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Verfahrensgang

OLG Hamm, Urt. vom 23.08.2010 – 8 UF 39/10, IPRspr 2010-96

Rechtsgebiete

Ehe und andere familienrechtliche Lebens- und Risikogemeinschaften → Scheidung, Trennung

Leitsatz

Bei der Ehescheidung zweier türkischer Staatsangehörige, von denen einer zugleich auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, verweist das deutsche Internationale Privatrecht gemäß Art. 14 I Nr. 1 EGBGB auf türkisches Recht. Das türkische Internationale Privatrecht nimmt diesen Verweis an. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

2675/1982 IPRG (Türkei) Art. 4; 2675/1982 IPRG (Türkei) Art. 13
4721/2001 ZGB (Türkei) Art. 166
EGBGB Art. 4; EGBGB Art. 5; EGBGB Art. 14; EGBGB Art. 17
EuEheVO 2201/2003 Art. 3

Sachverhalt

Der ASt. begehrt die Scheidung seiner Ehe nach deutschem Recht. Die Parteien sind türkische Staatsangehörige. Sie leben seit dem Jahr 2003 getrennt. Der ASt., der im Jahr 1991 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist war, besitzt seit dem 12.4.2001 die deutsche Staatsangehörigkeit. Die AGg. ist nach wie vor allein türkische Staatsangehörige.

Durch das angefochtene Urteil ist die Ehe der Parteien nach deutschem Recht geschieden und der Versorgungsausgleich durchgeführt worden. Dagegen richtet sich die Berufung der AGg.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Die zulässige Berufung der AGg. ist begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

[2]1. Für das vorliegende Ehescheidungsverfahren der Parteien sind die deutschen Gerichte nach Art. 3 EuEheVO international zuständig, weil beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben. Damit findet nach dem Prinzip der lex fori auch das deutsche Verfahrensrecht Anwendung.

[3]2. In der Sache richtet sich die Scheidung der Parteien jedoch nicht nach deutschem, sondern nach türkischem Scheidungsrecht. Die Voraussetzungen für eine Ehescheidung liegen danach nicht vor.

[4]a) aa) Nach Art. 17 EGBGB unterliegt die Scheidung allerdings zunächst dem Recht, das im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags für die allgemeinen Wirkungen der Ehe maßgebend ist. Das ist gemäß Art. 14 I Nr. 1 EGBGB grundsätzlich das Recht des Staats, dem beide Ehegatten angehören. Obwohl beide Parteien die türkische Staatsangehörigkeit besitzen, kommt es auf diese gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehegatten nicht an, weil der ASt. neben seiner ursprünglichen türkischen Staatsangehörigkeit zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags zugleich auch schon die deutsche Staatsangehörigkeit besessen hat. Unwidersprochen hat er nämlich vorgetragen, seit dem 12.4.2001 deutscher Staatsangehöriger zu sein, ohne dass ihm die türkische Staatsbürgerschaft aberkannt worden sei. Nach Art. 5 I 2 EGBGB geht aber bei Mehrstaatern die deutsche Staatsangehörigkeit stets vor, sodass nicht an die frühere gemeinsame ausländische Staatsangehörigkeit angeknüpft werden kann (BGH, FamRZ 1994, 434 m.w.N. (IPRspr. 1994 Nr. 77)).

[5]bb) Mangels eines gemeinsamen Personalstatuts der Parteien bestimmt daher das für die Wahl des Scheidungsrechts gemäß Art. 17 I, 14 I EGBGB geltende Prinzip der Subsidiarität das letzte gemeinsame Heimatrecht als das auf die Ehescheidung anzuwendende Recht (Art. 14 I Nr. 1 Alt. 2 EGBGB). Dies ist das türkische Recht, da beide Parteien zuletzt gemeinsam die türkische Staatsangehörigkeit hatten und die AGg. diese immer noch hat (vgl. OLG Karlsruhe, FamRZ 1996, 1146 (IPRspr. 1995 Nr. 74)). Auch wenn der Ehemann inzwischen durch Einbürgerung auch die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat, führt danach das Scheidungsstatut nach Art. 14 I Nr. 1 EGBGB zum türkischen Recht, weil der ASt. vor der Einbürgerung, ebenso wie die AGg., die türkische Staatsangehörigkeit besaß.

