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Verfahrensgang

OLG München, Entsch. vom 05.11.2013 – 3465 a E 1049/2013
OLG München, Vorlagebeschl. vom 02.06.2015 – 34 Wx 146/14, IPRspr 2015-88
EuGH, Beschl. vom 12.05.2016 – C-281/15
OLG München, Vorlagebeschl. vom 29.06.2016 – 34 Wx 146/14, IPRspr 2016-122
EuGH, Urt. vom 20.12.2017 – C-372/16
OLG München, Beschl. vom 13.03.2018 – 34 Wx 146/14, IPRspr 2018-135
BGH, Beschl. vom 26.08.2020 – XII ZB 158/18, IPRspr 2020-109

Rechtsgebiete

Ehe und andere familienrechtliche Lebens- und Risikogemeinschaften → Scheidung, Trennung

Leitsatz

Für die Frage der Anerkennung einer in Syrien vorgenommenen Privatscheidung kommt nach der Neufassung des Art. 17 I EGBGB vom 23.1.2013 eine analoge Anwendung der Vorschriften der Rom-III-VO nicht in Betracht. Vielmehr ist die Regelungslücke durch Fortschreibung der bisherigen Rechtslage dadurch zu füllen, dass das Scheidungsstatut dem Ehewirkungsstatut des Art. 14 EGBGB folgt.

Rechtsnormen

276/1969 StAG (Syrien) Art. 10
59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 85 ff.; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 87; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 88; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 91; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 94; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 95 ff.; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 105 ff.; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 121 ff.
BGB § 1564
EGBGB Art. 5; EGBGB Art. 14; EGBGB Art. 17
EuEheVO 2201/2003 Art. 1; EuEheVO 2201/2003 Art. 2
FamFG § 70; FamFG § 107
GZVJu-Bay § 5
Rom III-VO 1259/2010 Art. 1; Rom III-VO 1259/2010 Art. 5 ff.; Rom III-VO 1259/2010 Art. 8

Sachverhalt

Die Bet. schlossen am 27.5.1999 im Bezirk des islamrechtlichen Gerichts in H./Syrien die Ehe. Der Ehemann, Bet. zu 1), syrischer Staatsangehöriger, wurde 1977 in Deutschland eingebürgert und besitzt seither beide Staatsangehörigkeiten; die Bet. zu 2), syrische Staatsangehörige, erwarb nach der Eheschließung mit dem Bet. zu 1) die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Eheleute lebten bis 2003 oder 2004 in Deutschland, zogen dann nach H./Syrien, wegen des Bürgerkriegs im Sommer 2011 erneut kurzzeitig nach Deutschland, dann aber im Februar 2012 wieder fort und lebten abwechselnd in Kuweit, dem Libanon und zumindest zeitweise auch Syrien. Derzeit leben beide Bet. wieder in Deutschland.

Der Bet. zu 1) hat 2013 die Scheidung dieser Ehe vor dem „geistlichen Gericht aufgrund von Shari'a“ zu L. beantragt. Die Scheidung wurde am 20.5.2013 in dem Beschluss Nr. 1276 festgestellt; am 12.9.2013 entband die Bet. zu 2) den Bet. zu 1) von allen ihr aus dem Ehevertrag und dem von dem Scharia-Gericht L. erlassenen Scheidungsbeschluss zustehenden Verpflichtungen.

Der Bet. zu 1) hat unter dem 30.10.2013 die Anerkennung der Ehescheidung beantragt. Der Präsident des OLG München hat mit Entscheidung vom 5.11.2013 dem Antrag stattgegeben. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Bet. zu 2).

Der Senat hat nach Anhörung der Bet. dem EuGH u.a. die Frage vorgelegt, ob der Anwendungsbereich nach Art. 1 (Rom-III-VO) vom 20.12.2010 auch für Fälle der sog. Privatscheidung – hier: durch einseitige Erklärung eines Ehegatten vor einem geistlichen Gerichtshof in Syrien aufgrund der Scharia – eröffnet ist. Der EuGH hat diese Frage mit Urt. vom 20.12.2017 – Soha Sahyouni ./. Raja Mamisch, Rs C-372/16, ECLI:EU:C:2017:988, verneint.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Der Antrag auf Entscheidung durch das OLG München ist statthaft (§ 107 VI 1 FamFG) und auch im Übrigen zulässig. Er hat auch in der Sache Erfolg ...

