Die Entscheidung eines ägyptischen Gerichts zur elterlichen Sorge kann in Deutschland anerkannt werden.
Auch anerkannte ausländische Entscheidungen können nach § 1696 BGB abgeändert werden, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse geändert haben; eine abweichende Beurteilung bei unveränderter Sach- und Rechtslage genügt nicht. Diese Gründe können nur dann zu einer Abänderung führen, wenn nach Erlass der Entscheidung eine Abänderung dieser maßgebenden Umstände eingetreten ist oder Umstände, die bei Erlass der Erstentscheidung vorgelegen und unbekannt gewesen sind, nunmehr bekannt geworden sind und zu einer anderen Beurteilung der früheren Entscheidung nötigen. [LS der Redaktion]
Die Antragstellerin und der Antragsgegner zu 1 sind die seit 2009 miteinander verheirateten Eltern der Kinder …, geb. 2011, A… .l, geb. 2012, und M… A., geb. 2014. Die Eltern leben getrennt; ein Scheidungsverfahren in Deutschland ist anhängig. Die Antragsgegnerin zu 2 ist die Schwester des Antragsgegners zu 1. Die Beteiligten und die Kinder sind ägyptische Staatsangehörige; die Antragstellerin hat auch die syrische Staatsangehörigkeit. Geburtsland der Kinder und Heimatland der Familie ist Ägypten, wo die Antragsgegner leben. Am 20.9.2018 reisten Eltern und Kinder mit einem Touristenvisum zu einem Verwandtenbesuch nach Deutschland ein. Der Vater flog am 2.10.2018 nach Kairo zurück; vereinbarungsgemäß sollte die Antragstellerin einige Tage später folgen. Als sie dies verweigerte, flog der Antragsgegner zu 1 am 10.11.2018 wieder nach Deutschland; die Eltern vereinbarten, dass die Antragstellerin Ende November 2018 mit den Kindern nach Kairo zurückkehren würde. Am 16.11.2018 teilte die Antragstellerin dem Antragsgegner zu 1 mit, sie habe politisches Asyl erhalten und werde nicht zurückkehren. Als der Antragsgegner zu 1 am 17.11.2018 erneut in Deutschland eintraf, waren Mutter und Kinder in der ANKER-Einrichtung für Asylbewerber in Regensburg untergebracht. Die Asylanträge der Antragstellerin und der Kinder wurden mit Bescheid vom 18.1.2019 abgelehnt. Über die Klage der Antragstellerin gegen den Ablehnungsbescheid ist noch nicht entschieden. Im Mai 2019 zog die Mutter mit den Kindern nach Regensburg. In einem Verfahren der einstweiligen Anordnung, in dem wechselseitige Anträge zum Aufenthaltsbestimmungsrecht bzw. zur elterlichen Sorge gestellt wurden, schlossen die Eltern am 10.1.2019 eine Vereinbarung, nach der der Antragsgegner zu 1 gegen Hinterlegung seines Passes Umgang mit den Kindern haben könne, wenn er in Deutschland sei. Die Anträge wurden mangels internationaler Zuständigkeit abgewiesen und zum Schutz der Kinder angeordnet, dass sie bei der Mutter verbleiben sollten. Auf die Beschwerde der Antragstellerin hob der Senat mit Beschluss vom 10.4.2019 die Verbleibensanordnung auf und ordnete eine befristete Grenzsperre gegen beide Eltern an, ausgenommen eine Rückführung der Kinder nach Ägypten. Nachdem der Antragsgegner zu 1 die Kinder nach einem Umgang am 12.7.2020 nicht zurückgebracht hatte - die Kinder waren am 17.7.2020 in Begleitung des Antragsgegners zu 1 von der Grenzpolizei am Flughafen F. aufgegriffen worden -, beantragte die Antragstellerin, den Umgang des Antragsgegners zu 1 im Wege der einstweiligen Anordnung einstweilen auszusetzen. Mit Beschluss vom 24.7.2020 wies das Familiengericht den Antrag zurück.
