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Verfahrensgang

OLG Hamm, Beschl. vom 07.05.2013 – 3 UF 267/12, IPRspr 2013-93

Rechtsgebiete

Ehe und andere familienrechtliche Lebens- und Risikogemeinschaften → Scheidung, Trennung
Zuständigkeit → Zuständigkeit in Ehe- und Kindschaftssachen

Leitsatz

§ 65 IV FamFG entbindet das Beschwerdegericht nicht von der vollumfänglichen Prüfung der internationalen Zuständigkeit. Diese ergibt sich für den Scheidungsantrag ausländischer Ehegatten mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland im Falle der Eheschließung nach ausländischem religiösen (hier islamisch-schiitischen) Recht auch nach dem Inkrafttreten der Rom-III-VO (EU) in Deutschland zum 21.6.2012 weiterhin aus Art. 3 lit. a EuEheVO (EG).

Für familiengerichtliche Ehescheidungsverfahren, die ab dem 21.6.2012 eingeleitet worden sind (vorliegend am 22.6.2012), bestimmt sich die Frage, welches nationale Recht bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt anzuwenden ist, allein nach den Regelungen der Rom-III-VO. Danach ist für nach ausländischem Recht geschlossene Ehen gemäß Art. 8 lit. a der Rom-III-VO im Falle des gewöhnlichen Aufenthalts beider Ehegatten zum Zeitpunkt der Anrufung des Familiengerichts im Bundesgebiet grundsätzlich deutsches Eherecht anwendbar, jedenfalls soweit nicht beide Ehegatten ausschließlich die ausländische Staatsangehörigkeit haben und eine nach Art. 19 I Rom-III-VO vorrangige völkerrechtliche Vereinbarung der beteiligten Staaten hierauf abstellt.

Eine gegenüber Art. 8 lit. a Rom-III-VO vorrangige Rechtswahl des ausländischen Eherechts durch die Ehegatten nach Art. 5 Rom-III-VO kann bereits vor dem Inkrafttreten der Rom-III-VO erfolgt sein. Dass die Ehegatten zum Zeitpunkt der Bestimmung des ausländischen Rechtsregimes für die Eheschließung und Ehescheidung nicht die faktische Auswahlmöglichkeit eines anderen, insbesondere des deutschen Eherechts hatten, ändert bei der gebotenen Auslegung nach dem hypothetischen Willen der Ehegatten entsprechend den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§§ 242, 313 I BGB) nichts daran, dass – auch nach dem weiten Normzweck des Art. 5 Rom-III-VO – in der einvernehmlichen Vereinbarung von iranischen Ehescheidungsgründen zugunsten der Ehefrau in der Heiratsurkunde entsprechend den Art. 1133, 1134, 1138 des iranischen Zivilgesetzbuchs in der Fassung vom 25.1.2009 (Ruzname-e-rasmi Nr. 18651 vom 11. 3. 2009) und Art. 8 des iranischen Gesetzes zum Schutz der Familie vom 4.2.1975 (Ruzname-e-rasmi Nr. 8785 vom 3.3.1975) eine wirksame Rechtswahl des iranischen Scheidungsrechts liegen kann.

Der iranische Ehemann kann die iranische Ehefrau in der Heiratsurkunde wirksam gemäß den Art. 1133, 1134, 1138 des iranischen Zivilgesetzbuchs zu dem Ausspruch der Scheidungsformel „talaq“ an seiner Stelle bevollmächtigen. Die erforderliche Gegenwart zweier gerechter Männer bei dem Scheidungsausspruch kann in der Gerichtsverhandlung durch anwesende männliche Rechtsanwälte und Richter sichergestellt sein.

Lebt der Ehemann mit der Ehefrau in Deutschland für die Dauer von zumindest sechs Monaten zusammen von Leistungen nach SGB II, ohne der Ehefrau aus eigenen Mitteln „Unterhaltsgeld“ zu zahlen, liegt der Scheidungsgrund des Art. 8 Nr. 2 des iranischen Gesetzes zum Schutze der Familie vor, ohne dass die Ehefrau bei erkennbarer Leistungsunfähigkeit zunächst erfolglos versuchen müsste, den Ehemann durch ein gerichtliches Verfahren und einen Vollstreckungsversuch zur Unterhaltszahlung zu zwingen.

