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Verfahrensgang

OLG Düsseldorf, Beschl. vom 23.12.2011 – 8 WF 263/11, IPRspr 2011-89

Rechtsgebiete

Ehe und andere familienrechtliche Lebens- und Risikogemeinschaften → Scheidung, Trennung

Leitsatz

Zur Bestimmung des Statuts für die Scheidung (Auflösung der Ehe), wenn einer der beiden Ehegatten mit italienischer Staatsangehörigkeit vor Einleitung des Scheidungsverfahrens in Deutschland zusätzlich die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen hat.

Rechtsnormen

218/1995 IPR-ReformG (Italien) Art. 19; 218/1995 IPR-ReformG (Italien) Art. 31
AEUV Art. 326 f.
EGBGB Art. 4; EGBGB Art. 5; EGBGB Art. 14; EGBGB Art. 17

Sachverhalt

Die ASt. begehrt VKH für eine Ehesache, in der sie die Scheidung ihrer Ehe erreichen will. Sie wurde in Deutschland geboren, besitzt aber ebenso wie der AGg. die italienische Staatsangehörigkeit. Zusätzlich erwarb sie die deutsche Staatsangehörigkeit.

Durch den angefochtenen Beschluss hat die Amtsrichterin das VKH-Gesuch zurückgewiesen. Der gegen diese Entscheidung gerichteten sofortigen Beschwerde hat das AG nicht abgeholfen.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Das Rechtsmittel ist nicht begründet.

[2]1. Das AG hat zu Recht angenommen, dass hier italienisches Recht berufen ist. Die allgemeinen Wirkungen der Ehe bestimmen sich gemäß Art. 17 I 1, 14 I Nr. 1 EGBGB nach dem Heimatrecht beider Ehegatten. Denn diese Verweisung greift nicht nur dann ein, wenn beide Ehegatten demselben Staat angehören (Alt. 1), sondern auch dann, ‚wenn einer von ihnen diesem Staat noch angehört’ (Alt. 2). Diese Konstellation ist hier gegeben, weil der AGg. weiter italienischer Staatsbürger ist. Dass die ASt. mittlerweile zusätzlich die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen hat und diese Rechtsstellung gemäß Art. 5 I 2 EGBGB aus der Sicht des deutschen Kollisionsrechts vorgeht, bedeutet nur, dass nun von einer gemischt-nationalen Ehe im Sinne der Alt. 2 und nicht mehr von einer übereinstimmenden Staatsangehörigkeit im Sinne der Alt. 1 des Art. 14 I Nr. 1 EGBGB auszugehen ist. Ein Wechsel auf die zweite Sprosse der in Art. 14 I EGBGB normierten Stufenleiter wird dadurch nicht ermöglicht.

