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Verfahrensgang

BGH, Urt. vom 13.09.2004 – II ZR 276/02, IPRspr 2004-28

Rechtsgebiete

Vertragliche Schuldverhältnisse → Allgemeines Vertragsrecht
Zuständigkeit → Besonderer Vertragsgerichtsstand
Juristische Personen und Gesellschaften → Gesellschaftsstatut, insbesondere Rechts- und Parteifähigkeit
Außervertragliche Schuldverhältnisse → Unerlaubte Handlungen, Gefährdungshaftung

Leitsatz

Ein Vertrag über eine stille Beteiligung an einer ausländischen Gesellschaft (hier: einer auf den British Virgin Islands registrierten Limited) ist einer Rechtswahl gemäß Art. 27 EGBGB zugänglich, die sich stillschweigend daraus ergeben kann, dass der formularmäßige Gesellschaftsvertrag in deutscher Sprache abgefasst ist, einen deutschen Gerichtsstand vorsieht, den Begriff der stillen Gesellschaft sowie sonstige Begriffe des deutschen Gesellschaftsrechts verwendet und die Parteien sich im Prozess ausschließlich auf Vorschriften des deutschen Rechts berufen haben. Die Bereichsausnahme für Fragen des Gesellschaftsrechts gemäß Art. 37 I Nr. 2 EGBGB gilt für stille Gesellschaften als nur interne Beteiligungen an einem Unternehmen nicht.

Rechtsnormen

AuslInvestG § 2; AuslInvestG § 6; AuslInvestG § 7; AuslInvestG § 8; AuslInvestG § 21
BGB § 823
EGBGB Art. 4; EGBGB Art. 27; EGBGB Art. 37; EGBGB Art. 40
EGV-Amsterdam Art. 43 ff.; EGV-Amsterdam Art. 182; EGV-Amsterdam Art. 183
EUGVVO 44/2001 Art. 66
EuGVÜ Art. 16; EuGVÜ Art. 17
ZPO § 38; ZPO § 50; ZPO § 240; ZPO § 545

Sachverhalt

Die Kl. begehrt Erstattung der Einlagen und Schadensersatz aus stillen Beteiligungen an der Bekl. zu 1), einer auf den British Virgin Islands registrierten Gesellschaft (Ltd.).

Die Bekl. zu 1) sammelte vornehmlich in Deutschland Anlegerkapital, um es auf asiatischen Finanzmärkten zu investieren. Nach dem in ihrem Prospekt abgedruckten Formularvertrag beteiligten sich die jeweiligen Anleger für mindestens drei Jahre als stille Gesellschafter am Unternehmenszweck der Bekl. zu 1) unter Ausschluss einer Nachschusspflicht und einer Haftung für deren Verbindlichkeiten. Gemäß § 17 Nr. 3 ist als Gerichtsstand der Wohnsitz des stillen Gesellschafters vereinbart. Gemäß den anschließenden „Treuhandvereinbarungen“ hatte ein deutscher Rechtsanwalt die Anlegergelder für die Bekl. zu 1) entgegenzunehmen und sie an die L. Ltd. in Hongkong zu überweisen, welche die Gelder bis zu ihrer Verwendung durch die Bekl. zu 1) auf einem verzinsten Konto halten sollte.

Die Kl. zeichnete im Mai und August 1997 in mehreren Tranchen stille Beteiligungen an der Bekl. zu 1). Die Beitrittsformulare der Bekl. zu 1) sahen eine einwöchige Widerrufsmöglichkeit gegenüber dem „Informationsbüro Europa“ der Bekl. zu 1) in Hamburg vor, dessen Leiter der Bekl. zu 3) war. Er war als „Generalmanager“ der Bekl. zu 1) für den Vertrieb der stillen Beteiligungen in Deutschland zuständig.

In der Folgezeit verlor der von der Bekl. zu 1) verwaltete Investitionspool massiv an Wert, was die Kl. und ihre Ehemann erstmals aus der im Laufe des Jahres 1998 erhaltenen Abrechnung für das Jahr 1997 erfuhren. Mit Schreiben vom 13.7.2000 fochten sie ihren Beitritt an. Ihre hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung wurde von der Bekl. zu 1) zum 31.12.2000 akzeptiert.