Am 23.9.2019 beantragte der Antragsgegner zu 1 beim Familiengericht Maadi in Ägypten die Übertragung des Sorgerechts auf sich. Am 29.1.2020 übertrug das Familiengericht Maadi das der Mutter nach ägyptischem Recht zustehende Sorgerecht auf die Antragsgegnerin zu 2. Nach Zustellung der Entscheidung an die Antragstellerin ist die Entscheidung seit 16.6.2020 rechtskräftig. Die Antragstellerin hat vor dem Amtsgericht im vorliegenden Verfahren vorgetragen, die Entscheidung des ägyptischen Gerichts sei nicht anerkennungsfähig. Mit Beschluss vom 9.7.2020 hat das Amtsgericht nach Anhörung der Kindeseltern den Haupt- und Hilfsantrag der Antragstellerin zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde. Die Antragstellerin verfolgt ihr erstinstanzliches Ziel weiter, erstrebt die Aufhebung des Beschlusses und die Übertragung der elterlichen Sorge, beantragt hilfsweise, den Verbleib der Kinder bei ihr gem. § 1632 BGB anzuordnen und die Herausgabeanträge des Vaters zurückzuweisen. Die Antragsgegner beantragen, die Beschwerde zurückzuweisen und die zwischenzeitlich im Wege der einstweiligen Anordnung erlassene Grenzsperre aufzuheben sowie die Herausgabe der Kinder an einen der Antragsgegner anzuordnen.
[1]II.
[2]Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist teilweise begründet. Sie führt zur Abänderung der Entscheidung des Familiengerichts Regensburg vom 09.07.2020 dahin, dass der Antragstellerin Teile der elterlichen Sorge zur alleinigen Ausübung übertragen werden und im Übrigen die elterliche Sorge von den Eltern gemeinsam ausgeübt wird.
[3]1. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ist gegeben, da die Kinder seit Ende 2019 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben (Art. 8, Art. 1 Abs. 1 b, Abs. 2 a VO (EG) 2201/2003, § 99 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 FamFG).
[4]Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Begriff „gewöhnlicher Aufenthalt“ dem Wohl des Kindes entsprechend und insbesondere nach dem Kriterium der räumlichen Nähe zu bestimmen. Unter diesem Begriff ist der Ort zu verstehen, an dem eine gewisse Integration des Kindes in ein soziales und familiäres Umfeld zu erkennen ist. Dieser Ort ist vom nationalen Gericht unter Berücksichtigung der besonderen tatsächlichen Umstände jedes Einzelfalls festzustellen. Relevant sind insbesondere die Umstände und Gründe des Aufenthalts des Kindes im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats sowie dessen Staatsangehörigkeit. Neben der körperlichen Anwesenheit des Kindes in einem Mitgliedstaat muss aus anderen Faktoren hervorgehen, dass es sich nicht nur um eine vorübergehende oder gelegentliche Anwesenheit handelt (EuGH [C-499/15] FamRZ 2017, 734 Tz. 60).
[5]Der Senat nimmt auf die Ausführungen des Familiengerichts Regensburg Bezug, denen er sich anschließt. Auch der Senat geht davon aus, dass ab Ende 2019 nicht nur ein Zeitraum von über einem Jahr seit den Asylanträgen von Mutter und Kindern am 15.11.2018 verstrichen war, sondern auch durch Schul- bzw. Kindergartenbesuch seit Sommer (K…)/Herbst 2019 (A... und M…) eine ausreichende soziale Integration der Kinder erfolgt war.
[6]2. Anwendbar ist deutsches Recht (Art. 15 KSÜ). Art. 16 Abs. 4 KSÜ führt dazu, dass der Mutter volles gemeinsames Sorgerecht zuwächst, sobald die Kinder einen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben (vgl. Staudinger in: MK BGB, 8. Aufl., Art. 16 KSÜ Rn. 4 mit dem Beispiel eines tunesischen Ehepaares, das an seinem alten gewöhnlichen Aufenthalt nicht die volle gemeinsame elterliche Sorge hatte; Markwardt in: beck-online.Großkommentar, Stand 01.08.2020, KSÜ Art. 16 Rn. 27 bzgl. „hadana“ bzw. „walat“). Das KSÜ findet auch dann Anwendung, wenn das betroffene Kind die Staatsangehörigkeit eines Drittstaates hat (Thorn in: Palandt, BGB, 79. Aufl., Anh. Art. 24 EGBGB Rn. 18).
[7]3. Der Antragstellerin ist jedoch durch die Entscheidung des Familiengerichts Maadi vom 29.01.2020 die elterliche Sorge entzogen worden. Die Entscheidung des ägyptischen Gerichts ist gemäß §§ 108, 109 FamFG in Deutschland anzuerkennen.
