PDF-Version

Verfahrensgang

LG Düsseldorf, Hinweisbeschl. vom 05.07.2021 – 22 O 133/20, IPRspr 2021-262
LG Düsseldorf, Hinweisbeschl. vom 15.11.2021 – 22 O 133/20

Rechtsgebiete

Vertragliche Schuldverhältnisse → Beförderungsvertrag
Allgemeine Lehren → Rechtswahl
Vertragliche Schuldverhältnisse → Allgemeines Vertragsrecht

Leitsatz

Bestimmt eine Rechtswahlklausel in einem Beförderungsvertrag nicht exakt, welche übernationalen Regelungen der Anwendung des gewählten (hier: englischen) Rechts vorgehen, ist eine solche Klausel intransparent, weil sie den Anwendungsbereich des gewählten nationalen Rechts nicht mehr in einer transparenten Weise festlegt. Wird daher die Fluggastrechte-VO in der Rechtswahlklausel nicht ausdrücklich genannt, suggeriert die Rechtswahlklausel, dass das gewählte Recht auch der Fluggastrechteverordnung vorgehe, was aber nicht der Fall ist. Daraus folgt die Irreführung, die zur Unwirksamkeit einer solchen Rechtswahlklausel führt. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

BGB § 242; BGB § 305c; BGB § 401; BGB § 648
BrexitAbk Art. 66; BrexitAbk Art. 67; BrexitAbk Art. 127
EuGVVO 1215/2012 Art. 5; EuGVVO 1215/2012 Art. 7
Klausel-RL 93/13/EWG Art. 3; Klausel-RL 93/13/EWG Art. 5
Rom I-VO 593/2008 Art. 3; Rom I-VO 593/2008 Art. 5; Rom I-VO 593/2008 Art. 10; Rom I-VO 593/2008 Art. 14
ZPO § 254

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]I.

[2]Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte und die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts sind gegeben.

[3]Gem. Art. 67 Abs. 1 lit. a), Art. 127 Abs. 1 des Austrittsabkommens UK/EU gelten die Vorschriften der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (Brüssel Ia-VO) für bis zum 31.12.2020 eingeleitete gerichtliche Verfahren fort (vgl. Ungerer, NJW 2021, S. 1270). Die vorliegende Klage vom 31.08.2020 ging am 04.09.2020 bei Gerichte ein, sodass die Brüssel Ia-VO für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit im vorliegenden Fall maßgeblich ist.

[4]Im vorliegenden Fall folgt die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte und die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts aus Art. 5 Abs. 1, Art. 7 Ziff. 1 lit. a), lit. b) 2. SpStr. Brüssel Ia-VO. Nach Art. 7 Ziff. 1 lit. a) Brüssel Ia-VO können Ansprüche aus einem Vertrag am Gericht des Ortes geltend gemacht werden, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre. Die Vorschrift enthält entsprechend seinem Wortlaut („Gericht des Ortes“) neben der Regelung der internationalen auch eine Regelung der örtlichen Zuständigkeit.

[5]Bei den im Wege der Stufenklage nach § 254 ZPO verfolgten Ansprüchen auf Auskunft und Erstattung nicht angefallener Steuern und Gebühren aus den von den Zedenten entrichteten Flugpreisen handelt es sich um vertragliche Sekundäransprüche aus dem zugrundeliegenden Beförderungsvertrag und damit um Ansprüche „aus einem Vertrag“ i.S.v. Art. Ziff. 1 lit. a) Brüssel Ia-VO (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 29.1.2021 - 9 U 184/20 (IPRspr 2021-321), NZV 2021, S. 196, 197 Rz. 10).

