einstweilige Maßnahmen hinsichtlich des Sorgerechts nach Art. 20 dieser Verordnung anwendbar sind.

[7] b) Zu unterscheiden sind zwei Konstellationen:

[8]Ein nach Art. 3 ff. EuEheVO zuständiges Gericht ist nicht nur für die Entscheidung in der Hauptsache zuständig, sondern auch für den Erlass einstweiliger Maßnahmen (BGH, FamRZ 2011, 542 Rz. 15) (IPRspr 2011-274).

[9]Ist das Gericht für die Entscheidung in der Hauptsache nicht nach Art. 3 ff. EuEheVO international zuständig, kann die Zuständigkeit für den Erlass einstweiliger Maßnahmen auch nicht auf die Art. 3 ff. EuEheVO gestützt werden.

[10]Ein nach Art. 3 ff. EuEheVO unzuständiges Gericht kann jedoch Eilmaßnahmen treffen, auf die Art. 20 EuEheVO anwendbar ist. Bei Art. 20 EuEheVO handelt es sich um eine Öffnungsklausel. Sie lässt unter den dort genannten Voraussetzungen für die Begründung einer Zuständigkeit für den Erlass von Eilmaßnahmen den Rückgriff auch auf an sich gegenüber der EuEheVO nachrangige Übereinkommen und ggf. auf das nationale Recht zu (BGH, FamRZ 2011 aaO Rz. 18).

[11] c) Nach den durch die Rspr. des EuGH aufgestellten Grundsätzen, die vom BGH angewandt und umgesetzt worden sind, ist – jedenfalls für den Bereich des Sorgerechts – folgende Differenzierung hinsichtlich der Anerkennung und Vollstreckung einstweiliger Anordnungen angezeigt:

[12]Erlässt ein nach Art. 8 ff. EuEheVO in der Hauptsache zuständiges Gericht eine einstweilige Maßnahme, richtet sich die Anerkennung und Vollstreckung dieser Maßnahme in anderen Mitgliedstaaten nach Art. 21 ff. EuEheVO (BGH, FamRZ 2011 aaO Rz. 16).

[13]Erlässt demgegenüber ein nach Art. 8 ff. EuEheVO unzuständiges Gericht eine einstweilige Maßnahme auf der Grundlage des Art. 20 EuEheVO, sind die Art. 21 ff. EuEheVO nicht anwendbar, da keine Entscheidung getroffen worden ist, die ihre Zuständigkeit auf die EuEheVO gestützt hat, und da eine auf der Grundlage des Art. 20 EuEheVO getroffene Entscheidung nur auf territoriale Wirkungen im Staat des sie erlassenden Gerichts abzielt. Hieraus ergibt sich allerdings noch nicht, dass eine von dem Gericht eines Mitgliedstaats auf der Grundlage des Art. 20 EuEheVO erlassene einstweilige Maßnahme in einem anderen Mitgliedstaat generell nicht anerkannt und vollstreckt werden kann. Denn der durch Art. 20 EuEheVO unter den dort genannten Voraussetzungen ermöglichte Rückgriff auch auf an sich nachrangige Übereinkommen und ggf. auf das nationale Recht bedeutet nicht nur, dass sich die Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen unter den Voraussetzungen des Art. 20 EuEheVO aus nachrangigen Übereinkommen und dem nationalen Recht ergeben kann, sondern auch, dass die Anerkennung und Vollstreckung solcher Maßnahmen auf der Grundlage der dort enthaltenen Rechtsinstrumente in Betracht kommt (EuGH – Purrucker – aaO Rz. 92; BGH, FamRZ 2011 aaO Rz. 18).

[14] d) Aus den vorstehend erläuterten Grundsätzen folgt, dass es für die Prüfung der Voraussetzungen für die Anerkennung und Vollstreckung einer einstweiligen Maßnahme von entscheidender Bedeutung ist, auf welcher Grundlage sie beruht.