[8]a) Gegenstand der Entscheidung ist zwar nur die „hadana“, d.h. die tatS. Personensorge; nach dem ägyptischen Recht stand der Mutter nur diese zu. Über die „wilaya“ hatte das Gericht nicht zu entscheiden, da sie dem Vater zusteht. Wird die Entscheidung daher anerkannt, hat sie zur Folge, dass der Mutter keinerlei elterliche Sorge (mehr) zusteht.
[9]b) Anerkennungshindernisse liegen nicht vor. Die von der Antragstellerin vorgebrachten Bedenken greifen nicht durch.
[10]aa) Hierzu wird zunächst auf die Begründung des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen, der sich der Senat insoweit anschließt.
[11]bb) Ergänzend ist auszuführen:
[12](1) Das ägyptische Gericht war zur Entscheidung international zuständig.
[13]Die Anerkennungszuständigkeit nach § 109 Abs. 1 Nr. 1 FamFG ist grundsätzlich nach den gleichen Zuständigkeitsanknüpfungen zu beurteilen, die das deutsche Recht für die eigene internationale Zuständigkeit verwendet und die für die Anerkennungsprüfung so gespiegelt werden, als seien sie im ausländischen Entscheidungsstaat anzuwenden. Dabei genügt es grundsätzlich, wenn die internationale Zuständigkeit des Entscheidungsstaats aus der spiegelbildlichen Sicht des deutschen Rechts bis zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung durch das ausländische Gericht eingetreten ist. Das Spiegelbildprinzip findet freilich seine Grenze, wo das inländische Recht von einer ausschließlichen Zuständigkeit der eigenen Gerichte ausgeht (BGH FamRZ 2020, 1481 ff. Tz. 34, 36 (IPRspr 2020-103)).
[14]Maßgebender Zeitpunkt für die Zuständigkeit des ausländischen Gerichts ist analog § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO der Zeitpunkt der Klageerhebung/Antragstellung im Erststaat; es genügt jedoch, wenn die Voraussetzungen bei Erlass der anzuerkennenden Entscheidung vorgelegen haben. Ein Wegfall der Zuständigkeitsanknüpfungspunkte nach Antragstellung ist unschädlich, auch wenn z.B. durch Zuzug nach Deutschland eine deutsche internationale Zuständigkeit begründet wird (Zöller/Geimer, ZPO, 33. Aufl., § 109 FamFG Rn. 31, 49).
[15]Maßgebliche Bestimmung nach deutschem Recht wäre § 99 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 FamFG.
[16]Zur Bestimmung des Begriffs „gewöhnlicher Aufenthalt“ wird auf die Ausführungen unter 1. Bezug genommen.
[17]Danach bestand bei Einreichung des Antrags am 23.09.2019 kein gewöhnlicher Aufenthalt der Kinder in Deutschland. Sie befanden sich seit den Asylanträgen vom 15.11.2018 noch kein Jahr in Deutschland. Art. 12 HKÜ, Art. 10 b VO(EG) Nr. 2201/2003 (EuEheVO) machen nach dieser Zeit eine Zäsur. Ihr Aufenthaltsstatus war unklar: die Asylanträge waren am 18.01.2019 abgelehnt worden, über eine Klage noch nicht entschieden. Eine wirkliche soziale Integration hatte nicht stattgefunden. Die Antragstellerin war nicht berufstätig und sprach kein Deutsch. Auch die Kinder verfügten nur über geringe Deutschkenntnisse. K. und A. besuchten erst seit kurzer Zeit die Grundschule außerhalb des Ankerzentrums. Die familiengerichtliche Anordnung, dass die Kinder vorerst bei der Mutter verbleiben sollten, war vom OLG Nürnberg aufgehoben worden; es bestand eine Grenzsperre, die aber eine Ausreise der Kinder nach Ägypten zuließ (
[18](2) Der BGH unterscheidet zwischen dem materiell-rechtlichen ordre public, der heranzuziehen ist, wenn ein deutsches Gericht aufgrund von Bestimmungen des internationalen Privatrechts ausländisches Recht anzuwenden hat, und dem anerkennungsrechtlichen ordre public, der im vorliegenden Fall betroffen ist (BGH FamRZ 2020, 1481 ff. Tz. 48 ff. (IPRspr 2020-103)).