[6]Nach Art. 7 Ziff. 1 lit. b Sptr. 2 Brüssel Ia-VO ist der „Erfüllungsort“ einer Verpflichtung zur Erbringung von Dienstleistungen derjenige Ort in einem Mitgliedstaat, an dem die Leistungen nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen. „Erfüllungsort“ i.d.S. ist im Fall einer Beförderung von Personen im Luftverkehr von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat auf der Grundlage eines mit einer Luftfahrtgesellschaft geschlossenen Vertrags für eine auf diesen Beförderungsvertrag gestützten Anspruch nach Wahl des Fluggasts der Ort des Abflugs oder der Ort der Ankunft des Flugzeugs entsprechend der Vereinbarung dieser Orte in dem Vertrag (vgl. EuGH, Urteil vom 9. 7. 2009 - Rs. C-204/08 Rehder/Air Baltic, NJW 2009, S. 2801: zu Art. 5 Abs. 1 lit. b) Brüssel l-VO; Urteil vom 7.3.2018 - Rs. C-274/16, C-447/16, C-448/16 flightright/Air Nostrum u.a., NJW 2018, S. 2105, 2108 Rz. 69; Beschluss vom 13.2.2020 - Rs. C-606/19 flightright/Iberia, RRa 2020, S. 133 Rz. 27 und 36; BGH, Urteil vom 12.11.2009 - Xa ZR 76/07 (IPRspr 2009-44), NJW 2010, S. 1070 Rz. 5; Urteil vom 25.9.2018 - X ZR 76/16 (IPRspr 2018-257), NJW-RR 2018, S. 1448 Rz. 10; Versäumnisurteil vom 12.05.2020 - X ZR 10/19 (IPRspr 2020-213), BeckRS 2020, 17047 Rz. 29: jeweils zu Ansprüchen nach der Fluggastrechteverordnung). Die hier streitgegenständlichen Beförderungsverträge betreffen durchweg entweder die Flugstrecke Berlin-Tegel - Düsseldorf oder London-Gatwick - Düsseldorf. Der Abflugort oder Ankunftsort der jeweils gebuchten Flüge lag hier somit jeweils in Düsseldorf, sodass hier ein internationaler und örtlicher Gerichtsstand besteht.

[7]II.

[8]Die Klage könnte - je nach Ausgang einer Beweisaufnahme - Aussicht auf Erfolg haben.

[9]1. Ein Auskunftsanspruch könnte sich aus § 242 BGB ergeben.

[10]a. ... b. Soweit die Klägerin die behaupteten Abtretungen nachweist, wären diese auch wirksam. Die Wirksamkeit richtet sich nach deutschem Sachrecht und nicht etwa nach englischem Recht. Gegen die Wirksamkeit der Abtretung nach deutschem Recht bestehen keine Bedenken. Mit der Abtretung der Ansprüche gem. § 648 S. 2 BGB auf Erstattung von Steuern und Gebühren geht (analog) § 401 BGB auch der entsprechende Auskunftsanspruch über.

[11]Maßgeblich für die Ermittlung des anwendbaren Sachrechts ist gem. Art. 66 lit. a) des Austrittsabkommens UK/EU die Verordnung (EG) Nr. 593/2003 (Rom I-VO), weil sämtliche streitgegenständlichen Beförderungsverträge vor dem 31.12.2020 abgeschlossen wurden (vgl. Engerer, NJW 2021, S. 1270, 1273).

[12]Gem. Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO unterliegt das Verhältnis zwischen Zessionar und Schuldner dem Forderungsstatut. Die Auskunfts- und Erstattungsansprüche wegen nicht verbrauchter Steuern und Gebühren unterliegen gem. Art. 5 Abs. 2 UAbs. 1 Rom I-VO deutschem Sachrecht, weil der jeweilige gewöhnliche Aufenthaltsort des Zedenten in Deutschland liegt und sich hier auch der Abflug- bzw. Ankunftsort der gebuchten Flüge befindet. Die Rechtswahlklausel in Ziff. 21.1. der AGB der Beklagten, wonach englisches Recht gelten soll, ist unwirksam, sodass offen bleiben kann, ob und wenn ja in welcher konkreten Fassung die AGB Vertragsbestandteil geworden sind.