Nachdem die Bekl. zu 1) auf die Erhebung der Klage hin am 31.3.2001 ein Abfindungsguthaben von 33 181,37 DM ausgezahlt hatte, hat die Kl. den Rechtsstreit in dieser Höhe einseitig für erledigt erklärt. Das LG hat die Klage abgewiesen, die Berufung der Kl. hatte gegenüber der Bekl. zu 1) Erfolg. Mit der zugelassenen Revision erstrebt die Bekl. zu 1) – erfolglos – die Wiederherstellung des LG-Urteils.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]I. Sachurteilshindernisse gegenüber der Bekl. zu 1) bestehen nicht.

[2]1. Die – auch nach der Neufassung des § 545 II ZPO von Amts wegen zu prüfende (BGHZ 153, 82, 84 f. (IPRspr. 2002 Nr. 157); BGH, Urt. vom 27.5.2003 – IX ZR 203/02, ZIP 2003, 1419 f. (IPRspr. 2003 Nr. 217)) – internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist gegeben und folgt schon, wie auch das Berufungsgericht zutreffend annimmt, aus der Gerichtsstandsvereinbarung in § 17 Nr. 3 des formularmäßigen ‚Gesellschaftsvertrags’. Dabei kann dahinstehen, ob diese Vereinbarung nach dem – gemäß Art. 66 I EuGVO intertemporal weiter geltenden – Art. 17 I EuGVÜ oder nach § 38 II ZPO zu beurteilen ist, weil beide Vorschriften hier zum gleichen Ergebnis führen (vgl. auch Senatsurt. vom 23.7.1998 – II ZR 286/97, ZIP 1998, 1889 f. (IPRspr. 1998 Nr. 137b)). Für die nach Art. 17 I 1 lit. a EuGVÜ und § 38 II 2 ZPO vorgeschriebene Form der Vereinbarung genügt ein im schriftlichen Vertrag enthaltener ausdrücklicher Hinweis auf beigefügte oder vorher ausgehändigte allgemeine Vertragsbedingungen, die ihrerseits die Gerichtsstandsvereinbarung enthalten (BGH, Urt. vom 9.3.1994 – VIII ZR 185/92, WM 1994, 1088, 1090 (IPRspr. 1994 Nr. 137); Urt. vom 4.5.1977 – VIII ZR 14/75, WM 1977, 795 f. (IPRspr. 1977 Nr. 125); EuGH, NJW 1977, 494 [Colzani]; Zöller-Vollkommer, ZPO, 24. Aufl., § 38 Rz. 27; MünchKommZPO-Gottwald, 3. Aufl., Art. 17 EuGVÜ Rz. 24). Dem entsprechen die von der Kl. sowie dem Zedenten und einem Vertreter der Bekl. zu 1) unterzeichneten ‚Beitrittserklärungen’ mit dem dortigen Hinweis auf die allgemeinen Bedingungen des Gesellschaftsvertrags. Die zusätzliche Voraussetzung des § 38 II 3 ZPO wäre ggf. erfüllt. Eine ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Sitzstaats einer Gesellschaft gemäß Art. 16 Nr. 2 EuGVÜ kommt bei einer reinen Innengesellschaft wie der vorliegenden stillen Gesellschaft nicht in Betracht (vgl. MünchKommZPO-Gottwald aaO Art. 16 EuGVÜ Rz. 18; Thomas-Putzo-Hüßtege, ZPO, 23. Aufl., Art. 16 EuGVÜ Rz. 10).

[3]Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ergibt sich im Übrigen auch aus § 6 II AuslInvestG, weil der Vertrieb der stillen Beteiligungen durch die Bekl. zu 1) dem AuslInvestG unterfiel und der im Inland ansässige Bekl. zu 3 als ‚Repräsentant’ der Bekl. zu 1) im Sinne der genannten Vorschrift zu gelten hatte (dazu unten 4).

[4]2. Der Rechtsstreit ist nicht gemäß § 240 ZPO dadurch unterbrochen, dass die Bekl. zu 1), die inzwischen ihr Hamburger ‚Informationsbüro’ nach Bangkok verlegt haben will, im Internet ihre ‚technische Insolvenz’ bzw. ihre Überschuldung und Betriebseinstellung bekannt gegeben hat. Unabhängig von der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Auslandsinsolvenz zur Unterbrechung eines Inlandsrechtsstreits gemäß § 240 ZPO führen kann (vgl. dazu BGH, Vorlagebeschl. vom 26.11.1997 – IX ZR 306/96, ZIP 1998, 659 (IPRspr. 1997 Nr. 219 N. 1)), ergibt sich aus der Mitteilung der Bekl. zu 1) nicht und wird von den Parteien in der Revisionsinstanz auch nicht geltend gemacht, dass ein ausländisches Insolvenzverfahren über das Vermögen der Bekl. zu 1) eröffnet worden ist.