[19]Mit diesem ist eine ausländische Entscheidung nicht schon dann unvereinbar, wenn der deutsche Richter - hätte er das Verfahren entschieden - auf Grund zwingenden deutschen Rechts zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Maßgeblich ist beim anerkennungsrechtlichen ordre public vielmehr, ob das Ergebnis der Anwendung ausländischen Rechts im konkreten Fall zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es nach deutscher Vorstellung untragbar erscheint. Die damit verbundene Abschwächung des Prüfungsmaßstabs (effet atténué) gegenüber dem kollisionsrechtlichen ordre public rechtfertigt sich zum einen daraus, dass die Versagung der Anerkennung einer ausländischen Entscheidung schutzwürdiges Vertrauen der Beteiligten untergraben und insbesondere bei Statusentscheidungen zu unerwünschten hinkenden Rechtsverhältnissen führen könnte. Zum anderen folgt das unterschiedliche Maß der Prüfungsintensität daraus, dass der Grad der Inlandsbeziehung des Sachverhalts typischerweise schwächer ausgeprägt ist, wenn es lediglich um die Anerkennung einer Entscheidung eines ausländischen Gerichts geht, als wenn ein deutsches Gericht in unmittelbarer Anwendung eines „anstößigen“ ausländischen Rechts den Fall entscheiden müsste (BGH aaO Tz. 49).
[20]Nicht nur beim kollisionsrechtlichen ordre public nach Art. 6 EGBGB, sondern auch beim anerkennungsrechtlichen ordre public nach § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG besteht zwischen der Intensität der Inlandsbeziehung einerseits und der für das Eingreifen des ordre public nötigen Erheblichkeit der Abweichung von Grundgedanken des deutschen Rechts andererseits eine umgekehrte Proportionalität: Die Anforderungen an den Inlandsbezug sind umso geringer, je stärker das Ergebnis der Anwendung ausländischer Normen gegen grundlegende Gerechtigkeitsvorstellungen des nationalen Rechts verstößt; umgekehrt ist ein besonders ausgeprägter Inlandsbezug zu verlangen, wenn die Stärke des Verstoßes gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts vergleichsweise gering erscheint (BGH aaO Tz. 53).
[21]Im vorliegenden Fall besteht ein geringer Inlandsbezug. Beide Eltern haben die ägyptische (Vater) bzw. syrische und ägyptische (Mutter) Staatsangehörigkeit, die Kinder haben die ägyptische Staatsangehörigkeit. Die Eltern haben bis Ende 2018 in Ägypten gelebt, die Kinder sind bis dahin dort aufgewachsen; der Antragsgegner zu 1 lebt weiter in K… und will auch weiterhin mit den Kindern dort leben. Der Verbleib der Antragstellerin und der Kinder in Deutschland beruht darauf, dass die Antragstellerin mit den Kindern absprachewidrig nicht nach Ägypten zurückgekehrt ist. Der aufenthaltsrechtliche Status der Antragstellerin und der Kinder ist ungesichert. Allein der Wunsch der Antragstellerin, in Deutschland zu leben und dabei die Kinder bei sich zu behalten, begründet keinen überwiegenden Inlandsbezug.
[22](3) Dass allein das Vorbringen des Vaters und der Tante zugrunde gelegt wurde, ist die Folge der Tatsache, dass sich die Antragstellerin an dem Verfahren nicht beteiligt hat. Dabei kann dahinstehen, ob es der Antragstellerin möglich gewesen wäre, trotz des laufenden Asylverfahrens einen Rechtsanwalt in Ägypten ggf. über das Konsulat zu beauftragen; zumindest hätte sie sich mit einer schriftlichen Stellungnahme am Verfahren beteiligen können, wie das auch in deutschen Sorgerechtsverfahren möglich ist. Das Gericht hat auch versucht, seine Entscheidungsgrundlage zu verbreitern, indem es Berichte des Jugendamtes und des Verfahrensbeistandes einbezogen und zwei Sachverständige angehört hat. Die in den Raum gestellte Behauptung, der Antragsgegner zu 1 habe das korrupte Gericht in seinem Sinn beeinflussen können, ist eine nicht konkret belegte Behauptung ins Blaue hinein.
[23](4) Weder die unterbliebene Anhörung der Kinder noch die fehlende Bestellung eines Verfahrensbeistandes führen bei dem gegebenen beschränkten Inlandsbezug zu einem mit Grundgedanken des deutschen Familienrechts untragbaren Widerspruch.