Der Scheidungsgrund nach Art. 8 Nr. 4 des iranischen Gesetzes zum Schutze der Familie (schlechtes Benehmen und Verhalten des Ehemanns gegenüber der Ehefrau, für die das Weiterführen des Ehelebens nicht mehr aushaltbar ist) kann im Falle hochstrittiger außergerichtlicher Auseinandersetzungen der Ehegatten vor der Trennung und einer Vielzahl darauf fußender familien- und strafgerichtlicher Verfahren auch ohne eine bereits rechtskräftige Verurteilung des Ehemanns wegen ihm vorgeworfener Straftaten gegen die Ehefrau trotz des Grundsatzes „In dubio pro reo“ festgestellt werden, wenn bei einer Gesamtwürdigung jedenfalls erhebliches Fehlverhalten des Ehemanns als maßgeblicher Grund für die Trennung und das Scheitern der Ehe vorliegt.

Ein Verstoß der gerichtlichen Entscheidung zur Ehescheidung nach ausländischem Recht gegen den deutschen ordre public (Art. 12 Rom-III-VO) oder das Verbot der Ungleichbehandlung (Art. 10 Rom-III-VO) liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die iranische Ehefrau nach beiden Rechtsordnungen unter zumutbaren Voraussetzungen die Ehescheidung beantragen kann. Dies ist vorliegend der Fall, weil sie auch nach deutschem Ehescheidungsrecht trotz noch nicht dreijähriger räumlicher Trennung wegen nachgewiesener einseitiger Zerrüttung der Ehe gemäß den §§ 1565 II, 1566 I, 1567 BGB die Ehescheidung beantragen kann.

Mehrfache persönliche Gespräche und Telefonate der Ehegatten zur Klärung der früheren Auseinandersetzungen auf Initiative des versöhnungswilligen Ehepartners ohne Wiederaufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft begründen weder eine „Absicht zur Rückkehr“ des scheidungswilligen Ehepartners im Sinne der Art. 1148, 1149 des iranischen Zivilgesetzbuchs noch einen über die Grenzen des § 1567 II BGB hinausgehenden Versöhnungsversuch.

Der Ausschluss des Versorgungsausgleichs als dem iranischen Eherecht fremde Scheidungsfolge mangels Antrags eines Beteiligten folgt nicht aus § 3 III VersAusglG, sondern aus Art. 17 III EGBGB, der trotz der Rom-III-VO insoweit als Kollisionsnorm anwendbar bleibt.

Rechtsnormen

BGB § 242; BGB § 313; BGB § 1565; BGB §§ 1565 ff.; BGB § 1567
EGBGB Art. 14; EGBGB Art. 17
EuEheVO 2201/2003 Art. 3
FamFG § 65
NiederlAbk D-Iran Art. 8
Rom III-VO 1259/2010 Art. 1; Rom III-VO 1259/2010 Art. 2; Rom III-VO 1259/2010 Art. 5; Rom III-VO 1259/2010 Art. 6; Rom III-VO 1259/2010 Art. 7; Rom III-VO 1259/2010 Art. 8; Rom III-VO 1259/2010 Art. 10; Rom III-VO 1259/2010 Art. 12; Rom III-VO 1259/2010 Art. 18; Rom III-VO 1259/2010 Art. 19; Rom III-VO 1259/2010 Art. 21
SchutzFamilieG 1975 (Iran) Art. 8
VersAusglG § 3
ZGB 1935 (Iran) Art. 1133 f.; ZGB 1935 (Iran) Art. 1134; ZGB 1935 (Iran) Art. 1138; ZGB 1935 (Iran) Art. 1148 f.
ZPO § 606a

Sachverhalt

Die ASt., gebürtige Iranerin und eingebürgerte Deutsche, und der AGg., iranischer Staatsbürger, heirateten 2009 in Karadj/Iran nach islamischem Recht. Sie haben eine Tochter. Die Heiratsurkunde enthält neben einer Vollmacht zugunsten der ASt., die ihr die Beantragung der Ehescheidung ermöglicht, verschiedene bei der Eheschließung vereinbarte Bedingungen für einen möglichen Scheidungsantrag durch die Ehefrau. Die Beteiligten leben seit 2011 getrennt. Die ASt. hatte urspr. das Härtefallscheidungsverfahren eingeleitet. Das FamG hat der ASt. seinerzeit VKH mit der Begründung versagt, ein Härtegrund sei nicht hinreichend vorgetragen. Auf Antrag der ASt. hat das AG – FamG – Essen in einem Gewaltschutzverfahren die Ehewohnung der ASt. zugewiesen und Kontaktverbote gegen den AGg. verhängt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hatte nur teilweise Erfolg. Zudem ist eine Vielzahl weiterer familiengerichtlicher Verfahren durchgeführt worden.

