Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist der Anwendungsbereich nach Art. 1 VO (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 12.12.2012 (ABl. Nr. L 351/1) auch für Fälle der Privatscheidung – hier: durch einseitige Erklärung eines Ehegatten vor einem geistlichen Gerichtshof in Syrien aufgrund der Scharia – eröffnet?
2. Falls die Frage 1 bejaht wird:
Ist bei Anwendung der VO (EU) Nr. 1259/2010 (Rom-III-VO) deren Art. 10 in Fällen der Privatscheidung
(1) abstrakt auf einen Vergleich abzustellen, wonach das gemäß Art. 8 Rom-III-VO anzuwendende Recht einen Zugang zur Ehescheidung zwar auch dem anderen Ehegatten gewährt, diese aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit aber an andere verfahrensrechtliche und materielle Voraussetzungen knüpft wie an den Zugang des einen Ehegatten,
oder
(2) das Eingreifen der Norm davon abhängig, dass die Anwendung des abstrakt diskriminierenden ausländischen Rechts auch im Einzelfall – konkret – diskriminiert?
3. Falls die Frage 2 (2) bejaht wird:
Ist ein Einvernehmen des diskriminierten Ehegatten mit der Ehescheidung – auch in der Form der gebilligten Entgegennahme von Ausgleichsleistungen – bereits ein Grund, die Norm nicht anzuwenden?
[Die erste EuGH-Vorlage des OLG München vom 2.6.2015 – 34 Wx 146/14 – wurde bereits im Band IPRspr. 2015 unter der Nr. 88 abgedruckt.]
Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens bildet die Anerkennung einer in der Arabischen Republik Syrien ausgesprochenen und dort von einem religiösen Gericht bestätigten Scheidung von Eheleuten in der Bundesrepublik Deutschland, deren Voraussetzungen der Präsident des OLG München mit Verwaltungsentscheidung vom 5.11.2013 als gegeben festgestellt hat.
Die Beteiligten schlossen 1999 in Homs/Syrien die Ehe. Der Ehemann war seit Geburt syrischer Staatsangehöriger. Im Jahr 1977 wurde er in der Bundesrepublik Deutschland eingebürgert und besitzt seither beide Staatsangehörigkeiten. Seit Geburt ist die Ehefrau syrische Staatsangehörige. Nach der Eheschließung erwarb sie die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Eheleute lebten bis 2003 im Inland, zogen dann nach Homs, hielten sich wegen des Bürgerkriegs aber ab Sommer 2011 erneut kurz in Deutschland auf und lebten schließlich ab Februar 2012 abwechselnd im Emirat Kuwait und in der Libanesischen Republik; während dieser Zeit hielten sie sich wiederholt auch in Syrien auf. Aktuell leben beide Parteien mit unterschiedlichen Wohnsitzen wieder in Deutschland. Der Ehemann erklärte im Mai 2013 die Scheidung seiner Ehe, indem sein Bevollmächtigter vor dem geistlichen Scharia-Gericht in Latakia/Syrien die Scheidungsformel aussprach. Das Gericht stellte am 20.5.2013 in dem Beschluss Nr. 1276 die Ehescheidung fest. Im Laufe der gesetzlichen Wartefrist kam es nicht zu einer Wiederverheiratung. Im September 2013 gab die Ehefrau eine eigenhändig unterzeichnete Erklärung über den Empfang von nach religiösen Vorschriften zustehenden Leistungen ab. Der Ehemann hat im Oktober 2013 die Anerkennung der Ehescheidung in der Bundesrepublik Deutschland beantragt.
Der Präsident des OLG München hat mit Entscheidung vom 5.11.2013 dem Antrag stattgegeben und festgestellt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung der im Mai 2013 ausgesprochenen und am 20.5.2013 bestätigten Ehescheidung vorliegen. Die Entscheidung Ehefrau beantragte im Februar 2014 die Aufhebung der Entscheidung und Feststellung, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung der Ehescheidung nicht vorliegen. Das OLG München hat der Beschwerde mit Entscheidung vom 8.4.2014 nicht abgeholfen. Der Senat hatte das Verfahren zunächst am 2.6.2015 ausgesetzt und dem EuGH verschiedene Auslegungsfragen zur Rom-III-VO vorgelegt. Mit Beschluss vom 12.5.2016 (C-281/15) hat sich der Gerichtshof (Erste Kammer) aus verfahrensrechtlichen Gründen für unzuständig erklärt.