[24]Eine Anhörung der Kinder, die nach deutschem Verfahrensrecht eine zentrale Bedeutung hat (§ 159 FamFG; Engelhardt in: Keidel, FamFG, 20. Aufl., § 159 Rn. 23) und auch einer Anerkennung von Entscheidungen anderer EU-Staaten entgegenstehen kann (Art. 23 lit. b, Art. 42 Abs. 2 lit. a VO 2201/2003), ist unterblieben. Da sich die Kinder im Ausland befanden, wäre sie nur im Wege der Rechtshilfe oder schriftlich, telefonisch oder per Skype (vgl. Schumann, in: MK FamFG, 3. Aufl., § 159 Rn. 6) möglich gewesen (vgl. auch OLG Karlsruhe FamRZ 1992, 1465 Tz. 51 (IPRspr. 1991 Nr. 129): Unmöglichkeit der Anhörung, da Kinder im Ausland). Inwieweit das ägyptische Gericht daran gedacht bzw. es versucht hat, ist der Entscheidung nicht zu entnehmen. Der Verstoß wird aber dadurch gemildert, dass es sich zumindest über Berichte des Jugendamtes und des Verfahrensbeistandes über Situation und den Willen der Kinder unterrichtet hat. Im Rahmen der Interessenabwägung zum ausnahmsweisen Unterbleiben einer Kindesanhörung nach deutschem Recht (§ 159 Abs. 3 FamFG) ist auch zu berücksichtigen, inwieweit es möglich ist, durch die Auskunft anderer Verfahrensbeteiligter, wie etwa des Verfahrensbeistands, des Umgangs- bzw. Ergänzungspflegers oder eines Mitarbeiters des Jugendamts, zu erfahren, welche Regelung dem Kindeswohl entspricht (BGH FamRZ 2019, 115 Tz. 16, 21).
[25]Ein Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen ordre public kann auch in der unterbliebenen Bestellung eines Verfahrensbeistands liegen (BGH FamRZ 2015, 1011 Tz. 37 ff. (IPRspr 2015-268)). Offenbar kennt das ägyptische Recht dieses Institut nicht. Es bezeichnet den Verfahrensbeistand aber zutreffend als „zum Verteidiger der Kinder bestellt“ und berücksichtigt seinen Bericht bei der Entscheidung.
[26](4) Auch inhaltlich verstößt die Entscheidung nicht gegen den deutschen ordre public.
[27]Der BGH unterscheidet dabei - wie ausgeführt - zwischen dem materiell-rechtlichen ordre public, der heranzuziehen ist, wenn ein deutsches Gericht aufgrund von Bestimmungen des internationalen Privatrechts ausländisches Recht anzuwenden hat, und dem anerkennungsrechtlichen ordre public, der im vorliegenden Fall betroffen ist (BGH FamRZ 2020, 1481 ff. Tz. 48 ff. (IPRspr 2020-103))
[28]Nach der Rechtsprechung des BGH verstößt das Sorgerechtsmodell des ägyptischen Rechts, das dem Vater die „wilaya“ mit umfassender Vertretungsmacht und der Mutter die „hadana“ als tatsächliche Personensorge zuweist, trotz der Ungleichbehandlung der Elternteile nicht gegen den ordre public, wenn kein ausgeprägter Inlandsbezug besteht (BGHZ 54, 132; 60, 68 (IPRspr. 1970 Nr. 61b); ebenso OLG Stuttgart DAVorm 1986, 556 (IPRspr. 1986 Nr. 77); AG Solingen FamRZ 1982, 738 (IPRspr. 1982 Nr. 78)).
[29]Im vorliegenden Fall besteht kein ausgeprägter Inlandsbezug, da Eltern und Kinder ägyptische Staatsangehörige sind, beide dem für die Anwendung des herangezogenen ägyptischen Rechts maßgeblichen islamischen Glauben angehören, der Antragsgegner in Ägypten wohnt und Mutter und Kinder in Deutschland kein gesichertes Bleiberecht haben (vgl. BGHZ 60, 68 Tz. 30 (IPRspr. 1972 Nr. 59b) - juris).