[5]3. Die Rechts- und Parteifähigkeit der Bekl. zu 1) als Ltd. nach dem Recht der British Virgin Islands, die gemäß Art. 182 I, 183 Nr. 5 EG i.V.m. Anh. II EG in den Geltungsbereich der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43 ff. EG einbezogen sind, ist auch dann gegeben, wenn der tatsächliche Verwaltungssitz der Bekl. zu 1) sich in Deutschland befinden sollte (vgl. BGHZ 154, 185, 189 (IPRspr. 2003 Nr. 13); EuGH, Urt. vom 5.11.2002 – Rs C-208/00 [Überseering], ZIP 2002, 2037; vom 30.9.2003 – Rs C-167/01 [Inspire Art], ZIP 2003, 1885 ff. zu Nr. 95 f.), was das Berufungsgericht offen gelassen hat. Offen bleiben kann auch, ob die Bekl. zu 1) ihren effektiven Verwaltungssitz ursprünglich in Hongkong hatte und ihn nunmehr, wie in der Revisionsinstanz vorgetragen, nach Bangkok verlegt hat, weil die dortigen Rechtsordnungen das Personalstatut einer Gesellschaft an deren Gründungsrecht anknüpfen (vgl. MünchKomm-Kindler, 3. Aufl., IntGesR Rz. 381 f.) und dies gemäß Art. 4 I EGBGB auch für deutsche Gerichte maßgebend ist (vgl. MünchKomm-Kindler Rz. 406 m.w.N.). Davon abgesehen ergäbe sich die passive Parteifähigkeit der Bekl. zu 1) auch schon aus dem Rechtsgedanken des § 50 II ZPO (vgl. BGHZ 97, 269, 270 f. (IPRspr. 1986 Nr. 19); MünchKomm-Kindler Rz. 332).

[6]4. Entgegen der Ansicht der Revision hat das Berufungsgericht den in den Rubren der Klage und der vorinstanzlichen Urteile als gesetzlichen Prozessvertreter der Bekl. zu 1) aufgeführten Bekl. zu 3) zu Recht als deren inländischen Repräsentanten im Sinne der §§ 2 Nr. 1, 6 I AuslInvestG angesehen. Als solcher hatte er die Bekl. zu 1) bei Zustellung der Klage und in dem anschließenden Rechtsstreit zu vertreten ...

[7]II. ...Die angefochtene Entscheidung hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.

[8]1. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts schuldet die Bekl. zu 1) allerdings vollständige Rückzahlung der Einlagen nach Kündigung schon deshalb, weil in dem ‚Gesellschaftsvertrag’ eine Verlustbeteiligung des stillen Gesellschafters ausgeschlossen ist ...

[9]Auf das Rechtsverhältnis der Prozessparteien ist deutsches Recht anzuwenden. Eine entsprechende konkludente Rechtswahl der Prozessparteien im Sinne von Art. 27 EGBGB ergibt sich daraus, dass der (formularmäßige) Gesellschaftsvertrag in deutscher Sprache abgefasst ist, einen deutschen Gerichtsstand vorsieht, den Begriff der stillen Gesellschaft sowie sonstige Begriffe des deutschen Gesellschaftsrechts verwendet (vgl. BGH, Urt. vom 19.1.2000 – VIII ZR 275/98, NJW-RR 2000, 1002, 1004 (IPRspr. 2000 Nr. 20)) und die Parteien sich in den Vorinstanzen wie auch in der Revisionsinstanz ausschließlich auf Vorschriften des deutschen Rechts berufen haben (vgl. BGH, Urt. vom 9.12.1998 – IV ZR 306/97, WM 1999, 916 f (IPRspr. 1998 Nr. 48); vom 12.12.1990 – VIII ZR 332/89, WM 1991, 464 f. (IPRspr. 1990 Nr. 44)), weshalb auch die vorinstanzlichen Urteile zu Recht deutsches Recht zugrunde gelegt haben. Die Bereichsausnahme für Fragen des Gesellschaftsrechts gemäß Art. 37 I Nr. 2 EGBGB gilt für stille Gesellschaften als nur interne Beteiligungen an einem Unternehmen nicht (vgl. Bamberger-Roth-Spickhoff, BGB, 2003, Art. 37 EGBGB Rz. 4; Erman-Hohloch, BGB, 11. Aufl., Art. 37 EGBGB Rz. 5) ...