[15]Maßgebend für die Abgrenzung, ob eine auf die internationale Zuständigkeit gemäß Art. 8 ff. EuEheVO gestützte einstweilige Anordnung eines Gerichts vorliegt, ist nicht, ob das die einstweilige Maßnahme erlassende Gericht tatsächlich in der Hauptsache international zuständig war. Vielmehr ist der Anwendungsbereich der Art. 21 ff. EuEheVO danach abzugrenzen, ob das Ursprungsgericht seine Zuständigkeit auf Art. 8 ff. EuEheVO gestützt hat. Das Gericht des Anerkennungsstaats kann hierbei – ohne eine formelle Beschränkung durch Art. 24 EuEheVO – anhand der in der Entscheidung des Ausgangsgerichts enthaltenen Ausführungen prüfen, ob dieses seine Zuständigkeit auf eine Vorschrift der EuEheVO stützen wollte (EuGH – Purrucker – aaO Rz. 75; BGH, FamRZ 2011 aaO Rz. 22).

[16]Dass das Ausgangsgericht seine Entscheidung auf eine Vorschrift der EuEheVO stützen wollte, kann sich wiederum entweder aus einer eindeutigen Bezugnahme auf die Zuständigkeitsnormen der Art. 8–14 der Verordnung ergeben oder wenn sich die Annahme einer Hauptsachezuständigkeit nach der EuEheVO offensichtlich aus der erlassenen Entscheidung ergibt (BGH, FamRZ 2011 aaO Rz. 24).

[17]Ergibt die vorzunehmende Prüfung, dass die zu vollstreckende Entscheidung keine eindeutige Begründung für die Zuständigkeit des Ursprungsgerichts in der Hauptsache unter Bezugnahme auf eine der in den Art. 8–14 EuEheVO genannten Zuständigkeiten enthält und ergibt sich die Hauptsachezuständigkeit auch nicht offensichtlich aus der erlassenen Entscheidung, so ist davon auszugehen, dass die zu vollstreckende Entscheidung nicht nach den Zuständigkeitsvorschriften der EuEheVO ergangen ist. In diesem Fall ist in einem nächsten Schritt anhand von Art. 20 EuEheVO zu prüfen, ob die einstweilige Maßnahme unter diese Öffnungsklausel fällt und auf der Grundlage nachrangiger Abkommen bzw. des nationalen Rechts anerkannt werden kann (EuGH – Purrucker – aaO Rz. 76; BGH, FamRZ 2011 aaO).

[18] 3. Bei Anwendung der vom EuGH und dem BGH aufgestellten Grundsätze für die vorzunehmende Prüfung ist festzustellen, dass das Kreisgericht Dunakeszi seine Entscheidung als gemäß Art. 8 ff. EuEheVO international zuständiges Gericht treffen wollte.

[19]Zwar hat das Kreisgericht Dunakeszi in seinem Beschluss vom 4.9.2013 nicht ausdrücklich auf die Zuständigkeitsnormen der EuEheVO Bezug genommen. Unter Berücksichtigung der Gründe des Beschlusses ergibt sich indes die Hauptsachezuständigkeit gemäß Art. 8 ff. EuEheVO ‚ersichtlich’ (s.a. BGH, FamRZ 2011, 959 Rz. 10 (IPRspr 2011-275)) aus der erlassenen Entscheidung.

[20]Ausweislich der Gründe der Entscheidung kann kein Zweifel daran bestehen, dass das AG Dunakeszi von einem gewöhnlichen Aufenthalt der Tochter in Ungarn ausging, wodurch die allgemeine internationale Zuständigkeit der ungarischen Gerichte gemäß Art. 8 EuEheVO für Entscheidungen über die elterliche Verantwortung begründet wurde.