[3]Die somit begründete Verweisung in das italienische Recht führt nach Art. 4 I 1 EGBGB allerdings auch zur Anwendung des IPR Italiens, sodass dieses Kollisionsrecht daraufhin zu überprüfen ist, ob es auf deutsches Recht zurückverweist; in diesem Falle würde das deutsche Recht – beschränkt auf die innerstaatlichen Sachvorschriften – die Rückverweisung annehmen, Art. 4 I 2 EGBGB (vgl. z. B. Johannsen-Henrich, Familienrecht, 5. Aufl., Art. 17 Rz. 16). Diese Rückverweisung findet jedoch im vorliegenden Fall nicht statt. Zwar trifft Art. 31 I des italienischen Gesetzes Nr. 218 – Reform des italienischen Systems des Internationalen Privatrechts – vom 31.5.1995 (Gaz. Uff. Nr. 128) folgende Regelung: ‚Die persönliche Trennung und die Auflösung der Ehe werden durch das gemeinsame Heimatrecht der Ehegatten im Zeitpunkt des Antrags auf Trennung oder Auflösung der Ehe geregelt; fehlt ein solches, so ist das Recht des Staats anzuwenden, in welchem das eheliche Zusammenleben überwiegend stattgefunden hat’ (vgl. Bergmann-Ferid-Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht [Stand: 1.12.2010], Italien S. 24, 27; Süß/Ring/Cubeddu-Wiedemann, Eherecht in Europa, 1. Aufl., Abschn. Italien Rz. 163). Infolgedessen kann deutsches Scheidungsstatut zum Zuge kommen, wenn einer der beiden italienischen Ehegatten seine frühere Staatsangehörigkeit aufgegeben und die deutsche Staatsbürgerschaft erworben und das eheliche Zusammenleben überwiegend in Deutschland stattgefunden hat (vgl. OLG Frankfurt, FamRZ 2008, 997 = NJW-RR 2008, 386 (IPRspr 2007-64)). Für die Frage, ob das gemeinsame Heimatrecht besteht, ist aber auch Art. 19 ital. IPR-Gesetz (‚Staatenlose, Flüchtlinge und Personen mit mehreren Staatsangehörigkeiten’) zu beachten, der in Abs. 2 bestimmt: ‚Hat die Person mehrere Staatsangehörigkeiten, so wird das Recht desjenigen der Staaten, denen sie angehört, angewendet, mit welchem sie die engste Verbindung hat. Ist eine der Staatsangehörigkeiten die italienische, so geht diese vor.’ Damit enthält Art. 19 II 2 ital. IPR-Gesetz eine Regelung, die mit Art. 5 I 2 EGBGB vergleichbar ist. Anders als in dem vom OLG Frankfurt entschiedenen Fall kommt deshalb hier die Rückverweisung in das deutsche Recht nicht zum Tragen. Denn die ASt. hat ausdrücklich vorgetragen, dass sie sowohl die italienische als auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitze ... Folglich bleibt es bei dem gemeinsamen Heimatrecht der Ehegatten, nach dem sich die Voraussetzungen für die Auflösung der Ehe bestimmen. Dass derzeit eine Auflösung (nicht: Scheidung) der Ehe nach den italienischen Sachvorschriften ausscheidet, zieht die ASt. nicht in Zweifel.

[4]2. Über Art. 17 I 2 EGBGB – ‚Kann die Ehe hiernach nicht geschieden werden, so unterliegt die Scheidung dem deutschen Recht, wenn der die Scheidung begehrende Ehegatte in diesem Zeitpunkt Deutscher ist oder dies bei der Eheschließung war.’ – kann die ASt. eine sog. regelwidrige Anwendung des deutschen Scheidungsrechts nicht erreichen. Der BGH (FamRZ 2007, 113 f. = NJW 2007, 220 f. (IPRspr 2006-63)) hat hierzu bei einem Sachverhalt, der gleichfalls dem italienische Sachrecht unterlag, entschieden, dass Art. 17 I 2 EGBGB als Ausnahmevorschrift zu behandeln sei, die ‚auf die Fälle zu beschränken (sei), in denen der deutsche oder ehemals deutsche Antragsteller des Schutzes dieser Vorschrift bedarf, um seine Eheschließungsfreiheit wiederzuerlangen’ ... In diesem Sinne ist die ASt. indessen nicht schutzbedürftig. Hierzu ist nämlich auf die sog. Rom-III-Verordnung – VO (EU) Nr. 1259 des Rates zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Eheschließung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts vom 20.12.2010 (ABl. Nr. L 343/10) S. 10 f. – zu verweisen, die am 21.6.2012 in Kraft treten soll. Diese Verordnung trifft im zweiten Kapitel (Art. 5-16) Regelungen für das anwendbare materielle Recht, indem sie die bisher gültigen Anknüpfungsgrundsätze ‚gleichsam auf den Kopf stellt’ und vorrangig auf den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt abstellt (vgl. dazu Helms, FamRZ 2011, 1765/1769 und BGH aaO 116). Die Verordnung ist im Zuge der sog. Verstärkten Zusammenarbeit nach Art. 326 f. AEUV ergangen, an der sich neben Deutschland auch Italien beteiligt (Helms ebda. N. 6). Nach der bisherigen Aktenlage dürften die Ehegatten ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland begründet haben. Die ASt. wurde in Oberhausen geboren und ist seit 1995 in dieser Stadt berufstätig. Von dem AGg. lebt sie erst seit Herbst 2009 getrennt.

Fundstellen

nur Leitsatz

FamFR, 2012, 119, mit Anm. Strohal
NJW-RR, 2012, 521

LS und Gründe

FamRBint., 2012, 27, mit Anm. Ramon

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2011-89

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