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Verfahrensgang

BGH, Urt. vom 25.09.2018 – X ZR 76/16, IPRspr 2018-257

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Besonderer Vertragsgerichtsstand
Handels- und Transportrecht → Land- und Lufttransport (bis 2019)
Vertragliche Schuldverhältnisse → Allgemeines Vertragsrecht

Leitsatz

Ein Anspruch auf Ausgleichszahlung nach Art. 7 I der Fluggastrechte-Verordnung [VO (EG) Nr. 261/2004] ist als Anspruch „aus einem Vertrag“ im Sinne von Art. 7 Nr. 1 lit. a EuGVO anzusehen.

Soll eine Luftbeförderungsverpflichtung durch die Beförderung auf zwei voneinander zu unterscheidenden Flügen im Sinne der Fluggastrechte-Verordnung erfüllt werden (hier: Luftbeförderung von Jekaterinburg nach Düsseldorf über Helsinki), ändert weder dies etwas an der Einheitlichkeit der vertraglichen Verpflichtung, noch der Umstand, dass der zweite Flug nicht vom Beförderungsunternehmen selbst, sondern einem anderen Luftfahrtunternehmen ausgeführt werden soll.

Bei einer aus zwei Teilstrecken bestehenden Flugreise ist der „Erfüllungsort“ im Sinne des Art. 7 I lit. b Spiegelstrich 2 EuGVO der Ankunftsort der zweiten Teilstrecke, auch wenn die Beförderungen auf den beiden Teilstrecken von verschiedenen Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden und die Klage auf Ausgleichszahlung wegen einer großen Verspätung bei dieser aus zwei Teilstrecken bestehenden Flugreise auf eine Störung gestützt wird, die auf dem ersten Flug eingetreten ist, der von einem Luftfahrtunternehmen durchgeführt wurde, das nicht Vertragspartner der betreffenden Fluggäste ist. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

EuGVVO 1215/2012 Art. 5; EuGVVO 1215/2012 Art. 7; EuGVVO 1215/2012 Art. 63; EuGVVO 1215/2012 Art. 66
Fluggastrechte-VO 261/2004 Art. 7

Sachverhalt

[Der Vorlagebeschluss des BGH vom 28.11.2017 – X ZR 76/16 – wurde bereits im Band IPRspr. 2017 unter der Nr. 248 abgedruckt – zum SV siehe dort.

Die Frage zur Auslegung von Art. 7 Nr. 1 lit. b Spiegelstrich 2 EuGVO hat der EuGH mit Urteil vom 7.3.2018 (C-274/16, C-447/16 und C-448/16) beantwortet.]

Aus den Entscheidungsgründen:

[5] Die zulässige Revision ist, nachdem die Kl. die Klage teilweise zurückgenommen haben und nunmehr noch Ausgleichszahlungen nach Art. 7 I 1 lit. b Fluggastrechte-VO i.H.v. jeweils 400 € nebst Zinsen verlangen, nicht begründet.

[6] I. Das Berufungsgericht hat zutreffend die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach Art. 5 I, 7 Nr. 1 litt. a, b Spiegelstrich 2, 63 I lit. a, 66 I EuGVO bejaht.

[7] 1. Nach Art. 7 Nr. 1 litt. a, b Spiegelstrich 2, 63 I lit. a EuGVO kann ein Unternehmen, das seinen Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, wegen Ansprüchen aus einem Vertrag in einem anderen Mitgliedstaat vor dem Gericht des Orts verklagt werden, an dem die vertragliche Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen gewesen wäre.