In dem vorliegenden Scheidungsverfahren hat die ASt. die Scheidung der Ehe der Beteiligten beantragt. Mit Beschluss hat das FamG die Ehe der Beteiligten geschieden und angeordnet, dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet. Mit seiner Beschwerde strebt der AGg. die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs und hilfsweise dessen inhaltliche Abänderung wegen des Nichtvorliegens der iranischen Scheidungsvoraussetzungen an.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Die Beschwerde des AGg. ist zulässig, aber unbegründet.

[2]A. ... C. In der Sache selbst hat die Beschwerde des AGg. indes keinen Erfolg.

[3]I. Internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für den Scheidungsantrag:

[4]1. Das AG und der Senat sind für die Entscheidung über den Ehescheidungsantrag der ASt. international zuständig. Dies stellt der Senat vorliegend trotz des § 65 IV FamFG ausdrücklich positiv fest. Soweit nach dieser Regelung an sich eine Beschwerde nicht darauf gestützt werden kann, dass das Gericht des ersten Rechtszugs seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen habe, gilt dieser Ausschluss der Zuständigkeitsprüfung entgegen dem weiten Wortlaut der Norm nämlich gerade nicht für die internationale Zuständigkeit. Angesichts der Komplexität der Materie, insbes. der Vielzahl der vorrangigen europäischen Vorschriften und staatsvertraglichen Bestimmungen, unterliegt die internationale Zuständigkeit vielmehr umfänglich der Prüfung des Beschwerdegerichts (vgl. Keidel-Sternal, FamFG, 17. Aufl., § 65 Rz. 18 m.w.N. zu der vergleichbaren revisionsrechtlichen Regelung).

[5]2. Das AG hat sich in der Begründung des angefochtenen Beschlusses ausdrücklich nur in einem Satz mit der Möglichkeit einer Entscheidung nach dem deutschen Verfahrensrecht befasst. Es ist jedoch stillschweigend und im Ergebnis zutreffend von der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die Entscheidung über den Scheidungsantrag der ASt. ausgegangen, obwohl ausweislich der Heiratsurkunde die Eheschließung vor einem Geistlichen in Anwendung religiösen (islamisch-schiitischen) Rechts vollzogen wurde.

[6]3. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für den Scheidungsantrag bei ausländischen Ehegatten, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und ihre Ehe in Anwendung ausländischen religiösen (hier: islamisch-schiitischen) Rechts geschlossen haben, ergibt sich nicht mehr aus § 606a I 1 Nr. 2 ZPO a.F. (vgl. hierzu noch BGH, Urt. vom 6.10.2004 – XII ZR 225/01 (IPRspr 2004-135), FamRZ 2004, 1952, juris Rz. 8 ff.), sondern aus Art. 3 lit. a der seit dem 1.3.2005 geltenden EuEheVO (vgl. zur Anwendbarkeit aktuell OLG Hamm, Beschl. vom 17.1.2013 – 4 UF 172/12 (IPRspr 2013-87), juris Rz. 22 ff.).

[7]4. Etwas anderes ergibt sich hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit auch nicht aus der Rom-III-VO, die seit dem 21.6.2012 in Deutschland gilt (vgl. OLG Hamm aaO Rz. 27). Art. 2 der Rom-III-VO bestimmt nämlich, dass diese Verordnung die Anwendung der EuEheVO unberührt lässt. Für die Frage der internationalen Zuständigkeit des FamG und des Senats ist es insoweit vorliegend anders als für die Frage des anzuwendenden materiellen Eherechts (siehe dazu unten III.) rechtlich unerheblich, dass die ASt. ihren Scheidungsantrag am 22.6.2012 – d.h. einen Tag nach dem Inkrafttreten der Rom-III-VO in Deutschland am 21.6.2012 – anhängig gemacht hat. Auf den Wegfall des § 606a ZPO mit dem Inkrafttreten des FamFG zum 1.9.2009 kommt es für die internationale Zuständigkeit ebenso nicht entscheidungserheblich an, denn er ist bereits zum 1.3.2005 durch die EuEheVO verdrängt worden.

