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Verfahrensgang

OLG Karlsruhe, Beschl. vom 04.01.2012 – 9 Sch 02/09, IPRspr 2012-290

Rechtsgebiete

Schiedsgerichtsbarkeit

Leitsatz

Die Parteien können den Streit um das Insolvenzgläubigerrecht der Entscheidung durch ein internationales Schiedsgericht unterwerfen.

Der Umstand, dass die Schiedsverhandlungen nicht ausschließlich am vereinbarten Schiedsort stattgefunden haben, begründet keinen Verstoß des Schiedsspruchs gegen den internationalen ordre public.

Die Überschreitung der gemäß Art. 24 der zum 1.1.2012 in Kraft getretenen Schiedsordnung der Internationalen Handelskammer vorgesehenen sechsmonatigen Frist zum Erlass des Schiedsspruchs stellt aus der Sicht des deutschen Rechts keine Verletzung des internationalen ordre public dar. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

ArbitrationA 1925 (USA) s. 10; ArbitrationA 1925 (USA) s. 12; ArbitrationA 1925 (USA) s. 208
BGB § 324
InsO § 103; InsO § 174; InsO § 180
UNÜ Art. II; UNÜ Art. III; UNÜ Art. V; UNÜ Art. VII
ZPO §§ 91 ff.; ZPO § 282; ZPO § 1043; ZPO § 1054; ZPO § 1057; ZPO § 1061; ZPO §§ 1062 ff.

Sachverhalt

[Die Rechtsbeschwerde des AGg. wurde vom BGH mit Beschluss vom 20.12.2012 – III ZB 8/12 – als unzulässig verworfen.]

Die Gl. erstrebt in der Schiedssache der Parteien die Vollstreckbarerklärung des Spruchs eines ICC-Schiedsgerichts. In diesem Schiedsspruch wird der AGg. verurteilt, an die ASt. verschiedene Geldbeträge aus der Konkursmasse einer GmbH sowie die Kosten des Schiedsverfahrens zu zahlen. Die ASt. beantragt, den Schiedsspruch für vollstreckbar und den die Vollstreckbarkeit aussprechenden Beschluss für vorläufig vollstreckbar zu erklären.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. 1. Der Antrag ist zulässig (vgl. §§ 1062 ff. ZPO). Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts folgt aus § 1062 II Alt. 1 ZPO i.V.m. Art. III Satz 2 UNÜ.

[2]2. Der Antrag ist auch begründet. Denn der Schiedsspruch ist nach § 1061 ZPO i.V.m. dem UNÜ für vollstreckbar zu erklären. Anerkennungsversagungsgründe können nicht mehr geltend gemacht werden und liegen im Übrigen auch nicht vor.

