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Verfahrensgang

OLG Frankfurt/Main, Beschl. vom 30.06.2005 – 2 UF 175/05, IPRspr 2005-56

Rechtsgebiete

Ehe und andere familienrechtliche Lebens- und Risikogemeinschaften → Scheidung, Trennung

Leitsatz

Dem türkischen Ehemann ist die nachgesuchte Prozesskostenhilfe für die Berufung gegen die Ablehnung seines nach türkischem Recht zu beurteilenden Scheidungsantrags mangels hinreichender Erfolgsaussicht zu versagen. Voraussetzung für die begehrte Scheidung ist nämlich nach Art. 166 I des türkischen Zivilgesetzbuchs vom 22.11.2001, dass dem widersprechenden Ehegatten (hier: der türkischen Ehefrau) zumindest ein geringes Verschulden an der Zerrüttung der Ehe angelastet werden kann oder der Scheidungswiderspruch rechtsmissbräuchlich ist.

Rechtsnormen

4721/2001 ZGB (Türkei) Art. 166
EGBGB Art. 14; EGBGB Art. 17
ZPO § 114

Sachverhalt

Der Antrag des ASt. auf Prozesskostenhilfe für eine in Aussicht genommene Berufung gegen das Urteil des AG Kassel vom 2.3.2005 wird zurückgewiesen.

Die Parteien, die türkische Staatsangehörige sind, haben am ... in G./Türkei miteinander die Ehe geschlossen, aus dieser sind zwei körperbehinderte Söhne hervorgegangen. Bereits im Jahr 1999 hatte der ASt. die Scheidung der Ehe beantragt (Az. 541 F 2713/99), dann jedoch seinen Antrag, wie er vorträgt, wegen „emotionaler Betroffenheit“ der AGg. zurückgenommen.

Er hat nunmehr erneut die Scheidung der Ehe, und zwar gestützt auf Art. 166 I türk. ZGB, beantragt, da seine Ehe mit der AGg. wegen unüberbrückbarer Meinungsverschiedenheiten und unterschiedlicher Lebensentwürfe derart zerrüttet sei, dass eine gemeinsame Lebensführung für beide Ehegatten nicht mehr vorstellbar sei. Er habe die Trennung wegen häufigen Streits über Alltagsprobleme und, weil die AGg. ihm gegenüber keine Freundlichkeit und schon gar keine Liebesbeziehung mehr erbracht habe, herbeigeführt. Die AGg. hat der Ehescheidung gemäß Art. 166 II türk. ZGB widersprochen.

Mit Urteil vom 2.3.2005 hat das AG Kassel den Scheidungsantrag des ASt. unter Anwendung des Art. 166 türk. ZGB zurückgewiesen. Hiergegen will der ASt. Berufung einlegen, für die er fristgerecht Prozesskostenhilfe beantragt.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Dem ASt. ist die nachgesuchte Prozesskostenhilfe für eine Berufung gegen das seinen Scheidungsantrag zurückweisende Urteil des AG Kassel vom 2.3.2005 zu versagen, weil diese Berufung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 114 ZPO).

