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Verfahrensgang

OLG Frankfurt/Main, Beschl. vom 30.07.2014 – 21 W 47/14, IPRspr 2014-134

Rechtsgebiete

Erbrecht → Erbrecht gesamt bis 2019
Ehe und andere familienrechtliche Lebens- und Risikogemeinschaften → Güterrecht

Leitsatz

Bei der Anwendung ausländischen (hier: griechischen) Rechts gemäß Erbstatut kommt daneben nach deutschem Recht als Güterrechtsstatut eine Erhöhung des Erbteils nach dem – güterrechtlich zu qualifizierenden – § 1371 BGB in Frage. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

2915/2001 ZGB (Griechenland) Art. 1397; 2915/2001 ZGB (Griechenland) Art. 1400; 2915/2001 ZGB (Griechenland) Art. 1401; 2915/2001 ZGB (Griechenland) Art. 1439; 2915/2001 ZGB (Griechenland) Art. 1441; 2915/2001 ZGB (Griechenland) Art. 1813; 2915/2001 ZGB (Griechenland) Art. 1820; 2915/2001 ZGB (Griechenland) Art. 1822
BGB § 1371
EGBGB Art. 14; EGBGB Art. 15; EGBGB Art. 17; EGBGB Art. 25
FamFG § 63
Rom III-VO 1259/2010 Art. 18

Sachverhalt

[Der nachgehende Beschluss des BGH – IV ZB 30/14 – wird voraussichtlich im Band IPRspr. 2015 abgedruckt werden.]


Der Beteiligte zu 1) ist der Sohn, der Beteiligte zu 2) der Ehemann der 2013 verstorbenen Erblasserin. Die Erblasserin und der Beteiligte zu 2) sind griechische Staatsangehörige und haben in Griechenland geheiratet. Sie lebten seit vielen Jahren in Deutschland. Zwischen der Erblasserin und dem Beteiligten zu 2) waren seit dem Jahr 2007 ein Scheidungsverfahren sowie die Folgesachen Zugewinn- und Versorgungsausgleich anhängig. In dem güterrechtlichen Verfahren hatte das FamG mit Zwischenurteil entschieden, dass auf die Ansprüche des Beteiligten zu 2) und der Erblasserin aus dem ehelichen Güterrecht deutsches Recht Anwendung findet, da die Parteien in der notariellen Urkunde im Zusammenhang mit dem Erwerb zweier Eigentumswohnungen für die güterrechtlichen Wirkungen der Ehe deutsches Recht gewählt hatten. Das NachlG hat mit Beschluss die zur Erteilung des von dem Beteiligten zu 1) beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen als festgestellt erachtet. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass eine Erhöhung der Erbquote gemäß § 1371 I BGB nicht in Betracht komme, da dem griechischen Recht eine Regelung über den Zugewinnausgleich fremd sei.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Beteiligten zu 2).

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Die Beschwerde ist zulässig und insbes. fristgerecht innerhalb eines Monats nach Zustellung bei Gericht eingegangen (§ 63 FamFG).

[2]Sie hat auch in der Sache Erfolg ...

[3]Dem Beteiligten zu 2) steht nach dem auf den Erbfall anwendbaren griechischen Recht als Ehemann der Erblasserin ein Erbanteil gemäß Art. 1820 griech. ZGB von einem Viertel zu. Darüber hinaus erhält er aufgrund des gemäß deutschen Güterrechtsstatuts anwendbaren § 1371 I BGB einen pauschalierten Zugewinnausgleich i.H.v. einem weiteren Viertel der Erbschaft, um den sich sein gesetzlicher Erbteil erhöht.

[4]Das AG ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass hinsichtlich des Erbfalls griechisches Recht anwendbar ist, da die Erblasserin griechische Staatsangehörige war (Art. 25 EGBGB).

[5]Nach Art. 1813 griech. ZGB sind als gesetzliche Erben der ersten Ordnung die Abkömmlinge des Erblassers berufen. Kinder erben zu gleichen Teilen. Der überlebende Ehegatte ist gemäß Art. 1820 griech. ZGB neben Verwandten der ersten Ordnung zu einem Viertel als gesetzlicher Erbe berufen.

