Der Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung über folgende Fragen ersucht:
1. Ist Art. 6 I iVm. Art. 21 II, I Buchst. b (i) EuGVVO dahin auszulegen, dass ein Arbeitnehmer eine juristische Person, die nicht sein Arbeitgeber ist und die ihren Wohnsitz iSv. Art. 63 I EuGVVO nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, die dem Arbeitnehmer gegenüber jedoch aufgrund einer Patronatsvereinbarung unmittelbar für Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag mit einem Dritten haftet, vor dem Gericht des Ortes verklagen kann, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer seine Arbeit im Arbeitsverhältnis mit dem Dritten gewöhnlich verrichtet oder zuletzt verrichtet hat, wenn ohne die Patronatsvereinbarung der Arbeitsvertrag mit dem Dritten nicht zustande gekommen wäre?
2. Ist Art. 6 I EuGVVO dahin auszulegen, dass der Vorbehalt hinsichtlich Art. 21 II EuGVVO die Anwendung einer nach dem nationalen Recht des Mitgliedstaats bestehenden Zuständigkeitsregelung ausschließt, die es dem Arbeitnehmer ermöglicht, eine juristische Person, die ihm gegenüber unter wie in der ersten Frage beschriebenen Umständen für Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag mit einem Dritten unmittelbar haftet, als "Rechtsnachfolger" des Arbeitgebers am Gerichtsstand des gewöhnlichen Arbeitsortes zu verklagen, wenn eine solche Zuständigkeit nach Art. 21 II in Verbindung mit I Buchst. b (i) EuGVVO nicht vorliegt?
3. Falls die erste Frage verneint und die zweite Frage bejaht wird:
a) Ist Art. 17 I EuGVVO dahin auszulegen, dass der Begriff der "beruflichen Tätigkeit" die abhängige Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis umfasst?
b) Ist bejahendenfalls Art. 17 I EuGVVO dahin auszulegen, dass eine Patronatsvereinbarung, auf deren Grundlage eine juristische Person für Ansprüche eines Arbeitnehmers aus einem individuellen Arbeitsvertrag mit einem Dritten unmittelbar haftet, einen Vertrag bildet, den der Arbeitnehmer zu einem Zweck geschlossen hat, der seiner beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann?
4. Sollte in Beantwortung der vorstehenden Fragen das vorlegende Gericht für die Entscheidung des Rechtsstreits international zuständig sein:
a) Ist Art. 6 I Rom-I-VO dahin auszulegen, dass der Begriff der "beruflichen Tätigkeit" die abhängige Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis umfasst?
b) Ist bejahendenfalls Art. 6 I Rom-I-VO dahin auszulegen, dass eine Patronatsvereinbarung, auf deren Grundlage eine juristische Person gegenüber einem Arbeitnehmer für Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag mit einem Dritten unmittelbar haftet, einen Vertrag bildet, den der Arbeitnehmer zu einem Zweck geschlossen hat, der seiner beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann?
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger gegen die beklagte kanadische Gesellschaft aufgrund einer Patronatsvereinbarung direkte Zahlungsansprüche wegen nicht erfüllter Ansprüche aus einem Arbeitsverhältnis mit einer insolventen Schweizer Gesellschaft zustehen, und in diesem Zusammenhang über die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte. Die Beklagte ist eine nach dem Recht des US-Bundesstaats Nevada gegründete und im Immobiliengeschäft tätige Gesellschaft. Der Sitz ihrer Hauptverwaltung befindet sich in Kanada, Provinz Quebec. Der Kläger, der seinen Wohnsitz in Deutschland hat, war seit Ende September 2015 für die Beklagte auf der Grundlage einer Dienstleistungsvereinbarung als „Deputy Vice President Investors Relations“ tätig und im Wesentlichen damit beschäftigt, private und institutionelle Investoren für Immobiliengeschäfte der Beklagten zu akquirieren. Wegen einer aus ihrer Sicht bestehenden Unsicherheit über den Beschäftigungsstatus des Klägers beschlossen die Parteien, das Vertragsverhältnis auf eine neu zu gründende Schweizer Gesellschaft „zu überführen“. Mitte November 2015 vereinbarten sie die rückwirkende Beendigung des „service agreement“. Am 12.2.2016 schloss der Kläger mit der R Swiss AG, einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft der Beklagten, einen schriftlichen Arbeitsvertrag über eine Tätigkeit als deren Direktor. Am gleichen Tag traf er mit der Beklagten ein auf den 1.10.2015 rückdatiertes „loan agreement“, das die Gewährung eines Darlehens an ihn zum Gegenstand hat. Zweck dieser Vereinbarung sollte sein, die dem Kläger aus der Dienstleistungsvereinbarung für vier Monate zustehende Vergütung in eine an die Beklagte zurückzuzahlende Darlehenssumme umzuwidmen, wobei der entsprechende Betrag dem Kläger in Gestalt der von der R Swiss zu leistenden Antrittsprämie unter Anwendung Schweizer Steuer- und Abgabenrechts zufließen sollte. Ebenfalls am 12.2.2016 unterzeichneten die Parteien eine Patronatsvereinbarung, der zufolge R über die umfassende Verantwortlichkeit für die Erfüllung der Verpflichtungen in Bezug auf die Verträge der R Swiss AG aufgrund der Zusammenarbeit von dessen Direktor mit der R Swiss AG verfügt. In einem Vorprozess stellte das ArbG Stuttgart durch rechtskräftiges Urteil vom 2.11.2016 die Unwirksamkeit einer von der R Swiss gegenüber dem Kläger erklärten Kündigung vom 11.7.2016 fest. Zudem verurteilte es die R Swiss, an den Kläger zu zahlen. Dem kam die R Swiss nicht nach. Ein 2017 über das Vermögen der R Swiss nach Schweizer Recht eröffnetes Konkursverfahren wurde „mangels Aktiven“ eingestellt.
