Wurde nach einer von einem deutschen Gericht rechtskräftig für unwirksam erachteten außerordentlichen Kündigung das Arbeitsverhältnis zwischen den Vertragsparteien entgegen den Grundsätzen des schweizerischen Rechts nicht aufgelöst, bedarf es zur Begründung von Annahmeverzugsansprüchen nach Art. 324 Abs. 1 OR (Schweizerisches Obligationenrecht) (juris: OR CHE) keines tatsächlichen oder ausdrücklichen Angebots der Arbeitskraft.
Die Ersatzansprüche nach Art. 337c Abs. 1 OR (juris: OR CHE) und auch die Entschädigungsansprüche nach Art. 337c Abs. 3 OR (juris: OR CHE) verjähren erst mit Ablauf der zehnjährigen Regelverjährungsfrist des Art. 127 OR (juris: OR CHE) und nicht bereits nach drei Jahren gem. Art. 60 Abs. 1 OR (juris: OR CHE) oder nach fünf Jahren gem. Art. 128 Nr. 3 OR (juris: OR CHE). [LS von der Redaktion neu gefasst]
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger gegen die beklagte kanadische Gesellschaft aufgrund einer Patronatserklärung direkte Zahlungsansprüche wegen nicht erfüllter Ansprüche aus einem Arbeitsverhältnis zu einer insolventen Schweizer Gesellschaft zustehen.
Mit Urteil der Kammer vom 15. August 2018 wurde die Beklagte zur Leistung einer Antrittsprämie iHv. ... USD verurteilt sowie zur Leistung von Annahmeverzugsvergütung für den Zeitraum April 2016 bis November 2017 iHv. insgesamt ... USD. Außerdem wurde die Beklagte zur Zahlung eines Auslagenersatzes iHv. ... Euro verurteilt. Es wurde festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet sei, steuerliche Nachteile des Klägers auszugleichen, die sich aus der (verspäteten) Nachzahlung des Entgelts ergeben. Dieses Urteil wurde auf die Revision der Beklagten mit Urteil des BAG vom 29. März 2023 (
Der Kläger hat im Nachgang seine Anträge teilweise umgestellt. Er beantragt zuletzt im Wesentlichen, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine Antrittsprämie iHv. ... US-Dollar nebst Zinsen und für den Zeitraum vom xx.xx.2016 bis zum xx.xx.2016 ... US-Dollar brutto nebst Zinsen und für den Zeitraum vom xx.xx.2016 bis zum xx.xx.2017 ... US-Dollar brutto nebst Zinsen zu zahlen.
[1]Die zulässige Berufung ist, soweit noch nicht rechtskräftig über sie entschieden wurde, nur teilweise begründet.
[2]A ... B
[3]Die Berufung ist nur teilweise begründet.
[4]Die Klage gemäß den zuletzt gestellten Klageanträgen ist zulässig, aber nur zum Teil begründet, im Übrigen unbegründet.
[5]I.
[6]Die Klage gemäß den zuletzt gestellten Klageanträgen ist insgesamt zulässig.
[7]I.a
[8]Der Zulässigkeit der Klage steht keine fehlende internationale Zuständigkeit entgegen.
[9]Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte folgt vorliegend aus Art. 21 Abs. 1 Buchst. b (i), Abs. 2 EuGVVO. Dies hat das BAG mit Bindungswirkung (§ 563 Abs. 2 ZPO) entschieden (BAG 29. März 2023 -
[10]I.b ... I.c ... 1. ... a) ... b) ... aa) ... bb) ... (1) ... (2) ... c) ... I.d ... 1. ... 2. ... 3. ... I.c ... 1. ... 2. ... 3. ... I.f ... II.
[11]Die Klage ist nur teilweise begründet.
[12]II.a
[13]Dem Kläger steht kein Anspruch gegen die Beklagte zu auf Zahlung einer Antrittsprämie iHv. ... USD. Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus § 2 der Patronatserklärung iVm. Nr. 4.1 des Arbeitsvertrags.
[14]1. ... 2. ... a) ... b) Dem Kläger wurde gemäß Nr. 4.1 des Arbeitsvertrages zwar eine Antrittsprämie iHv. ... USD zugesagt. Diese Zusage war aber sittenwidrig. Sie ist deshalb gemäß Art. 20 Abs. 1 OR nichtig.