[1]II. 1. Gemäß Art. 267 AEUV ist eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen, weil die Entscheidung des Senats über die Beschwerde der Ehefrau von der Beantwortung der an den Gerichtshof gestellten Fragen zum Anwendungsbereich und zur Auslegung der VO (EU) Nr. 1259/2010 (nachfolgend: Rom-III-VO) abhängt.
[2]2. Das vorlegende Gericht hält die Zuständigkeit des Gerichtshofs zur Vorabentscheidung für gegeben. Denn es hätte, sollte der EUGH die Frage 1 bejahen, für seine Entscheidung die bezeichnete Verordnung anzuwenden und müsste sich dann auch mit deren Auslegung, namentlich von Art. 10 Rom-III-VO, befassen. Insoweit ist in diesem Fall die Entscheidung zur Frage 2 – je nach deren Beantwortung auch zur Frage 3 – erforderlich.
[3]a) Zwar ist das OLG München nicht mit einem Antrag auf Scheidung der Ehe befasst, sondern mit einem Antrag auf Anerkennung einer (erfolgten) Ehescheidung, die vor einer geistlichen Stelle in einem Drittstaat durch einseitige Erklärung stattgefunden hat. Die Entscheidung fällt somit nicht in den (unmittelbaren) Anwendungsbereich der Rom-III-VO. Wie sich aus Art. 1 I und Art. 8 der Verordnung ergibt, legt diese nämlich nur die Kollisionsnormen für (u.a.) die Ehescheidung selbst fest, regelt aber nicht die Anerkennung einer bereits ergangenen Ehescheidung in einem Mitgliedstaat (EuGH, Beschl. vom 12.5.2016 – Soha Sahyouni ./. Raja Mamisch, Rs C-281/15, ECLI:EU:C:2016:343 Rz. 19).
[4]Allerdings ist bereits entschieden, dass Vorabentscheidungsersuchen dann nicht von der Zuständigkeit des EuGH ausgenommen sind, wenn das nationale Recht eines Mitgliedstaats zur Festlegung der auf einen rein internen Sachverhalt dieses Staats anwendbaren Vorschriften auf den Inhalt einer Unionsbestimmung verweist (Rs C-281/15 aaO Rz. 25; Urt. vom 18.10.1990 – Massam Dzodzi ./. Belgischer Staat, Rs C-297/88 u. C-197/89, EU:C:1990:360) ...
[5]b) Für die Anerkennung von Privatscheidungen ist nach dem maßgeblichen nationalen – deutschen – Recht grundsätzlich die Rom-III-VO anzuwenden. Anerkannt werden solche Scheidungen im Verfahren nach § 107 FamFG.
[6]aa) Die EuEheVO ist nicht einschlägig; diese gilt nur zwischen den Mitgliedstaaten, die Anerkennung einer in einem Drittstaat ergangenen Ehescheidung unterliegt ihr nicht (C-281/15 aaO Rz. 20–22).
[7]bb) Nach der deutschen Rechtspraxis unterfallen dem Anwendungsbereich des § 107 FamFG auch Scheidungen, bei denen eine behördliche Mitwirkung konstitutiver oder auch nur deklaratorisch-registrierender Art stattgefunden hat oder stattfinden könnte (BGH, FamRZ 1990, 607/608 (IPRspr. 1990 Nr. 216); BGHZ 82, 34/41 f. (IPRspr. 1981 Nr. 192); Keidel-Zimmermann, FamFG, 18. Aufl., § 107 Rz. 13; Prütting-Helms-Hau, FamFG, 3. Aufl., § 107 Rz. 26; Musielak-Borth, FamFG, 5. Aufl., § 107 Rz. 2; MünchKommFamFG-Rauscher, 3. Aufl., § 107 Rz. 15 und 25 ff.; Dimmler, FamRB 2015, 367). Das syrische Scheidungsrecht kennt eine solche Einwilligung und auch eine deklaratorische Genehmigung durch den Richter (vgl. Art. 85 ff. des Gesetzes Nr. 59 über das Personalstatut vom 17.9.1953 i.d.F. des Gesetzes Nr. 34 vom 31.12.1975, abgedr. bei Bergmann-Ferid-Henrich, Int. Ehe- und Kindschaftsrecht, Arabische Republik Syrien [Stand: 31.12.1993] S. 11, 17; BayObLG, NJW-RR 1994, 771 (IPRspr. 1994 Nr. 174)).
