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Verfahrensgang

OLG Düsseldorf, Beschl. vom 10.03.2015 – I-3 Wx 196/14, IPRspr 2015-135

Rechtsgebiete

Erbrecht → Erbrecht gesamt bis 2019

Leitsatz

Die der erbrechtlichen Verteilung unter Anwendung ausländischen Rechts (hier: italienischen Erbrechts) aufgrund des Erbstatuts grundsätzlich (zeitlich) vorgelagerte Frage, wie im Falle des Todes eines der Ehepartner der güterrechtliche Ausgleich erfolgen soll, beantwortet sich dahin, dass bei Anwendung ausländischen Rechts aufgrund des Erbstatuts daneben eine pauschale Erhöhung des Erbteils nach § 1371 BGB aufgrund deutschen Rechts nach dem Güterrechtsstatut in Betracht kommt (im Anschluss an OLG Schleswig, NJW 2014, 88 = IPRspr. 2013 Nr. 84).

Rechtsnormen

BGB § 1371; BGB § 2353
Cc 1942 (Italien) Art. 581
EGBGB Art. 14; EGBGB Art. 15; EGBGB Art. 25; EGBGB Art. 25 f.

Sachverhalt

Die Beteiligten zu 1) und 2) sind die Kinder des Erblassers mit seiner ersten – vorverstorbenen – Ehefrau. Die Beteiligte zu 3) ist seine zweite Ehefrau und Witwe. Der Erblasser, der die italienische Staatsangehörigkeit besaß, und die Beteiligte zu 3) errichteten 2001 ein gemeinsames Testament. Die Beteiligte zu 3) hatte zunächst einen Erbschein beantragt, der sie als Alleinerbin ausweist, hilfsweise einen gegenständlich beschränkten Erbschein bzgl. zweier Eigentumswohnungen in Mülheim. Nach Rücknahme dieser Erbscheinsanträge hat die Beteiligte zu 3) zuletzt beantragt, ihr einen Teilerbschein mit der Maßgabe zu erteilen, dass sie zu 7/12 Erbin ihres verstorbenen Mannes geworden sei. Durch Beschluss hat das AG den Antrag der Beteiligten zu 3) zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss hat die Beteiligte zu 3) Beschwerde eingelegt und hilfsweise den Antrag gestellt, ihr einen Teilerbschein gemäß § 2353 BGB mit der Maßgabe zu erteilen, dass sie zu 1/2 Erbin geworden sei. Das AG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. ... 1. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, soweit sie sich gegen die Zurückweisung des Hauptantrags richtet.

[2]Ein Teilerbschein, der sie zu 7/12 als Erbin des Erblassers ausweist, kann der Beteiligten zu 3) nicht erteilt werden.

[3]a) Das AG ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass sich das Erbstatut des Erblassers nach italienischem Recht richtet.

[4]Gemäß Art. 25 I EGBGB unterliegt die Rechtsfolge von Todes wegen dem Recht des Staats, dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes angehörte. Eine formwirksame Rechtswahl in Form einer Verfügung von Todes wegen hat nicht stattgefunden. Das gemeinschaftliche Testament der Eheleute vom 10.11.2001 ist demnach unwirksam, weil eine gegenseitige Erbeinsetzung in einem Testament nach italienischem Recht nicht zulässig ist.

[5]Nach italienischem Recht – Art. 581 Cc – haben Verwandte und der Ehegatte neben mehreren Kindern des Erblassers ein gesetzliches Erbrecht, welches vorsieht, dass dem Ehegatten neben einem Kind ein Erbteil von 1/2 und neben mehreren Kindern ein Erbteil von 1/3 zusteht.

[6]b) Das AG ist – in Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung der Beteiligten – zutreffend davon ausgegangen, dass sich das Güterrechtstatut des Erblassers nach deutschem Recht richtet.

[7]Nach Art. 15 I EGBGB unterliegen die güterrechtlichen Wirkungen der Ehe dem bei der Eheschließung für die allgemeinen Wirkungen der Ehe maßgebenden Recht. Weil die Eheleute weder für die Ehewirkungen noch für die güterrechtlichen Wirkungen der Ehe eine Rechtswahl getroffen haben und unterschiedlichen Staaten angehören, greift Art. 14 I Nr. 2 EGBGB ein. Danach unterliegen die allgemeinen Wirkungen der Ehe dem Recht des Staats, in dem beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben oder während der Ehe zuletzt hatten. Das ist hier Deutschland.

[8]c) Ob bei Anwendung ausländischen Rechts aufgrund des Erbstatuts daneben eine pauschale Erhöhung des Erbteils nach § 1371 BGB aufgrund deutschen Rechts nach dem Güterrechtsstatut in Frage kommt, ist in Lit. u. Rspr. umstritten.

