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Verfahrensgang

BAG, Urt. vom 24.09.2009 – 8 AZR 306/08, IPRspr 2009-184

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Besonderer Vertragsgerichtsstand

Leitsatz

Die Wahrnehmung eines Gütetermins vor den Arbeitsgerichten stellt keine zuständigkeitsbegründende Einlassung des Beklagten auf das Verfahren im Sinne des Art. 24 EuGVO dar.

Verrichten Seeleute ihre Arbeit auf einem Schiff, richtet sich der für die internationale Zuständigkeit in Art. 19 Nr. 2 lit. a EuGVO maßgebliche gewöhnliche Arbeitsort in Anlehnung an Art. 91 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen vom 10.12.1982 (BGBl. 1994 II 1799) nach der Staatszugehörigkeit des Schiffs, mithin also nach dessen Flagge. [LS von der Redaktion neu gefasst]

Rechtsnormen

ArbGG § 54; ArbGG §§ 56 f.
EGBGB Art. 30
EGV-Amsterdam Art. 48; EGV-Amsterdam Art. 249
EUGVVO 44/2001 Art. 1; EUGVVO 44/2001 Art. 2; EUGVVO 44/2001 Art. 2 ff.; EUGVVO 44/2001 Art. 4 ff.; EUGVVO 44/2001 Art. 18; EUGVVO 44/2001 Art. 18 ff.; EUGVVO 44/2001 Art. 19; EUGVVO 44/2001 Art. 21; EUGVVO 44/2001 Art. 24; EUGVVO 44/2001 Art. 60
SRÜ Art. 91
ZPO § 39; ZPO § 276; ZPO § 282

Sachverhalt

[Der Abdruck dieser Entscheidung ersetzt die in IPRspr. 2008 angekündigte Veröffentlichung der Parallelentscheidung des BAG (8 AZR 305/08) mit dem vorausgehenden Beschluss des LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 18.3.2008 (1 Sa 38/07).]


Der Kl. war seit November 2001 als Hotelmanager auf dem Fährschiff „Superfast VIII“ angestellt. Das Schiff war auf der Ostsee als Fähre zwischen Rostock und Finnland eingesetzt und fuhr unter griechischer Flagge. Der Kl. hatte unter dem 26.11.2001 einen schriftlichen Arbeitsvertrag unterzeichnet, welcher in englischer Sprache abgefasst und unter dem Briefkopf „Superfast Ferries“ zwischen der Bekl. zu 2) und dem Kl. geschlossen wurde. Dessen Nr. 6 lautet in dt. Übersetzung: „Zuständig für alle Streitigkeiten, die sich aus dem Arbeitsverhältnis des Seefahrers ergeben, ist ausschließlich das Bezirksgericht von Helsinki ...“ Der schriftliche Arbeitsvertrag wurde im Rahmen der ersten Schicht an Bord der Fähre unterzeichnet. Für die Bekl. zu 2) geschah dies ausweislich der Fotokopie des Arbeitsvertrags in der Originalfassung durch den Kapitän. Die Arbeitnehmer der Fähre wurden im Zwei-Wochen-Rhythmus eingesetzt. Zumindest die deutschen Arbeitnehmer nahmen im Regelfall ihre Arbeit in Rostock auf und traten ihren Freizeitblock dort an. Jedenfalls bis April 2006 hat die Bekl. zu 1) einen ihrer Angestellten, zuletzt den Kapitän T. T., nach Rostock entsandt, um den Einsatz des gesamten Personals auf allen drei von der Bekl. zu 1) betriebenen Fährschiffen zu koordinieren. Eigentümerin (Reederin) der „Superfast VIII“ und zweier weiterer Fährschiffe war bis April 2006 die Bekl. zu 2). Bei ihr handelt es sich um eine Gesellschaft griechischen Rechts mit Sitz in Athen. Der Heimathafen des unter griechischer Flagge fahrenden Fährschiffs „Superfast VIII“ ist Piräus. Die Bekl. zu 1) ist eine nach dem Recht des Staats Liberia mit Sitz in Liberia errichtete Aktiengesellschaft. Sie unterhält in Voula/Griechenland eine Niederlassung, die im Register des Ministeriums für Handelsschifffahrt der Republik Griechenland eingetragen ist. Die Bekl. zu 1) hat als Betreiber im Auftrag der Bekl. zu 2) das Fährgeschäft mit den drei Fährschiffen ab Frühjahr 2001 jedenfalls bis April 2006 durchgeführt. Über die Niederlassung in Griechenland wickelte die Bekl. zu 1) die Gehaltszahlungen an die Arbeitnehmer ab. Mit Schreiben vom 30.10.2005, welches dem Kl. am selben Tage zuging, wurde unter dem Briefkopf der Bekl. zu 1) das Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt.