[8]II. ... III. Hilfsantrag auf abändernde Zurückweisung des Scheidungsantrags: Anwendbares Scheidungsrecht:

[9]Der Hilfsantrag des AGg. auf abändernde Zurückweisung des Scheidungsantrags der ASt. ist unbegründet, denn das AG hat im Ergebnis zutreffend das materielle iranische Scheidungsrecht zugrunde gelegt und das Vorliegen der iranischen Scheidungsvoraussetzungen zu Recht bejaht.

[10]1. Das AG hat in der angefochtenen Entscheidung die Anwendung iranischen Scheidungsrechts allerdings rechtsfehlerhaft mit den Art. 17 I, 14 I Nr. 1 Alt. 2 EGBGB begründet; etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien vom 17.2. 1929 (RGBl. 1930 II 1002, 1006), weil dieses in Art. 8 III bestimme, dass die Angehörigen jedes Staats im Gebiet des anderen Staats den Vorschriften der heimischen Gesetze unterworfen blieben.

[11]2. Sowohl das AG als auch beide Beteiligten haben insoweit die am 21.6.2012 in Deutschland in Kraft getretene Rom-III-VO und ihre Auswirkungen auf das vorliegend anzuwendende Scheidungssachrecht verkannt. Neben vertraglichen Schuldverhältnissen, ungerechtfertigter Bereicherung und Deliktsrecht besteht damit nun auch eine EU-Verordnung bei der Trennung von Ehen bzw. bei der Ehescheidung. Die neue Verordnung dient der Bestimmung, welches nationale Recht bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt anzuwenden ist (vgl. Art. 1 I Rom-III-VO). Bisher galt hier das autonome deutsche IPR, also die Regelungen des deutschen EGBGB, dessen Kollisionsregelungen vorrangig auf das Recht nach der Staatsangehörigkeit der Beteiligten abstellen. Diese Regelungen werden nun für den Bereich der Ehescheidung von der Rom-III-VO abgelöst.

[12]Im vorliegenden Fall begründen folgende Gesichtspunkte die vorrangige und ausschließliche Anwendung der Rom-III-VO als Kollisionsregelungen für die Ehescheidung der Beteiligten:

[13]-- Die Rom-III-VO ist nach Art. 21 seit dem 21.6.2012 in Kraft getretenes, in Deutschland verbindliches und unmittelbar geltendes Recht.

[14]-- Sie gilt nach der Übergangsvorschrift des Art. 18 I für gerichtliche Verfahren, die ab dem 21.6.2012 eingeleitet worden sind. Das Scheidungsverfahren ist genau einen Tag später, am 22.6.2012, durch Anhängigkeit der Antragsschrift vom 20.6.2012 eingeleitet worden, sodass die Rom-III-VO vorliegend uneingeschränkt geltendes Recht ist. Dass die ASt. bereits zuvor vergeblich und ausschließlich im VKH-Stadium am 16.12.2011 das Härtefallscheidungsverfahren 106 F 341/11, AG – FamG – Essen, eingeleitet hatte, ist für das stichtagsbezogene Rechtsregime im vorliegenden, isoliert zu betrachtenden Verfahren rechtlich unerheblich.

[15]-- Da beide Beteiligten unstreitig während des ehelichen Zusammenlebens jedenfalls seit April 2011 ihren gewöhnlichen Aufenthalt bis zur Trennung sowie auch noch zum Zeitpunkt der Anrufung des FamG am 22.6.2012 in der Bundesrepublik Deutschland (Essen) gehabt haben, greift im Grundsatz Art. 8 lit. a Rom-III-VO mit der Möglichkeit einer verdrängenden Rechtswahl nach Art. 5.

[16]-- Art. 19 I Rom-III-VO führt insoweit nicht dazu, dass aufgrund von Art. 8 III des Niederlassungsabkommens vom 17.2.1929 i.V.m. dem Schlussprotokoll vom 4.11.1954 etwa vorrangiges, unberührt bleibendes Völkerrecht gälte. Anders als in dem vom OLG Hamm jüngst entschiedenen Fall (OLG Hamm aaO Rz. 30 und 32) besitzen vorliegend nämlich nicht beide Beteiligte ausschließlich die iranische Staatsangehörigkeit. Unabhängig von der streitigen Frage, ob die ASt. wirksam aus der iranischen Staatsangehörigkeit entlassen worden ist, hat sie nämlich jedenfalls auch kraft Einbürgerung seit der Aushändigung der Urkunde vom 23.2.2011 am 1.7.2011 die deutsche Staatsangehörigkeit (vgl. insoweit BGH, Urt. vom 15.1.1986 – IVb ZR 75/84 (IPRspr. 1986 Nr. 85), FamRZ 1986, 345 ff., juris Rz. 7).