[21]Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts, der in der EuEheVO nicht definiert ist, ist nach verordnungsautonomen Kriterien zu bestimmen. Damit es sich um einen gewöhnlichen Aufenthalt handelt, muss der Aufenthalt der Ausdruck einer gewissen Integration des Kindes in ein soziales und familiäres Umfeld sein. Letztlich geht es um die Feststellung des Lebensmittelpunkts des Kindes. Der gewöhnliche Aufenthalt muss objektiv von gewisser Dauer sein oder subjektiv auf gewisse Dauer angelegt sein.

[22]Ausweislich der Gründe des Beschlusses des Kreisgerichts Dunakeszi befand sich die Tochter schon für einen längeren Zeitraum in Ungarn. Bereits am 12.10.2012 hatte die ASt. in Ungarn Klage auf Ehescheidung eingereicht. Am 7.2.2013 hatten die Beteiligten bis zum rechtskräftigen Abschluss des offensichtlich auch bzgl. der Tochter streitigen Verfahrens eine Vereinbarung über ein Umgangsrecht des AGg. geschlossen, wonach dieser die Tochter zu bestimmten Zeiten vom jeweiligen Wohnort der ASt. (in Ungarn) abholen durfte und wieder zurückbringen musste.

[23]Dass der Lebensmittelpunkt der Tochter sich ausweislich des Beschlusses tatsächlich in Ungarn befand, kann auch den Ausführungen des Beschlusses entnommen werden, wonach die Beteiligten sich in der Vereinbarung vom 7.2.2013 darauf geeinigt haben, ‚dass die Tochter bei der ASt. leben soll’, was später nochmals durch die Erklärung des Anwalts des AGg. bei der Verhandlung vom 29.8.2013 bestätigt worden sei. Weiter lässt sich dem Beschluss entnehmen, dass die Tochter für den 2.9.2013 für einen Kindergarten in Budapest angemeldet war und dass die Beteiligten das Umgangsrecht des AGg. mit der Tochter auch für die ab September 2013 anfallenden Kindergartenferien bereits geregelt haben, woraus zu entnehmen ist, dass eine soziale Integration des Kindes in Ungarn erfolgt war.

[24]Dass der gewöhnliche Aufenthalt der Tochter in Ungarn lag und damit die ungarischen Gerichte international zuständig waren, wurde ausweislich der Gründe des Beschlusses von dem anwaltlich vertretenen AGg. auch in keiner Weise angegriffen. Auch findet sich in den Gründen des Beschlusses kein Hinweis darauf, dass etwa ein Fall einer Entführung der Tochter durch die ASt. von Deutschland nach Ungarn vorausgegangen sei, wodurch gemäß Art. 10 EuEheVO die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem das Kind unmittelbar vor einer Entführung seinen gewöhnlichen Aufwand hatte, d.h. hier die deutschen Gerichte, international zuständig bleiben.Dass der AGg. die Tochter ausweislich des Beschlusses des Kreisgerichts Dunakeszi entgegen der von den Beteiligten getroffenen Umgangsvereinbarung nach Ausübung seines Umgangsrechts nicht zurückgebracht hat und die ASt. deshalb seit dem 19.7.2013 keinen Kontakt mehr mit dem Kind aufnehmen konnte, ließ den Fortbestand des gewöhnlichen Aufenthalts der Tochter in Ungarn zum Zeitpunkt der Antragstellung durch die ASt. am 22.7.2013 unberührt. Abgesehen davon, dass ausweislich der Gründe des Beschlusses noch zum Zeitpunkt der Entscheidung am 4.9.2013 unklar war, ob die Tochter sich noch in Ungarn oder schon außer Landes, z.B. in Deutschland, befand, fiele ein zunächst vorhandener gewöhnlicher Aufenthalt in Ungarn nicht innerhalb von wenigen Tagen dadurch weg, dass der Umgangsberechtigte das Kind nicht zurückbringt, selbst, wenn er es sofort ins Ausland verbracht hätte. Insbesondere würde durch eine solche Vorgehensweise nicht sofort ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt im Ausland begründet.