Der Kl. hat Kündigungsschutzklage gegen die Bekl. zu 1) erhoben und diese später auf die Bekl. zu 2) erweitert. Letztere hat die fristlose Kündigung vom Oktober 2005 bestätigt und erneut fristgerecht aus betriebsbedingten Gründen gekündigt. Mit Zwischenurteil vom 18.1.2007 hat das ArbG Rostock die „Zulässigkeit der Klage“ festgestellt. Durch Berufungsurteil hat das LAG die Berufung der Bekl. zu 1) und der Bekl. zu 2) mit der Klarstellung zurückgewiesen, dass das ArbG Rostock für die gegen diese Bekl. gerichtete Klage zuständig sei. Gegen dieses Berufungsurteil haben nur die Bekl. zu 1) und 2) Revision eingelegt. Mit ihr verfolgen sie weiterhin das Ziel einer Klagabweisung.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Die Revision der Bekl. zu 1) und Bekl. zu 2) ist begründet. Mangels internationaler Zuständigkeit ist die vor den deutschen Arbeitsgerichten erhobene Klage unzulässig ...

[2]B. ... Das LAG hat im Ergebnis zu Unrecht die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte angenommen.

[3]I. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass sich die internationale Gerichtszuständigkeit für beide Bekl. nach der EuGVO bestimmt.

[4]1. Die EuGVO ist seit ihrem Inkrafttreten am 1.3.2002 in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat der EU (Art. 249 II EG). Die Verordnung geht nationalem Recht im Rang vor. Soweit ihr nationale Bestimmungen widersprechen, werden sie durch die EuGVO verdrängt (BAG, 23.1.2008 – 5 AZR 60/07 (IPRspr 2008-116), AP Nr. 22 zu § 38 ZPO Internationale Zuständigkeit Rz. 12 = EzA EG-Vertrag 1999 VO 44/2001 Nr. 1; Geimer-Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl., A.1 Einl. Rz. 49 ff.; Musielak-Stadler, ZPO, 7. Aufl., EG-Verordnungen Vorb. Rz. 5; Rauscher-Staudinger, Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Bd. 1 Einl. Brüssel I-VO Rz. 27 ff.).

[5]2. Nach Art. 1 I EuGVO ist diese sachlich gegenüber beiden Bekl. anzuwenden, da sie eine zivilrechtliche Streitigkeit führen, wozu auch arbeitsrechtliche Streitigkeiten gehören (Geimer-Schütze aaO A.1 Art. 1 Rz. 34; Mankowski, Arbeitsrecht-Blattei System. Darstellung 160.5.5 [2007] Internationale Zuständigkeit Rz. 43).

[6]3. Auf die Bekl. zu 2) ist die EuGVO räumlich anwendbar, weil sie ihren satzungsmäßigen Sitz im EU-Mitgliedstaat Griechenland hat. Nach Art. 60 I EuGVO haben Gesellschaften und juristische Personen ihren Wohnsitz an dem Ort, an dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung befindet. Da die Bekl. zu 2) somit ihren ‚Wohnsitz’ in einem EU-Mitgliedstaat hat, ist nach Art. 2 I die EuGVO auf sie anwendbar. Dies gilt unabhängig davon, ob im Streitfall der Gerichtsstand nach den Vorschriften über die Zuständigkeit für individuelle Arbeitsverträge gemäß Art. 18 ff. EuGVO oder nach den Vorschriften für allgemeine zivilrechtliche Zuständigkeiten gemäß Art. 2 ff. EuGVO zu bestimmen ist (BAG, 23.1.2008 aaO; Geimer-Schütze aaO Art. 18 Rz. 1; Mankowski aaO Rz. 45).