[9]Es liegen unterschiedliche Entscheidungen verschiedener Oberlandesgerichte zu dieser Frage vor, die eine Einordnung des § 1371 BGB als güterrechtliche Norm, als erbrechtliche Norm oder als eine Norm mit Doppelqualifikation (güterrechtlich/erbrechtlich) vornehmen.

[10]Die wohl überwiegende Auffassung qualifiziert § 1371 BGB als rein güterrechtlicher Natur. So haben das OLG München (Beschl. vom 16.4.2012, NJW-RR 2012, 1096) (IPRspr 2012-150) und das OLG Schleswig (Beschl. vom 19.8.2013 = NJW 2014, 88) (IPRspr 2013-84) sowie zuletzt der 21. Zivilsenat des OLG Frankfurt (Beschl. vom 30.7.2014, 21 W 47/14 (IPRspr 2014-134) = BeckRS 2014, 19732, hier zit. n. juris sowie Beschl. vom 12.11.2013, 21 W 17/13 (IPRspr 2013-156) = BeckRS 2014, 13148) sich für die Möglichkeit einer Erhöhung der Erbquote ausgesprochen (vgl. in der Lit. auch: Palandt-Thorn, BGB, 73. Aufl., Art. 15 EGBGB Rz. 26; Staudinger-Mankowski, BGB, Neub. 2011, Art. 15 EGBGB Rz. 34, 37; Bamberger-Roth-Lorenz, BGB, Bd. 3 [2012], Art. 25, 56 und Ludwig, jurisPK-BGB, 2014, Art. 15 EGBGB Rz. 71, 75 m.w.N.).

[11]Demgegenüber haben das OLG Köln (Beschl. vom 5.8.2011, 2 Wx 115/11 (IPRspr 2011-144) = FamRZ 2012, 819 ff.), der 20. Zivilsenat des OLG Frankfurt (Beschl. vom 20.10. 2009, 20 W 80/07 (IPRspr 2009-124) = FamRZ 2010, 767 ff.) und das OLG Stuttgart (Beschl. vom 8.3.2005, 8 W 96/04 (IPRspr 2005-79) = NJW-RR 2005, 740) die Anwendbarkeit des § 1371 I BGB mit der Folge einer Erhöhung des ausländischen gesetzlichen Erbteils verneint.

[12]Der Senat (Beschl. vom 19.12.2008, 3 Wx 51/08 (IPRspr 2008-90) = NJW-RR 2009, 732) hat in seiner letzten diese Frage betreffenden Entscheidung – dort bei Kollision mit iranischem Erbrecht – offengelassen, ob er an seiner bisherigen Auffassung, dass keine Erhöhung möglich sei, uneingeschränkt festhält.

[13]Der BGH hat diese Frage in seiner Entscheidung vom 12.9.2012 (NJW-RR 2013, 201) (IPRspr 2012-156) ausdrücklich offengelassen. In dem beim BGH anhängigen Verfahren über die Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung des OLG Frankfurt vom 30.7.2014 (aaO) – IV ZB 30/14 – ist eine Entscheidung [nunmehr am 13.5.2015] ergangen (IPRspr 2015-140).

[14]d) Überzeugend erscheint dem Senat die h.M., die in § 1371 BGB eine güterrechtliche Regelung sieht. Die Norm regelt die der erbrechtlichen Verteilung grundsätzlich (zeitlich) vorgelagerte Frage, wie im Falle des Todes einer der Ehepartner der güterrechtliche Ausgleich erfolgen soll. Es geht dort also nicht um einen Modus der Verteilung des Nachlasses, sondern um die davon abweichende, zuvor zu klärende güterrechtliche Frage, wie der überlebende Ehegatte an dem während der Ehe erfolgten Vermögenszuwachs zu beteiligen ist. Mithin spricht neben der Stellung der Norm im Gesetz (im Titel: Eheliches Güterrecht) auch gerade der Sinn und Zweck der Vorschrift für eine güterrechtliche Qualifikation (vgl. zur Problematik sehr ausführlich OLG Schleswig aaO, Heinig, DNotZ 2014, 251 und Mankowski aaO sowie in: ZEV 2014, 121).

[15]Auch bei der Auslegung der VO (EU Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zu Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses vom 4.7.21012 (ABl. Nr. L 201/107; EuErbVO) zeichnet sich eine Tendenz für eine güterrechtliche Qualifikation ab (vgl. OLG Schleswig aaO u. Hinw. auf Simon/Buschbaum, Die neue EU-Erbrechtsverordnung: NJW 2012, 2393; so auch Kunz, GPR 2012, 253 ff.).

