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Verfahrensgang

OLG München, Beschl. vom 01.04.2015 – 34 Wx 15/13, IPRspr 2015-85

Rechtsgebiete

Ehe und andere familienrechtliche Lebens- und Risikogemeinschaften → Scheidung, Trennung

Leitsatz

Für die Bestimmung des Scheidungsstatuts ist maßgebend, ob die Ehegatten im Zeitpunkt der Scheidungserklärung beide dem Recht eines Staats angehörten.

Wenn ein Ehegatte zum Zeitpunkt der Scheidung (auch) die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und der letzte gemeinsame Aufenthalt nach der Eheschließung in der Bundesrepublik Deutschland ist und ein Ehegatte nach wie vor in der Bundesrepublik Deutschland ansässig, unterliegen die allgemeinen Wirkungen der Ehe und damit auch die Ehescheidung gemäß Art. 17 I (alter Fassung) und Art. 14 I Nr. 2 EGBGB wegen der fehlenden Rechtswahl der Eheleute dem deutschen Recht. In diesem Fall steht § 1564 Satz 1 BGB, nach dem eine Ehe nur durch gerichtliches Urteil geschieden werden kann, der Anerkennung der in Bangladesch ausgesprochenen Privatscheidung entgegen. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

BGB § 1564
EGBGB Art. 5; EGBGB Art. 14; EGBGB Art. 17
FamFG § 107; FamFG § 109
GZVJu-Bay § 4
Rom III-VO 1259/2010 Art. 21

Sachverhalt

Der ASt. begehrt die Anerkennung einer ausländischen Privatscheidung im Inland. Die Beteiligten schlossen 2003 beim Standesamt der Dhaka City Corporation (Bangladesch) die Ehe; beide waren bangladeschische Staatsangehörige muslimischen Glaubens. Der Ehemann erwarb im November 2007 mit Einbürgerung die deutsche Staatsangehörigkeit. Er hatte nach seinen Angaben bereits im Herbst 2010 und hat auch heute noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Dhaka. Der letzte gemeinsame Aufenthalt der Eheleute war hingegen in Ingolstadt, wo die Ehefrau auch derzeit wohnhaft ist. Der ASt. sprach 2010 die Scheidung der Ehe ohne Beteiligung der Ehefrau nach islamischem Recht aus. Die Scheidung wurde mit diesem Tag im Standesamt (Dhaka City Corporation) vermerkt und Anfang 2011 eingetragen. 2012 hat der ASt. bei der zuständigen LJV die Anerkennung der Entscheidung nach § 107 FamFG beantragt. Der OLG-Präsident wies den Antrag zurück. Gegen diese Entscheidung wendet sich der ASt. Die AGg. hat sich im gerichtlichen Verfahren beteiligt.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Der Antrag auf Entscheidung durch das OLG München ist statthaft (§ 107 V, VII FamFG) und auch im Übrigen zulässig. Er ist jedoch ohne Erfolg.

[2]1. Eine Entscheidung im Sinne von § 107 I 1 FamFG liegt vor. Hierunter fallen nach ganz h.M. auch Privatscheidungen, die unter Mitwirkung einer ausländischen Behörde (s. § 107 I 2 FamFG: ‚oder eine Behörde’), in diesem Fall durch Registrierung der durch Privatakt vollzogenen Scheidung bei einer mit Personenstandssachen befassten ausländischen Behörde, zustande gekommen sind (Keidel-Zimmermann, FamFG, 18. Aufl., § 107 Rz. 19). Eine nur deklaratorische Form der Registrierung genügt (Zöller-Geimer, ZPO, 30. Aufl., § 107 FamFG Rz. 24). Um eine Heimatstaatsscheidung, die dem Anerkennungsverfahren nicht unterliegt, handelt es sich nicht, weil bei ‚auch’ deutscher Staatsangehörigkeit eine solche nicht gegeben ist (BayObLG, FamRZ 1993, 452 (IPRspr. 1992 Nr. 235); Keidel-Zimmermann aaO).

[3]2. Da die Ehefrau ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern hatte, war gemäß § 107 II, III FamFG i.V.m. § 4 GZVJu i.d.F. vom 11.6.2012 (BayGVBl. 295) der Präsident des OLG München für die Anerkennung der ausländischen Ehescheidung zuständig. Dieser hat zutreffend festgestellt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind, weil eine Anknüpfung an das Recht von Bangladesch nach den Regeln des IPR nicht möglich ist.

[4]a) Da die Scheidung bereits im Jahr 2010 ausgesprochen und spätestens Anfang 2011 registriert wurde, findet schon deshalb die Rom-III-VO noch keine Anwendung (Art. 21; BeckOK-Heiderhoff [Stand: 1.5.2014] Art. 17 EGBGB Rz. 187). Die Frage, ob die Rom-III-VO überhaupt für Privatscheidungen gilt, braucht nicht geklärt zu werden.

[5]b) Nach Art. 17 I 1 EGBGB a.F. folgt das Scheidungsstatut dem Ehewirkungsstatut des Art. 14 EGBGB.

[6]Anknüpfungszeitpunkt ist nach Art. 17 I 1 EGBGB a.F. der Eintritt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags bzw. bei Privatscheidungen der Zeitpunkt, der der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags vergleichbar ist (z.B. Palandt-Thorn, BGB, 66. Aufl., Art. 17 EGBGB Rz. 7).