[30]Die Entscheidung führt auch in ihrem Ergebnis nicht zu einem so starken Widerspruch zum deutschen Recht und den in ihm enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen, dass ihre Anerkennung untragbar wäre. Das Gericht urteilt aufgrund eines Rechtssatzes, nach dem der Mutter ein Sorgerecht zusteht, da alle drei Kinder unter 15 Jahre alt sind; dieses Sorgerecht setzt sich auch nach der Trennung fort. Die Entziehung dieses Sorgerechts beruht auf Überlegungen und einem Verfahren, die denjenigen nach deutschem Recht durchaus ähnlich sind. In der Entscheidung findet keine ausdrückliche Abwägung zum Kindeswohl statt; in der Begründung finden sich aber insbesondere auch die Gesichtspunkte, die für die Beurteilung des Kindeswohls nach deutschem Recht wesentlich sind. Die problematischen Kriterien, wonach die Mutter nicht vom Islam abtrünnig sein und nicht mit einem dem Kind fremden Mann verheiratet sein darf, kommen in der Entscheidung nicht zum Tragen. Auch das Ergebnis, die Kinder dem Vater zuzusprechen im Hinblick auf die gesicherten und wirtschaftlich besseren Lebensumstände in Ägypten, ist ein auch nach deutschem Recht vertretbares Ergebnis.
[31]4. Die Entscheidung ist jedoch gemäß § 1696 BGB zu korrigieren.
[32]a) Auch anerkannte ausländische Entscheidungen können nach § 1696 BGB abgeändert werden. Sie unterliegen der Dynamik der weiteren Entwicklung der Kinder und der tatsächlichen Umstände (Mehrle in: beck-online.Großkommentar, Stand 01.08.2020, BGB, § 1696 Rn. 80).
[33]Die Vorschrift ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Die Änderungsbefugnis nach § 1696 BGB hat nicht die nochmalige Überprüfung der getroffenen rechtskräftigen Regelung zur elterlichen Sorge zum Zweck, sondern deren Anpassung an eine Änderung der für die ursprüngliche Entscheidung maßgebenden tatsächlichen Verhältnisse (OLG Bamberg FamRZ 1990, 1135 (IPRspr. 1990 Nr. 126)). Sie dient dem Bedürfnis der Kinder nach Kontinuität und Stabilität ihrer Lebensbedingungen, weshalb die Vorteile einer Neuregelung die mit der Abänderung verbundenen Nachteile wesentlich überwiegen müssen (allgemeine Meinung, vgl. etwa OLG Brandenburg FamRZ 2014, 1861, juris Rn. 46).
[34]b) Es liegen seit Wirksamwerden der Entscheidung eingetretene triftige, das Wohl der Kinder nachhaltig berührende Gründe vor, die einen Verbleib der Kinder bei der Mutter als die ihrem Wohl derzeit besser entsprechende Lösung erscheinen lassen.
[35]§ 1696 BGB verlangt eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse (Palandt/Götz, BGB, 79. Aufl., § 1696 Rn. 11; Coester, aaO, § 1696 Rn. 56); eine abweichende Beurteilung bei unveränderter Sach- und Rechtslage genügt nicht (Coester, aaO). Diese Gründe können nur dann zu einer Abänderung führen, wenn nach Erlass der Entscheidung eine Abänderung dieser maßgebenden Umstände eingetreten ist oder Umstände, die bei Erlass der Erstentscheidung vorgelegen und unbekannt gewesen sind, nunmehr bekannt geworden sind und zu einer anderen Beurteilung der früheren Entscheidung nötigen (OLG München FamRZ 2011, 1804 Tz. 15; KG FamRZ 2016, 1780 Tz. 15).
[36]Bei einer Aufrechterhaltung der vom ägyptischen Gericht getroffenen Sorgerechtsregelung könnten der Antragsgegner zu 1 und die Antragsgegnerin zu 2 den Aufenthalt der Kinder bei der Antragstellerin jederzeit beenden und würden die Kinder auch tatsächlich nach Ägypten zurückführen. Den Kindern wäre damit abverlangt, sich wieder an die dortige Umgebung in Kairo anzupassen, obwohl diese für sie aufgrund der seit September 2018 verstrichenen fast zwei Jahre, die im Verhältnis zum Lebensalter der Kinder eine erhebliche Zeit darstellen, und der inzwischen begonnenen Integration in Deutschland nicht mehr vertraut ist. Diese Umstellung müssten sie ohne die Mutter vollziehen, da diese nicht nach Ägypten zurückkehren will. [Zu] Recht spricht das Amtsgericht - in Übereinstimmung mit Verfahrensbeistand und Jugendamt - von einem erheblich belastenden Ereignis.