Mit der vorliegenden Klage nimmt der Kläger die Beklagte aus der Patronatsvereinbarung auf Zahlung der im Vorprozess gegen die R Swiss titulierten Geldforderungen in Anspruch. Das Arbeitsgericht hat die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte verneint und die Klage als unzulässig abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
[19] C. Erforderlichkeit der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union und Erläuterung der Vorlagefragen
[20] Der Erfolg der - nach dem maßgeblichen deutschen Zivilprozessrecht einschließlich des arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahrens zulässigen - Revision der Beklagten hängt entscheidend davon ab, ob die deutschen Gerichte international zuständig sind. Dabei geht der Senat davon aus, dass das Rechtsmittel nicht aus anderen, vorrangig zu beachtenden Gründen erfolgreich ist. Insbesondere sieht er die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts - dem Berufungsgericht insoweit folgend - als zulässig an. Soweit das Landesarbeitsgericht die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen bejaht hat, hat der Senat dies im Rahmen der nachträglich zugelassenen Revision gemäß § 73 Abs. 2 iVm. § 65 ArbGG nicht zu überprüfen (vgl. GWBG/Benecke ArbGG 8. Aufl. § 73 Rn. 41; ErfK/Koch 20. Aufl. ArbGG § 73 Rn. 9; GMP/Müller-Glöge ArbGG 9. Aufl. § 73 Rn. 32).
[21] Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte hängt von der Auslegung von Art. 6 Abs. 1, Art. 21 Abs. 2, Abs. 1 und Art. 17 Abs. 1 EuGVVO ab. Vor einer Entscheidung über die Revision ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden Gerichtshof) einzuholen.
[22] Zur Frage 1:
[23] I. Die internationale Zuständigkeit bestimmt sich gemäß Art. 66 Abs. 1 EuGVVO nach den Vorschriften dieser Verordnung.
[24] 1. Die Klage ist im März 2017 und damit nach dem 10. Januar 2015 erhoben worden. Die EuGVVO geht nationalem Zuständigkeitsrecht im Rang vor (zur Verordnung (EG) Nr. 44/2001 [im Folgenden EuGVVO aF] BAG 25. Juni 2013
[25] 2. Der sachliche Anwendungsbereich der Verordnung nach Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO ist eröffnet, da die Parteien eine zivilrechtliche Streitigkeit führen und kein Fall des Art. 1 Abs. 2 EuGVVO vorliegt. Ob es sich um eine arbeitsrechtliche Streitigkeit handelt, bedarf insoweit keiner Entscheidung, weil auch solche Verfahren zu den Zivilsachen iSd. Verordnung gehören (zu Art. 1 Abs. 1 Satz 1 der EuGVVO aF vgl. BAG 19. März 2014
[26] 3. Der für die Anwendung der EuGVVO stets erforderliche Auslandsbezug (dazu EuGH 17. November 2011
[27] Nach Art. 63 Abs. 1 EuGVVO haben juristische Personen wie die Beklagte für die Anwendung der Verordnung ihren Wohnsitz an dem Ort, an dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung befindet. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts befindet sich die Hauptverwaltung der Beklagten, dh. der Ort, an dem die Willensbildung der Gesellschaft erfolgt und die grundlegenden unternehmerischen Entscheidungen getroffen werden (vgl. BAG 24. September 2009
[28] 4. Mangels Wohnsitzes der Beklagten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats richtet sich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nach Art. 6 Abs. 1 EuGVVO. Absatz 2 der Bestimmung kommt im Streitfall keine Bedeutung zu, weil die deutschen Zuständigkeitsvorschriften nicht nach der Staatsangehörigkeit differenzieren (Paulus in Geimer/Schütze Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen Stand September 2016 EuGVVO Art. 6 Rn. 11).
[29] 5. Eine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 24 oder Art. 25 EuGVVO besteht nicht. Da die Beklagte sich in allen Instanzen auf die Unzulässigkeit der Klage mangels internationaler Zuständigkeit deutscher Gerichte berufen hat, kann offenbleiben, ob Art. 26 EuGVVO, der die Zuständigkeit infolge rügeloser Einlassung regelt, in die vorbehaltenen Normen des Art. 6 Abs. 1 EuGVVO „hineinzulesen“ ist (befürwortend bspw. Wieczorek/Schütze/ Gebauer ZPO 4. Aufl. Art. 6 Brüssel Ia-VO Rn. 14 mwN).
[30] II. Der Senat kann nicht ohne Klärung durch den Gerichtshof entscheiden, ob nach dem für das Revisionsverfahren zugrunde zu legenden Sachverhalt gemäß Art. 6 Abs. 1 iVm. Art. 21 Abs. 2 EuGVVO ein Gerichtsstand in Deutschland eröffnet ist. Die Entscheidung hängt davon ab, ob die Regelungen einen Gerichtsstand am gewöhnlichen Arbeitsort eines Arbeitnehmers für eine Klage gegen eine juristische Person begründen, die zwar nicht sein Vertragsarbeitgeber ist, die dem Arbeitnehmer gegenüber jedoch aufgrund einer Patronatsvereinbarung unmittelbar für Ansprüche aus einem Arbeitsvertrag mit einem Dritten haftet und dieser Arbeitsvertrag ohne die Patronatsvereinbarung nicht zustande gekommen wäre.
[31] 1. Gemäß Art. 21 Abs. 2 EuGVVO kann ein Arbeitgeber, der seinen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, vor dem Gericht eines Mitgliedstaats gemäß Abs. 1 Buchst. b der Bestimmung verklagt werden. Nach Art. 21 Abs. 1 Buchst. b (i) EuGVVO kann der Arbeitgeber vor dem Gericht des Ortes verklagt werden, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder verrichtet hat. Die mit der Neufassung der Verordnung erstmals eingeführte Bestimmung des Art. 21 Abs. 2 EuGVVO erweitert den räumlich-persönlichen Anwendungsbereich der im Kapitel II, 5. Abschnitt der EuGVVO enthaltenen Zuständigkeitsordnung für Arbeitssachen. Ihre Anwendung setzt nach Art. 20 Abs. 1 EuGVVO voraus, dass ein individueller Arbeitsvertrag oder Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden.
