Der pauschale Zugewinnausgleich nach § 1371 I BGB ist im Sinne der Art. 15, 25 EGBGB rein güterrechtlich zu qualifizieren.
[Der vorgehende Beschluss des OLG Frankfurt/Main vom 30.7.2014 – 21 W 47/14 – wurde bereits im Band IPRspr. 2014 unter der Nr. 134 abgedruckt.]
Die Erblasserin war griechische Staatsangehörige und verstarb 2013 in Frankfurt/Main. Sie hinterließ keine letztwillige Verfügung. Sohn [Beteiligter zu 1)] und Ehemann [Beteiligter zu 2)] der Erblasserin streiten um das Erbrecht des Beteiligten zu 2). Die Erblasserin und der Beteiligte zu 2), ebenfalls griech. Staatsangehöriger, hatten 1983 in Griechenland die Ehe geschlossen. 2003 kauften sie zwei Eigentumswohnungen. Die notarielle Kaufvertragsurkunde enthält zu Beginn die Erklärung der Eheleute, dass sie für die güterrechtlichen Wirkungen ihrer Ehe ‚mit sofortiger Wirkung den gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft des deutschen Rechts’ wählen. 2007 stellte die Erblasserin beim AG – FamG – Scheidungsantrag, dem der Beteiligte zu 2) zustimmte. Später beantragte der Beteiligte zu 2) selbst die Scheidung, während die Erblasserin gegenüber dem FamG die Rücknahme ihres Antrags erklärte. 2009 stellte das FamG fest, dass für den güterrechtlichen Ausgleich unter den Eheleuten deutsches Recht Anwendung finde. Das Scheidungsverfahren wurde bis zum Tod der Erblasserin nicht abgeschlossen. 2014 hat der Beteiligte zu 1) beim NachlG die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der ihn als Miterben zu 3/4 und den Beteiligten zu 2) als Miterben zu 1/4 des im Inland belegenen Nachlasses der Erblasserin nach griechischem Recht ausweist. Das NachlG hat die für die Erteilung des begehrten Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Das BeschwG hat demgegenüber den Erbscheinsantrag zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom OLG zugelassene Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1), mit der er seinen Erbscheinsantrag weiterverfolgt.
[8] II. ... 2. Das hält der rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand. Dem Beteiligten zu 1) ist der von ihm begehrte Erbschein nicht zu erteilen.
[9] a) Soweit der Beteiligte zu 1) rügt, das BeschwG sei seiner Pflicht zur Ermittlung der Erbausschlussgründe nach griechischem Recht nicht hinreichend nachgekommen, kann dahinstehen, ob das zutrifft.
[10] Richtig ist allerdings, dass aufgrund der Verweisung des Art. 25 I EGBGB, die das griechische Kollisionsrecht gemäß Art. 28 des ZGB i.d.F. des Gesetzes Nr. 2915 vom 29.5.2001 annimmt, für die Rechtsnachfolge nach der Erblasserin griechisches Recht maßgeblich ist. Zutreffend ist auch, dass der Tatrichter den Inhalt des zur Anwendung berufenen ausländischen Rechts von Amts wegen zu ermitteln hat (vgl. BGH, Beschl. vom 30.4.2013 – VII ZB 22/12 (IPRspr. 2013 Nr. 286), WM 2013, 1225 Rz. 39; Keidel-Engelhardt-Sternal, FamFG, 18. Aufl., § 26 Rz. 26; Prütting in Prütting-Helms, FamFG, 3. Aufl., § 26 Rz. 18) ...
[12] b) Geht man – zugunsten der Rechtsbeschwerde – von einer Erbberechtigung des Beteiligten zu 2) nach griechischem Recht aus, so findet auch die gesetzliche Erbteilerhöhung gemäß § 1371 I BGB statt. Das BeschwG ist rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass die Erblasserin und der Beteiligte zu 2) für die güterrechtlichen Wirkungen ihrer Ehe unbeschränkt [hierzu aa)] und wirksam [hierzu bb)] das deutsche Recht gewählt haben. Die Maßgeblichkeit deutschen Rechts als Güterstatut führt zur Anwendbarkeit von § 1371 I BGB [hierzu cc)], dessen tatbestandliche Voraussetzungen nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des BeschwG hier erfüllt sind [hierzu dd)].