[7]4. Die Bekl. zu 1) ist zwar eine nach dem Recht des Staats Liberia errichtete AG, also außerhalb der EU. Sie unterhält aber in Athen/Griechenland eine Niederlassung, welche als Hauptniederlassung im Sinne des Art. 60 I lit. c EuGVO anzusehen ist. Damit hat sie ebenfalls innerhalb der EU einen ‚Wohnsitz’ im Sinne des Art. 60 I EuGVO und fällt in deren räumlichen Anwendungsbereich.

[8]a) Es kann allerdings nicht davon ausgegangen werden, dass die Bekl. zu 1) ihre Hauptverwaltung in Athen hat.

[9]aa) Der Begriff der Hauptverwaltung und der Hauptniederlassung wird in der EuGVO nicht näher definiert. Angesichts der übereinstimmenden Formulierung in Art. 48 I EG kann zur Auslegung auf das dortige Begriffsverständnis zurückgegriffen werden (BAG, 23.1.2008 aaO; Geimer-Schütze aaO Art. 60 Rz. 4 ff.; Rauscher-Staudinger aaO Brüssel I-VO Art. 60 Rz. 1). Danach ist die Hauptverwaltung dort zu lokalisieren, wo die Willensbildung und die grundlegenden unternehmerischen Entscheidungen getroffen werden, also meist am Sitz der Organe (BAG, 23.1.2008 aaO; Geimer-Schütze aaO; Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht, 8. Aufl., Art. 60 EuGVO Rz. 2). Insoweit ist eine Kundgabe des entsprechenden Willens durch die juristische Person nicht erforderlich. Weder bedarf es der Eintragung einer Haupt- oder Zweigniederlassung, noch muss – unter Beibehaltung des satzungsmäßigen Sitzes im Gründungsstaat – die gesamte Geschäftstätigkeit dort ausgeübt werden. Sekundäre Verwaltungsaufgaben, wie Buchhaltung und die Regelung von Steuerangelegenheiten, sind für die Bestimmung des Sitzes der Hauptverwaltung unerheblich. Diese Auslegung ist nicht aus dem innerstaatlichen Recht, sondern autonom aus dem europäischen Recht abgeleitet und so offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt (BAG, 23.1.2008 aaO).

[10]bb) Danach scheitert die Annahme einer Hauptverwaltung der Bekl. zu 1) in Athen bereits daran, dass keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen sind, ihre Organe hätten dort ihren Sitz. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass die Willensbildung und die grundlegenden unternehmerischen Entscheidungen für die Bekl. zu 1) in Athen getroffen wurden.

[11]b) Die Bekl. zu 1) hat aber ihre Hauptniederlassung in Athen, was neben dem satzungsmäßigen Sitz und der Hauptverwaltung nach Art. 60 EuGVO ein weiterer, alternativer und gleichwertiger Anknüpfungspunkt ist.

[12]aa) Die Hauptniederlassung ist der Ort, von wo aus die Gesellschaft mit dem Markt in Kontakt tritt, der ‚tatsächliche Sitz der Gesellschaft’. Der Schwerpunkt des unternehmensexternen Geschäftsverkehrs muss bei dieser Niederlassung liegen, was eine Konzentration bedeutsamer Personal- und Sachmittel voraussetzt (Geimer-Schütze aaO Rz. 7; Rauscher-Staudinger aaO; Kropholler aaO).

[13]bb) Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des LAG in den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils hat die Bekl. zu 1) ausschließlich im europäischen Raum Fährlinien betrieben. Die Gehaltszahlungen an die Arbeitnehmer wurden über die Niederlassung in Athen abgewickelt. Zur Existenz weiterer Niederlassungen wurde ebenso wenig etwas vorgetragen, wie Anhaltspunkte dafür ersichtlich wären, dass die Bekl. zu 1) an irgendeinem anderen Ort (innerhalb oder außerhalb Europas) ihren unternehmensexternen Geschäftsverkehr abgewickelt hat. Daher ist davon auszugehen, dass die Niederlassung der Bekl. zu 1) in Athen ihre Hauptniederlassung ist.