[17]3. Im Ergebnis führt die demnach uneingeschränkte Geltung der Rom-III-VO vorliegend indes nicht zur Anwendung des deutschen, sondern weiterhin zur Anwendung des materiellen iranischen Scheidungsrechts. Zwar ist nach dem Grundsatz in Art. 8 lit. a der Rom-III-VO regelmäßig nicht mehr die Staatsangehörigkeit entscheidend, sondern der gewöhnliche Aufenthalt der Beteiligten zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts, und die Verordnung gilt auch unabhängig davon, ob sie auf die Rechtsordnung eines Mitgliedstaats der EU oder auf einen anderen Staat verweist. Es handelt sich um autonomes Kollisionsrecht der EU. Vorliegend haben die Beteiligten zwar während ihres ehelichen Zusammenlebens, ihrer Trennung und der Anrufung des AG ebenso wie im Beschwerdeverfahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland; sie haben in der Heiratsurkunde jedoch wirksam von der Möglichkeit einer Rechtswahl zugunsten des iranischen Scheidungsrechts Gebrauch gemacht. Neben den zwingenden gesetzlichen Regelungen ist es nämlich auch möglich, das anzuwendende Recht frei zu wählen, Art. 5 Rom-III-VO. Eine solche Rechtswahl ist grundsätzlich vorrangig vor der Regelung des Art. 8 Rom-III-VO. Insoweit liegt in dem Inhalt der Heiratsurkunde vom 14.4.2009 (‚Bei der Eheschließung vereinbarte Bedingungen ...’) aus den folgenden Gründen nach Auffassung des Senats eine für das vorliegende Scheidungsverfahren bindende Rechtswahl:

[18]-- Die Beteiligten hatten zum Zeitpunkt der Rechtswahl beide ausschließlich die iranische Staatsangehörigkeit (Art. 5 I lit. c Rom-III-VO).

[19]-- Die Vereinbarung ist in der Heiratsurkunde den Anforderungen des Art. 7 I Rom-III-VO entsprechend in Schriftform getroffen worden, und von beiden Ehegatten sind ausdrücklich die Bedingungen der Eheschließung zur Kenntnis genommen und unterschrieben worden ... Nach der Übergangsregelung in Art. 18 I Rom-III-VO ist unschädlich, dass die Vereinbarung bereits vor dem 21.6.2012 geschlossen worden ist.

[20]-- Die Rechtswahlvereinbarung kann nach Art. 5 II Rom-III-VO jederzeit, spätestens bei der Anrufung des Gerichts, also im Umkehrschluss auch schon zuvor bei der Eheschließung, getroffen werden.

[21]-- Die unter den Buchstaben A und B der Heiratsurkunde ‚bei der Eheschließung vereinbarten Bedingungen’ zu den Voraussetzungen, unter denen die ASt. als Ehefrau die Ehescheidung als Bevollmächtigte ihres Ehemanns, des AGg., beantragen kann, entsprechen inhaltlich sinngemäß, teils fast wörtlich, den Regelungen des iranischen Ehescheidungsrechts in den Art. 1133, 1134, 1138 iran. ZGB i.V.m. Art. 8 Nrn. 1. bis 14. iran. Gesetz zum Schutz der Familie. Da die Beteiligten eine Vollmacht des AGg. zugunsten der ASt. vereinbart haben, die dieser die Geltendmachung der Scheidung gerade in für das iranische Eherecht typischen Fallkonstellationen erlaubt, liegt in dem Inhalt der Heiratsurkunde ein deutliches Indiz für die Wahl des iranischen Scheidungsrechts im Sinne der Art. 5 I lit. a, 7 I Rom-III-VO.

[22]-- Die Scheidungsbedingungen, die ausweislich der Anhörung der Beteiligten und ihrer Vertreter vor dem Senat dem Inhalt einer Vielzahl anderer iranischer Heiratsurkunden ähneln, sind von diesen zusammen mit ihren jeweiligen Familien ausgehandelt und von beiden Beteiligten in deren Kenntnis unterschrieben worden.