[13]Englisches Recht als das am gewöhnlichen Aufenthaltsort bzw. dem Sitz der Hauptverwaltung der Beklagten anwendbare Recht, ist unter den Voraussetzungen des Art. 3 Rom I-VO grundsätzlich gem. Art. 5 Abs. 2 UAbs. 2 lit. b) und c) Rom I-VO einer Rechtswahl der Parteien zugänglich. Zustandekommen und Wirksamkeit der Rechtswahl richten sich gem. Art. 3 Abs. 5 i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO nach dem Recht, das anzuwenden wäre, wenn die Rechtswahl wirksam wäre. Die Wirksamkeit der Rechtswahl ist also für die Frage, welcher Prüfungsmaßstab bei der Untersuchung der Wirksamkeit und des Zustandekommens anzulegen ist, zu unterstellen (vgl. BeckOK-BGB/Spickhoff, 56. Edition [Stand: 01.11.2020], Art. 3 Rom I-VO Rn. 14; OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 13.12.2018 - 16 U 15/18 (IPRspr 2018-93), RdTW 2019, S. 472, 474 Rz. 18).

[14]Gem. Art. 3 Abs. 5 i.V.m. Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO kann sich eine Partei aber für die Behauptung, sie habe dem Vertrag nicht zugestimmt, auf das Recht des Staates ihres gewöhnlichen Aufenthalts berufen, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass es nicht gerechtfertigt wäre, die Wirkung des Verhaltens einer Partei nach dem in Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO bezeichneten Recht zu bestimmen. Von Bedeutung ist dies nicht nur für die Relevanz eines Schweigens des Verwendungsgegners, sondern darüber hinaus auch für die Wirksamkeit überraschender, mehrdeutiger oder verwirrender Rechtswahlklauseln. Hat die von AGB betroffene Partei ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, so ist die Wirksamkeit der Rechtswahlklausel am Maßstab des § 305c BGB zu messen. Wird ein Inlandsgeschäft für den Vertragspartner unerwartet ausländischem Recht unterstellt, ohne dass ein substantieller Auslandsbezug besteht, so ist eine entsprechende Rechtswahlklausel regelmäßig als überraschend i.S.v. § 305c Abs. 1 BGB zu werten (vgl. BeckOGK-Rom I-VO/Wendland, Stand: 01.02.2020, Art. 3 Rn. 288 m.w.N.). Eine Formularabrede einer im Ausland ansässigen Fluggesellschaft zugunsten ihres Heimatrechts in ihren AGB dürfte zwar grundsätzlich nicht überraschend i.S.v. § 305 c Abs. 1 BGB sein, weil gerade bei Luftbeförderungsverträgen der grenzüberschreitende Aspekt auf der Hand liegt (vgl. OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 13.12.2018 - 16 U 15/18 (IPRspr 2018-93), RdTW 2019, S. 472, 475 Rz. 33; allgemein zu Geschäften mit Auslandsbezug: Staudinger/Magnus, BGB, Neubearbeitung 2016, Art. 3 Rom I-VO Rn. 176). Da ein Großteil der gebuchten Flugverbindungen aber die innerdeutsche Strecke Berlin-Tegel - Düsseldorf betrifft, kommt zumindest in diesen Fällen nach Ansicht der Kammer eine Unwirksamkeit der Rechtswahlklausel wegen des Überraschungseffekts in Betracht. Denn ein deutscher Staatsangehöriger, welcher über das Internet bei einer englischen Fluggesellschaft einen innerdeutschen Flug bucht, muss im Regelfall nicht damit rechnen, dass dieser Vorgang ausländischem Recht unterfällt.