[2]2. Auf diesen Antrag ist die Entscheidung der LJV aufzuheben, da die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung der ausländischen Ehescheidung nicht gegeben sind.

[3]a) Der Antrag des Bet. zu 1) nach § 107 IV FamFG war zulässig.

[4]aa) Die Ehescheidung, deren Anerkennung der Bet. zu 1) begehrt, wurde in L./Syrien vorgenommen; beide Eheleute besitzen die syrische und die deutsche Staatsangehörigkeit. Damit liegt nach herrschender Ansicht keine Heimatstaatsscheidung i.S.d. § 107 I 2 FamFG vor (vgl. dazu OLG Düsseldorf vom 19.10.2015 – 13 VA 2/15, juris; Holzer-Dubiel, FamFG 2011, § 107 Rz. 7; Zöller-Geimer, ZPO, 32. Aufl., § 107 FamFG Rz. 37; Prütting-Helms-Hau, FamFG, 4. Aufl., § 107 Rz. 33 sowie zur früheren Vorschrift des Art. 7 § 1 FamRÄndG, der § 107 FamFG weitgehend entspricht: BayObLG, FamRZ 1990, 898 (IPRspr. 1990 Nr. 218)), so dass es eines förmlichen Feststellungsverfahrens für die Anerkennung der Ehescheidung bedarf.

[5]bb) Da der Bet. zu 1) seinen gewöhnlichen Aufenthalt zumindest bei Einleitung des Verwaltungsverfahrens in Bayern hatte, war gemäß § 107 II, III FamFG i.V.m. § 5 GZVJu i.d.F. vom 1.10.2009 (BayGVBl. 523) der Präsident des OLG München zuständig.

[6]b) § 107 FamFG findet auch bei einer Privatscheidung Anwendung, wenn sie unter Mitwirkung einer ausländischen Behörde zustande gekommen ist. Eine bloß deklaratorische Registrierung oder gerichtliche Beurkundung genügt (st. Rspr., vgl. OLG Düsseldorf vom 19.10.2015 aaO; MünchKommZPO-Rauscher, 3. Aufl., § 107 FamFG Rz. 15 und 25 ff.; Holzer-Dubiel aaO Rz. 4; Zöller-Geimer aaO Rz. 24; Prütting-Helms-Hau aaO Rz. 26; zu Art. 7 § 1 FamRÄndG: BGHZ 82, 34/41 (IPRspr. 1981 Nr. 192); 110, 267/270 (IPRspr. 1990 Nr. 216); BayObLGZ 1981, 353/355 (IPRspr. 1989 Nr. 224) und BayObLG, NJW-RR 1994, 771 (IPRspr. 1994 Nr. 174).

[7]Die am 19.5.2013 ausgesprochene und gemäß Beschluss vom 20.6.2013 registrierte Scheidung stellt eine solche Privatscheidung dar.

[8]aa) Von einer Privatscheidung ist auszugehen, wenn sie nur auf der Willenserklärung eines oder auf einem vertragsähnlichen rechtsgeschäftlichen Konsens beider Ehegatten beruht, selbst wenn sie unter Mitwirkung einer ausländischen Behörde, etwa durch Registrierung oder Beurkundung, zustande gekommen ist (BayObLG aaO; BGHZ 110 aaO; Musielak-Borth, FamFG, 5. Aufl., § 107 Rz. 2).

[9]bb) Nach dem syrischen Ehe- und Kindschaftsrecht gibt es neben der gerichtlichen Scheidung (Art. 105 ff. des syrischen Gesetzes Nr. 59 über das Personalstatut vom 17.9.1953 i.d.F. des Gesetzes Nr. 34 vom 31.12.1975, vgl. Bergmann-Ferid-Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Arabische Republik Syrien [Stand: 31.12.1993] S. 18; nachfolgend: syr. PStG) auch die einvernehmliche Scheidung (Art. 95 ff. syr. PStG) sowie die einseitige Scheidung nach Art. 85 ff. syr. PStG. Bei letzterer, die nur der Ehemann aussprechen kann, ist Adressat der Scheidungserklärung die Ehefrau. Gelangt der Fall einer einseitigen Scheidung vor das Gericht, ist zunächst ein Versöhnungsversuch vorgesehen (Art. 88 syr. PStG). Die Erklärung, zu der auch ein Dritter ermächtigt werden kann (Art. 87 syr. PStG), erfolgt nach Art. 91 syr. PStG durch Aussprechen der Scheidungsformel durch den Ehemann gegenüber der Ehefrau. Die Scheidung ist nach Art. 94 syr. PStG regelmäßig widerruflich und hat nach Art. 118 syr. PStG die Wirkung, dass die Ehe zunächst nicht beendet ist, sondern erst nach Ablauf einer Wartefrist gemäß Art. 121 ff. syr. PStG.