[10]2. Über die Rückzahlung der Einlagen (vgl. oben II. 1.) hinaus schuldet die Bekl. zu 1) der Kl. aus Verschulden bei Vertragsschluss (culpa in contrahendo) auch die geltend gemachten Zinsen ab den jeweiligen Einlageleistungen ...

[11]3. Des Weiteren ist dem Berufungsgericht darin zuzustimmen, dass die Bekl. zu 1) in mehrfacher Hinsicht gegen anlegerschützende Vorschriften des AuslInvestG verstoßen hat, weshalb sie der Kl. auch aus dem – kollisionsrechtlich als Tatortrecht anzuwendenden (BGHZ 93, 214, 216 (IPRspr. 1985 Nr. 37); 132, 105, 115 (IPRspr. 1996 Nr. 142) sowie nunmehr Art. 40 EGBGB) – § 823 II BGB schadensersatzpflichtig ist.

[12]In der Aufnahme des Vertriebs ohne vorherige Anzeige gemäß § 7 AuslInvestG, die eine Überprüfung durch die zuständige Behörde auch im Interesse des Anlegerschutzes ermöglichen soll (vgl. BT-Drucks. V/3494 S. 22), liegt ein – gemäß § 21 I Nr. 1 AuslInvestG bußgeldbedrohter – Verstoß gegen § 8 I AuslInvestG. Noch gravierender ist es, dass die Bekl. zu 1) entgegen § 2 I Nr. 2 AuslInvestG keine Depotbank zur Verwahrung des Investmentvermögens sowie zur Kontrolle etwaiger Kreditaufnahmen bei Drittbanken (§ 2 Nr. 4 lit. f AuslInvestG) eingeschaltet und mit den von ihr ausdrücklich vorgesehenen Kreditaufnahmen bei der L. Ltd. in Höhe von bis zu 300% des Einlagevermögens das gemäß § 2 Nr. 4 lit. f AuslInvestG zulässige Maß bei weitem überschritten hat. Auch diese Vorschriften dienen unzweifelhaft dem Anlegerschutz (vgl. BT-Drucks. V/3494 S. 14 ff., 19 f.; Assmann-Schütze-Baur, Handb. des Kapitalanlagerechts, 2. Aufl., § 19 AuslInvestG Rz. 30; Kümpel, Bank­ und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl., Rz. 12.182; Meixner, WuB VII B. Art. 17 EuGVÜ 1.03; Pfeiffer, IPRax 2003, 233, 237; Brinkhaus-Scherer-Pfüller, Kommentar KAGG, AuslInvestmG, 2003, § 2 AuslInvestmG Rz. 26 f., 88). Ihre Nichtbeachtung führte zur Unzulässigkeit des Anteilsvertriebs gemäß § 2 AuslInvestG und hätte – ebenso wie der Verstoß gegen die Anzeigepflicht gemäß § 7 AuslInvestG – die zuständige Behörde zu einem Einschreiten im Wege der Vertriebsuntersagung gemäß § 8 II, III AuslInvestG verpflichtet (vgl. Baur aaO § 8 Rz. 8, 13), wären ihr die Verstöße bekannt geworden. Es hätte dann nicht zu den vorliegenden Anteilszeichnungen kommen können ...

Fundstellen

LS und Gründe

BB, 2004, 2432
DB, 2004, 2418
DStR, 2004, 1930
NJW, 2004, 3706
RIW, 2004, 935
VuR, 2004, 453
WM, 2004, 2150
ZBB, 2004, 510
Die AG, 2005, 39
VersR, 2005, 1390
VersR, 2005, 1390
ZIP, 2005, 2095

nur Leitsatz

EWiR, 2006, 3, mit Anm. Livonius
LMK, 2006, 219, mit Anm. Haas

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2004-28

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