[13] aa) Soweit die Rechtsbeschwerde beanstandet, dass das BeschwG die im notariellen Kaufvertrag vom 6.11.2003 enthaltene Güterrechtswahl als umfassende Rechtswahl ausgelegt hat, ist damit kein beachtlicher Rechtsfehler dargetan.
[14] Die tatrichterliche Auslegung einer Individualvereinbarung ist vom Rechtsbeschwerdegericht nur daraufhin zu überprüfen, ob Verstöße gegen gesetzliche Auslegungsregeln, Verfahrensvorschriften, anerkannte Denkgesetze oder Erfahrungssätze vorliegen und sich der Tatrichter mit dem Verfahrensstoff umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat (st. Rspr., vgl. BGH, Beschl. vom 6.11.2013 – XII ZB 434/12, NJW 2014, 294 Rz. 19; Urt. vom 13.1.2011 – III ZR 87/10, BGHZ 188, 71 Rz. 14). Solche Rechtsfehler sind nicht ersichtlich und werden auch von der Rechtsbeschwerde nicht aufgezeigt.
[15] Bei der Rüge, dass die Rechtswahl nach Sinn und Zweck des Beurkundungsvorgangs als lediglich auf das unbewegliche Vermögen beschränkt anzusehen sei, handelt es sich um die bloße Mitteilung des eigenen Auslegungsergebnisses des Beteiligten zu 1), ohne dass sich daraus ein Rechtsverstoß des BeschwG ablesen ließe.
[16] bb) Ebenso bestehen keine Bedenken dagegen, dass das BeschwG die getroffene Rechtswahl als wirksam angesehen hat.
[17] Die Ausführungen der Rechtsbeschwerde zu den Grenzen der Rechtskraftwirkungen des in der Verbundsache Zugewinn ergangenen ZU des FamG gehen ins Leere, da sich das BeschwG an dessen Ergebnis nicht gebunden gesehen, sondern lediglich ‚zur Vermeidung von Wiederholungen’ auf dessen Begründung Bezug genommen hat.
[18] Der Einwand, dass die notarielle Beurkundung der Rechtswahl gemeinsam mit einem Vertrag zwischen den Eheleuten und einer dritten Person nicht der mit den Art. 15 III, 14 IV 1 EGBGB bezweckten Schutzfunktion gerecht werde, verfängt ebenso nicht. Der Gesetzgeber sah das besondere Formerfordernis aus Gründen der Rechtsklarheit und im Hinblick auf die unerlässliche Beratung der Eheleute vor (so die Regierungsbegründung zu Art. 14 V EGBGB: BT-Drucks. 10/504 S. 57). Dass die Aufnahme der Rechtswahl in eine Kaufvertragsurkunde die Rechtsklarheit gefährden würde, ist nicht erkennbar. Auch gilt die Belehrungspflicht des Notars nach § 17 I 1 BeurkG unabhängig davon, ob er die Rechtswahl isoliert oder gemeinsam mit anderen Erklärungen der Eheleute oder auch eines Dritten beurkundet. Der durch die besondere Formvorschrift vermittelte Schutz der Eheleute erfuhr allein dadurch, dass der Verkäufer der Eigentumswohnungen aufgrund der gemeinsamen Beurkundungsverhandlung von der Güterrechtswahl der Eheleute erfuhr, keine Einschränkung.
[19] cc) Ist deutsches Recht danach Güterstatut, so ist der Anwendungsbereich von § 1371 I BGB unabhängig vom einschlägigen Erbstatut eröffnet.
[20] (1) Die Anwendbarkeit der Vorschrift hängt in Sachverhalten mit Auslandsberührung von ihrer kollisionsrechtlichen Qualifikation ab, die seit jeher umstritten ist. Während sich früher noch einige Stimmen in der Literatur für eine rein erbrechtliche Einordnung aussprachen (vgl. statt aller: Staudinger-Firsching, BGB, 12. Aufl., Vorb. zu Art. 24–26 EGBGB Rz. 227 m.w.N.), entspricht es inzwischen einhelliger Auffassung, dass die Norm zumindest auch güterrechtlich zu qualifizieren ist. Die Meinungen gehen indes darüber auseinander, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen der pauschalierte Zugewinnausgleich durch Erbteilerhöhung stattzufinden hat, wenn aufgrund kollisionsrechtlichen Auseinanderfallens von Güter- und Erbstatut neben deutschem Güterrecht ausländisches Erbrecht zur Anwendung berufen ist.
