Der Grundsatz von Treu und Glauben kann im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs dazu führen, dass die Einwendungen des Antragsgegners gegen ein solches Ersuchen nicht zu berücksichtigen sind, weil ihnen wiederum der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens entgegensteht.
Ein solcher einwendungsvernichtender Verstoß gegen Treu und Glauben ist nicht schon dann anzunehmen, wenn der durch den ausländischen Schiedsspruch verurteilte Antragsgegner bewusst davon absieht, die Aufhebung des Schiedsspruchs im Erlassstaat (hier: Dänemark) zu betreiben.
[Die Entscheidung der Vorinstanz, KG, Beschl. vom 10.8.2006 – 20 Sch 7/04 – wurde bereits in IPRspr. 2006 Nr. 214 (Leitsatz) berücksichtigt.]
Die ASt. und die Rechtsvorgängerin der AGg. zu 2) gründeten durch einen Joint Venture Contract (JVC) ein Gemeinschaftsunternehmen. Für die Beilegung von Streitigkeiten war die Entscheidung durch ein ICC-Schiedsgericht in Kopenhagen/Dänemark vorgesehen. Dem von der ASt. und der AGg. zu 2) unterzeichneten JVC fügte die AGg. zu 1) ihre Unterschrift und den Zusatz hinzu, sie billige diese Vereinbarung und anerkenne, selbst gesetzlich und vertraglich gebunden zu sein, als ob sie Unterzeichner der Vereinbarung sei.
In der Folge verklagte die ASt. die AGg. vor dem Kopenhagener ICC-Schiedsgericht auf Schadensersatz. Dieses verurteilte die AGg. durch Schiedsspruch. Die ASt. hat um die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs nachgesucht.
Mit der Rechtsbeschwerde begehrt die AGg. zu 1), den gegen sie gerichteten Antrag auf Vollstreckbarerklärung abzulehnen und festzustellen, dass der Schiedsspruch in der Bundesrepublik Deutschland nicht anzuerkennen ist.
[1]B. Die gemäß § 574 I Nr. 1 i.V.m. §§ 1065 I 1, 1062 I Nr. 4 Alt. 2 ZPO von Gesetzes wegen statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, denn die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 II Nrn. 1 und 2 Alt. 2 ZPO).
[2]Die Rechtsbeschwerde ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG, soweit zum Nachteil der AGg. zu 1) entschieden worden ist ...
[3]II. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist – was von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens, auch im Rechtsbeschwerdeverfahren, zu prüfen ist (Senat, BGHZ 153, 82, 84 ff. (IPRspr. 2002 Nr. 157)) – gegeben. Sie folgt hier aus § 1025 IV ZPO.
[4]Die Rechtsbeschwerde rügt mit Recht eine zulassungsbegründend (§ 574 II Nrn. 1 und Nr. 2 Alt. 2 ZPO) rechtsfehlerhafte Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben durch das OLG.
[5]1. Die Vollstreckbarerklärung des vorliegenden Schiedsspruchs mit Schiedsort in Dänemark richtet sich gemäß § 1025 IV i.V.m. § 1061 I 1 ZPO nach dem UNÜ. Mit dem OLG mag davon auszugehen sein – die Rechtsbeschwerde zieht dies nicht in Zweifel –, dass dem von § 1061 I 1 ZPO berufenen internationalen Schiedsverfahrensrecht der Grundsatz von Treu und Glauben zu eigen ist, und zwar auch in der hier allein in Betracht kommenden Gestalt des Einwands der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium). Allerdings kann nicht in jedem widersprüchlichen Verhalten ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben gesehen werden. Widersprüchliches Verhalten ist nach deutschem Recht erst dann rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (vgl. BGH, Urt. vom 5.6.1997 – X ZR 73/95 [Weichvorrichtung II], NJW 1997, 3377, 3379 f. m.w.N.). Dass im internationalen Schiedsverfahrensrecht ein Weniger genügen könnte, ist nicht ersichtlich.
[6]2. Das OLG sieht das treuwidrige Verhalten darin, dass die AGg. zu 1) sich gegen die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs wendet, obwohl sie den Schiedsspruch im Erlassstaat Dänemark bewusst nicht angefochten hat. Damit stellt das OLG zu geringe Anforderungen an die Annahme eines Verstoßes gegen Treu und Glauben.