[23]4. Der Senat verkennt nicht, dass nach dem Wortlaut eine Rechtswahl üblicherweise voraussetzt, dass für die Beteiligten tatsächlich zum Zeitpunkt der Vereinbarung mehrere mögliche Rechtsregime zur Auswahl zur Verfügung standen. Indes kann nach dem Normzweck des Art. 5 Rom-III-VO, der den beteiligten Ehegatten in jeder Phase der Entwicklung von der Eheschließung bis zur Beantragung der Ehescheidung (Abs. 2) und dem Abschluss des Scheidungsverfahrens (Abs. 3) die freie Entscheidung zugunsten eines ihnen – unter den Voraussetzungen des Art. 5 Rom-III-VO – genehmen Ehescheidungsrechts ermöglichen soll, nicht davon ausgegangen werden, dass diese Möglichkeit einschränkend nur dann ausgeübt werden kann, wenn zu diesem Zeitpunkt bereits mindestens zwei unterschiedliche anwendbare Rechtsregime tatsächlich zur Verfügung stehen.

[24]5. Im Übrigen geht der Senat davon aus, dass die Beteiligten nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 I BGB), die als Ausprägung von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB auch im Familienrecht greifen (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, 72. Aufl., § 313 Rz. 7), nach dem insoweit maßgeblichen hypothetischen Willen (vgl. BGH, Urt. vom 21.12.2005 – X ZR 108/03, FamRZ 2006, 473, juris Rz. 12) auch dann nicht die Geltung des deutschen Ehescheidungsrechts vereinbart hätten, wenn bei der Eheschließung bereits sicher geplant und umsetzbar gewesen wäre, dass die Beteiligten ihr Eheleben in Deutschland führen würden. Die Beteiligten haben bei ihrer Anhörung vor dem Senat bekundet, dass sie sich bei ihrer Eheschließung keine Gedanken über eine mögliche Anwendung des deutschen Scheidungsrechts gemacht haben. Für den AGg. ist ausweislich seiner Anhörung vor dem Senat jedoch durch die Wahl des iranischen Eheschließungsrechts stillschweigend implizit klar gewesen, dass auch eine etwaige Scheidung nach diesem Recht (und damit nicht nach deutschem Recht) erfolgen würde. Zwar ist der ASt. in der Heiratsurkunde das Recht zuerkannt worden, den Wohnort der Ehegatten zu bestimmen. Angesichts des bereits jahrelangen Aufenthalts der ASt. und ihrer Eltern in Deutschland mit lediglich jährlichen Urlauben im Iran sowie dem bei der Eheschließung bereits geplanten Rückflug nach Deutschland dürften insoweit beide Beteiligten davon ausgegangen sein, dass das Eheleben mittelfristig in Deutschland stattfinden sollte. Unter Berücksichtigung aller genannten Umstände vermag der Senat gleichwohl nicht davon auszugehen, dass die Beteiligten bei redlichem Verhalten deshalb bereits bei der Eheschließung das deutsche Eherecht vereinbart hätten, wenn sie daran gedacht hätten (vgl. zu diesem Maßstab für den hypothetischen Parteiwillen BGH aaO). Insbesondere der – für die ASt. erkennbar – in der islamischen Tradition verwurzelte AGg. hätte sich nicht mit der Vereinbarung der Anwendung deutschen Scheidungsrechts einverstanden erklärt, und zum Zeitpunkt der Eheschließung durfte dies angesichts der nach dem Scharia-Recht im Iran geschlossenen Ehe von ihm auch nicht redlicherweise erwartet werden. Für dieses Ergebnis spricht auch, dass es sich von der Familienkonstellation her um eine typische islamische Ehe handelt, in der die Ehegatten (entfernt) miteinander verwandt sind (hier ist der AGg. der Cousin der Mutter der ASt.) und die Familien bei dem Aushandeln der Ehe- und Scheidungsbedingungen mit beteiligt sind.