[6]Das gesetzliche Erbrecht des Beteiligten zu 2) ist nicht durch das zwischen ihm und der Erblasserin bis zu deren Tod noch anhängig gewesene Scheidungsverfahren ausgeschlossen. Da das gesetzliche Erbrecht nach griechischem Recht zu beurteilen ist, ist – worauf auch das NachlG zutreffend in seinem Einziehungsbeschluss vom 18.12.2013 hingewiesen hat – auch der Ausschluss des Ehegattenerbrechts nach griechischem Recht zu beurteilen, da dieses an das Erbstatut anknüpft (Art. 25 EGBGB). Nach Art. 1822 griech. ZGB ist das Erbrecht des überlebenden Ehegatten ausgeschlossen, wenn der Erblasser eine – begründete – Scheidungsklage (Art. 1439 griech. ZGB) erhoben hat. Entsprechendes gilt, wenn die Ehegatten einen gemeinschaftlichen Antrag auf Scheidung gestellt und die erforderliche Einwilligungserklärung vor dem Gericht abgegeben haben (Art. 1441 griech. ZGB in der bis zum 11.3.2012 g.F.; Art. 1441 griech ZGB n.F. sieht nunmehr eine einvernehmliche Ehescheidung vor, die eine schriftliche Vereinbarung der Ehegatten voraussetzt, die von dem Gericht bestätigt wird; vgl. Ferid-Firsching-Dörner-Hausmann, Internationales Erbrecht, Griechenland [Stand: 1.3.2002], Grdz. E Rz. 64 und N. 2). Das Vorliegen der entsprechenden materiellen Scheidungsvoraussetzungen beurteilt sich dabei ebenfalls nach griechischem Recht. Nach dem gemäß Art. 18 I Rom-III-VO hier noch anwendbaren Art. 17 I EGBGB unterliegt die Scheidung dem Recht, das im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags für die allgemeinen Wirkungen der Ehe maßgebend ist. Dies ist gemäß Art. 14 I Nr. 1 EGBGB das Recht des Staats, dem beide Ehegatten angehören, und damit vorliegend griechisches Recht. Vorliegend sind die Voraussetzungen des Art. 1822 griech. ZGB nicht gegeben, da die Erblasserin ihren Scheidungsantrag zurückgenommen hatte und eine Einwilligungserklärung nicht abgegeben wurde. Zwar mögen sich die Erblasserin und der Beteiligte zu 2) bereits über die wesentlichen Punkte der Scheidung und insbesondere des Zugewinnausgleichs einig gewesen seien. Zu dieser Einigung ist es letztlich aber nicht mehr gekommen. Der Ausschluss des Ehegattenerbrechts ist nach griechischem Recht – wie auch nach deutschem Recht – an das Vorliegen entspr. verbindlicher prozessualer Erklärungen gebunden. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Eine erweiterte Auslegung der gesetzlichen Vorschriften über den Ausschluss des Ehegattenerbrechts dahingehend, dass bereits eine beabsichtigte Zustimmung bzw. Einwilligung ausreichend sein könnte, kommt nicht in Betracht. Einer solchen Auslegung steht bereits das Interesse der Rechtssicherheit bei der Feststellung des Erbrechts entgegen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Erblasserin im Laufe des Verfahrens ihre Einstellung zu dem Scheidungsverfahren – wie durch die Rücknahme des Scheidungsantrags zum Ausdruck gekommen – jedenfalls zwischenzeitlich bereits einmal gewechselt hatte. Es erscheint daher bedenklich, eine angekündigte Vergleichsbereitschaft, mag sich diese auch schon weitestgehend konkretisiert haben, als ausreichend für den daran anknüpfenden Ausschluss des Ehegattenerbrechts anzusehen.

[7]Der Beteiligte zu 2) ist daher zunächst nach griechischem Erbrecht gesetzlicher Erbe zu einem Viertel geworden.

[8]Daneben ist die Erhöhung des gesetzlichen Erbteils um ein weiteres Viertel gemäß § 1371 I BGB zu berücksichtigen, da der Beteiligte zu 2) mit der Erblasserin im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft nach deutschem Recht gelebt hat.

[9]Nach Art. 15 I EGBGB folgt das Güterrechtsstatut grundsätzlich dem Ehewirkungsstatut gemäß Art. 14 EGBGB. Dies würde vorliegend zur Anwendung griechischen Rechts führen (s.o.). Nach Art. 15 II EGBGB ist jedoch eine Rechtswahl zulässig. Vorliegend haben die Eheleute in der notariellen Vereinbarung vom 6.11.2003 hinsichtlich der güterrechtlichen Wirkungen der Ehe deutsches Recht gewählt. Da dies dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts nach Art. 15 II Nr. 2 EGBGB entspricht, war diese Rechtswahl zulässig. Bedenken an der Wirksamkeit der Rechtswahl im Übrigen bestehen nicht. Insbesondere stehen etwaige mangelnde Sprachkenntnisse der Erblasserin der Wirksamkeit der in der notariellen Urkunde erklärten Rechtswahl nicht entgegen. Die Wirksamkeit einer Urkunde wird auch dann nicht berührt, wenn der Notar etwa irrtümlich nicht erkennt, dass ein Beteiligter der deutschen Sprache nicht hinreichend kundig ist (OLG Köln, VersR 2000, 243 Rz. 25 nach juris). Die in dem güterrechtlichen Verfahren mit Schriftsatz vom 21.8.2009 erklärte Anfechtung der Erklärung war jedenfalls verfristet, da der Beteiligte zu 2) bereits mit Schriftsatz vom 20.7.2008 den notariellen Kaufvertrag vorgelegt und auf die Rechtswahl hingewiesen hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird im Übrigen auf die Begründung des Zwischenurteils in dem güterrechtlichen Verfahren vom 4.12.2009 Bezug genommen.