[21] Nach einer Meinung ist § 1371 I BGB rein güterrechtlich zu qualifizieren, so dass dessen Anwendungsbereich bei Maßgeblichkeit deutschen Rechts als Güterstatut unabhängig vom einschlägigen Erbstatut eröffnet ist (OLG Hamm, IPRax 1994, 49, 53 (IPRspr. 1992 Nr. 159); OLG München, ZEV 2012, 591, 593 (IPRspr 2012-150); Erman-Hohloch, BGB, 14. Aufl., Art. 15 EGBGB Rz. 37; Soergel-Schurig, BGB, 12. Aufl., Art. 15 EGBGB Rz. 40; Staudinger-Dörner aaO [2007] Art. 25 EGBGB Rz. 34 ff.; Staudinger-Mankowski aaO [2010] Art. 15 EGBGB Rz. 346–348; W. Kössinger in Nieder-Kössinger, Handbuch der Testamentsgestaltung, 4. Aufl., § 5 Rz. 17; Dörner, IPRax 2014, 323, 325; Looschelders, IPRax 2009, 505, 509; Mankowski, ZEV 2014, 121, 122–124).
[22] Nach der Gegenansicht kann der erbrechtliche Zugewinnausgleich keiner Normengruppe eindeutig zugeordnet werden, weshalb er sowohl güter- als auch erbrechtlich zu qualifizieren sei und damit nur zum Zuge komme, wenn deutsches Recht Güter- und Erbstatut sei (OLG Köln, ZEV 2012, 205, 206 (IPRspr 2011-144); MünchKomm-Birk, 5. Aufl., Art. 25 EGBGB Rz. 158; Lange-Kuchinke, Erbrecht, 5. Aufl., 50 N. 72).
[23] Zwischen diesen beiden Positionen haben sich darüber hinaus zwei äquivalenzorientierte Lösungsansätze herausgebildet: Der eine, den das BeschwG zugrunde legt, sieht ausgehend vom rein güterrechtlichen Ansatz den Anwendungsbereich des § 1371 I BGB als eröffnet an, wenn das neben dem Güterstatut berufene Erbstatut dem deutschen Erbrecht insoweit entspricht, als die gesetzliche Erbquote des überlebenden Ehegatten nicht zugleich einen güterrechtlichen Ausgleich beinhaltet (OLG Frankfurt, FamRZ 2015, 144, 145 (IPRspr 2013-156); OLG Schleswig, ZEV 2014, 93, 95 (IPRspr 2013-84); OLG Düsseldorf, Beschl. vom 10.3.2015 – I-3 Wx 196/14 (IPRspr 2015-135), juris; MünchKomm-Siehr aaO [6. Aufl.] Art. 15 EGBGB Rz. 107; MünchKomm-Dutta aaO Art. 25 EGBGB Rz. 157; Palandt-Thorn, BGB, 74. Aufl., Art. 15 EGBGB Rz. 26; Kropholler, IPR, 6. Aufl., 353). Der andere mildert die strenge Begrenzung des pauschalierten Zugewinnausgleichs durch die Doppelqualifikation dadurch ab, dass er ihn auch bei ausländischem Erbstatut als eröffnet ansieht, wenn das einschlägige Erbrecht äquivalent zum deutschen Recht eine dem § 1371 I BGB entspr. Vorschrift kennt (OLG Düsseldorf MittRhNotK 1988, 68, 69 (IPRspr. 1987 Nr. 105) – aufgegeben durch OLG Düsseldorf, Beschl. vom 10.3.2015 aaO; OLG Frankfurt, ZEV 2010, 253, 253 f. (IPRspr 2009-124); OLG Stuttgart, ZEV 2005, 443, 444 (IPRspr 2005-79)).
[24] (2) § 1371 I BGB ist im Sinne der Art. 15, 25 EGBGB rein güterrechtlich zu qualifizieren.