[25]Von der Annahme des Fortbestehens des gewöhnlichen Aufenthalts in Ungarn durch das Kreisgericht Dunakeszi ist angesichts der Vorgeschichte nach den Gründen des Beschlusses wohl auch noch zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung am 4.9.2013 auszugehen. Die Annahme eines späteren Wegfalls des gewöhnlichen Aufenthalts nach Antragstellung wäre allerdings für die Begründung der internationalen Zuständigkeit gemäß Art. 8 EuEheVO auch unerheblich, da ein Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts nach Antragstellung die weitere Zuständigkeit des angerufenen Gerichts unberührt ließe (BGH, NJW 2010, 1351 Rz. 9) (IPRspr 2010-240).

[26] IV. 1. Nachdem somit ein nach Art. 8 EuEheVO in der Hauptsache zuständiges Gericht eine einstweilige Maßnahme erlassen hat, sind für die Anerkennung der Entscheidung die Art. 21 ff. EuEheVO vorliegend anwendbar.

[27]Das AG Stuttgart hat auf deren Grundlage zu Recht die Anerkennung des Beschlusses des Kreisgerichts Dunakeszi ausgesprochen.

[28] 2. Der Begriff der ‚Entscheidung’ gemäß Art. 2 Nr. 4 EuEheVO setzt keine formelle Rechtskraft nach dem Recht des Erstgerichts voraus (Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, 1. Aufl. [2013], J 35), so dass es für die Anwendbarkeit der Art. 21 ff. EuEheVO nicht darauf ankommt, ob die Entscheidung des Kreisgerichts Dunakeszi noch angegriffen werden kann.

[29]Nachdem der AGg. die Anerkennungsfähigkeit der ausländischen Entscheidung im Inland bestreitet, besteht ein rechtliches Interesse der ASt. an der Klärung der Frage, ob die Voraussetzungen der Anerkennung vorliegen, gemäß Art. 21 III EuEheVO (Hausmann aaO J 59).

[30]3. a) Nach Art. 21 I EuEheVO gilt der Grundsatz, dass Entscheidungen auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung aus anderen Mitgliedstaaten automatisch anerkannt werden. Die im Verfahren nach Art. 21 III EuEheVO zu prüfenden Anerkennungshindernisse für Entscheidungen betreffend die elterliche Verantwortung sind in Art. 23 EuEheVO abschließend aufgeführt.

[31] b) Unerheblich ist damit der Einwand des AGg., das Kreisgericht Dunakeszi sei international gar nicht zuständig gewesen, da zum einen kein gewöhnlicher Aufenthalt der Tochter in Ungarn begründet worden sei und zum anderen die Tochter zuvor durch die ASt. von Deutschland nach Ungarn entführt worden sei, weshalb gemäß Art. 10 I EuEheVO die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte gegeben gewesen sei.

[32]Denn wenn das Gericht des Ursprungsstaats seine Zuständigkeit gemäß Art. 8 ff. EuEheVO bejaht hat, ist das Gericht des Anerkennungsstaats aufgrund des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens, der der Anerkennungssystematik der EuEheVO zugrunde liegt, nach Art. 24 EuEheVO an die Beurteilung der Zuständigkeit des Erstgerichts gebunden, weshalb die internationale Zuständigkeit des Gerichts des Ursprungsmitgliedstaat nicht überprüft werden darf.

[33] c) Ebenfalls irrelevant für das Anerkennungsverfahren ist der Einwand des AGg., es entspreche dem Wohl der Tochter mehr, wenn sie ihren Aufenthalt bei ihm, als bei der Mutter in Ungarn habe und es sei im Anerkennungsverfahren der vom AGg. behauptete Wille der Tochter zu berücksichtigen. Denn Art. 26 EuEheVO verbietet eine inhaltliche Nachprüfung der anzuerkennenden Entscheidung betreffend die elterliche Verantwortung. Ausgeschlossen ist damit auch die vom AGg. vorgenommene Prüfung, ob das Gericht des Ursprungsstaats die Tatsachen richtig festgestellt und gewürdigt hat.