[32] 2. Den Rechtsbegriffen „individuelles Arbeitsverhältnis“, „Arbeitnehmer“ und „Arbeitgeber“, die in der EuGVVO nicht ausdrücklich definiert sind, ist unter Berücksichtigung von Art. 45 AEUV eine autonome und damit allen Staaten gemeinsame Auslegung zugrunde zu legen (zu Art. 18 EuGVVO aF EuGH 19. Juli 2012
[33] 3. Ein „individueller Arbeitsvertrag“ iSd. EuGVVO ist danach eine Vereinbarung, mittels derer sich eine Person - der Arbeitnehmer - verpflichtet, während einer bestimmten Zeit für eine andere Person - den Arbeitgeber - nach deren Weisung Leistungen zu erbringen, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält (vgl. EuGH 9. Juli 2015
[34] 4. Hiervon ausgehend handelt es sich zwar bei dem Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und der R Swiss um ein individuelles Arbeitsverhältnis iSd. Art. 20 Abs. 1 EuGVVO. Das folgt bereits daraus, dass der Kläger und die R Swiss ihre Rechtsbeziehung ausdrücklich als Arbeitsverhältnis angesehen und dieses entsprechend der Arbeitsverträge vom 12. Februar und 1. April 2016 den Rechtsvorschriften des Schweizer Obligationenrechts für privatrechtliche Arbeitsverträge unterworfen haben. Auch hat der Senat nach dem substantiierten, von der Beklagten nicht ausreichend bestrittenen Vortrag des Klägers davon auszugehen, dass im Rahmen seiner Tätigkeit für die R Swiss der gewöhnliche Arbeitsort des Klägers iSd. Art. 21 Abs. 1 Buchst. b (i) EuGVVO, dh. der Ort, der den tatsächlichen Mittelpunkt der Berufstätigkeit des Arbeitnehmers bildet oder von dem er den wesentlichen Teil seiner Arbeitspflichten aus erfüllt oder erfüllt hat (EuGH 14. September 2017
[35] 5. Ansprüche aus diesem Rechtsverhältnis sind jedoch nur mittelbar Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Der Kläger nimmt die Beklagte nicht als seine Vertragsarbeitgeberin, sondern aus der Patronatsvereinbarung vom 12. Februar 2016 wegen Forderungen in Anspruch, die ihm nach seinen Behauptungen aus dem Rechtsverhältnis mit seiner Vertragsarbeitgeberin, der R Swiss zustehen.
[36] a) Gemäß ihrem § 2 hat die Beklagte mit der Patronatsvereinbarung die „umfassende Verantwortlichkeit für die Erfüllung der Verpflichtungen in Bezug auf die Verträge“ übernommen, die der Kläger mit der R Swiss hinsichtlich seiner Tätigkeit als deren Direktor schließt. Der Senat versteht diese Vereinbarung als eine Sicherungsabrede, die im Anwendungsbereich deutschen materiellen Rechts als „externe harte Patronatserklärung“ zu qualifizieren ist und mit der die Beklagte gegenüber dem Kläger rechtsverbindlich die Verpflichtung übernommen hat, die R Swiss finanziell so auszustatten, dass sie ihre aus der benannten Tätigkeit des Klägers resultierenden finanziellen Verpflichtungen tatsächlich erfüllen kann (zur Auslegung einer Patronatsvereinbarung und zur Abgrenzung einer „harten“ gegenüber einer „weichen“ Patronatserklärung BAG 21. Oktober 2014
[37] b) Ein nach dem Vorbringen des Klägers möglicher Eintritt des Haftungsfalls führt aber nicht dazu, dass die Beklagte in die Rechtsstellung der R Swiss als Vertragsarbeitgeberin eingerückt wäre. Das Rechtsverhältnis der Parteien ist auch nicht deshalb als individuelles Arbeitsverhältnis anzusehen, weil der Kläger nach einem Anhang zu den Arbeitsverträgen mit der R Swiss unter der Überschrift „Konzernzusammenhang“ verpflichtet war, alle gegenüber der R Swiss geschuldeten Tätigkeiten mit Ausnahme der Leitungsfunktion „auch für die Muttergesellschaft und deren Tochtergesellschaften“ zu erbringen. Das dahingehende Weisungsrecht stand - selbst wenn es sich bei der Beklagten um die „Muttergesellschaft“ der R Swiss handelte - gemäß der arbeitsvertraglichen Regelung nicht dieser, sondern dem leitenden Direktor der R Swiss zu. Daran ändert auch eine ggf. bestehende Einflussnahmemöglichkeit der Beklagten auf die Geschäftsführung der R Swiss nichts.
[38] c) Der Streitfall weist allerdings die Besonderheit auf, dass ohne die Patronatsvereinbarung ein Arbeitsvertrag des Klägers mit der R Swiss nicht zustande gekommen wäre. Auch hat die Beklagte die R Swiss nach § 1 der Patronatsvereinbarung als „Tochtergesellschaft … für den Vertrieb in Europa“ gegründet, und ist nach dem schlüssigen und im Wesentlichen unwidersprochenen Vorbringen des Klägers davon auszugehen, dass er die vormals im Rahmen des „service agreement“ gegenüber der Beklagten geschuldeten Vertriebsaktivitäten nach dem „Wechsel“ zur R Swiss aufgrund der mit dieser geschlossenen Arbeitsverträge fortgesetzt hat, ohne dass sich seine Aufgaben inhaltlich geändert hätten.
[39] 6. Mit der Frage, ob Art. 21 Abs. 2 EuGVVO eine Klage gegen eine juristische Person erfassen kann, die - ohne selbst Vertragsarbeitgeber zu sein - gegenüber dem Arbeitnehmer für Ansprüche aus einem Arbeitsverhältnis mit einem Dritten unter Umständen wie im Streitfall unmittelbar haftet, hat sich der Gerichtshof - soweit ersichtlich - noch nicht befasst. Die Beantwortung der Frage ist auch nicht so eindeutig, dass kein Raum für vernünftige Zweifel besteht.