[14]II. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für den vorliegenden Rechtsstreit ergibt sich nicht nach Art. 24 EuGVO. Danach wird das Gericht eines Vertragsstaats jedenfalls dann zuständig, wenn die beklagte Partei sich vor ihm auf das Verfahren eingelassen hat.

[15]1. Eine Einlassung in diesem Sinne ist nicht in der Rüge mangelnder Zuständigkeit zu sehen. Ebenso wenig stellen Handlungen, die dem eigentlichen Verfahren vorgelagert und nicht unmittelbar auf Abweisung der Klage gerichtet sind, wie z.B. die Anzeige der Verteidigungsbereitschaft nach § 276 I ZPO, eine Einlassung auf das Verfahren im Sinne von Art. 24 EuGVO dar. Anders als nach § 39 ZPO braucht es aber keine[r] Einlassung zur Hauptsache, sodass auch Einwände oder Einreden, die das Verfahren betreffen, die Zuständigkeit begründen können. Eine Rüge der internationalen Zuständigkeit ist dann verspätet, wenn sie erst ‚nach Abgabe derjenigen Stellungnahme erhoben wird, die nach dem innerstaatlichen Prozessrecht als das erste Verteidigungsvorbringen vor dem angerufenen Gericht anzusehen ist’ (EuGH, 24.6.1981 – Rs C-150/80, Slg. 1981, 1671 Rz. 16; BAG, 2.7.2008 – 10 AZR 355/07 (IPRspr. 2008 Nr. 110), AP Nr. 1 zur VO Nr. 44/2001/EG Rz. 23; Geimer-Schütze aaO Art. 24 Rz. 7).

[16]2. Die einheitliche Vertretung beider Bekl. in den Güteterminen vor den Arbeitsgerichten stellt kein erstes Verteidigungsvorbringen im Sinne des Art. 24 EuGVO dar. Nach § 54 II 3 ArbGG sind im Verfahren vor dem ArbG § 39 Satz 1 und § 282 III 1 ZPO nicht anzuwenden. Daher kann erst eine rügelose Einlassung im Kammertermin die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte begründen (BAG, 2.7.2008 aaO). Äußerungen der Parteien oder ihrer Prozessbevollmächtigten im Gütetermin sollen der Streitbeilegung dienen, aber nicht bezwecken, das Gericht zu einer Entscheidung im Rechtsstreit zu bewegen. Die streitige Verhandlung beginnt erst nach dem Abschluss des Güteverfahrens, §§ 54 IV, 56 f. ArbGG. Erörterungen im Gütetermin können daher keine Zuständigkeit durch rügelose Einlassung begründen (Schulte-Beckhausen, Internationale Zuständigkeit durch rügelose Einlassung im Europäischen Zivilprozessrecht, 1994, 172 f.; a.A. wohl: Rauscher-Staudinger aaO Art. 24 Rz. 6/7). Vorliegend haben beide Bekl. durch ihren Prozessbevollmächtigten mit dem ersten eingereichten Schriftsatz zur Rechtsverteidigung die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte rügen lassen.

[17]III. Da Gegenstand des Verfahrens Ansprüche sind, die aus einem individuellen Arbeitsvertrag abgeleitet werden, bestimmt sich die internationale Zuständigkeit nach dem Abschnitt 5 der EuGVO, also nach deren Art. 18 ff.

[18]1. Grundsätzlich schaffen die Art. 18 ff. EuGVO ein abschließendes Regime für Streitigkeiten aus Individualverträgen mit Verdrängungswirkung zulasten aller anderen Gerichtsstände mit Ausnahme der ausdrücklich zugelassenen Gerichtsstände nach Art. 4, 5 Nr. 5 und 6 Nr. 3 EuGVO (Geimer-Schütze aaO Art. 18 Rz. 5; Rauscher-Mankowski aaO Art. 18 Rz. 5; Kropholler aaO Art. 18 EuGVO Rz. 1; Musielak-Stadler aaO Art. 18 EuGVVO Rz. 1).