[34] d) Soweit der AGg. annimmt, dass die Entscheidung des Kreisgerichts Dunakeszi dem ordre public in Ungarn widerspreche, ist dies nicht zu prüfen. Denn gemäß Art. 23 lit a EuEheVO besteht ein Anerkennungshindernis nur dann, wenn die Anerkennung der öffentlichen Ordnung des Mitgliedstaats, in dem sie beantragt wird, d.h. dem deutschen ordre public, widerspricht.

[35]Soweit der AGg. im Zusammenhang mit dem ordre public wiederum die seiner Auffassung nach fehlende internationale Zuständigkeit der ungarischen Gerichte thematisiert hat, ist darauf hinzuweisen, dass die Überprüfung der Vereinbarkeit mit dem (deutschen) ordre public gemäß Art. 23 lit a sich gemäß Art. 24 Satz 2 EuEheVO gerade nicht auf die Zuständigkeitsvorschriften der Art. 3–14 EuEheVO erstrecken darf ...

[36] e) Ebenfalls nicht gegeben ist ein Anerkennungshindernis gemäß Art. 23 lit b EuEheVO. Zwar wurde die Tochter durch das Kreisgericht Dunakeszi nicht angehört. Eine Pflicht zur Anhörung des Kindes bestand aber, abgesehen davon, dass es zum damaligen Zeitpunkt gerade drei Jahre alt und zudem unbekannten Aufenthalts war, schon deshalb nicht, da es sich um einen ‚dringenden Fall’, nämlich ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, gehandelt hat.

[37] f) Es besteht auch kein Anerkennungshindernis gemäß Art. 23 lit c EuEheVO. Der AGg. hat zwar zuletzt mit Schriftsatz vom 7.2.2014 erstmals vorgetragen, dass ihm der das einstweilige Anordnungsverfahren einleitende Antrag der ASt. nicht zugestellt worden sei. Hieran bestehen schon deshalb erhebliche Zweifel, weil weder vorgetragen noch ersichtlich ist, auf welche Weise der AGg., der über seinen Anwalt eine Stellungnahme in dem Verfahren vor dem Kreisgericht Dunakeszi abgegeben hat, dann Kenntnis von dem Verfahren erlangt hat.

[38]Ob eine ordnungsgemäße Zustellung erfolgt ist, kann aber letztlich dahingestellt bleiben. Denn darauf, dass ein verfahrenseinleitendes Dokument nicht ordnungsgemäß zugestellt worden ist, kann sich ein Beteiligter gemäß Art. 23 lit c EuEheVO nicht berufen, wenn er sich auf das Verfahren vor dem Gericht des Ursprungsstaats eingelassen hat. Ausreichend ist hierbei, wenn die Einlassung zur Sache durch einen von dem Beteiligten beauftragten Rechtsanwalt erfolgt ist.

[39]Als Einlassung gilt jedes Verhandeln, aus dem sich ergibt, dass der Beteiligte von dem gegen ihn eingeleiteten Verfahren Kenntnis erlangt und die Möglichkeit der Verteidigung gegen den Angriff des Antragstellers erhalten hat. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Antragsgegner sich darauf beschränkt hat, die Unzuständigkeit des Erstgerichts oder die fehlerhafte Zustellung der Klage zu rügen (BGH, NJW 2011, 3103 Rz. 19) (IPRspr 2011-270) ...

[40] g) Auch liegt kein Anerkennungshindernis gemäß Art. 23 lit e EuEheVO vor. Hiernach wird eine Entscheidung über die elterliche Verantwortung nicht anerkannt, wenn diese mit einer späteren Entscheidung über die elterliche Verantwortung unvereinbar ist, die in dem Mitgliedstaat, in dem die Anerkennung beantragt wird, ergangen ist.