[25]6. Die nach alldem wirksame Rechtswahl zugunsten des iranischen Scheidungsrechts bei der Eheschließung konnte die ASt. nicht einseitig wirksam widerrufen, etwa durch die Einleitung des vorliegenden Scheidungsverfahrens unter Berufung auf die Scheidungsvoraussetzungen des deutschen Eherechts in ihrer Antragsschrift vom 20.6.2012. Art. 5 II und III Rom-III-VO sehen nämlich grundsätzlich nur einvernehmliche nachträgliche Änderungen der Rechtswahl (ggf. noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im Gerichtsverfahren) vor, und Art. 6 II Rom-III-VO erlaubt ein einseitiges Lösen von der Vereinbarung nur, wenn die Unzumutbarkeit der Beurteilung des Verhaltens eines der Ehegatten nach dem gewählten Recht damit begründet wird, man habe dieser Vereinbarung nach dem Recht des Staats nicht wirksam zugestimmt. Dies lässt sich aber nach dem Inhalt der Heiratsurkunde und dem Ergebnis der Anhörung der Beteiligten vor dem Senat gerade nicht feststellen.

[26]IV. Scheidungsvoraussetzungen:

[27]Entsprechend den insoweit zutreffenden Feststellungen des FamG liegen – auch nach dem Ergebnis der ergänzenden Anhörung der Beteiligten mithilfe des Dolmetschers vor dem Senat – die Scheidungsvoraussetzungen nach dem iranischen Recht vor.

[28]1. Die ASt. hat die Scheidungsformel ‚talaq’ (sinngemäß: ‚Ich verstoße Dich.’/‚Ich will geschieden werden.’) auf Deutsch bei der amtsgerichtlichen Anhörung vom 29.8.2012 in Gegenwart des AGg. und zweier gerechter Männer (des Rechtsanwalts des AGg. und des Amtsrichters) im Sinne der Art. 1133, 1134 iran. ZGB ausgesprochen. Ausweislich des Berichterstattervermerks hat die ASt. die Erklärung, dass sie geschieden werden wolle, zudem im Senatstermin vom 7.5.2013 vor den drei männlichen Senatsmitgliedern als gerechten Männern noch mehrfach in deutscher Sprache wiederholt und sie zusätzlich ausdrücklich in der iranisch-persischen Sprache dem AGg. gegenüber mit ‚Talaq’ bekräftigt.

[29]2. Soweit die Art. 1133, 1134 iran. ZGB den Ausspruch des ‚talaq’ an sich nur durch den Ehemann vorsehen, ist in der Heiratsurkunde vom 14.4.2009 der ASt. unter B) von dem AGg. unwiderruflich und wirksam im Sinne des Art. 1138 iran. ZGB die Vollmacht erteilt worden, sich in den nachfolgend in der Urkunde aufgeführten Fällen scheiden zu lassen, also selbst die Scheidungsformel auszusprechen bzw. vor Gericht die Scheidung zu beantragen. Hiervon hat sie mit dem schriftlichen Scheidungsantrag und ihren Erklärungen zu Protokoll der Verhandlungen vom 29.8.2012 und 7.5.2013 Gebrauch gemacht.

[30]3. Zudem liegen die in der Heiratsurkunde vertraglich vereinbarten Scheidungsgründe B) 1. – entspricht Art. 8 Nr. 2 iran. Gesetz zum Schutz der Familie – und B) 2. – entspricht Art. 8 Nr. 4 iran. Gesetz zum Schutz der Familie – vor:

[31]a) Der AGg. hat der ASt. während des Zusammenlebens zumindest sechs Monate lang ‚kein Unterhaltsgeld bezahlt’, ohne dass diese die Möglichkeit hatte, ihn dazu zu zwingen. Unstreitig haben die Beteiligten von April 2011 bis zur Trennung am 16.10.2011 mehr als sechs Monate in Deutschland als Eheleute gelebt ...

[32]b) Das AG ist des Weiteren zur Überzeugung des Senats zu Recht im Sinne der Regelung B) 2. der Heiratsurkunde auch ohne rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung des AGg. von derart schlechtem Benehmen und Verhalten gegenüber der ASt. ausgegangen, dass das Weiterführen des Ehelebens für sie nicht aushaltbar war bzw. die Wiederaufnahme nicht zumutbar ist. Dabei vermag der Senat im Ausgangspunkt nicht die Rechtsansicht des AGg. zu teilen, dass der Begriff des ‚nicht mehr aushaltbaren Zusammenlebens’ besonders eng ausgelegt werden müsse, weil die ASt. den AGg. in Kenntnis von dessen Verhalten bei sich in Deutschland aufgenommen habe und diese Gefahr daher sehenden Auges eingegangen sei. Dass die ASt. bei der Aufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft mit dem AGg. in Deutschland im April 2011 bereits sicher mit den sich in der Folgezeit ergebenden massiven Auseinandersetzungen gerechnet hat, kann der Senat dem schriftsätzlichen und mündlichen Vorbringen der ASt. in beiden Instanzen im Gegensatz zur Auffassung des AGg. nicht entnehmen ...

