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Verfahrensgang

LG Köln, Teilurt. vom 17.07.2020 – 25 O 212/19, IPRspr 2020-209
OLG Köln, Beschl. vom 29.01.2021 – 9 U 184/20, IPRspr 2021-321

Rechtsgebiete

Vertragliche Schuldverhältnisse → Allgemeines Vertragsrecht
Handels- und Transportrecht → Lufttransport (ab 2020)
Allgemeine Lehren → Rechtswahl

Leitsatz

Die Wirksamkeit einer Rechtswahlabrede, die ausländische Fluggesellschaften zum Ausschluss möglicher Auskunftsansprüche nach deutschem Recht in einen Vertrag einzubeziehen versuchen, kann sich zwar nach Art. 3 V i.V.m. Art. 10 I der Rom I-VO nach ausländischem Recht beurteilen, zum Kontrollmaßstab zählen aber auch die der Umsetzung der Richtlinie dienenden Vorschriften, die rechtskonform auszulegen sind.

Aus Verbrauchersicht ist es fernliegend und irreführend, wenn unter „Übereinkommen“ die Fluggastrechte-VO verstanden werden soll, denn es handelt sich bei ihr um einen unmittelbar geltenden Rechtsakt, nicht um einen völkerrechtlichen Vertrag. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

BGB § 242; BGB § 398
Klausel-RL 93/13/EWG Art. 3
Rom I-VO 593/2008 Art. 3; Rom I-VO 593/2008 Art. 10

Sachverhalt

Die Klägerin macht im Wege der Stufenklage aus abgetretenem Recht zunächst einen Anspruch auf Auskunftserteilung über die Höhe von Steuern und Gebühren geltend, welche von den Zedenten an die Beklagte entrichtet wurden, um in der nächsten Stufe die aus Sicht der Klägerin zu Unrecht einbehaltenen Steuern und Gebühren herauszuverlangen. Die Klägerin erwarb von den Zedenten mögliche Rückzahlungsansprüche aus zwischen den Zedenten und der Beklagten bestehenden Flugverträgen. Die Flüge wurden von den Zedenten, bzw. denjenigen Personen, für welche die Zedenten die Flüge gebucht hatten, jeweils trotz vorheriger Entrichtung des vollen Flugpreises inklusive Steuern und Gebühren nicht angetreten. Eine gesonderte Ausweisung der Höhe der jeweils entrichteten Steuern und Gebühren erfolgte durch die Beklagte nicht. Die Allgemeinen Beförderungsbedingungen (ABB) sahen zum Zeitpunkt der Buchungen ein Abtretungsverbot von Rückforderungsansprüchen an nicht natürliche Personen, eine Ausschlussfrist für die Rückforderungsansprüche von einem Monat und die Erhebung einer Verwaltungsgebühr für den Fall der Rückforderung vor. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) enthielten eine Rechtswahlklausel, welche die Anwendbarkeit irischen Rechts vorsieht.

Die Klägerin hat zunächst im Wege der Stufenklage beantragt, bezüglich 168 konkret bezeichneter Einzelbuchungen offen zu legen, in welcher Höhe gem. Art. 23 VO 1008/2008/EG als solche auszuweisende Steuern und Gebühren angefallen sind sowie die Beklagte zu verurteilen, diese Steuern und Gebühren vollumfänglich an die Klägerin zu zahlen. Sie beantragt nunmehr im Wege der Stufenklage auf der ersten Stufe, bezüglich 162 konkret bezeichneter Einzelbuchungen offen zu legen, in welcher Höhe gem. Art. 23 VO 1008/2008/EG als solche auszuweisende Steuern und Gebühren angefallen sind. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Die zulässige Stufenklage ist auf erster Stufe begründet.

[2]I.

[3]Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch aus abgetretenem Recht auf die im Wege der Stufenklage zunächst begehrte Auskunftserteilung gem. §§ 242, 398 BGB.

[4]1.

[5]§ 242 BGB ist für die Auskunftserteilung taugliche Anspruchsgrundlage. Er gewährt einen Auskunftsanspruch im Rahmen einer Sonderverbindung, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen oder Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer erfüllen kann (LG Köln, Urteil vom 14.2.2019 - 20 O 272/18 = NZV 2020, 52). Diese Voraussetzungen liegen hier aufgrund der unterbliebenen Ausweisung der Steuern und Gebühren durch die Beklagte vor.