[2]Denn das FamG hat unter Anwendung türkischen Scheidungsrechts (Art. 17 I 1 i.V.m. Art. 14 I Nr. 1 EGBGB) den Scheidungsantrag des ASt., der allein auf Art. 166 türk. ZGB gestützt ist, zu Recht nach dieser Vorschrift zurückgewiesen, da die AGg. nach Art. 166 II türk. ZGB der Scheidung widersprochen hat und auch weiterhin widerspricht. Bei dieser Sachlage wäre es nämlich Voraussetzung für die vom ASt. begehrte Scheidung nach Art. 166 I türk. ZGB, dass der widersprechenden AGg. zumindest ein geringes Verschulden an der Zerrüttung der Ehe angelastet werden kann (vgl. OLG Hamm, FamRZ 2000, 1577 (IPRspr. 2000 Nr. 61) zu Art. 134 türk. ZGB a.F., der wortgleich dem jetzigen Art. 166 türk. ZGB n.F. entspricht). Der diesbezügliche Vortrag des ASt., die AGg. habe ihm gegenüber ‚keine Freundlichkeit’ und ‚keine Liebesbeziehung’ erbracht, ist zu formelhaft und pauschal und wenig substantiiert, um ein auch nur geringes Verschulden der AGg. an der Zerrüttung der Ehe belegen zu können. Letzteres ist jedoch nach der auch von der deutschen Rechtsprechung (vgl. OLG Hamm aaO) geteilten höchstrichterlichen Rechtsprechung in der Türkei Voraussetzung für eine Zerrüttungsscheidung nach Art. 166 I türk. ZGB, wenn der andere Ehegatte der Scheidung nach Art. 166 II türk. ZGB widerspricht, da bei einem Widerspruch gegen die Scheidung verschuldensunabhängige Zerrüttungsursachen nicht akzeptiert werden (vgl. Odendahl, FamRZ 2000, 442, 442) und daher von einem Alleinverschulden des klagenden Ehegatten auszugehen ist, wenn ein auch nur geringes Verschulden des widersprechenden Antragsgegners nicht festzustellen ist (vgl. OLG Hamm aaO). Selbst wenn man dem nicht folgt, ergibt sich das überwiegenden Verschulden des ASt. aus der Tatsache, dass er die Trennung herbeigeführt hat, ohne dass er substantiiert vorgetragen hätte, dass die AGg. ihm ausreichende Veranlassung für seinen Auszug gegeben hätte.

[3]Bei dieser Sachlage scheitert der auf den Zerrüttungstatbestand nach Art. 166 I türk. ZGB gestützte Scheidungsantrag des ASt. am Widerspruch der AGg., da diese nach dem Vortrag des ASt. auch nicht im Sinne des Art. 166 II 2 türk. ZGB als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist. Von einem Rechtsmissbrauch des Scheidungswiderspruchs ist nämlich nur in Ausnahmefällen auszugehen (vgl. OLG Frankfurt, FamRZ 1993, 329, 330 (IPRspr. 1992 Nr. 103); OLG Hamm, FamRZ 1995, 934, 935 (IPRspr. 1995 Nr. 70)). Gründe für die Annahme eines derartigen Ausnahmefalls, in dem der AGg. ein schutzwürdiges Interesse an der Aufrechterhaltung der gescheiterten Ehe nicht zusteht, hat der ASt. nicht dargetan. Allein die Zerrüttung der Ehe und die Dauer der jetzt sechsjährigen Trennung lässt diesen Widerspruch der AGg. nicht als rechtsmissbräuchlich erscheinen. Es ist auch nicht erforderlich, dass die AGg. nach wie vor bereit wäre, mit dem ASt. zusammenzuleben (vgl. OLG Hamm FamRZ 2000, 959). Vielmehr ist es als ausreichend anzusehen, wenn die AGg. zur Rechtfertigung ihres Widerspruchs auf die Bedeutung der Ehe für die gemeinsamen körperbehinderten Söhne verweist. Jedenfalls sind Anhaltspunkte dafür, dass dieser Widerspruch nur erfolgt, um den ASt. böswillig an dem formalen Eheband festzuhalten, nicht ersichtlich und nicht nachhaltig vom ASt. vorgetragen.

[4]Aus diesem Grund ist ihm die nachgesuchte Prozesskostenhilfe für seine in Aussicht genommene Berufung gegen das seinen Scheidungsantrag zurückweisende Urteil des AG Kassel zu versagen. Ihm bleibt lediglich die Möglichkeit, die Dreijahresfrist nach Art. 166 IV türk. ZGB abzuwarten, um dann erneut die Scheidung der Ehe zu beantragen.

Fundstellen

LS und Gründe

FamRZ, 2005, 1681

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2005-56

Lizenz

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