[10]Im Fall der einseitigen Erklärung der Scheidung wird die Ehe konstitutiv durch den Ausspruch der Scheidungsformel aufgelöst, wenn auch unter Mitwirkung des Richters, so dass es sich insofern um eine Privatscheidung handelt (vgl. auch BayObLG aaO; NJW-RR 1998, 1538 (IPRspr. 1998 Nr. 71)).

[11]cc) In Übereinstimmung mit der Auffassung des Präsidenten des OLG München ist vorliegend von einer Privatscheidung auszugehen.

[12]Der Bet. zu 1) hat nämlich nach dem vorgelegten Beschluss vom 20.5.2013 die Scheidung durch Ausspruch der Formel nach Art. 91 syr. PStG und damit einseitig erklären lassen. Dies stellt selbst dann eine sog. Privatscheidung dar, wenn die Scheidung anschließend vom Sharia-Gericht durch Beschluss festgestellt wurde (vgl. auch OLG Frankfurt, NJW 1985, 1293 (IPRspr. 1984 Nr. 186); BayObLG, NJW-RR 1994 aaO zu einer vor dem islamischen religiösen Gericht in Damaskus, Syrien, ausgesprochenen Scheidung).

[13]Bei der Scheidung hat zudem eine ausländische Behörde i.S.v. § 107 I FamFG mitgewirkt. Bei dem Sharia-Gericht in L./Syrien, das die Scheidung ausgesprochen hat, handelt es sich zwar um ein religiöses Gericht. Dessen Tätigkeit auf dem Gebiet des Eherechts ist jedoch staatlicherseits in Syrien anerkannt (vgl. dazu Senat vom 1.4.2015 – 34 Wx 15/13 (IPRspr 2015-85), FamRZ 2015, 1611; KG, FGPrax 2013, 171 (IPRspr 2013-91); KG, FamRZ 2013, 1480 (IPRspr 2013-86); MüMünchKommZPO-Rauscher aaO Rz. 26 f.; Musielak-Borth aaO; Prütting-Helms-Hau aaO; BayObLG, NJW-RR 1994 aaO noch zur Rechtslage vor Einführung des FamFG).

[14]c) Allerdings richtet sich die Anerkennungsfähigkeit der verfahrensgegenständlichen Entscheidung nicht nach der Rom-III-VO.

[15]aa) Art. 17 I EGBGB i.d.F. vom 23.1.2013 verweist nur hinsichtlich der vermögensrechtlichen Scheidungsfolgen auf das nach der Rom-III-VO auf die Scheidung anzuwendende Recht. Hingegen spricht Art. 17 I EGBGB i.d.F. vom 23.1.2013 nicht aus, dass die Rom-III-VO auch zur Bestimmung des auf die Scheidung an sich anzuwendenden Rechts heranzuziehen sei.

[16]bb) Die Neufassung des Art. 17 I EGBGB durch das Gesetz zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die VO (EU) Nr. 1259/2010 [Rom-III-VO] und zur Änderung anderer Vorschriften des Internationalen Privatrechts vom 23.1.2013 (BGBl. I 101) beruht zwar auf der Annahme des Gesetzgebers, dass die Rom-III-VO auch auf Privatscheidungen unmittelbar Anwendung finde (BT-Drucks. 17/11049 S. 8 f.) und deshalb eine autonome Kollisionsnorm obsolet sei.