[40] a) Das Bundesarbeitsgericht hat zu Art. 18 Abs. 2 EuGVVO aF (jetzt inhaltsgleich Art. 20 Abs. 2 EuGVVO) allerdings entschieden, die Norm gelte nur, wenn zwischen den Parteien des Rechtsstreits ein Arbeitsvertrag abgeschlossen wurde (BAG 25. Juni 2013
[41] b) Auch in Ansehung dieser Rechtsprechung ist nach Auffassung des Senats die richtige Anwendung von Art. 21 Abs. 2 EuGVVO in einem Fall wie dem Vorliegenden nicht derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt (vgl. EuGH 15. September 2005
[42] Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte zwar ein unmittelbares Interesse an der Erfüllung der arbeitsvertraglichen Verpflichtungen des Klägers im Verhältnis zur R Swiss, weil diese für sie den Vertrieb in Europa übernehmen sollte. Die Beklagte hat auch, um die Ansprüche des Klägers aus dem Arbeitsverhältnis mit der R Swiss finanziell abzusichern, mit diesem die Patronatsvereinbarung geschlossen. Im Unterschied zu dem vom Gerichtshof behandelten Fall bestand zwischen den Parteien des Klageverfahrens jedoch kein individuelles Arbeitsverhältnis.
[43] In seiner Entscheidung vom 21. Juni 2018 (-C-1/17 - [Petronas Lubricants Italy SpA]) hat der Gerichtshof Art. 20 Abs. 2 EuGVVO aF dahin ausgelegt, dass hierdurch dem Arbeitgeber - unter Berücksichtigung der in Art. 20 Abs. 2 EuGVVO aF aufgenommenen Regel des Art. 6 Nr. 3 EuGVVO aF - das Recht eingeräumt wird, vor dem Gericht, bei dem die von einem Arbeitnehmer ordnungsgemäß erhobene Klage anhängig ist, eine Widerklage zu erheben, die sich auf eine Forderungsabtretung stützt, die der Arbeitgeber und der ursprüngliche Forderungsinhaber vertraglich vereinbart haben, nachdem die Klage erhoben worden war. Um eine solche Widerklage geht es im Streitfall nicht. Im Übrigen hat der Gerichtshof die Zuständigkeit des Gerichts, bei dem die Klage erhoben war, für die Widerklage ua. damit begründet, dass der Kläger mit der Beklagten und der alten Gläubigerin „parallele“ Arbeitsverträge geschlossen habe und der Gegenstand des Verfahrens auf demselben Sachverhalt beruhe wie die von der Beklagten erhobene Widerklage (EuGH 21. Juni 2018
[44] c) Ausgehend von der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur strikten Anwendung der Zuständigkeitsregeln in Art. 20 bis 23 EuGVVO wird im deutschen Schrifttum die Auffassung vertreten, andere als die dort ausdrücklich zugelassenen Gerichtsstände seien zwischen den Arbeitsvertragsparteien nicht gegeben (Mankowski in Rauscher Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht 4. Aufl. Art. 20 Bruessel-Ia-VO Rn. 2). In arbeitsrechtlichen Drittbeziehungen gelte grundsätzlich dasselbe wie für eine Zweipersonenbeziehung zwischen einem Arbeitnehmer und einem Arbeitgeber. Seien auf Arbeitgeberseite mehrere Personen beteiligt, sei jede Zweierbeziehung getrennt zu betrachten (BeckOK ZPO/Spohnheimer Stand 1. März 2020 Brüssel Ia-VO Art. 20 Rn. 23). Durchgriffsklagen des Arbeitnehmers gegen die Muttergesellschaft seines Arbeitgebers unterfielen nicht Art. 20 ff. EuGVVO (Mankowski in Rauscher aaO Rn. 8).
[45] Andere Autoren meinen demgegenüber, die in Art. 20 Abs. 1 EuGVVO vorgenommene sachliche Begrenzung des Anwendungsbereichs der Art. 20 bis 22 EuGVVO auf Verfahren, deren Gegenstand ein individueller Arbeitsvertrag oder Ansprüche aus einem solchen Vertrag bilden, schlössen eine Anwendung der Zuständigkeitsregelungen bei einer Klage gegen einen Dritten zur Durchsetzung von aus einem Arbeitsverhältnis resultierenden Ansprüchen nicht von vorneherein aus. So wird es beispielsweise für vertretbar gehalten, dass die in Frankreich für das Arbeitsrecht zuständige Kammer der Cour de cassation (chambre social - bspw. Entscheidung vom 28. Januar 2015
[46] Auch wird geltend gemacht, die Art. 20 ff. EuGVVO seien bereits dann auf rechtliche Beziehungen zwischen dem Arbeitnehmer und einem Dritten anzuwenden, wenn der Arbeitsvertrag zwischen dem Arbeitnehmer und seinem Vertragsarbeitgeber die Grundlage für die Drittbeziehung dergestalt bildet, dass es ohne den Arbeitsvertrag nicht zu der Rechtsbeziehung zu dem Dritten gekommen wäre und ohne ihn in dem entsprechenden Sachverhalt kein materielles Arbeitsrecht zur Anwendung käme (Krebber IPRax 2017, 313, 316). So liegt es hier. Der Arbeitsvertrag zwischen dem Kläger und der R Swiss ist die Grundlage der Patronatsvereinbarung zwischen dem Kläger und der Beklagten. Diese ist nur getroffen worden, um das Zustandekommen des Arbeitsvertrags zu bewirken, weil der Kläger ohne diese Sicherung den Vertrag mit der R Swiss nicht abgeschlossen hätte. Dagegen geht es nicht, wie beispielsweise bei Ansprüchen aus von einer Muttergesellschaft aufgelegten Aktienoptionsprogrammen, darum, dass der Vertrag mit dem Dritten lediglich an das Arbeitsverhältnis als solches anschließt, was als Anknüpfungspunkt für eine Klage an den Gerichtsständen der Art. 20 ff. EuGVVO nicht genügt (so etwa OLG Hamm 5. Dezember 2018
[47] d) Die danach gebotene Auslegung zum sachlichen Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 iVm. Art. 21 Abs. 2 EuGVVO kann der Senat nicht selbst vornehmen. Sie ist nach Art. 267 AEUV dem Gerichtshof vorbehalten.