[19]Unter dem Begriff des individuellen Arbeitsvertrags ist in verordnungsautonomer Interpretation eine Vereinbarung zu verstehen, die eine abhängige, weisungsgebundene Tätigkeit während einer bestimmten Zeit zum Gegenstand hat, bei der der Arbeitnehmer regelmäßig in einer bestimmten Weise in den Betrieb des Arbeitgebers eingebunden ist und für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält (EuGH, 26.2.1992 – Rs C-357/89 [Raulin/Minister van Onderwijs en Wetenschappen] LS 1, Slg. 1992, I­1027).

[20]2. Zwischen dem Kl. und der Bekl. zu 2) hat unstreitig ein Arbeitsverhältnis bestanden, der Streit um die Wirksamkeit einer Kündigung stellt einen Streit um Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag im Sinne des Art. 18 EuGVO dar. Gleiches gilt auch im Verhältnis des Kl. zur Bekl. zu 1). Selbst wenn nicht klar sein sollte, ob die erste, fristlose Kündigung zum 30.10.2005 von der Bekl. zu 1) ausgesprochen wurde oder ob die Bekl. zu 1) insoweit als Vertreterin der Bekl. zu 2) aufgetreten ist, wehrt der Kl. jedenfalls einen Eingriff in den Bestand seines Arbeitsverhältnisses vonseiten der Bekl. zu 1) ab. Dies genügt im Rahmen der Bestimmung der internationalen Zuständigkeit nach Art. 18 ff. EuGVO für die sachliche Anwendung der europäischen Rechtsverordnung zur internationalen Gerichtszuständigkeit. Nach der Lehre von den doppelt relevanten Tatsachen muss der Kläger die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen nur schlüssig behaupten. Er muss für sie im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung auch dann nicht vollen Beweis erbringen, wenn die beklagte Partei ihr Vorliegen bestreitet. Gründe des materiellen Rechts sollen nicht in die Zuständigkeit durchschlagen, der Beklagte soll nicht durch bloße Gegenbehauptungen den vom Kläger bezeichneten Gerichtsstand nehmen können (EuGH, 3.7.1997 – Rs C-269/95 [Benincasa/Dentalkit] Slg. 1997, I-3767; Mankowski aaO Rz. 68/69).

[21]IV. Da sowohl die Bekl. zu 1) als auch die Bekl. zu 2) ihren Sitz nicht in Deutschland haben, ergibt sich die Zuständigkeit deutscher Gerichte nicht nach Art. 19 Nr. 1 EuGVO.

[22]V. Die deutschen Arbeitsgerichte sind auch nicht nach Art. 19 Nr. 2 lit. a EuGVO zuständig. Nach dieser Bestimmung kann ein Arbeitgeber, der seinen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, auch an dem Ort in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet.

[23]1. Der Begriff des gewöhnlichen Arbeitsorts im Sinne der EuGVO ist autonom ohne Rückgriff auf Begriffsbildungen in den nationalen Rechtsordnungen auszulegen (EuGH, 27.2.2002 – Rs C-37/00 - [Weber/Ogden] Slg. 2002, I-2013; 10.4.2003 – Rs C-437/00 [Pugliese/Finmeccanica], Slg. 2003, I-3573; so auch die Lit., vgl. Rauscher-Mankowski aaO Art. 19 Rz. 4; Mankowski aaO Rz. 209; Geimer-Schütze aaO Rz. 8).

[24]Dahinter steht der Gedanke, dass der Arbeitnehmer einen Ort haben soll, mit dem er verbunden ist und an dem er mit den relativ geringsten Kosten seine Rechte wahrnehmen kann (EuGH, 13.7.1993 – Rs C-125/92 [Mulox/Geels], Slg. 1993, I-4075; 10.4.2003 aaO; Geimer-Schütze aaO Rz. 10).