[15]Zum Kontrollmaßstab einer Rechtswahlklausel in einem Vertrag zwischen einem Verbraucher und einer Fluggesellschaft gehören aber nach der Rechtsprechung des EuGH auch die der Umsetzung der Klausel-RL 93/13/EWG dienenden Vorschriften, welche richtlinienkonform auszulegen sind. Bei der RL 93/13/EWG handelt es sich um eine allgemeine Regelung zum Schutz der Verbraucher, die in allen Wirtschaftszweigen einschließlich desjenigen des Luftverkehrs anwendbar ist (vgl. EuGH, Urteil vom 18.11.2020 - C-519/19 Ryanair/DelayFix, NJW-RR 2021, S. 240, 243 Rz. 52: zur Unwirksamkeit einer Gerichtsstandsklausel gem. Art. 25 Brüssel Ia-VO). Dies gilt auch dann, wenn sich in einem Rechtsstreit - wie hier - lediglich Gewerbetreibende gegenüberstehen, weil der Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13/EWG nicht von der Identität der Parteien des fraglichen Rechtsstreits, sondern von der Eigenschaft der Vertragsparteien abhängt (vgl. EuGH, a.a.O. Rz. 53). Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu ermitteln, ob eine Klausel in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls den Anforderungen an Treu und Glauben, Ausgewogenheit und Transparenz genügt. Eine vorformulierte Rechtswahlklausel, mit der das Recht des Mitgliedstaats gewählt wird, in dem der Unternehmer seinen Sitz hat, ist dann als missbräuchlich anzusehen, wenn sie bestimmte, mit ihrem Wortlaut oder ihrem Kontext zusammenhängende Besonderheiten aufweist, die entgegen Art. 3 Abs. 1 RL 93/13/EWG ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursachen. Die Missbräuchlichkeit einer solchen Klausel kann sich auch aus einer Formulierung ergeben, die nicht dem in Art. 5 RL 93/13/EWG aufgestellten Erfordernis einer klaren und verständlichen Abfassung genügt. Dieses Erfordernis muss unter Berücksichtigung unter anderem des geringeren Informationsstands, den der Verbraucher gegenüber dem Gewerbetreibenden besitzt, weit ausgelegt werden. Darüber hinaus ist es, wenn die Wirkungen einer Klausel durch bindende Rechtsvorschriften bestimmt werden, entscheidend, dass der Gewerbetreibende den Verbraucher über diese Vorschriften unterrichtet (vgl. EuGH, Urteil vom 28.7.2016 - C-191/15 Verein für Konsumenteninformation/Amazon EU, NJW 2016, S. 2727, 2730 Rz. 61 ff.: zu einer Verbrauchersache i.S.v. Art. 6 Rom I-VO).

[16]Gemessen hieran ist die Rechtswahlklausel sowohl in ihrer alten Fassung (bis 24.07.2019) als auch in ihrer neuen Fassung (ab 24.07.2019) wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1, Art. 5 RL 93/13/EWG unwirksam.

[17]Die Rechtswahlklausel in Ziff. 21.1 gemäß AGB in der Fassung bis zum 24.07.2019 lautet:

[18]„Sofern vom anwendbaren Recht (einschließlich der Übereinkommen und der Verordnung EU261, sofern zutreffend) nichts anderes bestimmt ist:

[19]- unterliegen diese Bedingungen und alle Dienstleistungen, die wir Ihnen gemäß diesen Bedingungen erbringen, einschließlich bezüglich Ihrer Person und/oder Ihres Gepäcks, den Gesetzen von England und Wales.“

[20]Die Rechtswahlklausel in Ziff. 29 AGB gemäß der Fassung ab dem 24.07.2019 lautet:

[21]„Vorbehaltlich anders lautender Bestimmungen des Abkommens, einschlägiger Gesetze, staatlicher Vorschriften oder Regelungen gilt Folgendes:

[22]a) Für diese AGB und alle Beförderungen, zu deren Durchführung Wir Uns verpflichten (für Sie und/oder Ihr Gepäck), gilt das Recht von England und Wales.“

[23]Zunächst kann offen bleiben, ob die Rechtswahlklauseln bereits deshalb unwirksam sind, weil sie keinen ausdrücklichen Hinweis auf die beschränkten Rechtswahlmöglichkeiten für Personenbeförderungsverträge in Art. 5 Abs. 2 UAbs. 2 Rom I-VO enthält (so etwa OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 13.12.2018 - 16 U 15/18 (IPRspr 2018-93), RdTW 2019, S. 472, 474 f. Rz. 27 ff.).