[3]a) Die Schuldnerin ist mit ihrer Berufung auf Anerkennungsversagungsgründe präkludiert, weil sie ihre fristgemäße Geltendmachung im US-amerikanischen Aufhebungsverfahren versäumt hat. Nach st. Rspr., der auch der erkennende Senat folgt (siehe Beschl. vom 27.3.2006 – 9 Sch 2/5 m.w.N. (IPRspr 2006-207)), können Anerkennungsversagungsgründe auch des ordre public im Vollstreckbarerklärungsverfahren nur berücksichtigt werden, wenn eine zulässige und inhaltlich einschlägige Aufhebungsklage im Herkunftsstaat des Schiedsspruchs nicht verfristet ist (BGH, NJW-RR 2001, 1059 f.) (IPRspr. 2001 Nr. 202). Zwar ist unter Geltung des neuen § 1061 ZPO die Fortgeltung dieser Rspr. bestritten, weil Art. V UNÜ keine Regelung eines Rügeverlusts enthalte (Fortgeltung ablehnend u.a. OLG Schleswig, RIW 2000, 706, 708 (IPRspr. 2000 Nr. 185); BayObLG, NJW-RR 2001, 431, 432 (IPRspr. 2000 Nr. 183); Lachmann, Handbuch für die Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl., Rz. 1323; Mallmann, SchiedsVZ 2004, 152, 157; Prütting/Gehrlein/Raeschke-Kessler, ZPO, 2. Aufl., § 1061 Rz. 29 ff.; Schwab-Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl., Kap. 30 Rz. 19; Stein-Jonas-Schlosser, ZPO, 22. Aufl., Anh. § 1061 Rz. 76; Fortgeltung bejahend etwa OLG Stuttgart, Beschl. vom 14.10.2003 – 1 Sch 16/02, 1 Sch 6/03; OLG Karlsruhe, SchiedsVZ 2006, 281 f. (IPRspr 2006-213); 9 Sch 2/5 aaO; SchiedsVZ 2008, 47, 48 (IPRspr 2007-221); OLG Frankfurt a.M., Beschl. vom 18.10.2007 – 26 Sch 1/07; MünchKommZPO-Münch, 3. Aufl., § 1061 Rz. 12; v. Adolphsen, ebda. Anh. 1 UNÜ Art. V Rz. 11 f.; Musielak-Voit, ZPO, 7. Aufl., § 1061 Rz. 20; unklar Zöller-Geimer, ZPO, 29. Aufl., § 1061 Rz. 22 einerseits, Rz. 29 anderseits; offengelassen in OLG Rostock, IPRax 2002, 401, 405 (IPRspr. 2001 Nr. 206); KG, SchiedsVZ 2007, 108, 112 (IPRspr 2006-214)). Eine restriktive Handhabung von Anerkennungsversagungsgründen verwehrt den deutschen Gerichten aber weder die völkervertragliche Geltung des UNÜ noch seine Geltung als einfaches Recht aufgrund Verweises in § 1061 ZPO. Das UNÜ verhindert keine anerkennungsfreundliche Praxis nationalen Rechts (dazu Art. VII Abs. 1 UNÜ). Die teleologische Reduktion nationalen Rechts steht den Gerichten aber nach wie vor frei, sodass alle Gründe auch nach der neuen Regelung fortbestehen, die eine Präklusion nach altem Recht gerechtfertigt haben (so MünchKommZPO-Münch aaO § 1061 Anh. 1 Art. V UNÜ Rz. 7, 13; Thomas-Putzo-Reichold, ZPO, 32. Aufl., § 1061 Rz. 6; Musielak-Voit aaO Rz. 20). Im Streitfall hat der AGg. die Anerkennungsversagungsgründe erstmals im Verfahren der Vollstreckbarerklärung vor dem erkennenden Senat im Schriftsatz vom 27.10.2009 vorgetragen. Die Zuständigkeit, einen Schiedsspruch aufzuheben, kommt allein den Gerichten des Erlassstaats zu (Art. V Abs. 1 lit. e Alt. 2 UNÜ; BGH, NJW-RR 2008, 1083 (IPRspr 2008-198)). Da der Schiedsspruch in den USA erlassen wurde, ist US-amerikanisches Recht maßgeblich. Soweit der AGg. einwendet, US-amerikanisches Recht sei hier nicht anwendbar, da die Parteien dies nicht als Prozessrecht vereinbart hätten, verkennt er den Unterschied zwischen dem Verfahrensrecht für das Schiedsverfahren und dem Prozessrecht, das für eine anschließende Prüfung des Schiedsspruchs vor den staatlichen Gerichten des Erlassstaats maßgeblich ist. Dieses Recht ist auch ohne eine Vereinbarung der Parteien grundsätzlich das Prozessrecht am Ort des Schiedsverfahrens (vgl. Schwab-Walter aaO Kap. 25 Rz. 11), hier also US-amerikanisches Prozessrecht. Nach der Vorschrift in s. 12 des Federal Arbitration Act, Title 9 USC vom 12.2.1925 ( 43 Stat. 883, 61 Stat. 669), die auf internationale Schiedsverfahren der vorliegenden Art anwendbar ist (vgl. s. 208 Arbitration Act), muss der Antrag, einen Schiedsspruch aufzuheben, zu ändern oder zu berichtigen, innerhalb von drei Monaten ab Zustellung des Schiedsspruchs gestellt werden. Wie die ASt. zutreffend ausführt, hätten die vom AGg. im vorliegenden Verfahren vorgebrachten Anerkennungsversagungsgründe im US-amerikanischen Aufhebungsverfahren vorgebracht werden können (siehe s. 10 Arbitration Act i.V.m. der einschlägigen Rspr.). Insbesondere kann ein Schiedsspruch von US-amerikanischen Gerichten aufgehoben werden, wenn er mit dem ordre public unvereinbar ist (Revere Copper and Brass Incorporated v. Overseas Private Investment Corporation, 628 F.2d 81 [D.C.Cir.1980]; Weber Aircraft. Inc. v. General Warehousemen and Helpers Union Local 767, 253 F.3d 821 [5th Cir. 2001]; Mitsubishi Motors Corporation v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 723 F.2d 155 [1st Cir. 1983]). Der Schiedsspruch war dem AGg. unstreitig spätestens am 7.1.2009 zugestellt worden. Innerhalb der mit diesem Tag beginnenden dreimonatigen Frist hat der AGg. einen Antrag nach s. 12 Arbitration Act bei dem zuständigen US-amerikanischen Gericht nicht gestellt.