[15]aa) Auf das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der R. S. ist schweizerisches Recht anzuwenden. Dies ergibt sich aus der wirksamen Rechtswahl iSv. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 iVm. Art. 8 Abs. 1 Satz 1 Rom I-VO (BAG 29. März 2023 -
[16]bb) Die Vereinbarung der Antrittsprämie war sittenwidrig.
[17](1) Nach Art. 20 Abs. 1 OR ist ein Vertrag nichtig, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstößt. Auch die Sittenwidrigkeit bezieht sich auf den Vertragsinhalt, der in einem weiteren Sinne den Vertragszweck mitumfasst. Sittenwidrig sind Verträge, die gegen das allgemeine Anstandsgefühl oder gegen die der Gesamtrechtsordnung immanenten ethischen Prinzipien und Wertmaßstäbe verstoßen (BGer (Schweizerisches Bundesgericht) 20. November 1996 -
[18](2) Vorliegend ist zwischen den Parteien unstreitig, dass es sich bei der Antrittsprämie lediglich um „umgetauftes“ Arbeitsentgelt handeln sollte, welches die Beklagte dem Kläger schuldete und auch tatsächlich zahlte. Nach der Vorstellung der Parteien (und insbesondere der Beklagten) sollte der Entgeltcharakter gegenüber den deutschen Steuer- und Sozialversicherungsbehörden verheimlicht werden. Aus diesem Grunde wurde (letztlich zum Schein) das loan agreement abgeschlossen. Durch „Umtaufung“ des bereits geleisteten Entgelts in ein Darlehen sollte (pro forma) eine Rückzahlungspflicht des Klägers geschaffen werden, die sofort wieder durch die Antrittsprämie in gleicher Höhe hätte kompensiert werden sollte. Ziel und Zweck war somit, das durch Arbeitsleistung in Deutschland bereits verdiente Entgelt der Steuer- und Sozialversicherungspflicht in Deutschland zu entziehen und durch einen angeblichen Zufluss der Gelder in der Schweiz zu „verbilligen“. Die „Antrittsprämie“ war somit lediglich das Vehikel, um eine Vorenthaltung von Einkommensteuer und Sozialversicherungsbeiträgen in Deutschland verschleiern zu können. Dies ist grob unanständig und sittenwidrig.
[19](3) Das BAG (BAG 29. März 2023 -
[20]3. Gemäß Art. 20 Abs. 2 OA ist aber nicht der gesamte Arbeitsvertrag nichtig, sondern lediglich die Antrittsprämienregelung in Nr. 4.1 des Arbeitsvertrags. Denn die Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit der R. S. war von den Parteien gewollt.
[21]4. Da dem Kläger die Antrittsprämie nicht zusteht, kommt es auf die hilfsweise Aufrechnung der Beklagten mit einem angeblichen Darlehensrückzahlungsanspruch nicht an.
[22]II.b
[23]Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von Arbeitsentgelt für den Zeitraum 1. April 2016 bis 11. Juli 2016 aus § 2 der Patronatserklärung iVm. Art. 322 Abs. 1 OR iHv. ... USD.
[24]1. Wie bereits oben dargestellt, haftet die Beklagte gegenüber dem Kläger für Verbindlichkeiten der R. S. aus dem Arbeitsverhältnis aus § 2 der Patronatserklärung.
[25]2. Ob und welche Ansprüche dem Kläger aus dem Arbeitsverhältnis zustehen, richtet sich nach schweizerischem Recht. Auch insoweit wird auf obige Ausführungen verwiesen.
[26]3. ... 4. ... 5. ... 6. ... II.c
[27]Für den Zeitraum 12. Juli 2016 bis 1. August 2016 steht dem Kläger kein Ersatzanspruch gemäß Art. 337c Abs. 1 OR (Teil des Hauptantrags zu 3) zu.
[28]1. Gemäß Art. 337c Abs. 1 OR hat der Arbeitgeber, der einen Arbeitnehmer fristlos ohne wichtigen Grund entlässt, das zu ersetzen, was der Arbeitnehmer verdient hätte, wenn das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der Kündigungsfrist oder durch Ablauf der bestimmten Vertragslaufzeit beendet worden wäre. Es handelt sich hierbei um einen auf einen hypothetischen Lohnanspruch gerichteten Schadensersatzanspruch (BernerKomm-OR/Rehbinder/ Stöckli Art. 337c Rn. 1, 2).
[29]2. Vorliegend fehlt es bereits am Tatbestandsmerkmal der „Entlassung“.