[25]2. Die Anknüpfung an den gewöhnlichen Arbeitsort im Sinne des Art. 19 Nr. 2 lit. a EuGVO liegt, wie auch das LAG gesehen hat, bei Arbeitsverhältnissen von Seeleuten im internationalen Seeverkehr nicht auf der Hand. Der Kl. hat gewöhnlich seine Arbeit auf dem Fährschiff ‚Superfast VIII’ verrichtet. Der Arbeitsort des Kl., ein Schiff, liegt im Wortsinn nicht fest. Dies kann aber entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht dazu führen, den gewöhnlichen Arbeitsort ‚an Land’ zu verlegen. Auch bei einem Fährschiff im festen Linienverkehr ist der Anteil der Arbeitsleistung von Seeleuten, der im Ausgangs- oder im Zielhafen zu erbringen ist, von untergeordneter Bedeutung, ganz abgesehen davon, dass solche Arbeiten gleichermaßen im Ausgangs- wie im Zielhafen anfallen und hier daher nur hälftig in Deutschland, zur anderen Hälfte in Finnland erbracht werden. Auch kann die Fahrtroute, wie dies etwa bei einem Binnenschiff der Fall sein könnte, nicht ganz oder überwiegend einem EU-Mitgliedstaat zugeordnet werden, weil die Fähre im internationalen Seeverkehr zwischen Finnland und Deutschland betrieben wurde und dabei die Hoheitsgewässer mehrerer EU-Mitgliedstaaten durchfahren hat (neben Deutschland und Finnland auch Dänemark und sodann entweder Schweden oder Polen und die drei baltischen Staaten). Diese Schwierigkeiten berechtigen aber nicht dazu, von dem gewöhnlichen Arbeitsort eines Seemanns, seinem Schiff, abzusehen und diesen in dem Fährhafen anzunehmen, in dem der Seemann gewöhnlich an und von Bord geht – was gerade noch keine Arbeitsleistung darstellt. Auch nach der Rspr. des EuGH ist der gewöhnliche Arbeitsort mangels anderer Kriterien der Ort, an dem der Arbeitnehmer den größten Teil seiner Arbeitszeit geleistet hat (27.2.2002 aaO Rz. 58). Damit kann entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts der gewöhnliche Arbeitsort für Arbeitnehmer auf ‚beweglichen Geräten (Busse, Lkw, Flugzeuge, Schiffe)’ nicht der Ort des Arbeitsbeginns sein. Auch die Überlegung des Berufungsgerichts, am Arbeitsort könnte sich der Arbeitnehmer mit dem geringsten Kostenaufwand an die Gerichte wenden, überzeugt nicht. Zwar soll nach der Erwägung Nr. 13 zur EuGVO auch bei Arbeitssachen die schwächere Partei durch Zuständigkeitsvorschriften geschützt werden, die für sie günstiger sind als die allgemeine Regelung. Dem trägt jedoch die EuGVO durch die Bestimmungen des Abschnitts 5 Rechnung. Diese Vorschrift erlaubt jedoch nicht, den Arbeitsort dorthin zu verlegen, wo der Arbeitnehmer am einfachsten klagen kann. Die EuGVO knüpft an den gewöhnlichen Arbeitsort im Sinne des Arbeitnehmerschutzes an, weil an ihm der Arbeitnehmer den wesentlichen Teil seiner Verpflichtungen gegenüber seinem Arbeitgeber erbringt (EuGH, 27.2.2002 aaO). Wenn die für den Arbeitnehmer kostengünstigste Rechtsverfolgung für den Verordnungsgeber das einzig maßgebliche Kriterium gewesen wäre, hätte er den Wohnort des Arbeitnehmers als Anknüpfungspunkt aufnehmen können, was er jedoch nicht getan hat. Zudem ergibt sich aus der Erwägung Nr. 15 zur EuGVO, dass im Interesse einer abgestimmten Rechtspflege Parallelverfahren so weit wie möglich vermieden werden müssen, damit nicht in zwei Mitgliedstaaten miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen. Damit erweist sich die weitere Überlegung des LAG, bei Fährschiffen im festen Linienverkehr müsse an eine Ausnahme gedacht werden, als nicht tragfähig: Bei einer Anknüpfung an die beiden Zielhäfen, zwischen denen die Fähre pendelt, ergäbe sich vorliegend sowohl eine Zuständigkeit der deutschen wie der finnischen Gerichtsbarkeit.