[8] 2. Der geltend gemachte Anspruch auf eine Ausgleichszahlung nach Art. 7 I Fluggastrechte-VO ist als Anspruch ‚aus einem Vertrag’ i.S.v. Art. 7 Nr. 1 lit. a EuGVO anzusehen. Der Anspruch folgt zwar nicht unmittelbar aus dem mit einem Luftfahrtunternehmen abgeschlossenen Beförderungsvertrag, setzt aber voraus, dass der Anspruchsteller über eine bestätigte Buchung verfügt, was wiederum regelmäßig vom Bestehen eines Beförderungsvertrages abhängig ist. Ein solcher Beförderungsvertrag kann entweder mit dem ausführenden Luftfahrtunternehmen selbst bestehen oder mit einem anderen Unternehmen, für welches das ausführende Luftfahrtunternehmen die Beförderungsleistung erbringt (BGH, Urt. vom 18.1.2011 – X ZR 71/10 (IPRspr. 2011 Nr. 182), BGHZ 188, 85 Rz. 26; Urt. vom 12.11.2009 – Xa ZR 76/07 (IPRspr 2009-44), RRa 2010, 34 Rz. 18; Urt. vom 28.5.2009 – Xa ZR 113/08, RRa 2009, 242 Rz. 9; Urt. vom 30.4.2009 – Xa ZR 78/08, RRa 2009, 239 Rz. 13). Im Streitfall ist die erstere Voraussetzung erfüllt. Nach den vom AG und vom LG getroffenen Feststellungen liegt eine einheitlich bei der Bekl. gebuchte Personenbeförderung ohne nennenswerten Aufenthalt auf dem Umsteigeflughafen Helsinki vor. Die Bekl. schuldete den Kl. die Luftbeförderung von Jekaterinburg nach Düsseldorf über Helsinki. Dass diese Beförderungsverpflichtung durch die Beförderung auf zwei voneinander zu unterscheidenden Flügen i.S.d. Fluggastrechte-VO erfüllt werden sollte, ändert ebenso wenig etwas an der Einheitlichkeit der vertraglichen Verpflichtung wie der Umstand, dass der zweite Flug nicht von der Bekl. selbst, sondern einem anderen Luftfahrtunternehmen ausgeführt werden sollte. Da die Leistungsstörung in Gestalt einer Verspätung den Flug betraf, für den die Bekl. Vertragspartner der Kl. und zugleich ausführendes Luftfahrtunternehmen war, ist in Anbetracht der Rspr. des EuGH (Urt. vom 9.7.2009 – Peter Rehder ./. Air Baltic Corporation, Rs C-204/08, Slg. 2009, I-6073 Rz. 47) der geltend gemachte Anspruch auf eine Ausgleichszahlung nach Art. 7 I Fluggastrechte-VO als Anspruch ‚aus einem Vertrag’ i.S.v. Art. 7 Nr. 1 lit. a EuGVO anzusehen.

[9] 3. Der Ankunftsort des zweiten Flugs, der Flughafen Düsseldorf, ist Erfüllungsort i.S.v. Art. 7 Nr. 1 lit. b Spiegelstrich 2 EuGVO.

[10] a) Nach dem Urteil des EuGH vom 7.3.2018 (C-274/16, C-447/16 und C-448/16, s.o.) ist Art. 7 I lit. b Spiegelstrich 2 EuGVO dahin auszulegen, dass bei einer aus zwei Teilstrecken bestehenden Flugreise ‚Erfüllungsort’ i.S.d. Bestimmung der Ankunftsort der zweiten Teilstrecke ist, wenn die Beförderungen auf den beiden Teilstrecken von verschiedenen Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden und die Klage gemäß der Fluggastrechte-VO auf Ausgleichszahlung wegen einer großen Verspätung bei dieser aus zwei Teilstrecken bestehenden Flugreise auf eine Störung gestützt wird, die auf dem ersten Flug eingetreten ist, der von dem Luftfahrtunternehmen durchgeführt wurde, das nicht Vertragspartner der betreffenden Fluggäste ist. Der EuGH hat zur Begründung ausgeführt, ein durch eine einheitliche Buchung für die gesamte Reise gekennzeichneter Vertrag über eine Beförderung im Luftverkehr begründe die Verpflichtung eines Luftfahrtunternehmens, einen Fluggast von A nach C zu befördern. Eine derartige Beförderung stelle eine Dienstleistung dar, bei der einer der Orte, an denen sie hauptsächlich erbracht werde, C (d.h. der Ankunftsort des zweiten Flugs) sei, weil der Beförderungsvertrag über die aus Teilstrecken bestehende Flugreise die Beförderung der Fluggäste bis zum Ankunftsort der zweiten Teilstrecke umfasse (EuGH aaO NJW 2018, 2105 Rz. 71 f.).

[11] b) Daraus ergibt sich zugleich, dass der Ankunftsort der zweiten Teilstrecke erst recht als Erfüllungsort i.S.v. Art. 7 I lit. b Spiegelstrich 2 EuGVO anzusehen ist, wenn – wie im Streitfall – die erste Teilstrecke der Flugreise, auf dem die zu der großen Verspätung führende Störung eingetreten ist, von dem Luftfahrtunternehmen durchgeführt wurde, das Vertragspartner der betreffenden Fluggäste ist, auch wenn die zweite Teilstrecke von einem Luftfahrtunternehmen ausgeführt wurde, das nicht Vertragspartner der betreffenden Fluggäste ist.

Fundstellen

LS und Gründe

NJW-RR, 2018, 1448

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2018-257

Lizenz

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