[6]cc) Wird auf das Recht eines anderen Staats verwiesen, so ist nach Art. 4 I EGBGB allerdings auch dessen IPR anzuwenden (Palandt-Thorn, BGB, 69. Aufl., Art. 4 EGBGB Rz. 1). Damit findet das türkische IPR Anwendung, das in Art. 13 des türk. Gesetzes Nr. 2675 über das internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht vom 20.5.1982; nachfolgend IPRG das Scheidungsstatut regelt. Gemäß Art. 13 I türk. IPRG unterliegen die Gründe und Folgen der Scheidung und Trennung dem gemeinsamen Heimatrecht der Ehegatten. Das Scheidungsstatut beurteilt sich also nach türkischem Sachrecht, wenn beide Ehegatten die türkische Staatsangehörigkeit besitzen. Nur wenn einer der Ehegatten bei Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags (ausschließlich) die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hatte, ist nach Art. 13 II türk. IPRG für die Scheidung und deren Folgen das Sachrecht an ihrem gemeinsamen (deutschen) Wohnsitz oder Aufenthaltsort berufen. Die damit anzunehmende Rückverweisung führt in diesen Fällen gemäß Art. 4 I 2 EGBGB zu einer unmittelbaren Anwendung der deutschen Sachnormen. Materielles türkisches Scheidungsrecht kommt hingegen dann zur Anwendung, wenn – wie hier – der Antragsteller bei Zustellung des Scheidungsantrags sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsangehörigkeit besitzt. Denn das türkische IPR sieht Mehrstaater mit türkischer Staatsangehörigkeit ohne Rücksicht auf ihre effektive Staatsangehörigkeit nur als Türken an, Art. 4 lit. b türk. IPRG (BGH, FamRZ 2007, 1540) (IPRspr. 2007 Nr. 4).

[7]b) Die Voraussetzungen für eine Ehescheidung nach türkischem Recht liegen indessen nicht vor.

[8]a) In Betracht kommt insoweit nur der Scheidungsgrund der Zerrüttung der ehelichen Gemeinschaft gemäß Art. 166 türk. ZGB. Danach ist jeder Ehegatte berechtigt, Scheidungsklage zu erheben, wenn die eheliche Gemeinschaft so grundlegend zerrüttet ist, dass den Ehegatten die Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft nicht zugemutet werden kann. Die Zerrüttung der Ehe wird aber gemäß Art. 166 III türk. ZGB nur vermutet, wenn beide Ehegatten den Scheidungsantrag stellen oder ein Ehegatte dem Klageantrag des anderen zustimmt. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die AGg. hat vielmehr im Rahmen ihrer Anhörung erklärt, sie widerspreche der Scheidung und wolle an der Ehe festhalten. Allerdings wird im Falle des dauerhaften tatsächlichen Getrenntlebens gemäß Art. 166 IV türk. ZGB die Zerrüttung ebenfalls vermutet, wenn drei Jahre zuvor bereits ein Scheidungsverfahren rechtskräftig beendet worden ist. Daran fehlt es hier aber ebenfalls.