[7] a) Es ist schon zweifelhaft, ob überhaupt ein widersprüchliches Verhalten vorliegt. Das Aufhebungsverfahren, das die AGg. zu 1) vor den dänischen Gerichten zu betreiben unterlassen hat, hätte einen anderen Streitgegenstand gehabt als dieses Vollstreckbarerklärungsverfahren vor den deutschen Gerichten. Vor den dänischen Gerichten wäre es um die Anerkennung oder Nichtanerkennung des Schiedsspruchs in Dänemark gegangen, während hier das Exequatur für Deutschland zur Entscheidung steht (vgl. Stein-Jonas-Schlosser, ZPO, 22. Aufl., Anh § 1061 Rz. 75).
[8]Allein vor den dänischen Gerichten hätte die AGg. zu 1) allerdings die Aufhebung des in Kopenhagen ergangenen Schiedsspruchs erreichen können. Denn die Zuständigkeit, einen Schiedsspruch aufzuheben (oder zu suspendieren), kommt allein den Gerichten des Erlassstaats zu (vgl. Art. V Abs. 1 lit. e Alt. 2 UNÜ; Stein-Jonas-Schlosser aaO Rz. 131a). Wäre der Schiedsspruch in Dänemark aufgehoben worden, hätte ein allgemein, also auch in Deutschland beachtlicher Anerkennungsversagungsgrund nach dem UNÜ vorgelegen; gemäß Art. V Abs. 1 lit. e Alt. 2 Fall 1 UNÜ darf nämlich die Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs versagt werden, wenn dieser von einer zuständigen Behörde des Landes, in dem oder nach dessen Recht er ergangen ist, aufgehoben worden ist. Indes kann einer Schiedspartei der Vorwurf widersprüchlichen – treuwidrigen – Verhaltens nicht schon dann gemacht werden, wenn sie es unterlässt, den Schiedsspruch mit dem (nur) im Erlassstaat zulässigen Aufhebungsverfahren zu bekämpfen, und sich dadurch der Möglichkeit begibt, sich in den Vollstreckungsstaaten auf den Anerkennungsversagungsgrund des Art. V Abs. 1 lit. e Alt. 2 UNÜ zu berufen. Aus einem solchen (bewussten) Unterlassen kann ohne weitere besondere Umstände – die hier fehlen – nicht geschlossen werden, sie verzichte damit zugleich darauf, im Vollstreckungsstaat die sonstigen Anerkennungsversagungsgründe (vgl. Art. V Abs. 1 litt. a bis d und Abs. 2 UNÜ, insbesondere lit. b: ordre public) geltend zu machen. Eine Partei, die anders verfährt, setzt sich auch nicht in unüberbrückbaren Widerspruch zu vorangegangenem Verhalten.
[9]Denn die unterlegene Schiedspartei kann, wie die Rechtsbeschwerde zutreffend bemerkt, legitime Gründe für ein solches Verhalten haben. Muss eine Partei keine Nachteile aus dem Schiedsspruch im Erlassstaat befürchten, etwa weil sie dort kein Vermögen hat, ist nicht ersichtlich, warum sie – um dem Verdikt der Treuwidrigkeit zu entgehen – gehalten sein sollte, dort ein kostenverursachendes Aufhebungsverfahren anzustrengen. Das gilt umso mehr, als die Partei nicht sicher sein kann, durch die Aufhebung (oder Suspendierung) des Schiedsspruchs im Erlassstaat die Vollstreckbarerklärung in anderen Staaten zu [ver]hindern. Zwar würde durch die Aufhebung des Schiedsspruchs ein nach dem UNÜ (Art. V Abs. 1 lit. e Alt. 2 UNÜ) beachtlicher Anerkennungsversagungsgrund geschaffen. Anerkennungsfreundlicheres (autonom-)nationales oder sich aus zwei- oder mehrseitigen Verträgen ergebendes Recht bliebe aber nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz des Art. VII Abs. 1 UNÜ unberührt (vgl. Stein-Jonas-Schlosser aaO; Schwab-Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl., Kap. 57 Rz. 23).