[17]Entgegen der Meinung des Gesetzgebers hat der EuGH im Vorabentscheidungsverfahren am 20.12.2017 – C-372/16, auf Vorlage des Senats vom 29.6.2016 (IPRspr 2016-122) allerdings entschieden, Art. 1 Rom-III-VO sei dahin auszulegen, dass eine durch einseitige Erklärung eines Ehegatten vor einem geistlichen Gericht bewirkte Ehescheidung nicht in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung fällt. Zur Begründung führt der EuGH aus, dass zwar Privatscheidungen nicht ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Rom-III-VO ausgenommen seien, jedoch in mehreren Bestimmungen dieser Verordnung auf das Tätigwerden eines ‚Gerichts’ und das Vorhandensein eines ‚Verfahrens’ verwiesen werde, so dass deutlich werde, dass die Rom-III-VO ausschließlich solche Ehescheidungen erfasse, die entweder von einem staatlichen Gericht oder von einer öffentlichen Behörde bzw. unter deren Kontrolle ausgesprochen werden. Zudem hätten nach dem 10. Erwgr. der Rom-III-VO der sachliche Anwendungsbereich und die Bestimmungen dieser Verordnung mit der EuEheVO im Einklang stehen sollen. Letztere gelte nach ihrem Art. 1 I lit. a ‚ungeachtet der Art der Gerichtsbarkeit, für ... die Ehescheidung’. In Art. 2 Nr. 4 der EuEheVO sei der Begriff ‚Entscheidung’ in der Weise definiert, dass er u.a. ‚jede von einem Gericht eines Mitgliedstaats erlassene Entscheidung über die Ehescheidung ..., ohne Rücksicht auf die Bezeichnung der jeweiligen Entscheidung, wie Urteil oder Beschluss’, erfasst ..., und es daher nicht seine Absicht gewesen sei, dass diese Verordnung auf andere Arten von Ehescheidungen angewandt wird, die auf einer vor einem geistlichen Gericht abgegebenen ‚einseitigen Willenserklärung’ beruhen.

[18]cc) Folglich bleibt nach Abschaffung des Art. 17 I EGBGB i.d.F. vom 3.4.2009, gültig vom 1.9.2009 bis 28.1.2013, durch das o.g. Anpassungsgesetz vom 23.1.2013 mangels kollisionsrechtlicher Regelung offen, welches materielle Recht in Fällen der Anerkennung einer ausländischen Privatscheidung maßgeblich ist. Es besteht daher für diese Art von Fällen eine Regelungslücke, die vom Gesetzgeber offensichtlich nicht gewollt war (vgl. BT-Drucks. 17/11049 S. 8; so auch Mayer, FamRZ 2018, 171/172; Antomo, NJW 2018, 435/436; Helms, FamRZ 2016, 1134/1135; Gössl, StAZ 2016, 232/235; Pika/Weller, IPRax 2017, 65, die von einem kollisionsrechtlichen Vakuum sprechen; a.A. Rieck, NZFam 2018, 126).

[19]dd) Da der nationale Gesetzgeber bisher eine andere Meinung nicht gebildet hat, ist diese Regelungslücke dadurch zu schließen, dass das Scheidungsstatut wie bisher im Fall einer Privatscheidung nach Art. 17 I 1 EGBGB i.d.F. vom 3.4.2009 dem Ehewirkungsstatut des Art. 14 EGBGB entnommen wird. Eine analoge Anwendung der Rom-III-VO scheidet dagegen aus.

[20](1) In der Literatur wird allerdings vielfach vertreten, dass nunmehr die Vorschriften der Rom-III-VO analog heranzuziehen seien, zumindest jedenfalls die Kollisionsnormen Art. 5 bis 8 der Rom-III-VO (vgl. Mayer aaO 171; Antomo aaO 436 f.; Dutta, FF 2018, 60; von einer direkten Anwendbarkeit geht Rieck aaO aus).

[21]Allerdings ist in der Literatur umstritten, in welchem Umfang die Regelungen der Rom-III-VO zur Anwendung kommen sollen ...

[22]Nach alledem zeigt sich, dass in der Literatur zwar vielfach vertreten wird, die Rom-III-VO solle auch im Rahmen der Anerkennung von Privatscheidungen analog angewandt werden. In welchem Umfang dies geschehen soll, ist jedoch höchst umstritten. Der ursprünglichen Prämisse des Gesetzgebers, dass die Rom-III-VO vollständig für die Frage der Anerkennung ausländischer Scheidungen und Privatscheidungen heranzuziehen ist, werden hinsichtlich des Umfangs der Anwendbarkeit der Verordnung nun verschiedene eigene Zweckmäßigkeitserwägungen entgegengesetzt. Eine solche Bewertung hat jedoch beim Gesetzgeber zu verbleiben.