[48] Zur Frage 2:
[49] Der Senat geht davon aus, dass nach nationalem Recht eine internationale Zuständigkeit aufgrund von § 48 Abs. 1a iVm. § 3 ArbGG in Betracht kommt und die Voraussetzungen dieser Bestimmungen vorliegen. Insoweit bedarf es jedoch einer Klärung des Verhältnisses der Bestimmungen der EuGVVO zum nationalen Recht. Es stellt sich die die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 EuGVVO betreffende Frage, ob der in der Bestimmung enthaltene Vorbehalt hinsichtlich Art. 21 Abs. 2 EuGVVO die Anwendung einer nationalen Zuständigkeitsregelung ausschließt, die es dem Arbeitnehmer ermöglicht, eine juristische Person, die ihm gegenüber in einem Fall wie dem vorliegenden für Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag mit einem Dritten unmittelbar haftet, als „Rechtsnachfolger“ des Arbeitgebers am Gerichtsstand des gewöhnlichen Arbeitsortes zu verklagen, wenn eine solche Zuständigkeit nach Art. 21 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Buchst. b (i) EuGVVO nicht vorliegt.
[50] I. Nach deutschem Recht folgt die internationale Zuständigkeit grundsätzlich der örtlichen Zuständigkeit. Fällt ein Rechtsstreit in die örtliche Zuständigkeit eines deutschen Gerichts, ist die internationale Zuständigkeit regelmäßig indiziert und sind die deutschen Gerichte auch im Verhältnis zu einem ausländischen Gericht zuständig (BAG 25. Juni 2013
[51] II. Ob § 48 Abs. 1a ArbGG im Anwendungsbereich der EuGVVO als zuständigkeitsbegründende Norm neben den Zuständigkeitsregeln in Art. 20 ff. EuGVVO herangezogenen werden kann, hängt von dem durch Art. 6 Abs. 1 EuGVVO bestimmten Konkurrenzverhältnis ab.
[52] 1. Bei den Vorschriften in Kapitel II Abschnitt 5 EuGVVO handelt es sich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht nur um besondere, sondern auch um abschließende Bestimmungen (EuGH 21. Juni 2018
[53] 2. In seiner Entscheidung vom 12. Dezember 2017 (
[54] 3. Mit der Neuregelung der EuGVVO und insbesondere der Einführung von Art. 21 Abs. 2 EuGVVO hat der Unionsgesetzgeber nach dem Verständnis des Senats den Anwendungsbereich der unionsrechtlichen Zuständigkeitsregelungen im Interesse des Arbeitnehmerschutzes deutlich erweitert. Ihr liegt das Bestreben zugrunde, die Rechtslage weiter zu vereinheitlichen und zu diesem Zweck die Gerichtsstände des nationalen Rechts im Anwendungsbereich der Verordnung weiter zurückzudrängen (Wieczorek/Schütze/ Temming ZPO 4. Aufl. Art. 20 Brüssel Ia-VO Rn. 67). Vor diesem Hintergrund und ausgehend von dem abschließenden Charakter, der den Bestimmungen in Art. 20 ff. EuGVVO durch den Gerichtshof beigemessen wird, spricht aus Sicht des Senats einiges dafür, Art. 21 Abs. 2 EuGVVO als zweiseitig zwingend anzusehen mit der Folge, dass daneben nationale Zuständigkeitsregeln, auch soweit sie den Arbeitnehmer begünstigen, keine Anwendung (mehr) finden können (so ausdrücklich Wieczorek/Schütze/ Temming ZPO 4. Aufl. aaO; aA offenbar Mankowski in Rauscher Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht 4. Aufl. Art. 6 Bruessel-Ia-VO Rn. 1).
[55] 4. Ob dem Vorbehalt in Art. 6 Abs. 1 EuGVVO zugunsten des Art. 21 Abs. 2 EuGGVO eine absolute Sperrwirkung zukommt, und ob diese bejahendenfalls auch eine nationale Zuständigkeitsregelung erfasst, die es - wie § 48 Abs. 1a iVm. § 3 ArbGG - dem Arbeitnehmer ermöglicht, eine juristische Person ohne Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines der Mitgliedstaaten als Rechtsnachfolger des Arbeitgebers am Gerichtsstand des gewöhnlichen Arbeitsortes zu verklagen, kann der Senat nicht selbst entscheiden (für eine Prüfung durch den Gerichtshof auf der Grundlage von Art. 267 AEUV auch Wieczorek/Schütze/ Temming ZPO 4. Aufl. Art. 20 Brüssel Ia-VO Rn. 67). Der Gerichtshof hat sich - soweit ersichtlich - mit dieser Frage noch nicht befasst. Deren Beantwortung ist auch nach Heranziehung der bislang ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs zu diesem Fragenkreis nicht so eindeutig, dass kein Raum für vernünftige Zweifel besteht.
[56] Zur Frage 3:
[57] Sollte der Gerichtshof die Frage 1 verneinen und die Frage 2 bejahen, kommt es entscheidungserheblich darauf an, ob der Kläger in Bezug auf die Geltendmachung von Ansprüchen aus der Patronatsvereinbarung als „Verbraucher“ iSd. Art. 18 Abs. 1 EuGVVO anzusehen ist, wovon das Berufungsgericht ausgegangen ist.