[10]b) Es wurde auch nicht dadurch, dass die AGg. zu 1) davon absah, in Dänemark einen Aufhebungsantrag zu stellen, für die ASt. ein Vertrauen begründet, die AGg. zu 1) werde sich einem Antrag, den Schiedsspruch für vollstreckbar zu erklären, generell nicht entgegenstellen. Nach den Feststellungen des OLG war der Resolution der AGg. zu 1) vom 11.2.2004 zu entnehmen, dass sie die Vollstreckbarkeit ‚zumindest in Dänemark’ unwidersprochen hinnehmen will. Für eine weitergehende Bereitschaft, einem in einem anderen Staat gestellten Vollstreckbarerklärungsersuchen nicht entgegenzutreten, fehlt aber jeder Anhalt; die Rechtsbeschwerdeerwiderung macht insoweit nichts geltend. Die AGg. zu 1) hat sich denn auch dem in Deutschland und dem in England gestellten Gesuch um Vollstreckbarerklärung widersetzt.
[11]3. Der Schiedsspruch kann mithin nicht mit der Begründung für vollstreckbar erklärt werden, die von der AGg. zu 1) dagegen vorgebrachten Einwendungen seien – da treuwidrig erhoben – unbeachtlich.
[12]III. Die Vollstreckbarerklärung stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (vgl. § 577 III ZPO); die Sache ist auch sonst nicht zur Endentscheidung reif (vgl. § 577 V ZPO).
[13]1. Das OLG hat, ohne abschließend zu entscheiden, erwogen, ob die AGg. zu 1) mit ihren Einwendungen auf der Grundlage der – noch zu dem alten Schiedsverfahrensrecht ergangenen – sog. Präklusionsrechtsprechung ausgeschlossen sein könnte. Ob dieser Gedanke aufzugreifen und die sog. Präklusionsrechtsprechung nach dem Inkrafttreten des SchiedsVfG fortgeführt werden kann (vgl. z.B. Kröll, IPRax 2007, 430; siehe auch Schwab-Walter aaO Kap. 30 Rz. 19 einerseits, Musielak-Voit, ZPO, 5. Aufl., § 1061 Rz. 20 andererseits), kann indes offen bleiben; denn ihre Voraussetzungen sind nach den Feststellungen des OLG nicht gegeben.
[14]Die bisherige Rechtsprechung des Senats ging dahin, dass bestimmte, insbesondere das Bestehen einer wirksamen Schiedsvereinbarung (vgl. § 1044 II Nr. 1 ZPO a.F.) betreffende Einwendungen gegen einen ausländischen Schiedsspruch, die im Erlassstaat mit einem fristgebundenen Rechtsbehelf geltend zu machen gewesen wären, aber nicht geltend gemacht wurden (und deshalb im Erlassstaat präkludiert sind), auch für das inländische Vollstreckbarerklärungsverfahren verloren sind (vgl. Senatsbeschl. vom 26.4.1990 – III ZR 56/89, BGHR ZPO § 1044 II Nr. 4 (IPRspr. 1990 Nr. 236); Senatsurt. vom 14.5.1992 – III ZR 169/90, NJW 1992, 2299 (IPRspr. 1992 Nr. 250) und vom 1.2.2001 – III ZR 332/99, NJW-RR 2001, 1059, 1060 f. (IPRspr. 2001 Nr. 202); Kröll aaO 432 f.). Solche Einwendungen sind hier indes schon deshalb nicht im Spiel, weil das insoweit maßgebliche (frühere) dänische Recht unstreitig keine fristgebundenen Anfechtungsmöglichkeiten kennt. Ausnahmsweise kommt zwar Verwirkung in Betracht. Darauf bezog sich die (bisherige) Rechtsprechung des Senats indes nicht; dass (und bezüglich welcher Einwendungen) hier nach dänischem Recht Verwirkung eingetreten wäre, ist weder festgestellt noch von der Rechtsbeschwerdeerwiderung geltend gemacht worden.
[15]2. Der Antrag, den Schiedsspruch gegen die AGg. zu 1) für vollstreckbar zu erklären, ist nicht deshalb unzulässig, weil das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss (unter II. 1 a cc; siehe auch Kröll, SchiedsVZ 2007, 145, 155) wird Bezug genommen.
[16]3. Das OLG wird mithin den von der AGg. zu 1) in Bezug auf Art. V Abs. 1 litt. a bis c UNÜ vorgebrachten Einwendungen – die AGg. zu 1) sei nicht Partei der Schiedsvereinbarung; die Schiedsvereinbarung decke nicht den ausgeurteilten Schadensersatzanspruch; der Streitgegenstand sei nicht schiedsfähig; das Schiedsgericht habe nicht hinreichend rechtliches Gehör gegeben – nachzugehen haben. Der Senat ist gehindert, selbst zu entscheiden, weil das OLG dazu – von seinem Standpunkt aus folgerichtig – Feststellungen nicht getroffen hat.