[4]Entgegen der Auffassung des AGg. folgt nichts anderes aus dem Beschluss des BGH vom 16.12.2010 (NJW 2011, 1290) (IPRspr 2010-310). In diesem Beschluss ging es um die Frage, ob der Einwand der Unzuständigkeit des ausländischen Schiedsgerichts wegen Fehlens einer Schiedsvereinbarung im inländischen Verfahren der Vollstreckbarerklärung erhoben werden kann, wenn der Schiedsbeklagte versäumt hat, gegen den Schiedsspruch im Ausland ein befristetes Rechtsmittel einzulegen. Nachdem der BGH diese Frage zunächst in st. Rspr. verneint hatte (BGHZ 52, 184 (IPRspr. 1968–1969 Nr. 258); 55, 162 (IPRspr. 1971 Nr. 158b); WM 1984, 1014 (IPRspr. 1984 Nr. 196); 1998, 739) und sodann nach der Neuordnung des Schiedsverfahrensrechts offengelassen hatte (BGH 2008 aaO; SchiedsVZ 2009, 126 Rz. 6 (IPRspr 2009-269)), gab er diese sog. Präklusionsrechtsprechung in der Entscheidung vom 16.12.2010 (aaO) ausdrücklich, allerdings beschränkt auf den Einwand der fehlenden oder unwirksamen Schiedsvereinbarung, auf. Dabei weist der BGH in den Gründen seiner Entscheidung darauf hin, dass sich die Antragsgegnerin in dem zugrunde liegenden Schiedsverfahren ‚von Anfang an auf eine fehlende Schiedsvereinbarung berufen hat’ (BGH aaO Rz. 12 a.E.). Der BGH führt weiter aus, das OLG habe in tatrichterlicher Würdigung festgestellt, dass die ASt. unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben keinen Anlass zu der Annahme gehabt habe, die Antragsgegnerin werde sich in Deutschland einer Vollstreckbarerklärung unter Berufung auf die fehlende Zuständigkeit des Schiedsgerichts nicht widersetzen (BGH aaO Rz. 16). Von diesem Sachverhalt weicht der vorliegende Fall in zwei entscheidenden Punkten ab: Erstens wendet der AGg. im vorliegenden Fall nicht das Fehlen einer (wirksamen) Schiedsvereinbarung ein. Vielmehr macht er Verfahrensmängel sowie Fehler in der Anwendung deutschen Rechts geltend. Der die Entscheidung des BGH tragende Grundsatz, dass der Partei, die sich auf die unwirksame Schiedsvereinbarung beruft, im Vollstreckungsstaat nicht der gesetzliche Richter entzogen werden dürfe, der zu prüfen habe, ob sich die Partei des Rechtschutzes durch die staatlichen Gerichte im Wege der Vereinbarung einer wirksamen Schiedsklausel begeben hat (BGH aaO Rz. 16 und dazu Schütze, RIW 2011, 417, 418), ist vorliegend nicht berührt. Vielmehr ist in dem hier zu entscheidenden Fall die wirksame Unterwerfung beider Parteien unter die vereinbarte Schiedsgerichtsbarkeit vollkommen unstreitig. Zweitens hat der AGg. im vorliegenden Fall an keiner Stelle des Schiedsverfahrens jene Einwände erhoben, die er nunmehr im Verfahren der Vollstreckbarerklärung erhebt. Dies hat er damit begründet, dass die geltend gemachten Verfahrensfehler erst mit dem Schiedsspruch erkennbar geworden seien. Allerdings hat er auch im Anschluss, als ihm die von ihm behaupteten Mängel bekannt geworden waren, kein Rechtsmittel gegen den Schiedsspruch eingelegt. Soweit es um die Verletzung rechtlichen Gehörs infolge Schlafens des Beisitzers geht, hat der AGg. das Absehen von einer Rüge damit begründet, dass man auf Kooperation mit dem Schiedsgericht angewiesen gewesen sei und einen Totalkonflikt mit dem Schiedsgericht habe vermeiden wollen. Indessen besteht die theoretische Befürchtung eines Konflikts bei sämtlichen Einwänden, die eine Partei gegen die Verfahrensführung durch ein Gericht vorbringen kann. In letzter Konsequenz müsste die Argumentation des AGg. dazu führen, dass Einwände grundsätzlich nicht im Verfahren selbst, sondern erst nach der Entscheidung in einem anschließenden Rechtsmittel- oder Vollstreckungsverfahren vorgebracht werden müssen. Dies ist mit dem geltenden deutschen Verfahrensrecht unvereinbar (siehe etwa § 282 ZPO). Jedenfalls aber hat im vorliegenden Fall die ASt., anders als in dem vom BGH entschiedenen Fall, aufgrund des Verhaltens des AGg. keinen Anlass zu der Annahme gehabt, der AGg. werde sich in Deutschland einer Vollstreckbarerklärung mit den nunmehr vorgebrachten Einwendungen widersetzen.