[58] I. Nach dieser - ebenfalls in Art. 6 Abs. 1 EuGVVO vorbehaltenen - Bestimmung kann die Klage eines Verbrauchers gegen den anderen Vertragspartner entweder vor den Gerichten des Mitgliedstaats erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet dieser Vertragspartner seinen Wohnsitz hat, oder ohne Rücksicht auf den Wohnsitz des anderen Vertragspartners vor dem Gericht des Ortes, an dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat.
[59] II. Der sachliche Anwendungsbereich von Art. 18 Abs. 1 EuGVVO ergibt sich aus Art. 17 EuGVVO.
[60] 1. Erforderlich ist danach zunächst, dass ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Vertrags bilden. Die Patronatsvereinbarung vom 12. Februar 2016 stellt, da es sich um ein privatautonom begründetes Schuldverhältnis handelt und Art. 17 Abs. 1 EuGVVO auch einseitig verpflichtende Schuldverhältnisse erfasst (EuGH 14. Mai 2009
[61] 2. Der Begriff des Verbrauchers wird in Art. 17 Abs. 1 EuGVVO dahin definiert, dass es sich um eine Person handeln muss, die den Vertrag zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Ob eine Person in diesem Sinne die Verbrauchereigenschaft besitzt, ist nach der Stellung der Person innerhalb des konkreten Vertrags in Verbindung mit dessen Natur und Zielsetzung und nicht nach der subjektiven Stellung der Person zu beantworten (zu Art. 13 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 EuGVVO aF EuGH 3. Juli 1997
[62] 3. Ob es sich bei der Patronatsvereinbarung um einen Vertrag handelt, der der beruflichen Tätigkeit des Klägers zuzurechnen ist, hängt davon ab, ob der Begriff „beruflich“ lediglich selbständige Tätigkeiten erfasst oder ob hierunter auch abhängige Tätigkeiten, insbesondere die Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis, fallen. Über diese Auslegungsfrage hat der Gerichtshof bisher - soweit ersichtlich - nicht entschieden. Ihre Beantwortung ist umstritten.
[63] a) Teilweise wird die Auffassung vertreten, unter einer „beruflichen Tätigkeit“ iSv. Art. 17 Abs. 1 EuGVVO sei nur die selbständige (frei-)berufliche Tätigkeit zu verstehen. Deshalb könnten Verträge, die ein Arbeitnehmer für seinen Beruf abschließt, durchaus Verbrauchersachen darstellen (vgl. zB Hk-ZPO/Dörner 8. Aufl. Art. 17 EuGVVO Rn. 7; im Grundsatz ebenso: Paulus in Geimer/Schütze Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen Stand September 2016 EuGVVO Art. 17 Rn. 25; Wieczorek/Schütze/ Nordmeier ZPO 4. Aufl. Art. 17 Brüssel Ia-VO Rn. 21; Schlosser/Hess EuZPR 4. Aufl. Art. 17 EuGVVO Rn. 3). Nach anderer Auffassung ist der Arbeitnehmer nicht Verbraucher im Sinne des Unionsrechts, so dass Art. 17 EuGVVO auch nicht analog auf Klagen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern anwendbar sei (EuArbRK/Krebber 3. Aufl. VO 1215/2012/EU Art. 20 Rn. 1).
[64] b) Die richtige Auslegung von Art. 17 Abs. 1 EuGVVO hinsichtlich des Begriffs „berufliche Tätigkeit“ ist nicht derart offenkundig, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bliebe.
[65] aa) Der Wortlaut der Bestimmung gibt kein eindeutiges Ergebnis vor. Der Begriff „beruflich“ bzw. der des „Berufs“ erfasst im Deutschen sowohl im allgemeinsprachlichen Sinne als auch in seiner rechtlichen Bedeutung jede auf Dauer angelegte Tätigkeit zur Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage (zum verfassungsrechtlichen Berufsbegriff zB BVerfG 12. Januar 2016
[66] bb) Der Umstand, dass andere europäische Rechtsakte, soweit von ihnen lediglich selbständige berufliche Tätigkeiten erfasst werden sollen, dies durch ein entsprechendes Attribut deutlich zum Ausdruck bringen (zu entsprechenden Beispielen vgl. Gregor GPR 2007, 73, 74), ermöglicht keinen zweifelsfreien Befund, weil die in der EuGVVO - ua. in ihrem Art. 17 Abs. 1 - verwendeten Begriffe autonom auszulegen und dabei in erster Linie die Systematik und die Ziele der Verordnung heranzuziehen sind, um deren einheitliche Anwendung in allen Mitgliedstaaten sicherzustellen (EuGH 14. Februar 2019 - C-630/17 - [Milivojevic] Rn. 86 mwN).