[9]b) aa) Da keine Vermutung für die Zerrüttung der Ehe vorliegt, muss der ASt. nach Art. 166 I türk. ZGB zunächst darlegen und beweisen, dass eine Zerrüttung vorliegt, die das Festhalten an der Ehe unzumutbar macht. Soweit der ASt. auf fehlende Zuneigung und mangelnden gegenseitigen Respekt verweist, reicht dies als Scheidungsgrund jedoch nicht aus. Auch wenn der Wortlaut dieser Vorschrift dies keineswegs zwingend nahelegt, wird nach der höchstrichterl. Rspr. in der Türkei nicht nur auf die objektive Situation der Ehe, sondern auch auf die Frage, wer die Zerrüttung verschuldet hat, abgestellt. Dabei wird dem alleinschuldigen Ehegatten das Recht abgesprochen, einen Scheidungsantrag nach Art. 166 I türk. ZGB zu stellen bzw. dem Gegner die Möglichkeit des Widerspruchs gemäß Art. 166 II 1 türk. ZGB eingeräumt. Der Senat folgt im Ergebnis dieser Gesetzesauslegung, nach der einem Scheidungsantrag jedenfalls nur dann stattgegeben werden kann, wenn den scheidungsunwilligen Gegner zwar nicht ein überwiegendes Verschulden, wohl aber zumindest ein geringes Mitverschulden hinsichtlich der Zerrüttung trifft. Ein Scheidungsbegehren von türkischen Staatsangehörigen kann nämlich von deutschen Gerichten in einem wesentlichen Punkt nicht anders beurteilt werden als von türkischen Gerichten, jedenfalls solange hierin nicht ein Verstoß gegen den sog. ordre public liegt (OLG Hamm, FamRZ 2000, 1577) (IPRspr. 2000 Nr. 61). Das Vorbringen des ASt., er habe die Familie im Jahre 2003 nach verbalen Streitigkeiten mit seiner Ehefrau verlassen und wolle die Ehe nicht fortsetzen, rechtfertigt danach die Feststellung der Zerrüttung der Ehe nicht. Zu einem, wenn auch nur geringen, Mitverschulden der AGg. hat der ASt. keine konkreten Anhaltspunkte vorgetragen. Sein Hinweis auf mehrere verbale Streitigkeiten ist zu pauschal, um die Annahme eines Mitverschuldens begründen zu können.

[10]bb) Der Widerspruch der AGg. ist auch nicht missbräuchlich im Sinne des Art. 166 II 2 türk. ZGB. Von einem Rechtsmissbrauch des Scheidungswiderspruchs ist nur in Ausnahmefällen auszugehen (OLG Frankfurt, FamRZ 2005, 1681) (IPRspr 2005-56). Die Vermutung spricht nach türk. Rspr. sogar gegen einen Rechtsmissbrauch des Widersprechenden (vgl. Kassationsgerichtshof Ankara, FamRZ 2001, 99). Gründe für die Annahme eines solchen Ausnahmefalls, in dem der AGg. ein schutzwürdiges Interesse an der Aufrechterhaltung der gescheiterten Ehe nicht zustehen würde, hat der ASt. auch nicht dargelegt. Allein die Zerrüttung der Ehe und die Dauer der jetzt siebenjährigen Trennung lassen diesen Widerspruch der AGg. nicht als rechtsmissbräuchlich erscheinen. Es ist vielmehr als ausreichend anzusehen, wenn sie zur Rechtfertigung ihres Widerspruchs auf die Bedeutung der Ehe für die gemeinsamen Kinder und ihr Ansehen als verheiratete Frau in der Türkei verweist. Jedenfalls sind Anhaltspunkte dafür, dass dieser Widerspruch nur erfolgt, um den ASt. böswillig an dem formalen Eheband festzuhalten, nicht ersichtlich und auch nicht vom ASt. vorgetragen worden.

[11]c) Ist danach eine Scheidung nach türkischem Recht nicht möglich, kommt das deutsche Sachrecht auch nicht gemäß Art. 17 I 2 EGBGB zur Anwendung. Danach unterliegt zwar die Scheidung eines Deutschen dem deutschen Recht, wenn die Scheidung nach dem an sich maßgebenden Scheidungsstatut nicht möglich ist. In Abkehr von der bislang h.M. lässt es der BGH hierfür jedoch nicht ausreichen, dass eine Scheidung ‚derzeit’ noch nicht möglich ist, etwa weil ausländisches Recht ein förmliches Trennungsverfahren verlangt, um – wie hier – Fristen in Gang zu setzen (BGH, FamRZ 2007, 113) (IPRspr 2006-63). Dass die nicht einverständliche Scheidung der Ehe der Parteien gemäß Art. 166 IV türk. ZGB voraussetzt, dass sie nach rechtskräftiger Beendigung eines ersten Scheidungsverfahrens erst nach Ablauf von drei Jahren erfolgen kann, reicht deshalb für die Anwendung des deutschen Sachrechts nicht aus.

Fundstellen

LS und Gründe

FamRZ, 2011, 220

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2010-96

Lizenz

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