[23](2) Mit den Gründen der Entscheidung des EuGH ist eine entspr. Anwendung der Vorschriften der Rom-III-VO im Anerkennungsverfahren betreffend Privatscheidungen nicht vereinbar.

[24]Nach der parlamentarischen Begründung des Entwurfs [zu dem o.g. Anpassungsgesetz vom 23.1.2013] (BT-Drucks. 17/11049 S. 8) hat der deutsche Gesetzgeber die Vorschriften der Rom-III-VO fälschlicherweise auch auf Privatscheidungen für anwendbar gehalten.

[25]Eine Ausfüllung der hierdurch entstandenen Gesetzeslücke durch analoge Anwendung der Rom-III-VO auf Privatscheidungen stünde aber im Widerspruch zu den Ausführungen des EuGH, der die weiteren Vorlagefragen des Senats nicht beantwortet und ausgeführt hat, dass von der Verordnung nur Ehescheidungen erfasst werden sollten, die entweder von einem staatlichen Gericht oder von einer öffentlichen Behörde bzw. unter deren Kontrolle ausgesprochen werden. Dies ist im Fall einer Privatscheidung gerade nicht gegeben. Scheidungen aufgrund eines konstitutiv wirkenden, einseitigen Parteihandelns sind auch nicht vergleichbar mit den von der Rom-III-VO erfassten Verfahren; insbes. eignen sich die in der Rom-III-VO gewählten kollisionsrechtlichen Anknüpfungspunkte (Art. 8 Rom-III-VO) nicht ohne weiteres auf die Fälle der Anerkennung ausländischer Privatscheidungen (vgl. Dutta aaO 61).

[26]Auch von einer vergleichbaren Interessenlage hinsichtlich der in der Rom-III-VO geregelten Sachverhalte und der Anerkennung einer ausländischen Entscheidung im Falle einer Privatscheidung kann nicht ausgegangen werden (vgl. auch Helms aaO). Der mit der Rom-III-VO verbundene Systemwechsel ist auf im Ausland vorgenommene Privatscheidungen nicht ohne weiteres übertragbar.

[27]Dies wird schon dadurch illustriert, dass in der Literatur mit Blick auf die besondere Sachlage bei Privatscheidungen die Meinungen darüber weit auseinandergehen, in welchem Umfang und ggf. mit welchen Änderungen die Rom-III-VO im Wege der Analogie angewendet werden soll. Der Gesetzgeber hingegen war bei der Änderung des Art. 17 I EGBGB – irrtümlich – davon ausgegangen, dass die Rom-III-VO insgesamt, mithin als Gesamtpaket, auch bei Privatscheidungen Anwendung fände. Nach Aufklärung dieses Irrtums bedarf es einer gesetzgeberischen wertenden Willensbildung über die Ausgestaltung des Kollisionsrechts, etwa durch analoge Anwendung der Rom-III-VO in Gänze oder in Teilen und ggf. in welchem Umfang oder durch Erlass einer autonomen Kollisionsnorm. Eine solche Entscheidung muss aber einem gesetzgeberischen Akt, der die bisherige Rechtslage grundlegend verändert, vorbehalten bleiben. Einer gesetzgeberischen Wertung bedarf es gerade auch dann, wenn – wie hier – die Ehegatten zum Zeitpunkt der Scheidung auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen; denn es ist nicht ersichtlich, ob der Gesetzgeber die bisherige Lage, nach der die deutsche Staatsangehörigkeit bei der Bestimmung des anzuwendenden materiellen Scheidungsrechts zu beachten war, auch für den Fall aufgeben wollte, dass mangels (direkter) Anwendbarkeit eine Vereinheitlichung der Rspr. im Bereich der Anerkennung von Privatscheidungen durch die Rom-III-VO nicht zu erwarten ist.

[28]So hat auch der Generalanwalt beim EuGH in seinem Schlussvortrag ausgeführt, dass es erforderlich erscheint, die nationalen Rechtsvorschriften der Entscheidung anzupassen, wie es auch die deutsche Regierung in der mündlichen Verhandlung eingeräumt habe (s. Schlussvortrag, NZFam 2017, 997 Rz. 54). Eine Willensbildung des nationalen Gesetzgebers hat bisher nicht stattgefunden. Sie ist insbesondere nicht in der irrtumsbeeinflussten Aufhebung des Art. 17 I EGBGB a.F. zum Ausdruck gekommen.

