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Verfahrensgang

OLG Karlsruhe, Beschl. vom 03.07.2006 – 9 Sch 1/06, IPRspr 2006-213

Rechtsgebiete

Schiedsgerichtsbarkeit

Leitsatz

Die Schuldnerin kann im Verfahren der Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs (hier: der Internationalen Handelskammer Paris) mit Gründen, die an sich der Anerkennung des Schiedsspruchs im Inland entgegenstehen, nicht gehört werden, wenn sie ein Aufhebungsverfahren im Erlassstaat des Schiedsspruchs (hier: Schweiz) versäumt hat.

Gemäß Art. 176 des Schweizer Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht vom 18.12.1987 (BBl. 1988 I 5) kann der Schiedsspruch innerhalb von dreißig Tagen mit der Begründung angefochten werden, dass ein rechtliches Begehren vom Schiedsgericht nicht entschieden oder das rechtliche Gehör verletzt worden sei.

Rechtsnormen

BRechtspflegeG (Schweiz) Art. 89
IPRG (Schweiz) Art. 176; IPRG (Schweiz) Art. 190; IPRG (Schweiz) Art. 191
UNÜ Art. III; UNÜ Art. IV; UNÜ Art. V; UNÜ Art. VII
ZPO § 1059; ZPO § 1061

Sachverhalt

Die Gl. begehrt die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs der Internationalen Handelskammer in Paris vom 5.9.2005, der die Schuldnerin zur Zahlung von 2 614.860 Euro nebst Zinsen verurteilt.

Die Rechtsvorgängerin der Gl. erstritt den Schiedsspruch der ICC vom 5.9.2005, der in Genf/Schweiz als Ort des Schiedsgerichts ergangen war. Die Schuldnerin erstrebte die Berichtigung des Schiedsspruchs mit der Begründung, das Schiedsgericht habe im Tenor die Zug um Zug zu erfüllende Gegenleistung der Gl. vergessen. Mit Beschluss vom 24.12.2005 wies das Schiedsgericht den Berichtigungsantrag zurück.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Der zulässige Antrag der Gl. ist begründet (§ 1061 I ZPO i.V.m. Art. III und IV UNÜ). Denn die Schuldnerin kann sich weder auf Anerkennungsverweigerungsgründe (Art. V Abs. 1 lit. b, Abs. 2 lit. a UNÜ), noch auf anstehende Ergänzung oder Berichtigung, noch auf Aufrechnung berufen.

[2]1. Nach der Rechtsprechung des Senats (zuletzt Beschl. vom 27.3.2006 – 9 Sch 2/05 (IPRspr 2006-207)) ist die Schuldnerin mit ihrer Berufung auf Anerkennungsverweigerungsgründe präkludiert, weil sie ihre fristgemäße Geltendmachung im schweizerischen Aufhebungsverfahren versäumt hat. Nach überkommener Rechtsprechung können Anerkennungsverweigerungsgründe im Vollstreckbareklärungsverfahren nur berücksichtigt werden, wenn eine zulässige und inhaltlich einschlägige Aufhebungsklage im Herkunftsstaat des Schiedsspruchs nicht verfristet ist (wohl zuletzt BGH, NJW-RR 2001, 1059 f. (IPRspr. 2001 Nr. 202)). Zwar ist unter Geltung des neuen § 1061 ZPO die Fortgeltung dieser Rechtsprechung bestritten (Zöller-Geimer, ZPO, 25. Aufl., § 1061 Rz. 29; BayObLG, NJW-RR 2001, 431 (IPRspr. 2000 Nr. 183); OLG Schleswig, RIW 2000, 706 (IPRspr. 2000 Nr. 185)), weil Art. V UNÜ keine Regelung eines Rügeverlusts enthalte. Eine restriktive Handhabung von Anerkennungsversagungsgründen verwehrt den deutschen Gerichten aber weder die völkervertragliche Geltung des UNÜ noch seine Geltung als einfaches Recht aufgrund des Verweises in § 1061 ZPO. Das UNÜ verhindert keine anerkennungsfreundlichere Praxis nationalen Rechts (dazu Art. VII Abs. 1 UNÜ). Die teleologische Reduktion nationalen Rechts steht den Gerichten aber nach wie vor frei, so dass alle Gründe auch unter der neuen Regelung fortbestehen, die eine Präklusion unter altem Recht gerechtfertigt haben (so insbesondere MünchKommZPO-Münch, 2. Aufl., § 1061 Rz. 7; Thomas-Putzo-Reichold, 27. Aufl., § 1061 Rz. 6; Musielak-Voit, ZPO, 4. Aufl., § 1061 Rz. 20; OLG Stuttgart, Beschl. vom 14.10.2003 – 1 Sch 16/02; OLG Hamm, SchiedsVZ 2006, 107, 108). Bei deutschen Schiedssprüchen geht die Neuregelung eindeutig von einer Präklusion bei versäumtem Aufhebungsverfahren aus (§ 1059 III 3 ZPO), ausländischen Präklusionsregelungen sollte deshalb in gleicher Weise Geltung verschafft werden, um dem Gedanken der Rechtssicherheit durch Schiedssprüche möglichst Rechnung zu tragen.