[6]Die Klägerin kann sich auch auf die im deutschen Recht fußende Rechtsgrundlage berufen. Denn die Anwendung irischen Rechts ist - auch wenn die von der Beklagten behaupteten Klauseln Teil der geschlossenen Verträge gewesen sein sollten - nicht wirksam vereinbart worden. Die Wirksamkeit der Rechtswahlabrede gem. Art. 3 Abs. 5 i. V. m. Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO ist zwar nach irische[m] Recht zu beurteilen. Zum Kontrollmaßstab zählen aber auch die der Umsetzung der Klausel-RL dienenden Vorschriften, welche richtlinienkonform auszulegen sind (AG Bühl , Teilurteil vom 11.11.2019 - 2 C 106/19 (IPRspr 2019-49)).

[7]Die Rechtswahlklausel ist intransparent und irreführend und daher rechtsmissbräuchlich im Sinne von Art. 3 Abs. 1 EWG-RL 93/13 (Klausel-RL) und somit unwirksam.

[8]Die Klausel ist irreführend, sofern sie glauben machen will, dass neben den einschlägigen Gesetzen lediglich das Übereinkommen von Montreal aus dem Jahr 1999 der Wahl irischen Rechts entgegenstehen könnte, nicht aber die Verordnung (EG) 261/2004. Unter Art. 1 ihrer ABB nimmt die Beklagte Begriffsbestimmungen vor. Dort definiert sie den Begriff "Übereinkommen" dahingehend, dass hiermit das Übereinkommen von Montreal aus dem Jahr 1999 gemeint ist. Weitere Bestimmungen des Begriffs "Übereinkommen" finden sich in den ABB nicht, insbesondere wird die Verordnung (EG) 261/2004 (FluggastrechteVO) in keiner anderen Klausel der ABB als "Übereinkommen" bezeichnet. Auch aus Sicht des Verbrauchers liegt es fern, unter "Übereinkommen" die Verordnung (EG) 261/2004 zu verstehen, bei der es sich um einen unmittelbar geltenden europäischen Rechtsakt und nicht - wie bei einem Übereinkommen - um einen völkerrechtlichen Vertrag handelt (AG Bühl , Teilurteil vom 11.11.2019 - 2 C 106/19 (IPRspr 2019-49)).

[9]Den Begriff der "einschlägigen Gesetze" definiert die Beklagte in ihren ABB begrifflich nicht. Vielmehr erwähnt die Beklagte in bestimmten Klauseln den Begriff der Verordnung (EG) 261/2004 ausdrücklich (Art. 9.2.1), während sie in anderen Klauseln wiederum von anwendbaren Gesetzen (Art. 13.1.1) spricht. Daher ist es aus Sicht eines Verbrauches fernliegend, unter "einschlägige Gesetze" auch die Verordnung (EG) 261/2004 zu verstehen. Gerade bei dieser Verordnung handelt es sich um den zentralen Baustein des Europäischen Gesetzgebers im Bereich des Kundenschutzes, welcher das Montrealer Übereinkommen flankiert; es handelt sich um Einheitsrecht, welches neben das Montrealer Übereinkommen tritt und gleichermaßen das gewählte irische Recht verdrängen bzw. überlagern kann (Staudinger, JM 2019, 136). Das Verschweigen der Beklagten in der entsprechenden Klausel, dass der Inhalt dieser Verordnung dem gewählten irischen Recht entgegenstehen könnte, führt zu einer Irreführung der Verbraucher und macht die Klausel daher unwirksam (AG Bühl , Teilurteil vom 11.11.2019 - 2 C 106/19 (IPRspr 2019-49)).

[10]Die Klausel ist auch intransparent, da für den Verbraucher unklar bleibt, was unter dem verwendeten Begriff der "einschlägige[n] Gesetze" zu verstehen ist. Für den Verbraucher ergibt sich daher die Schwierigkeit herauszufinden, was mit dem Begriff Gesetz gemeint ist und welche Gesetze hier einschlägig sein könnten. So mag ein durchschnittlicher Leser mit Lebensmittelpunkt in Deutschland das Klauselwerk in hiesiger Sprache so verstehen, dass es sich um deutsche Rechtsvorschriften handeln müsse. Die Wahl des irischen Rechts könnte hingegen darauf hindeuten, die Formularabrede beziehe sich auf einschlägige Normen von Irland. Vor allem ist für einen juristischen Laien nicht erkennbar, woraus sich ergeben soll, ob bestimmte Gesetze eines Landes einschlägig sind oder nicht (Staudinger, JM 2019, 135f.).

[11]2. ...

Fundstellen

LS und Gründe

NZV, 2020, 647, mit Hinweis Plottek

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2020-209

Lizenz

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