[5]b) Aber auch in der Sache liegen keine Anerkennungsversagungsgründe vor.aa) Soweit der AGg. einwendet, die Feststellung einer Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle sei nicht im Wege des internationalen Schiedsspruchs zulässig, da gemäß § 180 InsO insoweit ausschließlich das LG oder AG im Bezirk des Insolvenzgerichts zuständig sei, verkennt er, dass § 180 InsO allein die örtliche Zuständigkeit staatlicher Gerichte regelt. Es ist anerkannt, dass die Parteien den Streit um das Insolvenzgläubigerrecht der Entscheidung [einem] Schiedsgericht unterwerfen können (RGZ 137, 109, 111; BGHZ 24, 15, 18; Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 180 Rz. 5; BGH, NZI 2009, 309 (IPRspr 2009-272); MünchKommInsO-Schumacher, 2. Aufl., § 180 Rz. 9; Hess, Insolvenzrecht, 2007, § 180 Rz. 2). Aus der Schiedsfähigkeit folgt aber zugleich, dass auch ein internationales Schiedsgericht berufen werden kann. Denn nach Art. II Abs. 1 UNÜ erkennen die Vertragsstaaten die Vereinbarung eines internationalen Schiedsgerichts an, sofern der Gegenstand des Streits auf schiedsrichterlichem Wege geregelt werden kann.

[6]bb) Ebenso wenig vermag der Einwand zu überzeugen, der Schiedsspruch verstoße gegen den ordre public international, weil die Forderungen nicht zur Insolvenztabelle angemeldet worden seien. Zunächst trifft es nicht zu, dass das Schiedsgericht in seinem Schiedsspruch festgestellt hätte, die Forderungen seien nicht angemeldet worden. Vielmehr heißt es in der insoweit vom AGg. zitierten Rz. 219 des Schiedsspruchs (in deutscher Übersetzung) lediglich: ‚Das Gericht wurde nur sehr allgemein darüber informiert, dass B. alle Ansprüche von H. angefochten hatte.’ Eine Feststellung des Schiedsgerichts in Bezug auf eine Nichtanmeldung kann in dieser in indirekter Rede wiedergegeben Information nicht gesehen werden.

[7]Soweit der AGg. hier und im Weiteren eine Verletzung des ordre public rügt, verkennt er den Unterschied zwischen dem inländischen ordre public (ordre public interne) und dem internationalen ordre public (ordre public international), der bei ausländischen Schiedssprüchen alleiniger Prüfungsmaßstab ist (vgl. Art. V Abs. 2 lit. b UNÜ i.V.m. § 1061 ZPO; Musielak-Voit aaO Rz. 23 f.). Der inländische ordre public ist verletzt, wenn die Vollstreckbarerklärung eines (inländischen) Schiedsspruchs mit den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, zu denen insbes. die Grundrechte zählen, offensichtlich unvereinbar ist. Eine solche Unvereinbarkeit ergibt sich nicht aus jeder Verletzung zwingenden Rechts, sondern erst dann, wenn der Inhalt des Schiedsspruchs zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und der in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass er nach inländischer Vorstellung untragbar erscheint (vgl. BGH, NJW 1993, 3269, 3270 (IPRspr. 1993 Nr. 178); OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, 572 (IPRspr. 1996 Nr. 182); Musielak-Voit aaO § 1059 Rz. 25). Hingegen ist bei der Anerkennung eines internationalen Schiedsspruchs das weniger strenge Regime des internationalen ordre public maßgeblich. Eine Vollstreckbarerklärung scheidet nur dann aus, wenn das schiedsgerichtliche Verfahren an einem schwerwiegenden Mangel leidet, der die Grundlagen des staatlichen und wirtschaftlichen Lebens in Deutschland berührt (vgl. BGHZ 98, 70, 73 f. (IPRspr. 1986 Nr. 198 (LS)); BGHZ 110, 104, 106 f. (IPRspr. 1990 Nr. 238); NJW-RR 2001 aaO 1060 f. (IPRspr. 2001 Nr. 202); NJW 2007, 772 (IPRspr 2006-205)). Das ist für den vorliegenden Schiedsspruch, der aus der Sicht des deutschen Rechts im Hinblick auf den US-amerikanischen Schiedsort San Diego als internationaler Schiedsspruch zu qualifizieren ist, zu verneinen.