[30]a) Zwar hat die R. S. das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit E-Mail vom 11. Juli 2016 fristlos gekündigt. Nach schweizerischem Recht ist eine Kündigung grundsätzlich auch formfrei möglich (Chappius u.a. Schweizerisches Privatrecht VII/4 Der Arbeitsvertrag (2014) § 24 Rn. 29). Außerdem führt eine solche Kündigung selbst dann, wenn sie ungerechtfertigt sein sollte, regelmäßig zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung oder Wiedereinstellung besteht nicht (Chappius u.a. Schweizerisches Privatrecht VII/4 Der Arbeitsvertrag (2014) § 24 Rn. 175; BernerKomm-OR/Rehbinder/ Stöckli Art. 337c Rn. 2).
[31]b) Dennoch ist vorliegend eine Entlassungswirkung ausnahmsweise nicht eingetreten. Dem steht nämlich die Feststellung des rechtskräftigen Urteils des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 2. November 2016 (
[32]c) ... aa) ... bb) ... d) Steht aber fest, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung der R. S. vom 11. Juli 2016 nicht beendet wurde, gibt es auch keine „Entlassung“ iSd. Art. 337c Abs. 1 OR.
[33]II.d
[34]Dem Kläger steht dennoch ein Zahlungsanspruch zu für den Zeitraum 12. Juli 2016 bis 1. August 2016. Dieser ist ihm nämlich auf den Hilfsantrag zu 4 für diesen Zeitraum iHv. ... USD zuzusprechen aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs gemäß Art. 324 Abs. 1 OR.
[35]1. Der Kläger ist mit seinem Hauptantrag zu 3 betreffend den Zeitraum 12. Juli 2016 bis 1. August 2016 unterlegen. Es ist deshalb für diesen Zeitraum der Hilfsantrag zu 4 zur Entscheidung angefallen.
[36]2. Art. 324 Abs. 1 OR setzt für einen Anspruch auf Annahmeverzugsvergütung ein bestehendes Arbeitsverhältnis voraus. Denn wurde der Arbeitnehmer (auch ungerechtfertigt) fristlos entlassen, steht diesem allenfalls noch ein Ersatzanspruch gemäß Art. 337c Abs. 1 OR zur Verfügung (BernerKomm-OR/Rehbinder/ Stöckli Art. 324 Rn. 6).
[37]Wie bereits oben dargestellt, bestand zwischen dem Kläger und der R. S. im Zeitraum 12. Juli 2016 bis 1. August 2016 noch ein Arbeitsverhältnis. Dies wurde mit Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 2. November 2016 (
[38]3. Die Voraussetzungen des § 324 Abs. 1 OR liegen vor.
[39]a) Kann die Arbeit infolge eines Verschuldens des Arbeitgebers nicht geleistet werden oder kommt er aus anderen Gründen mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug, so bleibt er zur Entrichtung des Lohnes verpflichtet, ohne dass der Arbeitnehmer zur Nachleistung verpflichtet ist (Art. 324 Abs. 1 OR). Arbeitgeberverzug liegt aber grundsätzlich erst vor, wenn der Arbeitnehmer die Arbeit eindeutig angeboten hat (BGer 1. September 2005 -
[40]Das Angebot ist nicht formgebunden, muss jedoch tatsächlich oder ausdrücklich erfolgen (BernerKomm-OR/Rehbinder/ Stöckli Art. 324 Rn. 7).
[41]Ein solches Angebot ist jedoch entbehrlich, wenn feststeht, dass der Arbeitgeber eine ihm angebotene Arbeitsleistung von vornherein nicht angenommen hätte (BGer 1. September 2005 -
[42]b) Vorliegend hat der Kläger im Zeitraum 11. Juli 2016 bis 1. August 2016 zwar weder tatsächlich noch ausdrücklich seine Arbeitskraft bei der R. S. angeboten.
[43]Jedoch hat die R. S. mit dem Ausspruch der fristlosen Kündigung vom 11. Juli 2016 deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie den Kläger auf keinen Fall weiterbeschäftigen möchte. Dies wäre nach schweizerischem Recht sogar die Regelfolge gewesen, die nur deshalb nicht eingetreten ist, weil durch das deutsche Kündigungsschutzurteil rechtskräftig feststeht, dass das Arbeitsverhältnis fortbesteht.