[8]cc) Die materiellen Anerkennungsvoraussetzungen beurteilen sich nach dem nationalen Recht für Privatscheidungen jedoch nicht nach § 109 FamFG. Vielmehr prüft sie das inländische Gericht nach verbreiteter Ansicht grundsätzlich anhand der Rom-III-VO (MünchKommFamFG-Rauscher aaO; Prütting-Helms-Hau aaO; Musielak-Borth aaO; Dimmler aaO; Gärtner, StAZ 2012, 357/363; zur früheren Anwendung des Art. 17 EGBGB für die Anerkennungsvoraussetzungen: BayObLG aaO; OGH, IPRax 1992, 104/105 m.w.N.).
[9]Teilweise wird aber auch vertreten, dass die Rom-III-VO in erster Linie die Frage regelt, welches Recht die Gerichte der Mitgliedstaaten anzuwenden haben, wenn ihre Gerichte selbst über einen Scheidungsantrag entscheiden. Deshalb könne die Verordnung im Verfahren auf Anerkennung einer schon im Ausland ergangenen Ehescheidung keine Anwendung finden (MünchKomm-Winkler von Mohrenfels, 6. Aufl., Art. 1 Rom III-VO Rz. 12).
[10]Der Senat hält jedoch die erstgenannte Auffassung für zutreffend, wenn auch für eine Scheidung in Deutschland im Anwendungsbereich der Rom-III-VO das Recht des Staats, das eine Privatscheidung zulässt, anwendbar ist. Denn es wäre nicht nachvollziehbar, eine Ehescheidung von Ausländern im Inland nach anderen Vorschriften zu beurteilen als die Anerkennung einer schon im Ausland ausgesprochenen Scheidung (vgl. Hüßtege-Mansel-Gruber, BGB, Bd. 6, 2. Aufl., Art. 1 Rom III Rz. 62 ff.). Wäre die Anwendung der Rom-III-VO auf Privatscheidungen ausgeschlossen, bestünde eine vom deutschen Gesetzgeber nicht beabsichtigte Regelungslücke, weil mit der Neufassung von Art. 17 I EGBGB (G. v. 23.1.2013, BGBl. I 101) die Regelung, welchem materiellen Recht die Scheidung unterliegt, aufgehoben wurde (BeckOK-BGB-Heiderhoff [Stand: 1.11.2015] Art. 17 Rz. 3). Dies beruht ersichtlich darauf, dass der deutsche Gesetzgeber die frühere Vorschrift gerade wegen der Geltung der Rom-III-VO für obsolet hielt (BT-Drucks. 17/11049 S. 10; vgl. Palandt-Thorn, BGB, 75. Aufl., Art. 17 EGBGB Rz. 1 f.; Hüßtege-Mansel-Gruber aaO Rz. 68; Gärtner aaO; BeckOK-BGB-Heiderhoff aaO).
[11]Sollten die Normen der Rom-III-VO auch auf Privatscheidungen anwendbar sein (vgl. die Vorlagefrage 1), kann jeweils durch ihre entsprechende Auslegung das intendierte Ziel der Vorschrift erreicht werden.
[12]3. Gegen die getroffene Anerkennungsentscheidung des Präsidenten des OLG liegt ein nach § 107 V FamFG statthafter Antrag auf gerichtliche Entscheidung vor. Dieser ist in zulässiger Form und Frist gestellt. Der Antrag hat eine Entscheidung im Sinne von § 107 I 1 FamFG zum Gegenstand, weil die Ehescheidung durch das Gericht eines ausländischen Staats urkundlich registriert wurde und ein Vorrang der EuEheVO nicht besteht. Zwar handelt es sich um ein religiöses Gericht; dessen Tätigkeit auf dem Gebiet des Eherechts ist jedoch staatlicherseits anerkannt (dazu MünchKommFamFG-Rauscher aaO Rz. 19). Eheauflösungen aufgrund einseitiger Akte mit anschließender urkundlicher Registrierung fallen (vgl. oben zu II. 2.) in den Anwendungsbereich der Vorschrift. Da der Ehemann seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern hat, war für die Verwaltungsentscheidung gemäß § 107 II und III FamFG, § 4 GZVJu vom 11. Juni 2012 (BayGVBl. 295) der Präsident des OLG München zuständig. Die Zuständigkeit des angerufenen OLG ergibt sich aus § 107 V und Abs. VII FamFG.