[8]Soweit sich der AGg. für die Begründung einer Verletzung des internationalen ordre public auf die Entscheidung des BGH vom 29.1.2009 beruft (NZI aaO), kann ihm nicht gefolgt werden. In jenem Fall ging es um einen inländischen Schiedsspruch, der eine Insolvenzforderung feststellte, die teilweise nicht zur Insolvenztabelle angemeldet worden war. Dazu führt der BGH aus, die Notwendigkeit, die in einem gerichtlichen Verfahren verfolgte Forderung zur Insolvenztabelle anzumelden, diene der verfahrensmäßigen Gewährleistung des Grundsatzes der gleichmäßigen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger. Dieser Grundsatz sei dem inländischen ordre public zuzurechnen (BGH aaO Rz. 23). Weiter führt der BGH aus, entgegen der Ansicht der Beschwerde unterliege der Schiedsspruch nicht dem tendenziell großzügigeren internationalen ordre public (BGH aaO Rz. 27). Daraus folgt unmittelbar, dass ein internationaler Schiedsspruch, der eine nicht zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung feststellt, nicht den – insoweit allein maßgeblichen – internationalen ordre public verletzt. Hinzu kommt, dass im vorliegenden Fall – anders als in dem vom BGH entschiedenen Sachverhalt – die ASt. zunächst mit Datum vom 14.8.2002 zwei Forderungen in einer Gesamthöhe von rund 137 Mio. Euro beim AGg. unter Verwendung der zur Verfügung gestellten Formulare schriftlich zur Insolvenztabelle angemeldet hat. Dabei finden sich in den dem erkennenden Senat in Ablichtung vorgelegten Tabellen handschriftliche Angaben zu Grund und Betrag der Forderungen. Ebenso lässt sich den Tabellen unzweifelhaft entnehmen, dass diese Forderungen als Insolvenzforderungen geltend gemacht werden. Ausweislich des Auszugs aus der Insolvenztabelle des AG Weilheim wurde diese Anmeldung jedoch zunächst vorläufig vom AGg. am 15.2.2002 und endgültig am 26.6.2003 mit der Begründung ‚Forderung nicht substanziiert nachgewiesen’ bestritten. Gemäß § 174 II InsO sind bei der Anmeldung Grund und Betrag der Forderung anzugeben. Unklar ist nach deutschem Insolvenzrecht zunächst, ob der Insolvenzverwalter ein Vorprüfungsrecht hat oder ob er eine eingehende Anmeldung ohne weiteres in die Tabelle aufzunehmen hat ... Angesichts dieser Diskussion im deutschen Insolvenzrecht wird man in der Feststellung einer nicht bzw. nicht hinreichend schlüssigen Forderung zur Insolvenztabelle keinen schwerwiegenden Mangel erkennen können, der die Grundlagen des staatlichen und wirtschaftlichen Lebens in Deutschland berührte. Daher verstößt ein internationaler Schiedsspruch, der eine Insolvenzforderung feststellt, die zwar zuvor angemeldet, aber sodann wegen Unschlüssigkeit als endgültig bestritten in die Tabelle eingetragen wurde, nicht gegen den internationalen ordre public.