[44]4. ... 5. Der Kläger muss sich nicht gemäß Art. 324 Abs. 2 OR anderweitigen Verdienst anrechnen lassen.
[45]a) Der Lohnanspruch von Art. 324 Abs. 1 OR erfüllt ähnliche Zwecke wie ein Schadensersatzanspruch. Wie im Haftpflichtrecht soll der Arbeitnehmer aus der Leistungsstörung keine Vorteile ziehen dürfen und sich wie ein Geschädigter darum bemühen müssen, die Nachteile zu mindern, soweit ihm dies zuzumuten ist. Dies rechtfertigt sich umso mehr, als der Annahmeverzug vom Verschulden des Arbeitgebers unabhängig ist. Daher regelt Art. 324 Abs. 2 OR, dass der Arbeitnehmer sich auf den Lohn anrechnen lassen muss, was er wegen Verhinderung an der Arbeitsleistung erspart oder durch anderweitige Arbeit erworben oder zu erwerben absichtlich unterlassen hat. Diese Anrechnungspflicht ist also eine Vorteilsausgleichungspflicht, die verhindert, dass die Nichterfüllung - d.h. vorliegend der Annahmeverzug - zu einer Bereicherung der anderen Vertragspartei führt (BernerKomm-OR/Rehbinder/ Stöckli Art. 324 Rn. 20). Das Recht des Arbeitgebers auf Anrechnung des Lohns aus anderweitigem Erwerb, der getätigt oder absichtlich zu tätigen unterlassen wurde, zwingt den Arbeitnehmer, sich bis zur Beendigung des Verzugs um einen Ersatzarbeitsplatz zu bemühen. Anrechnungspflichtig ist aber nur, was infolge des Verzugs verdient wurde, mithin nicht, was neben der ausgefallenen Arbeit als Teilzeitarbeit oder in Nebenbeschäftigung verdient worden ist. Es muss sich also um Ersatzarbeit handeln (BernerKomm-OR/Rehbinder/ Stöckli Art. 324 Rn. 22).
[46]b) ... 5. ... a) ... b) ... aa) ... bb) ... cc) ... dd) ... (1) ... (2) ... (3) ... (4) ... 6. ... Der Kläger muss sich gemäß Art. 324 Abs. 2 OR auch nicht böswillig unterlassenen anderweitigen Erwerb anrechnen lassen.
[47]Es mag zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass der Kläger gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. a AVIG (Schweizerisches Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung) iVm. Art. 1a Abs. 1 Buchst. a AHVG (schweizerisches Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung) in der schweizerischen Arbeitslosenversicherung versicherungs- und beitragspflichtig war, obwohl ihm eine Versicherungsnummer nicht zugewiesen wurde. In diesem Fall hätte der Kläger tatsächlich einen Anspruch auf Insolvenzentschädigung gehabt gemäß Art. 51 und 52 AVIG. Folge eines Insolvenzentschädigungsbezugs wäre aber gewesen, dass gemäß Art. 54 Abs. 1 AVIG in Höhe der bezahlten Insolvenzentschädigung der Entgeltanspruch des Klägers auf die Kasse übergegangen wäre. Eine Bereicherung des Klägers wäre durch die Insolvenzentschädigung somit nicht eingetreten. Eine solche wäre aber Voraussetzung für eine Anrechnung gemäß § 324 Abs. 2 OR (BernerKomm-OR/Rehbinder/ Stöckli Art. 324 Rn. 20).
[48]7. Dieser Anspruch ist nicht verjährt. Er wurde nämlich als originärer Annahmeverzugsanspruch bereits 2017 gerichtlich geltend gemacht.
[49]II.e
[50]Dem Kläger steht ein Zahlungsanspruch gegen die Beklagte zu für den Zeitraum 2. August 2016 bis 30. September 2017 iHv. ... USD brutto aus § 2 der Patronatserklärung iVm. Art. 337c Abs. 1 OR.
[51]1. Mit Wirkung ab 2. August 2016 liegt eine „Entlassung“ des Klägers vor auf der Grundlage einer fristlosen Kündigung.
[52]a) Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis nämlich mit Schreiben vom 27. Juli 2016 erneut fristlos gekündigt. Dieses Schreiben ist dem Kläger im Laufe des 1. August 2016 zugegangen. Selbst wenn diese Kündigung ungerechtfertigt gewesen sein sollte, führte sie zu einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Chappius u.a. Schweizerisches Privatrecht VII/4 Der Arbeitsvertrag (2014) § 24 Rn. 175; BernerKomm-OR/Rehbinder/ Stöckli Art. 337c Rn. 2).