[29](3) Die Regelungslücke ist daher mangels anderer Vorschriften durch Fortschreibung der bisherigen Rechtslage dadurch zu füllen, dass das Scheidungsstatut dem Ehewirkungsstatut des Art. 14 EGBGB folgt. Die Wertung, dass die Anerkennung ausländischer Scheidungen dem Ehewirkungsstatut grundsätzlich folgen kann, ergibt sich schon aus der bisherigen Regelung des Art. 17 I 1 EGBGB i.d.F. vom 3.4.2009, gültig ab 1.9.2009.

[30]c) Maßgebliches Scheidungsrecht ist danach das materielle deutsche Recht.

[31]aa) Aus der Sicht des deutschen Rechts besteht eine wirksame Ehe (Palandt-Thorn, BGB, 66. Aufl., Art. 17 EGBGB Rz. 13). Diese wurde durch die vorgelegte Heiratsurkunde (Heiratsvertrag) vom 27.5.1999 belegt.

[32]bb) Eine (wirksame) Rechtswahl nach Art. 14 II oder III EGBGB, die ggf. vorrangig zu beachten wäre, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Die allgemeinen Wirkungen der Ehe und damit auch die Ehescheidung bestimmen sich daher nach dem gemäß Art. 17 I EGBGB a.F. i.V.m. Art. 14 I Nr. 2 EGBGB maßgeblichen Recht.

[33](1) Soweit nach Art. 17 I 1 EGBGB a.F. das Scheidungsstatut dem Ehewirkungsstatut des Art. 14 EGBGB folgt, ist Anknüpfungszeitpunkt der Eintritt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags bzw. bei Privatscheidungen der Zeitpunkt, der der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags vergleichbar ist (z.B. Palandt-Thorn aaO Rz. 7).

[34](2) Da beide Bet. im Zeitpunkt der Scheidung die deutsche Staatsbürgerschaft hatten, knüpft das Scheidungsstatut an das deutsche Recht an (MünchKomm-Looschelders, 7. Aufl., Art. 14 EGBGB Rz. 84). Hingegen ist an die gemeinsame syrische Staatsangehörigkeit im Zeitpunkt der Eheschließung nicht anzuknüpfen.

[35]Maßgebend für das Scheidungsstatut ist nämlich, ob die Ehegatten im Zeitpunkt der Scheidungserklärung (vgl. BayObLG, FamRZ 2003, 381 (IPRspr. 2002 Nr. 207); BayObLG, NJW-RR 1998 aaO; NJW-RR 1994 aaO; OLG Celle, StAZ 1999, 80) beide dem Recht eines Staats angehörten. Hierbei ist Art. 5 I 2 EGBGB zu berücksichtigen (so auch Bamberger-Roth-Heidenhoff, BGB, 2. Aufl., Art. 17 Rz. 51; BayObLG, NJW-RR 1994 aaO; OLG Düsseldorf vom 19.10.2015 aaO; a.A. offenbar AG Garmisch-Partenkirchen vom 29.1.2007 – 1 F 263/06, juris). Die Anwendbarkeit von Art. 5 I 2 EGBGB folgt nicht nur aus dem Wortlaut der Verweisungsnorm, sondern auch daraus, dass Art. 17 EGBGB a.F. das Scheidungsstatut eigenständig regelt und klarstellt, dass das anwendbare Recht (nur) bis zur Rechtshängigkeit der Scheidung wechseln kann (Staudinger-Mankowski, BGB [2010], Art. 17 EGBGB Rz. 140, 141). Wäre auf die Staatsangehörigkeit bei Eheschließung abzustellen, hätte es einer besonderen Regelung eines Scheidungsstatuts in Art. 17 I EGBGB a.F. nicht bedurft (Senat vom 1.4.2015 aaO).

[36]Art. 5 I 2 EGBGB führt dazu, dass stets nur die deutsche Staatsangehörigkeit zu beachten ist, sofern diese in dem vorgenannten Zeitpunkt zumindest auch besteht (Bamberger-Roth-Heidenhoff aaO Rz. 52). Es kann daher aus Art. 17 I 1 a.F. i.V.m. Art. 14 I Nr. 1 Alt. 2 EGBGB die Anwendbarkeit des syrischen Rechts nicht hergeleitet werden, selbst wenn beide Ehegatten bis 2013 neben der erworbenen deutschen auch die syrische Staatsangehörigkeit besessen haben (so aber Süss, MittBayNot 2012, 308/310).