[9]cc) In den vom AGg. behaupteten Verletzungen der § 103 InsO und § 324 BGB sowie in der ebenso behaupteten fehlerhaften Auslegung bestimmter Dokumente im Zusammenhang mit dem CARES-[Risikomanagement]-Programm liegt ebenfalls kein Verstoß gegen den internationalen ordre public. Vielmehr geht es insoweit um die richtige Anwendung des materiellen und des Verfahrensrechts. Eine solche Prüfung verstieße gegen das Verbot der révision au fond, das sowohl für nationale wie für internationale Schiedssprüche gilt (BGH, SchiedsVZ 2008, 40, 42; Zöller-Geimer aaO Rz. 40 m.w.N.). Im Kern behauptet der AGg., das Schiedsgericht habe seine Hinweispflicht und damit den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt, was ursächlich für die fehlerhafte Rechtsanwendung gewesen sei. Indessen macht der AGg. keineswegs geltend, dass ihm das Schiedsgericht die Möglichkeit, zu den entspr. tatsächlichen und rechtlichen Fragen Stellung zu nehmen, verwehrt hätte. Vielmehr rügt der AGg., dass das Schiedsgericht es unterlassen habe, bereits in der mündlichen Verhandlung seine Sicht der Tatsachen- und Rechtslage so detailliert darzulegen, dass es ihm möglich gewesen wäre, zu bestimmten Einzelpunkten ergänzend Stellung zu nehmen. Dabei ist bereits zweifelhaft, ob insoweit tatsächlich eine Verletzung der richterlichen Hinweispflicht vorliegt. Denn grundsätzlich wird man keinesfalls verlangen können, dass das Gericht bereits während des mündlichen Termins zu sämtlichen Einzelfragen eine (vorläufige) Einschätzung abgibt. Das wäre schon deshalb verfehlt, weil eine solche Einschätzung regelmäßig erst am Ende der Verhandlung im Lichte aller Erkenntnisse, die das Schiedsgericht aus der Verhandlung gewonnen hat, möglich sein wird. Indessen kann diese Frage vorliegend dahinstehen, denn jedenfalls kann auch in dem unterlassenen Hinweis kein im Sinn des internationalen ordre public schwerwiegender Mangel gesehen werden, der die Grundlagen des staatlichen und wirtschaftlichen Lebens in Deutschland berührte.

[10]Selbst wenn man annehmen wollte, dass der unterlassene Hinweis ursächlich für eine unzutreffende Anwendung des § 103 InsO bzw. des § 324 BGB gewesen wäre, läge kein Verstoß gegen den internationalen ordre public vor. Unrichtige Rechtsanwendung ist für sich allein kein Grund, die Vollstreckbarerklärung zu verweigern. Fehlentscheidungen in der Sache sind bei Schiedssprüchen genauso hinzunehmen wie bei entspr. Urteilen staatlicher Gerichte (Zöller-Geimer aaO).

[11]dd) Schließlich können auch die weiteren vom AGg. behaupteten Verfahrensverstöße einen Verstoß des Schiedsspruchs gegen den internationalen ordre public nicht begründen. Unschädlich ist zunächst, dass die Schiedsverhandlungen nicht nur am vereinbarten Schiedsort in San Diego, sondern auch in New York stattgefunden haben. Das folgt bereits aus § 1043 II ZPO. Danach kann das Schiedsgericht ungeachtet des vereinbarten Orts des schiedsrichterlichen Verfahrens an jedem ihm geeignet erscheinenden Ort zu einer mündlichen Verhandlung, zur Vernehmung von Zeugen, Sachverständigen oder der Parteien oder zur Beratung zwischen seinen Mitgliedern zusammentreten. Dass New York als Ort insoweit ungeeignet gewesen wäre, wird auch vom AGg. nicht geltend gemacht. Vielmehr trägt er vor, New York sei als Ort für mündliche Verhandlungen einverständlich gewählt worden und diese Wahl sei den Parteien entgegengekommen. Dafür, dass die Parteien durch die wiederholte Wahl von New York als Verhandlungsort die Vereinbarung der Schiedsabrede zum Schiedsort San Diego ausdrücklich oder stillschweigend geändert hätten, wird vom AGg. nichts vorgetragen und ist auch sonst nichts ersichtlich. Eine Umgehung der urspr. Schiedsabrede, an der der AGg. wegen der Einvernehmlichkeit ja mitgewirkt hätte, was ihm eine entspr. Rüge verwehren würde, kann entgegen der Auffassung des AGg. in der wiederholten Wahl von New York als Verhandlungsort nicht gesehen werden, da § 1043 II ZPO klarstellt, dass die Vereinbarung des Schiedsorts San Diego in der Schiedsabrede von der Wahl eines abweichenden Orts für einzelne oder mehrere mündliche Verhandlungstermine nicht berührt wird. Die behauptete Gefahr wegen der Unklarheit in Bezug auf die ergänzende Anwendung des Ortsrechts war mithin ausgeschlossen. Dass das Schiedsgericht im Schiedsspruch den vom AGg. behaupteten Wechsel des Schiedsorts bzw. die Aufnahme von New York als weiteren Schiedsort nicht angegeben hat, scheidet danach als Verstoß gegen den internationalen ordre public ebenfalls aus.