[7](1) Eine ggf. vorrangig zu beachtende Rechtswahl nach Art. 14 III EGBGB ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

[8](2) Im Herbst 2010 hatten die Eheleute keine gemeinsame Staatsangehörigkeit, weil der ASt. im November 2007 die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hatte. Zu diesem Zeitpunkt war die AGg. noch nicht Deutsche. Anhaltspunkte dafür, dass der ASt. die Staatsangehörigkeit von Bangladesch beibehalten hätte, gibt es nicht. Aber auch unabhängig davon käme eine Anknüpfung an eine gemeinsame ausländische Staatsangehörigkeit (Art. 14 I Nr. 1 Alt. 1 EGBGB) in diesem Fall nicht in Frage (BGH, FamRZ 1994, 434 (IPRspr. 1994 Nr. 77); BayObLG, NJW-RR 1994, 771 (IPRspr. 1994 Nr. 174); OLG Hamm, FamRZ 1997, 1228 (IPRspr. 1997 Nr. 172); Palandt-Thorn aaO Art. 14 EGBGB Rz. 7; Art. 17 EGBGB Rz. 8; Bamberger/Roth-Mörsdorf-Schulte, BGB, 3. Aufl., Art. 14 EGBGB Rz. 28).

[9](3) Auch aus Art. 17 I 1 a.F. i.V.m. Art. 14 I Nr. 1 Alt. 2 EGBGB kann die Anwendbarkeit des Rechts von Bangladesch nicht hergeleitet werden, selbst wenn beide Ehegatten bis 2007 zuletzt gemeinsam die Staatsangehörigkeit von Bangladesch besessen hatten (so aber Süß, MittBayNot 2012, 308/310). Maßgebend für das Scheidungsstatut ist vielmehr, ob die Ehegatten im Zeitpunkt der Scheidungserklärung (vgl. BayObLG, FamRZ 2003, 381 (IPRspr. 2002 Nr. 207); BayObLGZ, 1998, 103/106 (IPRspr. 1998 Nr. 71); BayObLG NJW-RR aaO; Präsidentin des OLG Celle, StAZ 1999, 80) beide dem Recht eines Staats angehörten. Sollte aber für den Ehemann noch die mit Geburt erworbene Staatsangehörigkeit fortbestanden haben, wäre im Rahmen von Art. 14 I Nr. 1 EGBGB – in beiden Alternativen – die deutsche Staatsangehörigkeit vorrangig (BayObLGZ 1998 aaO m.w.N.). Dies entnimmt die wohl überwiegende Meinung der Bestimmung in Art. 5 I 2 EGBGB (BGH, FamRZ 1994 aaO 435; BayObLG, NJW-RR 1994 aaO 772; BayObLGZ 1998 aaO; Bamberger-Roth-Heiderhoff aaO Art. 17 Rz. 52; MünchKomm-Siehr, 5. Aufl., Art. 14 EGBGB Rz. 21; a.A. Süß aaO m.w.N.).

[10](4) Auch Art. 17 I 1 EGBGB (a.F.) i.V.m. Art. 14 I Nr. 2 EGBGB führt nicht zur Anwendbarkeit des Rechts von Bangladesch. Danach wäre der gemeinsame Aufenthalt beider Ehegatten im Zeitpunkt der Scheidungserklärung oder der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt während der Ehe maßgeblich, wenn einer der Ehegatten diesen dort noch hat. Der letzte gemeinsame Aufenthalt befand sich schon nach dem Vortrag des ASt. nicht in Bangladesch; vielmehr waren die Ehegatten nach der Eheschließung mehrere Jahre im Bundesgebiet gemeldet und wohnhaft. Auch die weiter in Deutschland ansässige AGg. hat dies so geschildert und angegeben, die Eheleute hätten nach ihrer Eheschließung in Deutschland, nämlich in Ingolstadt, gelebt, bis sie sich im Jahr 2009 getrennt hätten.

[11]Damit unterliegen aber die allgemeinen Wirkungen der Ehe und damit auch die Ehescheidung gemäß Art. 17 I (a.F.) i.V.m. Art. 14 I Nr. 2 EGBGB wegen der fehlenden Rechtswahl der Eheleute [s. (1)] dem deutschen Recht (vgl. BayObLGZ 1998 aaO). Denn auf eine etwaige Anknüpfung nach Art. 17 I 1 EGBGB (a.F.) i.V.m. Art. 14 I Nr. 3 EGBGB, wonach die Wirkungen der Ehe dem Recht des Staats unterliegen, mit dem die Ehegatten auf andere Weise gemeinsam am engsten verbunden sind, kommt es nicht mehr an (s. Art. 14 I Nr. 2 EGBGB am Ende: ‚hilfsweise’).

[12]3. Kommt aber deutsches Recht zur Anwendung, steht § 1564 Satz 1 BGB der Anerkennung der in Bangladesch ausgesprochenen Privatscheidung entgegen. Nach § 1564 BGB kann die Ehe nur durch gerichtliches Urteil geschieden werden. Eine Privatscheidung ist dem deutschen Recht fremd; insoweit hat die Bestimmung auch materiellen Gehalt (BGHZ 110, 267/276 (IPRspr. 1990 Nr. 216); BayObLG, FamRZ 2003, aaO 383)

[13]4. Darauf, ob die vorgelegten Urkunden für den Nachweis der Eheschließung und der Ehescheidung ausreichen, ferner ob ein weiteres Anerkennungshindernis in Form des fehlenden rechtlichen Gehörs nach § 109 I Nr. 2 FamFG besteht (s. dazu Senat vom 26.1.2012 – 34 Wx 519/11 (IPRspr 2012-279) = FGPrax 2012, 66) – die AGg. gibt glaubhaft an, erst im Jahr 2012 vom ASt. über die stattgefundene Scheidung informiert worden zu sein –, kommt es daher nicht mehr an.

Fundstellen

nur Leitsatz

FamRB, 2015, 285

LS und Gründe

FamRZ, 2015, 1611, mit Anm. Henrich
StAZ, 2016, 48

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2015-85

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