[26]3. Stellt das Schiff, und nicht ein Hafen, den gewöhnlichen Arbeitsort des Seemanns dar, so stellt im Fall des internationalen Seeverkehrs die überwiegende Literaturmeinung – in Anlehnung an Art. 30 II Nr. 1 EGBGB – für die Zuordnung dieses gewöhnlichen Arbeitsorts auf die Flagge ab, unter der das Schiff fährt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Flagge nicht der einzige Anknüpfungspunkt zum Flaggenstaat ist (Franzen, IPRax 2003, 239, 240; Weigand, Gemeinschaftskommentar zum KschG, 9. Aufl., IPR Rz. 63; Rauscher-Mankowski aaO Art. 19 Rz. 9; Mankowski aaO Rz. 233; C. Müller, Die internationale Zuständigkeit deutscher Arbeitsgerichte und das auf den Arbeitsvertrag anwendbare Recht, 2004, 139 ff., jeweils m.w.N.).

[27]Diese Rechtsauffassung entspricht mittlerweile sowohl dem internationalen wie dem europäischen Recht. Mit dem Gesetz zu dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vom 2.9.1994 (BGBl. II 1798 ff.) ist die Bundesrepublik Deutschland dem SRÜ (oder UNCLOS: United Nations Convention on the Law of the Sea) vom 10.12.1982 beigetreten. Art. 91 SRÜ lautet:

[28]‚Staatszugehörigkeit der Schiffe

[29](1) Jeder Staat legt die Bedingungen fest, zu denen er Schiffen seine Staatszugehörigkeit gewährt, sie in seinem Hoheitsgebiet in das Schiffsregister einträgt und ihnen das Recht einräumt, seine Flagge zu führen. Schiffe besitzen die Staatszugehörigkeit des Staats, dessen Flagge zu führen sie berechtigt sind. Zwischen dem Staat und dem Schiff muss eine echte Verbindung bestehen.

[30](2) Jeder Staat stellt den Schiffen, denen er das Recht einräumt, seine Flagge zu führen, entsprechende Dokumente aus.’

[31]Auch Griechenland und Finnland sind Mitte der 90-er Jahre dem UNCLOS beigetreten, ebenso wie zuvor schon eine Mehrzahl der EU-Mitgliedstaaten. Dies hat dazu geführt, dass 1998 auch die EG selbst dem Seerechtsübereinkommen beigetreten ist.

[32]Damit ‚liegt’ der gewöhnliche Arbeitsort des Kl., die Fähre ‚Superfast VIII’, die unter griechischer Flagge fuhr, jedenfalls nicht im Sinne des Art. 19 Nr. 2 lit. a EuGVO im Zuständigkeitsbereich der deutschen Gerichte.

[33]VI. Da der gewöhnliche Arbeitsort des Kl. nach Art. 19 Nr. 2 lit. a EuGVO und gemäß Art. 91 SRÜ ein und demselben Staat, Griechenland, zuzuordnen ist, kommt entgegen der Hilfsüberlegung des Berufungsgerichts eine Gerichtsstandsbestimmung nach Art. 19 Nr. 2 lit. b EuGVO nicht in Betracht. Nach dem insoweit klaren Wortlaut der EuGVO kommt die Zuständigkeit des Orts der einstellenden Niederlassung dann nicht in Betracht, wenn ein Gerichtsstand nach Art. 19 Nr. 2 lit. a EuGVO bestimmt werden kann. Die Gerichtsstände nach Art. 19 Nr. 2 litt. a und b EuGVO bestehen alternativ, nicht kumulativ (Musielak-Stadler aaO Art. 19 EuGVVO Rz. 2; Zöller-Geimer, ZPO, 27. Aufl., Art. 19 EuGVVO Rz. 6; Mankowski aaO Rz. 259).

[34]VII. Es kann dahinstehen, ob die im Arbeitsvertrag getroffene Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 21 EuGVO wirksam ist. Denn aus ihr ergibt sich jedenfalls nicht die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte, sondern entweder der finnischen oder der griechischen.

Fundstellen

LS und Gründe

AP, Nr. 1 zu Art. 18 EuGVO
Europ. Leg. Forum, 2010, II-8, , I-14 Anm. Calabresi-Scholz
MDR, 2010, 641
RIW, 2010, 232

nur Leitsatz

AuR, 2010, 177
DB, 2010, 512

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