[24]Die Klauseln sind jedenfalls irreführend und intransparent, denn sie vermitteln dem Durchschnittsverbraucher nicht hinreichend, dass das Montrealer Übereinkommen und die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 dem gewählten englischen Recht in ihrer Anwendbarkeit vorgehen.

[25]Wenn eine Rechtswahlklausel nicht exakt bestimmt, welche übernationalen Regelungen der Anwendung englischen Rechts vorgehen, ist eine solche Klausel intransparent, weil sie den Anwendungsbereich des gewählten nationalen Rechts nicht mehr in einer transparenten Weise festlegt. Wird daher die Fluggastrechteverordnung (VO EG Nr. 261/2004) in der Rechtswahlklausel nicht ausdrücklich genannt, suggeriert die Rechtswahlklausel, dass das englische Recht auch der Fluggastrechteverordnung vorgehe, was aber nicht der Fall ist. Daraus folgt die Irreführung, die zur Unwirksamkeit der einer solchen Rechtswahlklausel führt (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 29.1.2021 - 9 U 184/20 (IPRspr 2021-321), NZV 2021, S. 196; LG Frankfurt a.M., Teilurteil vom 3.7.2020 - 2-24 O 100/19 (IPRspr 2020-207), NJW-RR 2020, S. 1312, 1313 Rz. 19; Teilurteil vom 19.11.2020 - 2-24 O 99/19, BeckRS 2020, 32499 Rz. 16; LG Köln, Teilurteil vom 17.07.2020 - 25 O 212/19 (IPRspr 2020-209), BeckRS 2020, 16774 Rz. 14 ff.; LG Baden-Baden, Teilurteil vom 27.10.2020 - 2 O 287/19, BeckRS 2020, 31121 Rz. 31 f.; LG Berlin, Teilurteil vom 12.10.2020 - 51 O 133/18, BeckRS 2020, 27549 Rz. 15; AG Bühl, Teilurteil vom 11.11.2019 - 2 C 106/19 (IPRspr 2019-49), NZV 2020, S. 47, 48 Rz. 13; AG Nürnberg, Anerkenntnisurteil vom 25.03.2020 - 21 C 8856/19, BeckRS 2020, 5794; Staudinger, NZV 2020, S. 49; ders., jM 2019, S. 134; Tiede/Bergel/ Krannich, VuR 2020, S. 215).

[26]In der ab dem 24.07.2019 geltenden Klausel wird die Fluggastrechteverordnung gar nicht mehr genannt, vielmehr ist dort nur allgemein von „einschlägigen Gesetzen“ die Rede. Daher suggeriert die Rechtswahlklausel im Ergebnis, dass das englische Recht auch der Fluggastrechte-VO vorgehe, was aber gerade nicht der Fall ist. Dies begründet eine Irreführung des Verbrauchers (vgl. erneut OLG Köln, Beschluss vom 29.01.2021 - 9 U 184/20 (IPRspr 2021-321), NZV 2021, S. 196, 198 Rz. 24).