[12]ee) Ebenso wenig Erfolg hat der AGg. mit dem Einwand, die in Art. 24 ICC-Schiedsordnung vorgesehene sechsmonatige Frist zum Erlass des Schiedsspruchs sei überschritten worden und der Schiedsspruch sei erst über ein Jahr nach dem letzten Verhandlungstag gefällt worden, wodurch der persönliche Eindruck von den Zeugen und den Experten nicht mehr gewährleistet und der Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt sei. Zwar ist dem AGg. zuzugeben, dass nach Art. 24 I ICC-Schiedsordnung das Schiedsgericht seinen Endschiedsspruch binnen sechs Monaten erlassen muss. Diese Frist beginnt mit dem Tag der letzten Unterschrift des Schiedsgerichts oder der Parteien unter den Schiedsauftrag. In der Lit. wird darauf hingewiesen, dass diese Frist meistens überschritten werde (Lachmann, Handbuch für die Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl., Rz. 1558; Clark-Park-Paulsson, International Chamber of Commerce, 2000, 356). Die durchschnittliche Zeitspanne zwischen Schiedsauftrag und Erlass des Schiedsspruchs betrage etwa 20 Monate (Schwab-Walter aaO Kap. 54 Rz. 5). Der Gerichtshof kann gemäß Art. 24 II ICC-Schiedsordnung diese Frist auf begründeten Antrag des Schiedsgerichts oder von sich aus verlängern, falls er dies für notwendig erachtet. Von dieser Möglichkeit macht er nach Angaben der Praxis meist Gebrauch (Lachmann aaO Rz. 1558; Clark-Park-Paulsson aaO). Ein solcher Antrag auf Fristverlängerung, der vom Gerichtshof positiv beschieden worden wäre, ist vorliegend allerdings nicht ersichtlich. Nach der ZPO ist zwar vorgeschrieben, dass im Schiedsspruch der Tag, an dem er erlassen wurde, angegeben wird (§ 1054 III 1 ZPO). Allerdings knüpft das Gesetz an das Erlassdatum keinen irgendwie gearteten Fristbeginn (Stein-Jonas-Schlosser aaO § 1054 Rz. 14). Daher wird man in der Überschreitung der sechsmonatigen Frist aus der Sicht des deutschen Rechts keine Verletzung des internationalen ordre public erkennen können. In Übereinstimmung damit misst der BGH der in der ICC-Schiedsordnung vorgesehenen Frist für den Erlass des Schiedsspruchs nur administrativen Charakter bei. In einem Urteil aus dem Jahre 1988 heißt es dazu, selbst ein Verstoß gegen diese Bestimmung würde die Nichtanerkennung eines inzwischen ergangenen Schiedsspruchs nicht rechtfertigen. Die Fristbestimmung solle die Parteien des Schiedsverfahrens lediglich vor einer ungebührlichen Verzögerung der Entscheidung schützen. Sei ein Schiedsspruch ergangen, so habe sich dieser Schutzzweck erledigt und vermöge eine Nichtanerkennung nicht zu rechtfertigen (BGH, IPRax 1989, 228, 230) (IPRspr. 1988 Nr. 216).