[3]Im Streitfall war entsprechend Art. 12 ICC-Schiedsgerichtsordnung vom 1.1.1998 Genf als Ort des Schiedsverfahrens bestimmt worden, so dass nach Art. 176 I Schweizer Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht vom 18.12.1987 (BBl. 1988 I 5) der Schiedsspruch beim schweizerischen Bundesgericht binnen 30 Tagen nach Eröffnung (Art. 89 Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege i.d.F. vom 8.10.1999 [AS 2000 505]) angefochten werden konnte (Art. 191 I Schweizer IPR-Gesetz). Die Anfechtungsgründe umfassen u.a. den Fall, dass ein Rechtsbegehren vom Schiedsgericht nicht entschieden ist (Art. 190 I lit. c Schweizer IPR-Gesetz), und Gehörsverletzungen (Art. 190 I lit. d Schweizer IPR-Gesetz). Die Schuldnerin hätte damit im Anfechtungsverfahren fristgemäß vortragen können, dass über ihren – stillschweigenden (Zug-um-Zug–)Antrag nicht entschieden sei und dass ihr Gehör durch Versiegelung von Schriftsätzen und Ablehnung von Beweisangeboten verletzt sei. Wenn sie dies – was unstreitig ist – versäumt hat, ist sie nunmehr präkludiert. Im Übrigen ist es auch sehr zweifelhaft, ob Anfechtungsgründe tatsächlich gegeben wären, mag der Schiedsspruch auch von einer schiedsrichterlichen Zurückhaltung beim Hinweis auf sachgerechte Antragstellung und einer strengen Präklusion geprägt sein. Im Zweifel müssen dies die Parteien in Kauf nehmen, wenn sie die Schiedsgerichtsbarkeit eigens wählen.

[4]2. Eine Anerkennung unter Berichtigung oder Ergänzung kommt nicht in Betracht. Einmal muss insoweit dieselbe Präklusionsregel gelten, wie sie für die Nichtanerkennungsgründe bereits geschildert ist. Zum anderen mag staatlichen Gerichten im Rahmen des Vollstreckbarerklärungsverfahrens zwar u.U. eine Implementierung unbestimmter Titel oder die Richtigstellung offenkundiger formaler Irrtümer erlaubt sein (dazu Zöller-Geimer aaO § 722 Rz. 58 ff. und § 1060 Rz. 12). Diese Befugnis kann aber keinesfalls so weit gehen, dass – wie hier – entgegen dem ausdrücklichen Beschluss des Schiedsgerichts selbst Ergänzungen vorgenommen werden könnten (dazu Schwab-Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl., Kap. 28 Rz. 7).

[5]3. Die Aufrechnung mit Schadensersatzforderungen aus vertragsverletzender Weitergabe von Geheimnissen ist ebenfalls ausgeschlossen. Solche Ansprüche fallen unter die Schiedsklausel nach Art. 26 (1) des Agreements der Parteien vom 8.1.2001, das alle ‚disputes arising … in connection with this Agreement’ umfasst. Sie können staatlichen Gerichten nicht zur Entscheidung unterbreitet werden (BGHZ 38, 254, 257 ff. (IPRspr. 1962–1963 Nr. 35); Schwab-Walter aaO Kap. 3 Rz. 13 m.w.N.), was auch im Rahmen des Vollstreckbarerklärungsverfahrens gilt (zutreffend Musielak-Voit aaO § 1060 Rz. 12.).

[6]4. Nachdem die Schuldnerin mit ihren Aufhebungsgründen präkludiert und die Aufrechnung im Verfahren vor staatlichen Gerichten unzulässig war, war eine mündliche Verhandlung nicht unabdingbar (dazu BGHZ 142, 204, 207 (IPRspr. 1999 Nr. 180)).

Fundstellen

LS und Gründe

IHR, 2006, 264
SchiedsVZ, 2006, 281, mit Anm. Gruber

Bericht

Kröll, SchiedsVZ, 2007, 145

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2006-213

Lizenz

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