[27]In der bis zum 24.07.2019 gültigen Fassung wird nicht hinreichend deutlich, dass die Fluggastrechteverordnung und das Montrealer Übereinkommen in ihrem jeweiligen Anwendungsbereich dem englischen Recht in jedem Fall vorgehen. Deren Vorrang wird in unverständlicher Weise durch den Zusatz „sofern zutreffend“ eingeschränkt. Was hiermit gemeint sein soll, erschließt sich jedenfalls dem juristisch nicht vorgebildeten Laien nicht ohne weiteres. Soweit diese Formulierung meint, dass die Übereinkommen und Verordnungen dem englischen Recht nur dann vorgehen, wenn sie auf den konkreten Fall „zutreffen“, d.h. ihr Anwendungsbereich eröffnet ist, wäre dieser Zusatz überflüssig und irreführend. Denn im Eingang der Klausel heißt es bereits: „Sofern vom anwendbaren Recht (…) nichts anderes bestimmt ist:…“. Dieser Zusatz ist daher geeignet, gegenüber dem durchschnittlichen Fluggast die gegenüber dem englischen Recht vorrangige Anwendbarkeit des Montrealer Übereinkommens und der Fluggastrechteverordnung zu verschleiern.

[28]Hinzu kommt, dass auch die Bezeichnung der Fluggastrechteverordnung und des Montrealer Übereinkommens in der Rechtswahlklausel gegebenenfalls zu Missverständnissen bei dem juristisch nicht vorgebildeten Durchschnittskunden führen können. So ist dort eine „Verordnung EU261“ genannt. Eine solche Verordnung gibt es aber nicht, insbesondere handelt es sich bei der Fluggastrechteverordnung nicht um eine EU-Verordnung, sondern um eine EG-Verordnung und auch die vollständige Bezeichnung der Verordnung inklusive dem Jahr des Erlasses fehlt. Der juristisch nicht vorgebildete Laie kann anhand dieser Formulierung der Klausel gegebenenfalls nicht zuverlässig ermitteln, dass die Fluggastrechteverordnung in ihrem Anwendungsbereich dem englischen Recht vorgeht. Auch wenn der Begriff „Verordnung EU261“ in Ziff. 22.1 der AGB unter der Überschrift „Definitionen“ korrekt und vollständig als „Verordnung (EG) Nr. 261/2004 vom 11.02.2004 zur Festlegung gemeinsamer Regeln für die Entschädigung und Unterstützung der Fluggäste bei Nichtbeförderung, Annullierung und großer Verspätung“ definiert worden sein sollte, ändert dies nichts. Denn der juristisch nicht gebildete Laie erwartet nicht, dass der Begriff „Verordnung EU261“ in einer eigenständigen, mit „Definitionen“ überschriebenen Klausel näher definiert wird. Mit der Verwendung der Bezeichnung „Verordnung EU261“ im Gegensatz etwa zu „VO (EG) Nr. 261/2004“ ist auch keinerlei Entlastung des Klauseltextes verbunden. Insofern ist nicht verständlich, warum die Beklagte hier eine solche - unzutreffende und unvollständige - Kurzbezeichnung der Fluggastrechteverordnung im Klauseltext verwandt hat.

[29]Auch der Verweis auf „die Übereinkommen“, welche erst in Ziff. 22.1 näher definiert werden, ist unklar und irreführend. Ausgehend hiervon ergeben sich für einen durchschnittlichen Verbraucher ohne juristische Vorkenntnisse bereits erhebliche Schwierigkeiten zu ermitteln, was genau unter dem Begriff „Übereinkommen“ zu verstehen ist. So fehlt dem durchschnittlichen, nicht juristisch vorgebildeten Leser insbesondere jeglicher Anhaltspunkt, welche nationalen, europäischen oder internationalen Rechtsvorschriften im Einzelnen mit „Übereinkommen“ gemeint sein könnten, insbesondere fehlt ein klarer Hinweis auf das „Montrealer Übereinkommen“ (vgl. erneut OLG Köln, Beschluss vom 29.01.2021 - 9 U 184/20 (IPRspr 2021-321), NZV 2021, S. 196, 198 Rz. 21).

[30]c. ...

Fundstellen

LS und Gründe

BeckRS, 2021, 20151

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2021-262

Lizenz

Copyright (c) 2024 Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht
Creative-Commons-Lizenz Dieses Werk steht unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.
<% if Mpi.live? %> <% end %>