[13]III. 1. Zu Frage 1 ...
[14]a) Der Präsident des OLG München hat ausgeführt, die Anerkennungsfähigkeit der verfahrensgegenständlichen Entscheidung richte sich nach der genannten Verordnung; sie sei auch auf sog. Privatscheidungen anwendbar.
[15]b) Ob der sachliche Anwendungsbereich eröffnet ist, hängt von der Beantwortung der vorstehenden Frage ab. Nach Art. 1 Rom-III-VO gilt die Verordnung für die Ehescheidung in Fällen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen, wie das hier der Fall ist. Es ist umstritten, ob nur Ehescheidungen unter konstitutiver Mitwirkung eines – staatlichen – Gerichts oder einer Behörde (vgl. Art. 3 Nr. 2 Rom-III-VO) oder ob auch solche, die entweder einseitig oder einverständlich durch private Willenserklärung, wenn auch unter Mitwirkung einer ausländischen Behörde (bspw. durch Registrierung), erfasst werden (bejahend: BT-Drucks. aaO S. 8; Palandt-Thorn aaO Art. 2 Rom III-VO Rz. 8; BeckOK-BGB-Heiderhoff aaO; Jauernig, BGB, 16. Aufl., Art. 1 Rom III-VO Rz. 2; Gärtner aaO; Helms, FamRZ 2011, 1765/1766; Hau, FamRZ 2013, 249/250; verneinend Hüßtege-Mansel-Gruber aaO Rz. 66; Gruber, IPRax 2012, 381/383).
[16]Die Rom-III-VO ist, wie etwa Art. 5 I lit. d, 8, 18 I 1 belegen, auf gerichtliche Verfahren zugeschnitten. Dennoch beschränkt sich ihr Geltungsbereich (Art. 1 I : ... gilt für die Ehescheidung ...) nicht zwingend auf konstitutive Ehescheidungen durch staatliche Gerichte. Mit Rücksicht auf die Vielfalt von Auflösungsformen ehelicher Bindungen in nationalen Rechtsordnungen, aber auch mit Rücksicht auf Erwgr. 9 der VO, wonach diese einen klaren, umfassenden Rechtsrahmen im Bereich des auf die Ehescheidung anzuwendenden Rechts in den teilnehmenden Mitgliedstaaten vorgeben soll, neigt der Senat dazu, ihren Anwendungsbereich auch auf sog. Privatscheidungen zu erstrecken, sofern nur die Mitwirkung einer ausländischen – dem staatlichen Bereich zuzurechnenden oder von ihm anerkannten – Stelle (Behörde) vorgesehen ist.
[17]Sollte die Rom-III-VO für solche Fälle hingegen nicht Anwendung finden, würde sich die Entscheidung nach dem deutschen Kollisionsrecht richten. Das Scheidungsstatut würde nach bisheriger – dann wohl fortbestehender – innerstaatlicher Rechtslage dem Ehewirkungsstatut des Art. 14 EGBGB folgen (vgl. Art. 17 I 1 EGBGB i.d.F. bis 28.1.2013). Denn die Neufassung des Art. 17 I EGBGB beruhte ersichtlich darauf, dass die vormalige Regelung gerade wegen Geltung der Rom-III-VO für obsolet gehalten wurde (Palandt-Thorn aaO Art. 17 EGBGB Rz. 1; Hüßtege-Mansel-Gruber aaO Rz. 68). Der Senat würde bei Anwendung von Art. 14 EGBGB die beiderseitige deutsche gegenüber der syrischen Staatsangehörigkeit als vorrangig erachten (Art. 14 I Nr. 1 EGBGB i.V.m. Art. 5 I 2 EGBGB; s. BGH, FamRZ 1994, 434/435 (IPRspr. 1994 Nr. 77); BayObLG aaO 772; BayObLGZ 1998, 103/106 (IPRspr. 1998 Nr. 71)). Damit unterliegen aber die allgemeinen Wirkungen der Ehe und damit auch die Ehescheidung gemäß Art. 17 I EGBGB (i.d.F. bis 28.1.2013) i.V.m. Art. 14 I Nr. 2 EGBGB wegen der fehlenden Rechtswahl der Eheleute dem deutschen Recht (BayObLGZ aaO 106 f.). Eine Anknüpfung nach Art. 17 I 1 EGBGB (a.F.) i.V.m. Art. 14 I Nr. 3 EGBGB, wonach die Wirkungen der Ehe dem Recht des Staats unterliegen, mit dem die Ehegatten auf andere Weise gemeinsam am engsten verbunden sind, kommt dann nicht mehr in Betracht. Bei Anwendung deutschen Sachrechts steht § 1564 Satz 1 BGB der Anerkennung entgegen. Denn nach § 1564 BGB kann die Ehe nur durch gerichtliches Urteil geschieden werden. Eine Privatscheidung ist dem deutschen Recht fremd; insoweit hat die Bestimmung auch materiellen Gehalt (BGHZ 110, 267/276 = FamRZ 1990, 607 [s.o.]; BayObLG, FamRZ 2003, 381/383 (IPRspr. 2002 Nr. 207)).
