PDF-Version

Verfahrensgang

AG Bühl, Teilurt. vom 11.11.2019 – 2 C 106/19, IPRspr 2019-49

Rechtsgebiete

Vertragliche Schuldverhältnisse → Allgemeines Vertragsrecht

Leitsatz

Die in einem Beförderungsvertrag eines Luftverkehrsunternehmens enthaltene Rechtswahlklausel über die Anwendung irischen Rechts ist irreführend und intransparent und daher rechtsmissbräuchlich, sofern sie glauben machen will, dass neben den einschlägigen Gesetzen lediglich das Montrealer Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 28.5.1999 (BGBl. 2004 II 459) der Wahl irischen Rechts entgegenstehen könnte, nicht aber die Fluggastrechte-Verordnung. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

BGB § 242; BGB § 398
Klausel-RL 93/13/EWG Art. 3
Rom I-VO 593/2008 Art. 3; Rom I-VO 593/2008 Art. 10

Sachverhalt

Die Kl. macht im Wege der Stufenklage aus abgetretenem Recht zunächst einen Anspruch auf Auskunftserklärung über die Höhe von Steuern und Gebühren geltend, welche von den Zedenten an die Bekl. entrichtet wurden, um in der nächsten Stufe die aus Sicht der Kl. zu Unrecht einbehaltenen Steuern und Gebühren wieder herauszuverlangen.

Die Kl. erwarb von den Zedenten mögliche Rückzahlungsansprüche aus zwischen den Zedenten und der Bekl. bestehenden Flugverträgen. Die Flüge wurden von den Zedenten bzw. denjenigen Personen, für welche die Zedenten die Flüge gebucht hatten, jeweils trotz vorheriger Entrichtung des vollen Flugpreises inklusive Steuern und Gebühren nicht angetreten. Eine gesonderte Ausweisung der Höhe der jeweils entrichteten Steuern und Gebühren erfolgte durch die Bekl. nicht. Die Allgemeinen Beförderungsbedingungen (ABB) sahen zum Zeitpunkt der Buchungen ein Abtretungsverbot von Rückforderungsansprüchen an nicht natürliche Personen, eine Ausschlussfrist für die Rückforderungsansprüche von einem Monat und die Erhebung einer Verwaltungsgebühr für den Fall der Rückforderung vor.

Die Kl. beantragt im Wege der Stufenklage, 1. Auskunftserklärung über die Höhe von Steuern und Gebühren, 2. die Bekl. zu verurteilen, diese Steuern und Gebühren an die Kl. zu zahlen. Die Bekl. beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Bekl. behauptet, zum Zeitpunkt der Buchungen hätten sich Rechtswahlklauseln in den ABB befunden. In der vom 11.10.2017 bis zum 24.10.2018 verwendeten Fassung:

„Sofern das Übereinkommen oder einschlägige Gesetze nichts anderes vorsehen, unterliegen Ihr Beförderungsvertrag, diese Beförderungsbestimmungen und unsere Regelungen dem irischen Recht sowie sämtliche Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit diesem Vertrag der Zuständigkeit irischer Gerichte.“

In der bis zum 10.10.2017 sowie seit dem 25.10.2018 verwendeten Fassung:

„Sofern das Übereinkommen oder einschlägige Gesetze nichts anderes vorsehen, unterliegen Ihr Beförderungsvertrag, diese Beförderungsbestimmungen und unsere Regelungen dem Irischen Recht.“

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Die zulässige Stufenklage ist auf erster Stufe begründet.

[2]I. Die Kl. hat gegen die Bekl. einen Anspruch aus abgetretenem Recht auf die im Wege der Stufenklage zunächst begehrte Auskunftserteilung gemäß §§ 242, 398 BGB.

[3]§ 242 BGB ist für die Auskunftserteilung taugliche Anspruchsgrundlage. Er gewährt einen Auskunftsanspruch im Rahmen einer Sonderverbindung, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen oder Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer erfüllen kann (LG Köln, Urt. vom 14.2.2019 – 20 O 272/18). Diese Voraussetzungen liegen hier aufgrund der unterbliebenen Ausweisung der Steuern und Gebühren durch die Bekl. ohne Weiteres vor.

[4]Die Kl. kann sich auch auf die im deutschen Recht fußende Rechtsgrundlage berufen. Denn die Anwendung irischen Rechts ist – auch wenn die von der Bekl. behaupteten Klauseln Teil der geschlossenen Verträge gewesen sein sollten – nicht wirksam vereinbart worden. Die Wirksamkeit der Rechtswahlabrede gemäß Art. 3 V i.V.m. Art. 10 I Rom-I-VO ist zwar nach irischen Recht zu beurteilen. Zum Kontrollmaßstab zählen aber auch die der Umsetzung der Klausel-RL [RL 93/13/EWG des Rates über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen vom 5.4.1993 (ABl. Nr. L 95/29)] dienenden Vorschriften, welche richtlinienkonform auszulegen sind.