[37](3) Die Bet. zu 1) und 2) sind – zumindest auch – deutsche Staatsangehörige. Seine Doppelstaatlichkeit hat der Bet. zu 1) durch Vorlage der deutschen Einbürgerungsurkunde und aktueller syrischer Ausweise nachgewiesen. Von einer Doppelstaatlichkeit der Bet. zu 2) kann ausgegangen werden. Dem steht ihr Vortrag, sie habe die syrische Staatsangehörigkeit ‚bei der Einbürgerung abgegeben’ und nicht wiedererlangt, da das deutsche Recht schließlich eine doppelte Staatsangehörigkeit nicht kenne, nicht entgegen. Nach Art. 10 II des Gesetzes Nr. 276 zur Regelung der Staatsangehörigkeit vom 24.11.1969 (J.O. Nr. 55 vom 17.12.1969; nach Bergmann-Ferid-Henrich aaO S. 2 ff.) ist nämlich eine Aufgabe der syrischen Staatsangehörigkeit bei Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit nicht möglich. Vielmehr muss sie – was die Bet. 2) schon nicht behauptet – vor der Erlangung der ausländischen Staatsangehörigkeit zur Aufgabe der syrischen ermächtigt gewesen sein. Andernfalls besitzt sie ‚in jeder Hinsicht und unter allen Umständen bis zu einer möglichen Aberkennung’ die syrische Staatsangehörigkeit weiter. Dass dies vorliegend ebenfalls so ist, zeigt der vom Bet. zu 1) vorgelegte Familienregisterauszug, worin die Bet. 2) weiter als – auch – syrische Staatsangehörige bezeichnet wird. Dem Ergebnis widerspricht auch ihre unstreitige Einbürgerung nicht, da die Bundesrepublik eine Doppelstaatlichkeit bei syrischen Staatsangehörigen deshalb hinnimmt, weil diese regelmäßig nicht aus der bestehenden Staatsangehörigkeit entlassen werden (...).

[38]Eine weitere Klärung ist nicht veranlasst, denn Art. 5 I 2 EGBGB bezeichnet für diesen Fall die im Jahr 2013 bei beiden Bet. vorliegende deutsche Staatsangehörigkeit als vorrangig.

[39]3. Kommt daher deutsches Recht zur Anwendung, steht § 1564 Satz 1 BGB der Anerkennung der in Syrien ausgesprochenen Privatscheidung entgegen. Nach § 1564 BGB kann die Ehe nur durch gerichtliches Urteil geschieden werden. Eine Privatscheidung ist dem deutschen Recht fremd; insoweit hat die Bestimmung auch einen materiellen Gehalt (BGHZ 110 aaO; BayObLG, FamRZ 2003, aaO 383) ...

[40]III. ... 4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen (§ 107 VII 3 i.V.m. § 70 II FamFG). Die Frage, nach welchen Kollisionsnormen sich im Anerkennungsverfahren das maßgebliche Scheidungsstatut für Privatscheidungen bestimmt, ist von grundsätzlicher Bedeutung und bislang nicht geklärt. Da die Anerkennung ausländischer Privatscheidungen nicht nur vereinzelt die Gerichte beschäftigt, besteht ein Interesse der Allgemeinheit an der Klärung der Frage, die sich in einer Vielzahl von Fällen stellen kann. Zudem ist die Frage, ob für das Scheidungsstatut an die gemeinsame deutsche Staatsangehörigkeit (vgl. Art. 5 I 2 EGBGB) anzuknüpfen ist, streitig (vgl. OLG Hamm, FamRZ 2011, 220 (IPRspr 2010-96); OLG Düsseldorf, NJW-RR 2012, 521 (IPRspr 2011-89); FamRZ 2009, 2091 f. (IPRspr 2009-73); Süss aaO), so dass die Zulassung zur Fortbildung des Rechts zu erfolgen hat.

Fundstellen

Bericht

FamRB, 2018, 343
Ring, FF, 2018, 459
NJW-Spezial, 2018, 292
NZFam, 2018, 376

LS und Gründe

FamRZ, 2018, 817, m. Anm. Mankowski
StAZ, 2018, 157

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2018-135

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