[67] cc) Die von Teilen des Schrifttums und in der Rechtsprechung deutscher Zivilgerichte angestellte Erwägung, der Begriff der „beruflichen Tätigkeit“ sei im Interesse der Vermeidung von Konkurrenzen zwischen dem Verbraucher- und Arbeitnehmergerichtsstand weit zu verstehen und umfasse auch die abhängige Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis, führt ebenfalls nicht zu einem zweifelsfreien Auslegungsergebnis. Insoweit wird nicht ausreichend berücksichtigt, dass es zwar vornehmlich Aufgabe von Art. 20 bis 23 EuGVVO ist, den im Unionsrecht in vielen Bereichen verfolgten Schutz der Arbeitnehmer als strukturell unterlegene Vertragspartei im internationalen Zuständigkeitsrecht zu verwirklichen (Mankowski in Rauscher Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht 4. Aufl. Art. 20 Bruessel-Ia-VO Rn. 2; Paulus in Geimer/Schütze Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen Stand September 2016 EuGVVO Art. 20 Rn. 1) und Streitigkeiten aus individuellen Arbeitsverträgen deshalb diesenBestimmungen unterliegen (Wieczorek/Schütze/Nordmeier ZPO 4. Aufl. Art. 17 Brüssel Ia-VO Rn. 51). Geht es jedoch um die Durchsetzung von Ansprüchen aus einer Vereinbarung, die der Arbeitnehmer mit einem Dritten zwar im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis geschlossen hat, die als solche aber nicht als individuelles Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist, und wird eine solche Vereinbarung - unterstellt - in Beantwortung der im Tenor dieses Beschlusses bezeichneten Frage 1 von den Zuständigkeitsregeln in Art. 20 bis 23 EuGVVO nicht erfasst, könnte dies zu einer Schutzlücke auf Seiten des Arbeitnehmers führen, soweit ihm zur Durchsetzung einer Vereinbarung, die eine unmittelbare Haftung eines Dritten für arbeitsvertragliche Ansprüche begründet, zugleich eine Klagemöglichkeit nach Art. 17, 18 EuGVVO mit dem Argument verwehrt bliebe, der Vertrag sei iSv. Art. 17 Abs. 1 EuGVVO seiner beruflichen Tätigkeit zuzurechnen. Eine solche Schutzlücke ließe sich nur vermeiden, wenn Art. 17 Abs. 1 EuGVVO restriktiv dahin ausgelegt wird, dass der beruflichen Tätigkeit eines Arbeitnehmers lediglich solche Verträge „zugerechnet“ werden, die er in dieser Eigenschaft als Vertragspartner des Arbeitgebers schließt (in diesem Sinne wohl auch Paulus in Geimer/Schütze Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen Stand September 2016 EuGVVO Art. 20 Rn. 14). Da die Frage, ob es sich bei einer Patronatsvereinbarung wie der vorliegenden um einen Vertrag handelt, den der Arbeitnehmer zu einem Zweck geschlossen hat, der seiner beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann, die Auslegung und Anwendung der unionsrechtlichen Zuständigkeitsregeln betrifft, ist ihre Beantwortung dem Gerichtshof vorbehalten.
[68] 4. Die Beantwortung der Frage ist entscheidungserheblich. Ausgehend davon, dass es sich bei der Patronatsvereinbarung nicht um einen Vertrag handelt, den der Kläger zum Zweck seiner beruflichen Tätigkeit als Arbeitnehmer geschlossen hat, läge ein Verbrauchervertrag iSv. Art. 17 Abs. 1 EuGVVO vor und wäre eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nach Art. 18 Abs. 1 EuGVVO gegeben.
[69] a) Dem Umstand, dass der Kläger im Streitzeitraum als Kaufmann in einem (deutschen) Handelsregister eingetragen war, kommt im Streitfall keine Bedeutung zu, weil er die Patronatsvereinbarung nicht zum Zwecke seiner kaufmännischen Tätigkeit geschlossen hat.
[70] b) Der durch Art. 17 Abs. 1 Buchst. c EuGVVO bestimmte Anwendungsbereich von Art. 18 Abs. 1 EuGVVO ist - anders als nach der Vorgängerregelung in Art. 13 Abs. 1 des Brüsseler Übereinkommens - nicht auf Verträge beschränkt, die „die Erbringung einer Dienstleistung oder die Lieferung beweglicher Sachen zum Gegenstand haben“. Mit Ausnahme der in Art. 17 Abs. 3 EuGVVO bezeichneten Beförderungsverträge erfasst Art. 17 Abs. 1 Buchst. c EuGVVO dem Gegenstand nach alle Verträge, die ein Verbraucher mit einem Berufstätigen oder Gewerbetreibenden im Zusammenhang mit dessen Berufs- bzw. Geschäftstätigkeit schließt. Ein Verbrauchervertrag in diesem Sinne muss zudem kein synallagmatischer Vertrag sein. Er kann auch vorliegen, wenn eine der Parteien lediglich ihre Annahme zum Ausdruck bringt, ohne selbst eine wie immer geartete rechtliche Verpflichtung gegenüber der anderen Vertragspartei (dem Unternehmer) einzugehen (für Gewinnzusagen einer Versandhandelsgesellschaft EuGH 14. Mai 2009
[71] c) Nach der hier allein in Betracht kommenden Alternative des Art. 17 Abs. 1 Buchst. c EuGVVO muss der Vertragspartner des Verbrauchers - der Unternehmer - seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit zumindest auf den Mitgliedstaat „ausrichten“, und der potentielle Verbrauchervertrag muss in den Bereich dieser entweder im Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausgeübten oder auf diesen Staat ausgerichteten beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit des Vertragspartners fallen.
[72] aa) Der Begriff des „Ausrichtens“ setzt tatbestandlich voraus, dass der Gewerbetreibende irgendwie seinen Willen zum Ausdruck gebracht haben muss, Geschäftsbeziehungen zu Verbrauchern eines oder mehrerer Mitgliedstaaten, darunter des Wohnsitzmitgliedstaats des Verbrauchers, herzustellen (EuGH 7. Dezember 2010
[73] bb) Danach hat die Beklagte ihre berufliche Tätigkeit auf Deutschland und damit auf den Wohnsitzstaat des Klägers ausgerichtet. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat sie sich der Person des Klägers bedient, um auf dem europäischen Markt einschließlich Deutschlands Investoren für ihre Immobilienprojekte zu akquirieren. Lediglich aus Gründen der „Steuer- und Abgabenoptimierung“ sei das Dienstverhältnis auf die R Swiss „verschoben worden“, ohne dass sich die Zweckrichtung der Betätigung geändert habe. Dagegen und gegen die Feststellung des Landesarbeitsgerichts, sie habe die Patronatserklärung zu dem Zweck abgegeben, den Wechsel des Klägers zur R Swiss wirtschaftlich zu begleiten, hat die Beklagte Einwände nicht erhoben. Dass die Patronatsvereinbarung kein Immobiliengeschäft darstellt, ist nach Auffassung des Senats ohne Bedeutung. Ausreichend ist, dass der Vertrag in den Bereich der unternehmerischen Tätigkeit fällt. Dieser umfasst grundsätzlich auch die Gewinnung von Personal für die Verwirklichung der unternehmerischen Tätigkeit.