[10]Ob bei Anwendung ausländischen Rechts aufgrund des Erbstatuts daneben eine Erhöhung des Erbteils nach § 1371 BGB aufgrund deutschen Rechts nach dem Güterrechtsstatut in Frage kommt, ist in Lit. u. Rspr. weiterhin umstritten. Es liegen abweichende Entscheidungen verschiedener OLG zu dieser Frage vor. Der BGH hat diese Frage in seiner Entscheidung vom 12.9.2012 (NJW-RR 2013, 201) (IPRspr 2012-156) ausdrücklich offengelassen. Zuletzt haben sich das OLG München mit Beschluss vom 16.4.2012 (NJW-RR 2012,1096) (IPRspr 2012-150) und das Schleswig-Holsteinische OLG mit Beschluss vom 19.8.2013 (FamRZ 2014, 52) (IPRspr 2013-84) für die Möglichkeit einer Erhöhung der Erbquote ausgesprochen. Das OLG Köln (vgl. Beschl. vom 5.8.2011, FamRZ 2012, 819 (IPRspr 2011-144)) und das OLG Frankfurt/Main (vgl. Beschl. vom 20.10.2009, FamRZ 2010, 767 (IPRspr 2009-124)) verneinen diese Möglichkeit. Das OLG Düsseldorf hatte in einem Beschluss vom 19.12.2008 (ErbR 2009, 163) (IPRspr 2008-90) offengelassen, ob es an seiner bisherigen Auffassung, dass keine Erhöhung möglich sei, festhalten werde.

[11]Der Senat hat mit Beschluss vom 12.11.2013 entschieden, dass bei Zusammentreffen von deutschem Güterrechtsstatut und griechischem Erbstatut der pauschalierte Zugewinnausgleich nach § 1371 I BGB Anwendung findet (21 W 17/13 (IPRspr 2013-156), Rz. 16 nach juris). Denn eine Erhöhung der Erbquote des überlebenden Ehegatten bei Anwendbarkeit ausländischen Erbrechts neben deutschem Güterrecht ist jedenfalls dann zulässig, wenn das ausländische Erbrecht mit der gesetzlichen Erbquote keinen güterrechtlichen Ausgleich bewirken will (Senat aaO; Schleswig-Holsteinisches OLG aaO; OLG München aaO, MünchKomm-Siehr, 5. Aufl., Art. 15 EGBGB Rz. 117; Palandt-Thorn, BGB, 73. Aufl., Art. 15 EGBGB Rz. 26).

[12]Geht man mit der überwiegenden Auffassung davon aus, dass § 1371 BGB güterrechtlich zu qualifizieren ist, da dieser die Regelung eines pauschalierten Zugewinnausgleichs enthalte, ist nicht ersichtlich, warum diese Regelung bei einem Erbfall, der nach ausländischem Recht zu beurteilen ist, keine Anwendung finden sollte. § 1371 I BGB regelt die der erbrechtlichen Verteilung grundsätzlich zeitlich vorgelagerte Frage, wie im Todesfall eines der Ehepartner der güterrechtliche Ausgleich erfolgen soll. Das deutsche Recht hat sich für die Durchführung dieses güterrechtlichen Ausgleichs für eine Lösung durch pauschale Erhöhung des Erbteils entschieden. Dies ändert nichts daran, dass es sich um eine güterrechtliche Regelung handelt. Wenn § 1371 I BGB aber güterrechtlich zu qualifizieren ist, so ist nicht ersichtlich, wieso bei Geltung deutschen Güterrechtsstatuts eine Anwendung neben dem ausländischen Erbstatut ausgeschlossen sein soll (Senat aaO Rz. 17; Schleswig-Holsteinisches OLG aaO).

[13]Das griechische Erbrecht sieht ebenso wie das deutsche Erbrecht eine Erbquote des überlebenden Ehegatten neben Abkömmlingen der 1. Ordnung i.H.v. einem Viertel vor. Das griechische Güterrecht sieht als gesetzlichen Güterstand Gütertrennung vor (Art. 1397 griech. ZGB). Es gibt zwar auch einen Zugewinnausgleich bei Scheidung (Art. 1400 griech. ZGB), nicht aber im Todesfall (Art. 1401 griech. ZGB). Das griechische Recht sieht daher güterrechtliche Ansprüche im Todesfall schon nicht vor, so dass auch eine Abgeltung solcher Ansprüche mit der gesetzlichen Erbquote nicht angenommen werden kann. In diesen Fällen bestehen dann aber auch keine Bedenken gegen die Anwendbarkeit von § 1371 I BGB aufgrund des deutschen Güterrechtsstatuts (Senat aaO Rz. 20; Schleswig-Holsteinisches OLG aaO; MünchKomm-Siehr aaO).

[14]Angesichts der dem deutschen Recht entsprechenden gesetzlichen Erbquote des überlebenden Ehegatten nach griechischem Recht stellt sich vorliegend auch nicht die bei Anwendung anderer ausländischer Rechtsordnungen mit höheren Erbquoten entstehende Frage der etwaigen Erforderlichkeit einer Anpassung der Erbquoten (vgl. Schleswig-Holsteinisches OLG aaO z. österr. Erbrecht; OLG Frankfurt aaO z. schwed. Erbrecht).

Fundstellen

LS und Gründe

ZEV, 2015, 158

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2014-134

Lizenz

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