[37]Die Kinder würden damit ihre Hauptbezugsperson verlieren. Es ist nicht in Frage zu stellen, dass die Kinder auch zu ihrem Vater eine Bindung haben und nach den vorliegenden Informationen das Zusammensein mit ihm genießen. Tatsache ist aber, dass im Laufe ihres Aufenthalts in Deutschland ihre Bindung an die Mutter als einzige ständig verfügbare Bindungsperson stärker geworden ist, wie Jugendamt und Verfahrensbeistand ausgeführt haben.
[38]Hinzu kommt, dass die Kinder zunehmend in einem Loyalitätskonflikt stehen, da beide Eltern anstreben, sie bei sich zu haben und die Kinder dies auch wahrnehmen, teilweise von den Eltern auch in den Konflikt einbezogen werden. So legen ihre Angaben zu den Verhältnissen in Ägypten (gefährlich, schmutzig, in Deutschland sei es besser) eine Beeinflussung durch die Mutter ebenso nahe wie das „Vergessen“ ihres Lebens in Ägypten. Andererseits hat der Vater ihnen vorgeworfen, sie hätten gegenüber dem Verfahrensbeistand gelogen, was alle drei Kinder entrüstet zurückweisen, und er hat ihnen deswegen Geschenke verweigert.
[39]Die Belastung der Kinder hat sich seit der Entscheidung des ägyptischen Gerichts aber nicht nur graduell verstärkt, sondern die Kinder sind auch durch den gescheiterten Versuch des Antragsgegners zu 1, mit ihnen im Juli 2020 nach Ägypten auszureisen, erheblich verunsichert worden. Die Kinder haben damit zum zweiten Mal erlebt, dass ein Elternteil sie aus der gewohnten Umgebung herausreißt, ohne ihnen zu sagen, was geschieht. Ebenso wie die Antragstellerin ihre Kinder erst auf Intervention des Jugendamtes im Mai 2019 informiert hat, dass sie nicht nach Ägypten zurückkehren würden, hat nun der Antragsgegner zu 1 mit ihnen nach Ägypten zurückkehren wollen, wobei er ihnen vorspiegelte, es gehe um einen Ausflug zum Baden in Sharm-el-Sheik, nach dem sie wieder zur Mutter zurückkämen. Der Senat glaubt dem Antragsgegner zu 1 nicht, dass es sich um eine spontane Entscheidung gehandelt hat. Der Antragsgegner hatte die Reisedokumente der Kinder, die der Verfahrensbeistand einsehen konnte, bereits am 02.07.2020 beantragt. Das Vorgehen des Antragsgegners zu 1 hat das Vertrauen der Kinder zu ihm erschüttert und die Angst vor dem Verlust der Mutter verstärkt. Darin liegt ein nachträglich eingetretener Umstand, den das ägyptische Gericht bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigen konnte und der das Wohl der Kinder nachhaltig berührt.
[40]Dass die Kinder durch den Konflikt belastet sind, war bei der Anhörung vor dem Senat deutlich spürbar, weil alle drei Kinder trotz ihres nach außen munteren und offenen Auftretens zwar zu ihrem Leben in Deutschland bereitwillig und detailreich erzählten, zu ihrem früheren Leben in Ägypten aber alles „vergessen“ haben wollten, sogar dass sie dort eine Tante hätten. Auch zu der Frage, ob sie den Vater öfter sehen wollten, äußerten sie sich nur sehr zurückhaltend bis ablehnend und dabei im Widerspruch zu den Informationen, dass sie sich beim Zusammensein mit dem Vater durchaus wohl fühlten. Auch das Jugendamt - dieses bereits im Hinblick auf ein Gespräch am 29.04.2020 - und der Verfahrensbeistand haben den Eindruck zunehmender Belastung der Kinder geschildert. Für den Senat entsteht daraus der Eindruck, dass die Kinder im Konflikt sogar eine Entscheidung zugunsten der Mutter getroffen haben. Der Senat kann dies aufgrund des persönlichen Eindrucks von den Kindern, der vorliegenden Informationen, insbesondere der Berichte von Jugendamt und Verfahrensbeistand, und aufgrund seiner Erfahrung aus zahlreichen anderen Verfahren zur elterlichen Sorge ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen beurteilen.