[5]Die Rechtswahlklausel ist irreführend und intransparent und daher rechtsmissbräuchlich i.S.v. Art. 3 I Klausel-RL und infolge unwirksam. Die Klausel ist irreführend, sofern sie glauben machen will, dass neben den einschlägigen Gesetzen lediglich das Übereinkommen von Montreal aus dem Jahr 1999 der Wahl irischen Rechts entgegenstehen könnte, nicht aber die VO (EG) 261/2004 [des Europäischen Parlaments und des Rates über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 vom 11.2.2004 (ABl. Nr. L 46/1)]. Es ist gerichtsbekannt, dass die Bekl. in ihren AGB unter Art. 1 Begriffsbestimmungen vornimmt und den Begriff ‚Übereinkommen’ dahingehend definiert, dass hiermit das Übereinkommen von Montreal aus dem Jahr 1999 gemeint ist. Weitere Bestimmungen des Begriffs ‚Übereinkommen’ finden sich in den AGB nicht, insbes. wird die VO (EG) 261/2004 [i]n keiner anderen Klausel der AGB als ‚Übereinkommen’ bezeichnet. Auch aus Sicht des Verbrauchers liegt es fern, unter ‚Übereinkommen’ die VO (EG) 261/2004 zu verstehen, bei der es sich um einen unmittelbar geltenden europäischen Rechtsakt und nicht – wie bei einem Übereinkommen – um einen völkerrechtlichen Vertrag handelt. Den Begriff der ‚einschlägigen Gesetze’ definiert die Bekl. in ihren AGB begrifflich nicht. Vielmehr erwähnt die Bekl. gerichtsbekannt in bestimmten Klauseln den Begriff der VO (EG) 261/2004 ausdrücklich (Art. 9.2.1), während sie in anderen Klauseln wiederum von anwendbaren Gesetzen (Art. 13.1.1) spricht (Staudinger, JM 2019, [134], 136 mit weiteren Beispielen). Daher ist es aus Sicht eines Verbrauche[r]s fernliegend, unter ‚einschlägige Gesetze’ auch die VO (EG) 261/2004 zu verstehen. Gerade bei dieser VO handelt es sich um den zentralen Baustein des Europäischen Gesetzgebers im Bereich des Kundenschutzes, welcher das Montrealer Übereinkommen flankiert; bei ihr handelt es sich um Einheitsrecht, welches neben das Montrealer Übereinkommen tritt und gleichermaßen das gewählte irische Recht verdrängen bzw. überlagern kann (Staudinger, JM 2019, [134], 136). Das Verschweigen der Bekl. in der entsprechenden Klausel, dass der Inhalt dieser VO dem gewählten irischen Recht entgegenstehen könnte, führt zu einer Irreführung der Verbraucher und macht die Klausel daher unwirksam. Die Klausel ist auch intransparent, da für den Verbraucher unklar bleibt, was unter dem i[n der] Rechtswahlklausel verwendeten Begriff ... ‚einschlägige Gesetze’ zu verstehen ist. Es ist gerichtsbekannt, dass die Bekl. in ihren AGB unter Art. 1 Begriffsbestimmungen vornimmt und z.B. den ebenfalls i[n] der Rechtswahlklausel verwendeten Begriff ‚Übereinkommen’ dahingehend definiert, dass hiermit das Übereinkommen von Montreal aus dem Jahr 1999 gemeint ist. Der in der Rechtswahlklausel verwendete Begriff ‚einschlägige Gesetze’ wird hingegen weder unter Art. 1, noch an anderer Stelle der AGB definiert. Für den Verbraucher ergibt sich daher die Schwierigkeit herauszufinden, was mit dem Begriff Gesetz gemeint ist und welche Gesetze hier einschlägig sein könnten. So mag ein durchschnittlicher Leser mit Lebensmittelpunkt in Deutschland das Klauselwerk in hiesiger Sprache dahin verstehen, dass es sich um Rechtsvorschriften aus der Feder des deutschen Gesetzgebers handeln müsse. Die Wahl des irischen Rechts könnte hingegen darauf hindeuten, die Formularabrede beziehe sich auf einschlägige Normen von Irland. Vor allem ist für einen juristischen Laien nicht erkennbar, woraus sich ergeben soll, ob bestimmte Gesetze eines Landes einschlägig sind oder nicht (Staudinger, JM 2019, [134],135 f.).

Fundstellen

LS und Gründe

NZV, 2020, 47, m. Anm. Staudinger
RRa, 2020, 38

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2019-49

Lizenz

Copyright (c) 2024 Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht
Creative-Commons-Lizenz Dieses Werk steht unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.