[74] d) Die Verbrauchereigenschaft eines Arbeitnehmers unter den vorliegenden Umständen unterstellt, wäre, da der Kläger seinen Wohnsitz im Bezirk des Arbeitsgerichts Stuttgart hat, dort der Verbrauchergerichtsstand nach Art. 17 Abs. 1 Buchst. c iVm. Art. 18 Abs. 1 EuGVVO eröffnet.
[75] Zur Frage 4:
[76] Sollten die deutschen Gerichte in Beantwortung der Fragen zu 1. bis 3. international zuständig sein, kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits darauf an, ob auf die Patronatsvereinbarung deutsches materielles Recht zur Anwendung gelangt. Dies hängt entscheidungserheblich davon ab, ob es sich bei der Patronatsvereinbarung um einen „Verbrauchervertrag“ iSv. Art. 6 Rom I-VO, dh. einen Vertrag handelt, den die Parteien zu einem Zweck geschlossen haben, der nicht der beruflichen Tätigkeit des Klägers zuzurechnen ist. Auch die Beantwortung dieser Frage ist dem Gerichtshof vorbehalten.
[77] I. Auf nach dem 17. Dezember 2009 geschlossene Verträge findet zur Bestimmung des auf die Patronatsvereinbarung anzuwendenden materiellen Rechts (Vertragsstatut) die Rom I-VO Anwendung (Art. 28 Rom I-VO). Die einer möglichen Haftung der Beklagten zugrunde liegende Patronatsvereinbarung wurde im Jahr 2016 geschlossen.
[78] II. Nach Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO gilt diese Verordnung für alle vertraglichen Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen. Die als Grundlage für die Inanspruchnahme der Beklagten heranzuziehende Patronatsvereinbarung weist Verbindungen sowohl zur Bundesrepublik Deutschland als auch zu Kanada auf. Der Kläger und die Beklagte haben ihren jeweiligen Sitz in unterschiedlichen Staaten. Die Rom I-VO ist unabhängig davon anwendbar, ob das berufene Recht dasjenige eines Mitgliedstaats iSd. Art. 1 Abs. 4 Satz 1 Rom I-VO oder eines Drittstaats ist. Sie enthält allseitige Kollisionsnormen.
[79] III. Gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Rom I-VO unterliegt der Vertrag dem von den Parteien gewählten Recht. Eine ausdrückliche Rechtswahl iSv. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 Rom I-VO wurde in der Patronatsvereinbarung nicht getroffen. Eine eindeutige konkludente Wahl iSd. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 Rom I-VO, die zur Anwendung deutschen Rechts führte, liegt ebenso wenig vor. Unabhängig davon, dass der Vertragssprache diesbezüglich allenfalls unterstützende Funktion zukommen kann (vgl. BAG 1. Juli 2010
[80] IV. Das mangels Rechtswahl anzuwendende Recht bestimmt sich - unbeschadet der Art. 5 bis 8 Rom I-VO - nach Art. 4 Rom I-VO. Von den insoweit gegenüber Art. 4 vorrangigen Bestimmungen in Art. 5 bis 8 Rom I-VO kommt allein das Vorliegen eines „Verbrauchervertrags“ iSv. Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO in Betracht.
[81] 1. Die Voraussetzungen für eine Anknüpfung nach Art. 8 Rom I-VO sind nicht gegeben. Vom Arbeitsvertrag getrennte Rechtsgeschäfte mit Eigenwert sind, unabhängig davon, ob sie zwischen den Arbeitsvertragsparteien oder zwischen dem Arbeitnehmer und einem Dritten abgeschlossen werden, nicht nach Art. 8 Rom I-VO, sondern selbständig nach jeweils vertragsspezifischen Kriterien oder allgemeinen Regeln (Art. 3, 4 Rom I-VO) anzuknüpfen. Deshalb findet bspw. Art. 8 Rom I-VO keine Anwendung auf Verträge, die zugunsten des Arbeitnehmers die (Mit-)Haftung eines Dritten begründen (zum Vertrag zugunsten Dritter: BAG 23. März 2016
[82] 2. Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b Rom I-VO unterliegt ein Vertrag, den eine natürliche Person zu einem Zweck, der nicht ihrer beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann („Verbraucher“), mit einer anderen Person geschlossen hat, die in Ausübung ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit handelt („Unternehmer“), dem Recht des Staats, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern der Unternehmer seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit auf irgendeine Weise auf diesen Staat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Staats, ausrichtet, und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt. Zwar hat der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Auch ist davon auszugehen, dass die Beklagte - wie bereits zum Verbrauchergerichtsstand nach der EuGVVO aufgezeigt - ihre gewerbliche Tätigkeit ua. auf Deutschland ausgerichtet hat, und dass die Patronatsvereinbarung in den Bereich dieser Tätigkeit fällt. Doch kann der Senat nicht ohne vorherige Klärung durch den Gerichtshof entscheiden, ob der Begriff der „beruflichen Tätigkeit“ die abhängige Tätigkeit in einem Arbeitsverhältnis umfasst und ob bejahendenfalls eine Patronatsvereinbarung, die der Sicherung von Ansprüchen aus der abhängigen Beschäftigung dient, der beruflichen Tätigkeit zuzurechnen ist. Insoweit gilt, auch wenn die Vorschriften nicht gänzlich inhaltsgleich sind, nichts anderes als im Rahmen der für die internationale Zuständigkeit maßgeblichen Bestimmung des Art. 17 Abs. 1 EuGVVO.
[83] 3. Die Klärung der Frage, ob die Patronatsvereinbarung einen „Verbrauchervertrag“ iSv. Art. 6 Rom I-VO darstellt, ist entscheidungserheblich. Eine andere Kollisionsnorm, die zur Anwendung deutschen Vertragsstatuts führte, greift aus Sicht des Senats nicht ein. Das gilt insbesondere für Art. 4 Rom I-VO.
D. ...