[53]b) Entsprechendes gölte im Übrigen auch dann, wenn über Art. 8 Rom I-VO deutsches Kündigungsschutzrecht anzuwenden gewesen wäre. Denn der Kläger hat keine Kündigungsschutzklage erhoben, weshalb die Kündigung auch nach deutschem Recht gemäß § 7 KSchG rechtswirksam wäre.
[54]2. Die fristlose Kündigung erfolgte ohne wichtigen Grund iSd. Art. 337 OR. Jedenfalls berühmte sich die Beklagte im Rahmen dieses Verfahrens keines solchen wichtigen Grundes.
[55]3. Gemäß Art. 337c Abs. 1 OR ist Ersatz in Höhe des Betrages zu leisten, den der Arbeitnehmer erhalten hätte, wenn das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der Kündigungsfrist oder durch Ablauf der bestimmten Vertragszeit beendet worden wäre.
[56]a) Gemäß Art. 335c Abs. 1 OR hätte das Arbeitsverhältnis im ersten Dienstjahr mit einer Frist von einem Monat zum Monatsende beendet werden können.
[57]b) Die Vertragsparteien haben in Nr. 11.1 und 11.2 des Arbeitsvertrags jedoch hiervon abweichend vereinbart, dass eine ordentliche Beendigung frühestens zum 30. September 2017 möglich sein sollte. Der Ersatz ist somit bis 30. September 2017 zu leisten.
[58]c) ... 4. Der Anspruch scheidet nicht deshalb aus, weil der Kläger nicht gemäß Art. 336b OR innerhalb von 180 Tagen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Klage anhängig gemacht hat. Denn Art. 336b OR betrifft die Entschädigungsansprüche bei missbräuchlichen (ordentlichen) Kündigungen gemäß Art. 336, 336a OR. Diese Norm findet jedoch keine Anwendung bei Ersatzansprüchen wegen fristloser Kündigung ohne wichtigen Grund iSd. Art. 337, 337c OR.
[59]5. Der Kläger muss sich auch keinen anderweitigen Erwerb oder böswillig unterlassenen anderweitigen Erwerb anrechnen lassen gemäß Art. 337c Abs. 2 OR.
[60]a) Beim Ersatzanspruch ist gemäß Art. 337c Abs. 2 OR eine Anrechnung vorzunehmen wie bei Art. 324 Abs. 2 OR (BernerKomm-OR/Rehbinder/ Stöckli Art. 337c Rn. 5).
[61]b) Es gibt aber keine anzurechnenden anderweitigen Einkünfte. Der Kläger hat auch nicht den Bezug anderweitiger Einkünfte böswillig unterlassen. Insoweit wird auf die Ausführungen zu II.d 5. und 6. verwiesen.
[62]6. Der Anspruch des Klägers ist nicht verjährt.
[63]Der Anspruch nach Art. 337c Abs. 1 OR unterliegt nämlich nur der zehnjährigen Regelverjährung des Art. 127 OR und nicht der dreijährigen Verjährungsfrist des Art. 60 Abs. 1 OR oder der fünfjährigen Verjährungsfrist des Art. 128 Nr. 3 OR. Die Kammer macht sich die Ausführungen der Rechtsauskunft des Sachverständigen Prof. Dr. A. D. vollständig zu eigen, die nachfolgend nur verkürzt wiedergegeben werden.
[64]a) Auch wenn es sich beim Anspruch aus Art. 337c Abs. 1 OR um einen Schadensersatzanspruch handelt, kommt eine Verjährung des Anspruchs nach Art. 60 Abs. 1 OR nicht in Betracht. Denn aufgrund seiner systematischen Stellung im mit „Die Entstehung (der Obligationen) durch unerlaubte Handlungen“ überschriebenen Zweiten Abschnitt des OR findet die Verjährungsregelung des Art. 60 OR primär Anwendung auf Forderungen aus Verschuldenshaftung gemäß den Art. 41 ff. OR, zu denen der Anspruch aus Art. 337c Abs. 1 OR nicht gehört. Die fristlose Kündigung ohne wichtigen Grund kann nicht als unerlaubte Handlung iSd. Art. 41 ff OR eingeordnet werden. Art. 337c OR enthält auch keine Verweisung auf Art. 60 Abs. 1 OR. Art. 60 OR ist als Sonderregelung zur Verjährung eng auszulegen.