[33]4. Schließlich vermag der Senat in dem von dem AGg. geltend gemachten Versöhnungsversuch auch keine ‚Absicht zur Rückkehr’ der ASt. zu ihm zu erkennen, die diese als gemäß Art. 1138 iran. ZGB zum Scheidungsausspruch Bevollmächtigte spiegelbildlich hierzu durch Worte oder Handlungen im Sinne der Art. 1148, 1149 iran. ZGB erklärt haben könnte. Zwar hat der AGg. bei seiner Anhörung vor dem Senat bekundet, dass die Beteiligten in den vergangenen zwei Monaten zum Ausräumen der Missverständnisse aus der Vergangenheit viele persönliche Gespräche in Gegenwart der Mutter der ASt. und Telefonate geführt hätten sowie wechselseitig bekundet hätten, sich zu lieben. Die ASt. hat demgegenüber bei ihrer Anhörung durch den Senat glaubhaft bekundet, dass es in den letzten zwei Monaten zwar zu einer gewissen Beruhigung der Situation der Beteiligten mit vier bis fünf Treffen bei ihrer Mutter und mehreren Telefonaten sowie einem Nachdenken über eine mögliche Versöhnung v.a. wegen des gemeinsamen Kindes gekommen sei, sie jedoch nach wie vor Angst vor dem AGg. habe und noch immer von diesem geschieden werden wolle. Da es weder zu einer Wiederaufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft noch überhaupt zu einem alleinigen Treffen der Beteiligten oder einer gemeinsamen Übernachtung gekommen ist, kann der Senat keine Worte oder Handlungen der ASt. feststellen, aus denen sich auf eine auch nur ansatzweise verfestigte ‚Absicht zur Rückkehr’ schließen ließe. Vor diesem Hintergrund sieht der Senat auch keine Veranlassung, das Scheidungsverfahren entsprechend dem Antrag des AGg. bis zu einer weiteren Klärung der Situation auszusetzen.

[34]V. Verstoß gegen den ordre public (Art. 12 Rom-III-VO) oder das Verbot der Ungleichbehandlung (Art. 10 Rom-III-VO):

[35]Da der Senat nach beiden Rechtsordnungen – aus den nachfolgenden Gründen auch nach dem deutschen Scheidungsrecht – die Voraussetzungen für die von der ASt. beantragte Ehescheidung bejaht, stellt sich die Frage eines Verstoßes gegen den deutschen ordre public (Art. 12 Rom-III-VO) oder einer unzumutbaren Benachteiligung der Ehefrau (Art. 10 Rom-III-VO) im Ergebnis nicht. Nach deutschem Ehescheidungsrecht liegen die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe der Beteiligten ebenfalls vor, da die Ehe im Sinne des § 1565 I und 2 BGB gescheitert ist...

[36]VI. Versorgungsausgleich:

[37]Schließlich hat das FamG unabhängig von der Wahl des Rechtsregimes des Eherechts im Ergebnis zu Recht angeordnet, dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet.

[38]1. Zutreffend hat das AG im Rahmen des von ihm angewandten iranischen Eherechts von der Durchführung des Versorgungsausgleichs abgesehen, da das iranische Eherecht diesen nicht kennt und kein Ehegatte die Durchführung beantragt hat. Rechtsgrundlage hierfür ist allerdings entgegen der angefochtenen Entscheidung nicht § 3 III VersAusglG. Vielmehr greift vorliegend, da die Rom-III-VO keine Regelungen zum Versorgungsausgleich enthält, die Kollisionsnorm des Art. 17 III EGBGB, wonach unter den o.g. Voraussetzungen kein Versorgungsausgleich stattfindet.

Fundstellen

nur Leitsatz

FamRBint., 2013, 83, mit Anm. Hilbig-Lugani
FamRZ, 2013, 1486

LS und Gründe

NJOZ, 2013, 1524
IPRax, 2014, 349

Aufsatz

Helms, IPRax, 2014, 334 A

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https://iprspr.mpipriv.de/2013-93

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