[25] (a) Zweck der Vorschrift ist es, den Güterstand als Sonderordnung des Vermögens der Eheleute während und aufgrund ihrer Ehe abzuwickeln, nicht aber den Längstlebenden kraft seiner nahen Verbundenheit mit dem Verstorbenen an dessen Vermögen zu beteiligen (vgl. Kegel-Schurig, IPR, 9. Aufl., 853 f.). Der Gesetzgeber hatte bei Einführung des gesetzlichen Güterstands der Zugewinngemeinschaft erkannt, dass der Ausgleich des Zugewinns durch Gewährung einer Ausgleichsforderung auf die Schwierigkeit stößt, exakte Feststellungen über Bestand und Wert des Anfangs- sowie des Endvermögens zu treffen, und diese Schwierigkeit besonders groß ist, wenn ein Ehegatte verstorben ist, da die Erben über den Bestand des Anfangs- und Endvermögens des Erblassers gemeinhin nicht Bescheid wissen und der Eintritt des Güterstands in diesen Fällen nicht selten längere Zeit zurückliegt (vgl. Massfeller-Reinicke, Das Gleichberechtigungsgesetz, 1958, § 1371 BGB unter 1). Die damit einhergehenden Probleme sollten durch die Pauschalierung des § 1371 I BGB vermieden werden, von welcher der Gesetzgeber annahm, dass sie tendenziell der güterrechtlichen Lage entspricht (Muscheler, Erbrecht I, 2010, Rz. 1423). Rechtstechnisch wählte er hierzu den Weg der Erhöhung des gesetzlichen Erbteils, die zu einer Erweiterung der unmittelbaren Beteiligung des Längstlebenden am Vermögen des Erstversterbenden führt, jedoch nichts an ihrer Einordnung als ‚besondere Art des Zugewinnausgleichs’ (Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht, BT-Drucks. 2/3409 S. 16 f., 20, sowie des Unterausschusses ‚Familienrechtsgesetz’, BAnz. Nr. 154 vom 10.8.1956, 11, 13) ändert, die der Gesetzgeber durch die Wahl des Worts ‚verwirklicht’ zum Ausdruck gebracht hat (Massfeller/Reinicke aaO unter 2).
[26] (b) Die gegen die rein güterrechtliche Qualifikation vorgebrachte Kritik überzeugt nicht.
[27] Der Einwand, dass die Erhöhung einer ausländischen Erbquote eine verfälschte Anwendung des ausländischen Erbrechts darstelle und in die Verbindlichkeit des Erbstatuts eingreife (OLG Köln aaO; OLG Stuttgart aaO), übersieht, dass die Nichtanwendung des § 1371 I BGB in diesen Fällen das deutsche Güterrecht unzulässig verkürzen und damit die gleichermaßen anzuerkennende Verbindlichkeit des Güterstatuts vernachlässigen würde.
[28] Zu kurz greift auch der Gedanke, dass die pauschale Erbteilerhöhung den Anteil der anderen kraft Gesetzes berufenen Erben ebenso mindere wie etwaige Pflichtteilsansprüche (MünchKomm-Birk aaO). Ungeachtet der Frage, ob nicht diese Rechtsfolgen gerade im anwendbaren Güterstatut ihre Rechtfertigung finden, berücksichtigen die Vertreter dieser Auffassung nicht, dass der von ihnen befürwortete schuldrechtliche Zugewinnausgleich gemäß den §§ 1373 ff. BGB das Erbrecht der gesetzlichen Erben sowie bestehende Pflichtteilsansprüche ebenfalls und mangels höhenmäßiger Beschränkung auf ein Viertel des Nachlasswerts u.U. nachhaltiger beeinträchtigen könnte als die pauschale Erbteilerhöhung (vgl. Dörner aaO).
[29] Dass § 1371 I BGB tatsächlich keinen Zugewinn des verstorbenen Ehegatten voraussetzt, ist lediglich Ergebnis der gesetzlichen Fiktion der Wertgleichheit von Erhöhungsviertel und Zugewinnanteil (vgl. Soergel-Schurig aaO), die ihre Grundlage im deutschen Güterrecht hat und damit an der güterrechtlichen Qualifikation der Vorschrift nichts zu ändern vermag (a.A. Staudinger-Firsching aaO). Das Gleiche gilt für die Überlegung, dass der Erhöhungstatbestand vom Bestehen eines gesetzlichen Erbteils des Längstlebenden abhänge und danach zwar nicht ehevertraglich, aber erbrechtlich z.B. aufgrund letztwilliger Verfügung des Erblassers oder als gesetzliche Folge des § 1933 BGB ausgeschlossen sein könne (vgl. Staudinger-Firsching aaO). Dies folgt ausschließlich aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber zur Verwirklichung der Zugewinnausgleichspauschale den Weg des Erbrechts bevorzugt hat, was deren güterrechtliche Ausgleichsfunktion indessen nicht in Frage stellt.
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