[65]b) Der Anspruch aus Art. 337c Abs. 1 OR unterfällt auch nicht der fünfjährigen Verjährung gemäß Art. 128 Nr. 3 OR. Denn Art. 128 Nr. 3 OR ist teleologisch zu reduzieren und auf Forderungen zu beschränken, welche auf einer Arbeitsleistung des Arbeitnehmers beruhen und Lohncharakter haben. Dies wird u.a. abgeleitet aus der Gesetzeshistorie als auch aus der französischen und englischen Sprachfassung der Norm. Für alle übrigen Ansprüche greift die allgemeine Verjährungsvorschrift des Art. 127 OR. Der Ersatzanspruch aus Art. 337c Abs. 1 OR beruht aber nicht auf einer Arbeitsleistung des Arbeitnehmers. Vielmehr setzt er die Beendigung des Arbeitsverhältnisses voraus. Er ist auch keine Forderung mit Lohncharakter, sondern ein Schadensersatzanspruch, der gerade nicht von einer Gegenleistung abhängig ist. Anders als bei Art. 320 Abs. 3 OR, der bei einem von Anfang an ungültigen Vertrag letztlich auf die Anwendbarkeit von Art. 128 Nr. 3 OR verweist, fehlt es bei Art. 337c OR an einer solchen Verweisvorschrift. Art. 337c OR wurde im Jahr 1984 bewusst geändert. Der vormals verwendete Begriff „Lohn“ wurde seinerzeit bewusst gestrichen, um zum Ausdruck bringen zu können, dass das Arbeitsverhältnis rechtlich mit der Kündigung beendet ist.
[66]c) Soweit die Beklagte meint, aus der Entscheidung des Schweizerischen Bundesgerichts vom 14. März 2022 (
[67]Vielmehr zitiert diese Entscheidung unter Nr. 4.2.2, dass nach Auffassung der Lehre zu unterscheiden sei zwischen Lohnforderungen im weiteren Sinne oder Geldforderungen, die der fünfjährigen Verjährungsfrist des Art. 128 Nr. 3 OR unterliegen, und anderen Ansprüchen, die der Arbeitnehmer aufgrund seines Arbeitsvertrages geltend machen könnte. Das Bundesgericht zitiert, dass nach Auffassung der Lehre u.a. Ansprüche aus Art. 337c OR (wenn auch ohne Differenzierung zwischen Abs. 1 und Abs. 3) dem Art. 127 OR unterfallen würden. Sodann schlussfolgert das Bundesgericht in dieser Entscheidung unter Nr. 4.2.3, dass auf die Art des Anspruchs abgestellt werden müsse. Maßgeblich sei, ob es sich bei der Forderung um eine Gegenleistung des Arbeitgebers für die Erbringung von Dienstleistungen durch den Arbeitnehmer handele. Somit wird gerade doch auf den Lohncharakter (im weiteren Sinne) abgestellt.
[68]Diese Ausführungen decken sich mit der Rechtsauskunft des Sachverständigen. Der Anspruch aus Art. 337c Abs. 1 OR ist aufgrund seiner systematischen Stellung gerade keine Gegenleistung für erbrachte Arbeit. Vielmehr setzt Art. 337c Abs. 1 OR eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses voraus.
[69]d) Da der Anspruch der zehnjährigen Regelverjährung des Art. 127 OR unterfällt, kommt es nicht darauf an, ob die Erhebung der Klage auf Annahmeverzugsvergütung im Jahr 2017 zugleich eine Verjährungsunterbrechung auch für die erst im Oktober 2023 klageändernd eingeführten Ansprüche aus Art. 337c Abs. 1 OR hätte bewirken können ...
[70]II.g
[71]Dem Kläger steht auch ein Anspruch gegen die Beklagte auf eine Entschädigung zu aus § 2 der Patronatserklärung iVm. Art. 337 Abs. 3 OR. Jedoch erscheint eine Entschädigung iHv. ... USD (zwei Monatsgehälter) ausreichend. Soweit der Kläger eine höhere Entschädigung begehrt, wird die Klage abgewiesen.