[13]ff) Auch mit dem Einwand, einer der Beisitzer habe an fast allen acht Verhandlungstagen die Verhandlungen teilw. für einen längeren Zeitraum nicht mitverfolgt, da er eingeschlafen sei, wodurch der Grundsatz des rechtlichen Gehörs und das Gebot der ordnungsgemäßen Besetzung des Schiedsgerichts verletzt worden seien, vermag der AGg. keinen Verstoß gegen den internationalen ordre public zu begründen. Zwar trifft es zu, dass nach durchgängiger Rspr. ein Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt ist, wenn ein Richter während der mündl. Verhandlung schläft und deshalb wesentlichen Vorgängen nicht folgt (BGH, NJW 1962, 2212; BVerwG, NJW 1966, 467; BGH, NStZ 1982, 41; BFH, BeckRS 2009, 25015415; BeckRS 2011, 95025). Ob dies im Schiedsverfahren der Parteien der Fall war, kann aber dahinstehen. Denn es ist ebenso in der Rspr. anerkannt, dass der Mangel der nicht ordnungsgemäßen Besetzung nur dann schlüssig dargelegt ist, wenn sich die Partei, die diesen Mangel geltend macht, veranlasst gesehen hat, den Vorsitzenden auf die nach seiner Auffassung eingeschränkte Beteiligung des Beisitzers an der Verhandlung aufmerksam zu machen (BGH, MDR 1974, 725; BGH – 4 StR 529/00; BVerwG, NJW 2001, 2898; BFH aaO; BFHE 89, 183). Es hätte daher am AGg. gelegen, den Vorsitzenden des Schiedsgerichts frühzeitig, d.h. bereits im laufenden Schiedsverfahren in geeigneter Weise auf das wiederholte Einnicken des Beisitzers aufmerksam zu machen. Dabei war eine Konfrontation des AGg. mit dem Schiedsgericht keineswegs unausweichlich. Der AGg. hat nichts dafür vorgetragen, weshalb ein in sachlicher Form und diskret vorgebrachter Hinweis gegenüber dem Vorsitzenden, der ja persönlich gar nicht betroffen war, ‚unzumutbar’ bzw. ohne ‚reelle Chance’ auf Abhilfe gewesen sein soll. Dies gilt umso mehr, als auch das Schiedsgericht selbst ein greifbares Interesse daran haben musste, einen entspr. Verfahrensmangel abzustellen bzw. zu verhindern. Ist aber der Besetzungsmangel bereits nach deutschem Verfahrensrecht nicht schlüssig dargetan, scheidet insoweit ein Verstoß gegen den internationalen ordre public aus.

[14]gg) Schließlich hat der AGg. auch mit dem Einwand, das Schiedsgericht habe das Willkürverbot verletzt, weil es dem AGg. sämtliche Kosten des Schiedsverfahrens auferlegt habe, obgleich die Forderungen der ASt. in Höhe von 16 Mio. US-Dollar vom Schiedsgericht nicht zuerkannt worden seien, keinen Erfolg. Für das inländische Schiedsgerichtsverfahren sieht § 1057 I ZPO vor, dass das Schiedsgericht nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls, insbes. des Ausgangs des Verfahrens, zu entscheiden [hat], zu welchem Anteil die Parteien die Kosten des Verfahrens zu tragen haben. Das Schiedsgericht ist bei der Kostengrund- und Quotenentscheidung generell nicht an die §§ 91 ff. ZPO gebunden (MünchKommZPO-Münch aaO § 1057 Rz. 14). Dabei ist es kein durch die Natur der Sache oder die Logik bedingter Satz, dass die unterliegende Partei sämtliche Kosten trägt, sondern eine durchaus nicht überall geltende positiv-gesetzliche deutsche Regelung. Das Schiedsgericht kann auch anders befinden (Schwab-Walter aaO Kap. 33 Rz. 1). Ob im Rahmen der Ermessensausübung überhaupt eine Orientierung an den starren Vorschriften der §§ 91 ff. und ihren beiden Prinzipien des vollständigen Kostenersatzes und der Quotelung sachgerecht erscheint, ist umstritten (dafür Zöller-Geimer aaO § 1057 Rz. 2; dagegen Stein-Jonas-Schlosser aaO § 1057 Rz. 2). Darüber hinaus wird vertreten, dass ein Verstoß gegen §§ 91 ff. ZPO grundsätzlich keinen Aufhebungsgrund darstellt (Schwab-Walter aaO N. 5). Im vorliegenden Fall liegt das betragsmäßige Volumen der Anträge des AGg. um ein Mehrfaches über demjenigen der ASt. Im Ergebnis hat das Schiedsgericht sämtliche Anträge des AGg. abgewiesen, während es die Anträge der ASt. zwar zu einem erheblichen Teil ebenfalls abgewiesen, ihnen aber in einem nicht ganz unerheblichen Teil stattgegeben hat. Unter diesen Umständen erscheint eine Kostenentscheidung, die den AGg. mit den Kosten des Schiedsverfahrens und den Kosten seiner Prozessführung und die ASt. mit den Kosten ihrer Prozessführung belastet, jedenfalls nicht so weit von den Grundprinzipien des deutschen Kostenrechts entfernt, dass eine Verletzung des internationalen ordre public gegeben wäre.

Fundstellen

LS und Gründe

SchiedsVZ, 2012, 101

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https://iprspr.mpipriv.de/2012-290

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