[41]Zwar würden die Kinder bei einem Verbleib bei der Mutter den Kontakt zum Vater in erheblichem Umfang verlieren. Dem Senat ist auch bewusst, dass es zunächst die Mutter war, die die Kinder aus der gewohnten Umgebung herausgerissen hat, indem sie mit ihnen nicht nach Ägypten zurückgekehrt ist. Die Beauftragte des Konsulats hat davon gesprochen, dass die Mutter bei einer Entscheidung zu ihren Gunsten belohnt würde. Es ist jedoch nicht Aufgabe des Senats, in einem Verfahren zur Zuweisung der elterlichen Sorge das Verhalten eines Elternteils zu belohnen oder zu bestrafen, sondern er hat die Entscheidung zu treffen, die dem Wohl der Kinder am besten entspricht (vgl. § 1697a BGB). Bei einer Gesamtabwägung auf der Grundlage der jetzigen, geänderten Sachlage entspricht aber ein Verbleib bei der Mutter auf absehbare Zeit besser dem Wohl der Kinder als ein Wechsel zum Vater und der Antragsgegnerin zu 2, wobei auch noch zu berücksichtigen ist, dass der Vater als Steward bei einer Fluglinie berufstätig ist und die Betreuung daher auf Dauer in wesentlichem Umfang durch die Antragsgegnerin zu 2 erfolgen müsste. Ob die Antragsgegnerin zu 2 dabei Bezugsperson für die Kinder ist oder nicht, ist nicht entscheidend: sie ist es jedenfalls nicht in gleichem Maß wie die Antragstellerin.
[42]c) Als Folge davon ist der Antragstellerin jedenfalls das Aufenthaltsbestimmungsrecht zur alleinigen Ausübung zu übertragen, da sich die Eltern über den Aufenthalt der Kinder nicht einigen können. Sie benötigt ferner die Befugnis zur Beantragung von Sozialleistungen, das Recht zur Ausübung der Gesundheitsfürsorge und das Recht zur Regelung schulischer Angelegenheiten.
[43]Eine weitergehende Übertragung der elterlichen Sorge auf die Antragstellerin ist nicht geboten. Der Antragstellerin steht nach § 1687 Abs. 1 S. 2 bis 4 BGB die Befugnis zu Entscheidungen in Angelegenheiten des täglichen Lebens zu. Der Senat ist der Auffassung, dass die Eltern nach Klärung des Hauptstreitpunktes, des Aufenthalts der Kinder, bei Entscheidungen in Angelegenheiten der Kinder im Übrigen miteinander kooperieren können. Es ist ihnen gelungen, eine Regelung für den Umgang am Tag der Einschulung der Kinder zu finden und über den Verbleib der Kinder miteinander zu reden. Beide Eltern haben Interesse an der Entwicklung ihrer Kinder und sind in der Lage, zwischen Deutschland und Ägypten zu kommunizieren.
[44]Die verbleibende elterliche Sorge ist den Eltern zur gemeinsamen Ausübung zu übertragen. Der Senat sieht keine Notwendigkeit, insoweit eine dritte Person zu beteiligen. Die Eltern kennen ihre Kinder am besten. Da eine Rückkehr der Kinder nach Ägypten nicht unmittelbar bevorsteht, besteht auch nicht die Notwendigkeit, eine Betreuung „vor Ort“ sicherzustellen.
[45]d) Dadurch werden keine Verfahrensrechte der Antragsgegnerin zu 2 verletzt. Die Antragsgegnerin zu 2 war - ungeachtet der Stellung der Bevollmächtigten des Konsulats im Verfahren - in der Beschwerdeinstanz ausdrücklich durch den anwaltlichen Vertreter des Antragsgegners zu 1 vertreten (Bl. 675, 686 d.A.). Eine persönliche Hinzuziehung der Antragsgegnerin zu 2 zu einer nichtöffentlichen Anhörung in einer Familiensache hätte datenschutzrechtliche Probleme aufgeworfen. Darauf kommt es aber letztlich nicht an. Für die Entscheidung des Senats ist der persönliche Eindruck von der Antragsgegnerin zu 2 nicht entscheidend. Der Senat geht davon aus, dass die Entscheidung des ägyptischen Gerichts anzuerkennen ist. Die (Rück)Übertragung der elterlichen Sorge auf die Eltern beruht auf Überlegungen, die mit der Persönlichkeit der Antragsgegnerin zu 2 nichts zu tun haben.
[46]5. ...
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