[18]c) Sofern die Rom-III-VO auch für Privatscheidungen wie die gegenständliche ihre sachliche Geltung beansprucht, wäre in Ermangelung einer Rechtswahl das anzuwendende Recht nach Art. 8 dieser Verordnung zu bestimmen. Die Norm stellt zwar auf ein ‚angerufenes Gericht’ ab. Mit Rücksicht auf die generelle Geltung der Rom-III-VO würde der Senat deren Art. 8 für die Anerkennung einer Privatscheidung dahin auslegen, dass auf den Zeitpunkt der Anrufung der ausländischen Stelle abzustellen ist, bei der die Scheidung – wenn auch nur in Form der Registrierung – bestätigt wurde. Nichts anderes ergäbe sich hier, wenn man auf den Zeitpunkt des Ausspruchs der Scheidungsformel abstellen würde.
[19]Die Voraussetzungen für eine Anknüpfung nach Art. 8 lit. a oder b Rom-III-VO sind, wie bereits der Präsident des OLG München ausgeführt hat, nicht zweifelsfrei feststellbar. [...] Deshalb ist das maßgebliche Recht nach Art. 8 lit. c oder d Rom-III-VO zu bestimmen. Zwar ist nicht eindeutig, ob bei mehrfacher Staatsangehörigkeit – die der Senat gemäß den ihm zugänglichen Quellen (Art. 10 II des syr. Gesetzes Nr. 276 zur Regelung der Staatsangehörigkeit vom 24.11.1969 [J.O. Nr. 55 vom 17.12.1969]; Bergmann-Ferid-Henrich aaO S. 2 ff.) als jeweils gegeben erachtet, auch wenn die Ehefrau meint, die syrische Staatsangehörigkeit bei der Einbürgerung ‚abgegeben’ zu haben – nach Art. 8 lit. c Rom-III-VO auf die effektive Staatsangehörigkeit abzustellen ist (Palandt-Thorn aaO Art. 8 Rom III-VO Rz. 4; Helms aaO 1771). Der Senat würde jedoch in diesem Rahmen nicht die deutsche, sondern schon im Hinblick auf die tatsächlichen Lebensumstände der Ehegatten wohl die gemeinsame syrische Staatsangehörigkeit als maßgeblich beurteilen. Das hätte aber zur Folge, dass die Ehescheidung dem syrischen Recht unterliegt. Nichts anderes gilt, sofern auf Art. 8 lit. d Rom-III-VO abgestellt werden müsste. Im letztgenannten Fall kann es keine Rolle spielen, ob die Mitwirkung des geistlichen Gerichts nur registrierende Funktion hat.
[20]2. Zu Frage 2 ...
[21]a) Sofern das syrische Recht maßgeblich ist, ist die Anwendbarkeit von Art. 10 Rom-III-VO auch im innerstaatlichen Verfahren auf Anerkennung der ausländischen Ehescheidung zu prüfen. Dieser bestimmt für den Fall, dass einem der Ehegatten aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit ein gleichberechtigter Zugang zur Ehescheidung nicht gewährt wird, das Recht des Staats des ‚angerufenen Gerichts’ für anwendbar. Aus den oben zu III. 1. c) dargelegten Gründen würde der Senat auch Art. 10 Rom-III-VO – entspr. seiner Intention – so auslegen, dass das Recht des Staats des zur Anerkennung der Entscheidung berufenen Gerichts maßgeblich ist.