[41]Der AGg. hat vorgetragen, dass er vor dem AG – FamG – Leonberg ein Verfahren eingeleitet hat, in dem er die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für die Tochter auf seine Person beantragt hat.Dass ein solches Verfahren anhängig ist, begründet allerdings kein Anerkennungshindernis gemäß Art. 23 lit e EuEheVO. Dass das AG – FamG – Leonberg bereits eine entgegenstehende Entscheidung getroffen hat, wurde seitens keines der Beteiligten vorgetragen.

[42]Dass ein Sorgerechtsverfahren vor dem AG Leonberg anhängig ist, führt auch nicht etwa dazu, dass das Anerkennungsverfahren vor dem Senat auszusetzen ist.

[43]h) Soweit der AGg. sich auch auf ein Anerkennungshindernis gemäß Art. 23 lit f EuEheVO berufen hat, liegt ersichtlich kein Sachverhalt vor, der unter den dortigen Tatbestand subsumiert werden kann.

[44] i) Da somit keine Gründe für die Nichtanerkennung einer Entscheidung über die elterliche Verantwortung gemäß Art. 23 EuEheVO vorliegen, verbleibt es dabei, dass gemäß Art. 21 I EuEheVO die Entscheidung des Kreisgerichts Dunakeszi anzuerkennen ist ...

[45]V. 1. Das AG Stuttgart hat auch zu Recht und im gebotenen Umfang die Entscheidung des Kreisgerichts Dunakeszi für vollstreckbar erklärt.

[46] 2. Die nach ausländischem Recht bestehende Vollstreckbarkeit einer Entscheidung wird nicht automatisch nach Art. 21 EuEheVO auf das Inland erstreckt. Die Vollstreckbarkeit für das Inland wird vielmehr erst durch die Vollstreckbarerklärung eines deutschen Gerichts konstitutiv begründet.

[47]Gemäß Art. 28 EuEheVO werden die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen über die elterliche Verantwortung für ein Kind in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckt, wenn sie dort auf Antrag einer berechtigten Partei für vollstreckbar erklärt wurden.

[48] 3. Die Voraussetzungen für eine Vollstreckbarerklärung liegen vor.

[49] a) Es liegt eine ‚Entscheidung’ im Sinne von Art. 2 Nr. 4 EuEheVO vor. Auf die Ausführungen unter III. 3 wird verwiesen.

[50] b) Die ASt. hat einen Antrag auf Vollstreckbarerklärung gestellt.

[51] c) Die Entscheidung ist im Erststaat vollstreckbar. Dies hat die ASt. durch Vorlage einer Bescheinigung nach Art. 39 EuEheVO nachgewiesen.

[52] d) Es liegen keine Versagungsgründe nach Art. 23 EuEheVO, auf den in Art. 31 II EuEheVO verwiesen wird, vor. Auf die Ausführungen unter IV. 3 wird verwiesen.

[53] e) Einer Vollstreckbarerklärung zugänglich sind Leistungs- und Unterlassungsordnungen, also insbesondere auch Herausgabeanordnungen. Demgegenüber handelt es sich bei Sorgerechtsregelungen um Gestaltungs- bzw. Feststellungsentscheidungen, die keinen vollstreckungsfähigen Inhalt haben (Zöller-Geimer, ZPO, 3. Aufl., Art. 28 Brüssel IIa VO Rz. 1). Das AG hat daher in zutreffender Weise die Vollstreckbarerklärung nur auf die Herausgabeverpflichtung aus dem Beschluss des Kreisgerichts Dunakeszi erstreckt.

[54] f) Ist die Vollstreckung aus dem ausländischen Titel zuzulassen, hat das inländische Gericht, wie vom AG Stuttgart zutreffend vorgenommen, gemäß § 20 IntFamRVG zu beschließen, dass der Titel mit der Vollstreckungsklausel zu versehen ist.