[16]e) Wenn aber § 1371 BGB als güterrechtliche Norm zu qualifizieren ist und das Güterrecht Priorität vor dem Erbstatut hat, weil nur zur erbrechtlichen Verteilung kommen kann, was nach der güterrechtlichen Auseinandersetzung noch für den Nachlass übrig ist, hat die Norm auch dann Anwendung zu finden, wenn ausländisches Erbstatut zur Geltung kommt (vgl. OLG Schleswig aaO; Staudinger-Dörner aaO Art. 25 Rz. 34 und in Anm. zu OLG Stuttgart aaO).

[17]f) Soweit das OLG Stuttgart trotz Einordnung des § 1371 BGB als güterrechtliche Norm eine Anwendung nur für gerechtfertigt hält (OLG Stuttgart aaO), wenn das ausländische Erbrecht eine dem § 1371 BGB entspr. Erbquote nicht kennt, und das OLG Köln (Beschl. vom 5.8.2011 aaO) u. Hinw. auf die Entscheidung des OLG Stuttgart meint, dass die durch das ausländische Recht ermittelte Erbquote abschließend festgelegt und nicht durch § 1371 BGB erhöht werden dürfe, wird bei dieser Argumentation nicht berücksichtigt, dass ein Widerspruch des ausländischen Erbrechts zu § 1371 BGB nicht besteht, weil die Norm nur einen rechtstechnischen Weg beschreitet, um ein anderes, nicht erbrechtliches Ziel zu erreichen (vgl. OLG Schleswig aaO).

[18]g) Die Anwendbarkeit des § 1371 BGB bei der Geltung italienischen Erbrechts scheitert schließlich auch nicht an der Frage der sog. Substitution.

[19]Im Rahmen des Tatbestands von § 1371 I BGB ist festzustellen, ob der gesetzliche Erbteil im Sinne der Norm auch ein solcher nach ausländischem Recht sein kann. Das ist dann der Fall, wenn der ausländische Erbteil nur eine Beteiligung des Ehegatten aus Anlass des Erbfalls, nicht jedoch darüber hinaus auch einen güterrechtlichen Ausgleich bewirken soll (vgl. zur Substitution z.B. Staudinger-Mankowski aaO; OLG Schleswig aaO m.w.N.; Heinig aaO m.w.N.).

[20]Die Höhe der dem Ehegatten nach italienischem Recht zustehenden Erbquote hängt – allein – von der Anzahl der Kinder ab. Sie bezweckt mithin keinerlei Abgeltung irgendwelcher güterrechtlicher Ansprüche. Es besteht daher auch insoweit kein Hinderungsgrund, der der Anwendung des § 1371 I BGB entgegenstehen könnte.

[21]2.

[22]Demgegenüber hat der Hilfsantrag der Beteiligten zu 3) in der Sache Erfolg.

[23]Das AG hat den Hauptantrag – zu Recht – abgelehnt, weil die schlichte Kombination italienischen Erbrechts mit § 1371 BGB dazu führen würde, dass der Ehegatte einen Erbteil von 7/12 – und damit mehr als nach jeder Rechtsordnung für sich betrachtet – bekäme.

[24]Da von der Anwendbarkeit des § 1371 BGB auch bei Zusammentreffen mit italienischem Erbstatut auszugehen ist, weil die italienischen Erbrechtsregelungen des Ehegattenerbrechts keine Abgeltung güterrechtlicher Ansprüche beinhaltet, kann dies zu unbilligen Ergebnissen dergestalt führen, dass der überlebende Ehegatte bei Anwendbarkeit beider Regelungen mehr erhält als jedes der beiden Rechte – isoliert betrachtet – ihm gewähren würde (Staudinger-Mankowski aaO Rz. 376, 378). Zur Vermeidung solcher unbilliger Ergebnisse aus einer solchen kombinierten Anwendung der Art. 15 und Art. 25 f. EGBGB (Normenhäufung) hat deshalb eine Gesetzeskorrektur im Wege der Anpassung dahin zu erfolgen, dass der überlebende Ehegatte nicht mehr erhalten darf, als er bei Anwendung des für den ihn günstigeren Rechts erhielte (Staudinger-Mankowski aaO, Rz. 381; Erman-Hohloch, BGB, 14. Aufl. [2014], Art. 15 Rz. 37; OLG Schleswig aaO; Palandt-Thorn aaO).

[25]Nur durch die Anwendung des § 1371 BGB und die anschließende Anpassung kann gewährleistet werden, dass den Parteien durch Verweisung auf einen – nicht näher bestimmten – schuldrechtlichen Ausgleich nicht ‚Steine statt Brot’ (Staudinger-Dörner aaO und OLG Schleswig aaO) gegeben werden.

[26]Daher hat der im Rahmen der Beschwerde gestellte Hilfsantrag Erfolg.

Fundstellen

LS und Gründe

FamRZ, 2015, 1237, mit Anm. Dutta
IPRax, 2016, 382, mit Anm. Looschelders

nur Leitsatz

NZFam, 2015, 576, mit Anm. Schäuble
ZEV, 2015, 305

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2015-135

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