[72]1. Hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer fristlos ohne wichtigen Grund entlassen, kann der Arbeitgeber nach Art. 337c Abs. 3 OR verpflichtet werden, an den Arbeitnehmer eine Entschädigung zu bezahlen, die der Richter nach freiem Ermessen unter Würdigung aller Umstände festlegen kann, die jedoch den Lohn des Arbeitnehmers für sechs Monate nicht übersteigen darf. Hierbei handelt es sich um einen kumulativ zum Ersatzanspruch nach Art. 337c Abs. 1 OR bestehenden Anspruch (Chappius u.a. Schweizerisches Privatrecht VII/4 Der Arbeitsvertrag (2014) § 24 Rn. 181). Obwohl das Gesetz formuliert, dass die Entschädigung ausgesprochen werden „kann“, ist dies grundsätzlich als „muss“ zu verstehen. Lediglich in außergewöhnlich gelagerten Fällen kann ausnahmsweise von einer Entschädigung abgesehen werden, statt eine bloß symbolische Entschädigung zusprechen zu müssen (BGer 6. September 1990 -
[73]2. Wie bereits oben dargestellt, hat die R. S. das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 27. Juli 2016 ohne wichtigen Grund iSd. Art. 337 OR fristlos gekündigt. Die Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch liegen somit vor.
[74]3. Eine Entschädigung iHv. zwei Monatsgehältern erscheint ausreichend.
[75]a) Bei der Entschädigung handelt es sich um einen Anspruch sui generis (BernerKomm-OR/Rehbinder/Stöckli Art. 337c Rn. 8), um eine Pönale (Chappius u.a. Schweizerisches Privatrecht VII/4 Der Arbeitsvertrag (2014) § 24 Rn. 181). Sie dient der Strafe und der Prävention sowie der Genugtuung (BGer 19. April 1997 -
[76]b) Diese Maßstäbe zugrunde gelegt ergibt Folgendes:
[77]aa) Das Fehlen des wichtigen Grundes ist offenkundig. Die Beklagte und die R. S. gaben sich noch nicht einmal die Mühe, einen solchen zu formulieren. Weder im Kündigungsschreiben noch im Prozess wurde ein solcher genannt. Vielmehr führt das Kündigungsschreiben lediglich aus, dass der Grund dem Kläger „bekannt“ sei. Soweit in der ersten Kündigung vom 11. Juli 2016 noch eine mangelnde Umsatzgenerierung beanstandet wurde, wäre dies als (fortbestehender) Grund ebenfalls unzureichend gewesen.
[78]bb) Eine über den bloßen Ausspruch der nicht von einem wichtigen Grund getragenen fristlosen Kündigung hinausgehende gesteigerte Persönlichkeitsrechtsverletzung ist nicht erkennbar.
[79]cc) Dem Kläger wurde durch den zuständigen Liquidator gekündigt und nicht entsprechend der Annahme des Klägers in beleidigendem Charakter durch eine unbekannte Person.
[80]dd) Die Motivationslage des Klägers zu seinen private placements ist für die Beurteilung der Entschädigungshöhe unerheblich, zumal die lange Kündigungsfrist ohnehin über Art. 337c Abs. 1 OR kompensiert wird.
[81]ee) Angesichts der kurzen Betriebszugehörigkeitsdauer wäre eigentlich eine Entschädigung von einem Monatsentgelt ausreichend.
[82]ff) Jedoch hat die R. S. versucht, über die rechtswidrige Kündigung die vertraglich eingeräumte sehr lange Kündigungsfrist zu umgehen. Dies hat die R. S. damit verbunden, dass sie gegenüber dem Kläger (jedenfalls in der ersten Kündigung vom 11. Juli 2016, Bl. 470 der LAG-Akte) Drohungen ausgesprochen hat, falls dieser gegen die Beendigung gerichtlich vorgehen wolle. Die R. S. muss von einem solchen rechtswidrigen Tun deutlich abgeschreckt werden, weshalb eine Aufstockung der Entschädigung auf zwei Gehälter angemessen erscheint.
[83]4. Entgegen der Auffassung der Beklagten musste der Kläger nicht gemäß Art. 336b Abs. 1 OR eine schriftliche Einsprache erheben und gemäß Art. 336b Abs. 2 OR innerhalb von 180 Tagen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses den Anspruch klageweise geltend machen. Art. 336b OR betrifft das Verfahren bei Geltendmachung einer Entschädigung wegen missbräuchlicher Kündigungen gemäß Art. 336, 336a OR. Dieses Verfahren ist aber nicht einzuhalten bei einem Entschädigungsverlangen wegen einer fristlosen Kündigung ohne wichtigen Grund gemäß Art. 337c Abs. 3 OR (BernerKomm-OR/Rehbinder/ Stöckli Art. 337c Rn. 11).