[55] VI. Gemäß Art. 27 EuEheVO kann das Gericht eines Mitgliedstaats vor dem in einem förmlichen Anerkennungsverfahren gemäß Art. 21 III EuEheVO die Anerkennung einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung beantragt wird, das Verfahren aussetzen, wenn gegen die Entscheidung des Erstgerichts ein ordentlicher Rechtsbehelf eingelegt wurde.

[56]Das nach Art. 33 EuEheVO mit einer Beschwerde gegen eine Vollstreckbarerklärung befasste Gericht kann gemäß Art. 35 EuEheVO auf Antrag der Partei, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, ebenfalls das Verfahren aussetzen, wenn im Ursprungsmitgliedstaat ein ordentlicher Rechtsbehelf eingelegt worden ist.

[57]Der AGg. hat einen entsprechenden Antrag gestellt.

[58]Der AGg. hatte ein Rechtsmittel gegen den Beschluss des Kreisgerichts Dunakeszi vom 4.9.2013 eingelegt. Mit Beschluss des Landgerichts Budapest vom 5.12.2013 wurde dieses Rechtsmittel des AGg. zurückgewiesen; das Landgericht Budapest hat den Beschluss des Kreisgerichts Dunakeszi bestätigt. Ausweislich des Beschlusses des Landgerichts Budapest vom 5.12.2013 ist gegen diesen Beschluss keine Berufung mehr zulässig.

[59]Der AGg. hat nunmehr vorgetragen, dass er in Ungarn eine ‚Nichtigkeitsklage’ gegen den Beschluss des Landgerichts Budapest vom 5.12.2013 eingelegt habe.

[60]Es kann dahingestellt bleiben, ob eine solche Klage zulässig ist und ob hierunter ein ‚ordentlicher Rechtsbehelf’ im Sinne der Art. 27, 35 EuEheVO zu verstehen ist. Denn die Entscheidung über die Aussetzung des Anerkennung- bzw. Vollstreckbarerklärungsverfahrens gemäß Art. 27, 35 EuEheVO steht im Ermessen des Senats.

[61]Der Senat hat hierbei v.a. die mutmaßlichen Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs im Erststaat und diejenigen im deutschen Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen (Hausmann aaO J 195).

[62]Wie unter IV. und V. ausgeführt, bestehen keine Erfolgsaussichten für den AGg. im hiesigen Beschwerdeverfahren. Ebenfalls dürften insbesondere angesichts der Gründe in der Entscheidung des Landgerichts Budapest auch geringe Erfolgsaussichten bzgl. einer Aufhebung der Erstentscheidung bestehen ...

[63]Auch ist es irrelevant, dass der AGg. einen Rückführungsantrag bzgl. der Tochter gemäß HKiEntÜ beim BfJ gestellt hatte. Denn gemäß Art. 16 HKiEntÜ tritt eine Sperrwirkung erst ein, wenn den Gerichten oder Verwaltungsbehörden des Vertragsstaats, in den das Kind verbracht worden sein soll (hier: Ungarn) das – vom AGg. behauptete – widerrechtliche Verbringen des Kindes mitgeteilt worden ist. Dass bereits in Ungarn ein Rückführungsverfahren anhängig gewesen ist, wurde durch den AGg. weder vorgetragen noch belegt.

[64]Angesichts dieser Umstände übt der Senat sein Ermessen dahingehend aus, dass er das Anerkennungs- und Vollstreckbarerklärungsverfahren nicht aussetzt.

[65]Der Senat weist darauf hin, dass ein Rechtsbehelf gegen die Ablehnung eines Aussetzungsantrags nicht statthaft ist, weil durch diese Entscheidung des Senats nicht ‚über den Rechtsbehelf’ im Sinne von Art. 34 EuEheVO entschieden worden ist (Hausmann aaO J 196).

Fundstellen

nur Leitsatz

FamRB, 2014, 171, mit Anm. Streicher
NJW-Spezial, 2014, 262

LS und Gründe

FamRZ, 2014, 1567

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2014-257

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