[22]Wurde die Ehe nach einem ausländischen Recht geschieden, das den Ehegatten keinen gleichberechtigten Zugang zur Ehescheidung einräumt, würde Art. 10 Rom-III-VO dann auf das deutsche Scheidungsstatut verweisen. Hiernach wäre die im Ausland vollzogene Privatscheidung gemäß § 1564 Satz 1 BGB unwirksam. Auch wenn bspw. der benachteiligte Ehegatte mit der Scheidung einverstanden gewesen wäre, könnte die im Ausland aufgrund eines gleichberechtigungswidrigen Rechts vollzogene Privatscheidung nicht anerkannt werden. Es stellt sich daher die oben angeführte Frage nach einer teleologischen Reduktion der Vorschrift.
[23]b) Nach ihrem Wortlaut sind die Voraussetzungen von Art. 10 Rom-III-VO zu bejahen. Denn im gegebenen Fall wird einem der Ehegatten aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit kein gleichberechtigter Zugang zur Ehescheidung gewährt ...
[24]Bei einer abstrakten Auslegung verweist die Anwendung von Art. 10 Rom-III-VO auf das Recht des Staats des angerufenen Gerichts. Entsprechend den Ausführungen zu Frage 1 wäre die Entscheidung nach deutschem Recht nicht anzuerkennen, da eine Privatscheidung dem deutschen Recht fremd ist (§ 1564 BGB).
[25]Mit der ganz überwiegenden Meinung (BT-Drucks. aaO; weitere Nachweise in MünchKomm-Winkler von Mohrenfels aaO Art. 10 Rom III-VO Rz. 3 f.; Palandt-Thorn aaO Art. 10 Rom III-VO Rz. 4; Hau aaO 254; Helms aaO 1772; zweifelnd Gruber aaO 391; Dimmler aaO 368) würde der Senat – jedenfalls im Anerkennungsverfahren – die Norm aber nur zurückhaltend und unter Berücksichtigung des Einzelfalls heranziehen wollen. Zwar ergibt sich aus Erwgr. 9 der Wille und die Notwendigkeit, durch die Verordnung einen möglichst klaren, umfassenden Rechtsrahmen zu schaffen. Dies ließe auch den Schluss zu, durch Art. 10 Rom-III-VO im europäischen Raum einen einheitlichen Wertungsrahmen herzustellen (MünchKomm-Winkler von Mohrenfels aaO Rz. 4). Jedoch folgt aus Erwgr. 24, dass die Norm nur für ‚bestimmte Situationen’ den Rückgriff auf das Recht des Staats des angerufenen Gerichts eröffnen sollte (s. Hau aaO). Dies rechtfertigt es nach Ansicht des Senats, den Einzelfall zu untersuchen und nicht abstrakt auf die Diskriminierung durch das maßgebliche Recht abzustellen.
[26]3. Falls die Frage 2 (2) bejaht wird ...
[27]Sofern Art. 10 Rom-III-VO nicht schon bei fehlendem gleichberechtigten Zugang zur Ehescheidung aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit eingreift [s.o. zu III. 2. b)], kommt es auf die Grenzen der Norm an. Der Senat würde sie im Rahmen einer teleologischen Reduktion (Palandt-Thorn aaO Art. 10 Rom III-VO Rz. 4; Helms aaO; Gruber aaO) jedenfalls bei einem festgestellten Einvernehmen des benachteiligten Ehegatten nicht anwenden wollen mit der Folge, dass das nach Art. 5 oder Art. 8 Rom-III-VO zu bestimmende Recht anwendbar bleibt.
[28]Ein Einvernehmen der Ehefrau mit der bewirkten Scheidung könnte hier in der unterschriftlich bestätigten Entgegennahme von Geldleistungen, verbunden mit der Erklärung erkannt werden, den Ehemann von seinen vertraglichen Pflichten zu befreien. Dieser Umstand wäre bei Anwendung syrischen Rechts im Einzelfall anhand des inländischen ordre public zu würdigen (vgl. OLG Hamm, Beschl. vom 7.5.2013 – 3 UF 267/12 (IPRspr 2013-93), juris Rz. 73; OLG Koblenz, NJW-RR 2013, 1377; OLG Frankfurt, NJW 1985, 1293/1294 (IPRspr. 1984 Nr. 186)).