[84]5. Der Anspruch des Klägers ist auch nicht verjährt. Der Anspruch unterliegt nämlich der zehnjährigen Regelverjährungsfrist des Art. 127 OR. Die Kammer macht sich auch insoweit die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. A. D. in seiner Rechtsauskunft vom 16. April 2024 vollständig zu eigen. Diese werden deshalb nachfolgend nur verkürzt dargestellt.
[85]a) Die kurze Verjährungsregelung des Art. 60 Abs. 1 OR greift nicht.
[86]Wie bereits oben dargestellt, ist Art. 60 Abs. 1 OR nur für Ansprüche auf Schadenersatz oder Genugtuung anwendbar, die auf einer unerlaubten Handlung iSv. Art. 41 ff. OR beruhen. Die fristlose Kündigung ohne wichtigen Grund kann nicht als eine solche unerlaubte Handlung angesehen werden, zumal Art. 60 Abs. 1 OR eng auszulegen ist.
[87]b) Auch Art. 128 Nr. 3 OR kann nicht zur Anwendung gebracht werden.
[88]Beim Entschädigungsanspruch gemäß Art. 337c Abs. 3 OR handelt es sich nicht um eine Forderung mit Lohncharakter, wie sich aus den oben dargestellten Zwecksetzungen des Entschädigungsanspruchs ergibt.
[89]c) Es ist auch nicht deshalb eine kürzere Verjährungsfrist anzuwenden, weil sich bei Annahme einer zehnjährigen Verjährung ein Wertungswiderspruch ergäbe zu den Verfahrensregeln des Art. 336b OR bei Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs wegen missbräuchlicher Kündigung gemäß Art. 336, 336a OR (siehe zu diesem Wertungswiderspruch: BernerKomm-OR/Rehbinder/ Stöckli Art. 337c Rn. 11). Der Unterschied liegt darin, dass die rechtswidrige fristlose Entlassung im Vergleich zu einer ordentlichen Kündigung eine deutlich einschneidendere Maßnahme darstellt.
[90]II.g
[91]Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch auf Ersatz eines vermeintlichen Steuerschadens aus Art. 103 Abs. 1 OR.
[92]1. Die R. S. war zwar mit ihren Verbindlichkeiten zur Entgeltzahlung in Verzug gemäß Art. 102 Abs. 1 OR. Denn die Entgeltzahlung wäre gemäß Nr. 3.1 des Arbeitsvertrags jeweils zum Monatsfünfzehnten fällig gewesen, weshalb eine Mahnung gemäß Art. 102 Abs. 2 OR entbehrlich war.
[93]2. Es kann jedoch der vom Kläger behauptete Schaden nicht festgestellt werden.
[94]a) ... b) ... II.h
[95]Der Ausspruch zu den Zinsen beruht jeweils auf dem Gesichtspunkt des Verzugs, mit Ausnahme der Verzinsung der Entschädigung aus Art. 337c Abs. 3 OR, die ab Rechtshängigkeit erfolgt. Die Zinshöhe beruht auf Art. 104 Abs. 1 OR. Soweit der Monatssechzehnte auf einen Samstag, Sonntag oder Feiertag fiel, wurde der nächste Werktag für den Beginn des Zinslaufs ausgewählt und die Klage im Übrigen abgewiesen.
[96]III. 1. ... 2. Gründe für eine Revisionszulassung gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor. Zwar hat die Frage, ob Ansprüche nach Art. 337c Abs. 1 und 3 OR einer dreijährigen, fünfjährigen oder zehnjährigen Verjährung unterliegen, grundsätzliche Bedeutung, zumal nach den Ausführungen des Sachverständigen eine abschließende Klärung durch das Schweizer Bundesgericht noch nicht vorliegt. Jedoch betrifft diese grundsätzliche Bedeutung nicht das deutsche Recht. Es fehlt somit an einer für die Revisionszulassung erforderlichen Klärungsfähigkeit der Rechtsfrage durch das BAG (Ulrich in Schwab/Weth ArbGG 6. Aufl. § 72 Rn. 26). Ist nämlich die Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts nicht eröffnet, fehlt es an der Klärungsfähigkeit (Pessinger in Helml/Pessinger ArbGG 5. Aufl. § 72 Rn. 16).