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Verfahrensgang

BGH, Beschl. vom 12.07.2012 – IX ZB 267/11, IPRspr 2012-269

Rechtsgebiete

Anerkennung und Vollstreckung → Vermögensrechtliche Angelegenheiten

Leitsatz

Beruft sich der Schuldner im Verfahren der Vollstreckbarerklärung nach der EuGVO auf nachträglich entstandene materiell-rechtliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch, die weder unstreitig noch rechtskräftig festgestellt sind, so wird er damit nicht gehört.

Rechtsnormen

AVAG § 1; AVAG § 12; AVAG § 14; AVAG § 55
EUGVVO 44/2001 Art. 34 f.; EUGVVO 44/2001 Art. 38 ff.; EUGVVO 44/2001 Art. 40 f.; EUGVVO 44/2001 Art. 43; EUGVVO 44/2001 Art. 43 f.; EUGVVO 44/2001 Art. 45; EUGVVO 44/2001 Art. 53
ZPO § 767

Sachverhalt

Die ASt. erwirkte gegen den AGg. ein vollstreckbares Urteil des Amtsgerichts Prag, durch das dieser zur Zahlung verurteilt wurde. In der Folgezeit verkaufte sie ihre Forderung an einen Dritten. Später stritten die Parteien, ob die ASt. noch Forderungsinhaberin ist.

Auf deren Antrag hat das LG München II angeordnet, dass das Urteil des Amtsgerichts Prag mit einer Vollstreckungsklausel zu versehen ist. Die sofortige Beschwerde des AGg. hatte keinen Erfolg. Mit seiner Rechtsbeschwerde möchte dieser die Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen erreichen.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Die Rechtsbeschwerde ist ... in der Sache jedoch unbegründet ...

[2]2. Die Ausführungen des LG halten rechtlicher Nachprüfung stand.

[3]a) Zutreffend und von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen ist der Ausgangspunkt des Beschwerdegerichts, dass das tschechische Zahlungsurteil auf der Grundlage von Art. 38 ff. EuGVO i.V.m. §§ 1 I Nr. 2 lit. a, II, 55 AVAG in Deutschland vollstreckt werden kann. Die Voraussetzungen gemäß Art. 40, 41, 53 EuGVO liegen vor (vgl. BGH, Beschl. vom 12.12.2007 – XII ZB 240/05 (IPRspr 2007-204), FamRZ 2008, 586 Rz. 15); Anerkennungshindernisse nach Art. 34 f. EuGVO (Art. 45 EuGVO) macht der AGg. nicht geltend und sind auch nicht ersichtlich.

[4]b) Gemäß § 12 I AVAG kann der Schuldner mit der Beschwerde gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung in Deutschland aus einem ausländischen Titel auch Einwendungen gegen den Anspruch selbst insoweit geltend machen, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach Erlass der Entscheidung entstanden sind. Nach § 14 I AVAG kann der Schuldner, wenn die Zwangsvollstreckung in Deutschland aus dem ausländischen Titel zugelassen ist, Einwendungen gegen den Anspruch selbst nach § 767 ZPO nur geltend machen, wenn die Gründe, auf denen seine Einwendungen beruhen, entweder nach Ablauf der Beschwerdefrist entstanden oder, falls die Beschwerde eingelegt worden ist, nach Beendigung dieses Verfahrens entstanden sind. Die Anwendung dieser beiden Regelungen ist durch § 55 AVAG für den Bereich der VO nicht ausgeschlossen.

[5]Allerdings ist in Rspr. u. Lit. streitig, ob § 12 AVAG im Vollstreckbarerklärungsverfahren auf der Grundlage der VO bei ‚nicht liquiden’, d.h. bei streitigen oder nicht rechtskräftig festgestellten Einwendungen anwendbar ist. Nach Auffassung des Senats ist die Frage zu verneinen.

[6]aa) Der BGH hat entschieden, dass der Schuldner im Beschwerdeverfahren gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung aus einem ausländischen Titel ggf. rechtskräftige oder unbestrittene (liquide) Einwendungen geltend machen kann (BGH, Beschl. vom 14.3.2007 – XII ZB 174/04 (IPRspr 2007-207), BGHZ 171, 310 Rz. 26 ff.; vom 12.12. 2007 – XII ZB 240/05 aaO Rz. 42). Das Verbot der Nachprüfung in der Sache (Art. 45 II EuGVO) stehe nicht entgegen, weil es um die Behandlung von nachträglichen rechtsvernichtenden oder rechtshemmenden Einwendungen gehe, die dem Gericht im Ursprungsstaat vor Erlass der Entscheidung nicht zur Überprüfung gestellt hätten werden können (Beschl. vom 14.3.2007 aaO Rz. 27). Die Annahme, dass im Rechtsbehelfsverfahren nach der VO grundsätzlich auch Vollstreckungsgegeneinwände zur Überprüfung gestellt werden könnten, stehe auch im Übrigen im Einklang mit Gemeinschaftsrecht (aaO Rz. 28 ff.).

[7]bb) Offengelassen hat der BGH die Frage, ob der Kreis der zulässigen Einwendungen nach § 12 AVAG generell auf liquide Einwendungen beschränkt werden müsse (Beschl. vom 14.3.2007 aaO Rz. 26).

[8]Hierzu wird einerseits vertreten, dass § 12 AVAG als gemeinschaftswidrige Norm im Anwendungsbereich der VO nicht anzuwenden sei, weil Art. 45 I EuGVO den Prüfungsrahmen für das Exequaturgericht in einer abschließenden und keiner ergänzenden Auslegung zugänglichen Weise festlege. Die mit dem Rechtsbehelf nach Art. 43 EuGVO befassten Gerichte dürften danach ausschließlich die Anerkennungshindernisse nach Art. 34 f. EuGVO, nicht aber materiell-rechtliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch prüfen. Diese Einwendungen könnten nur im Wege einer Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO geltend gemacht werden (vgl. OLG Koblenz, OLGR 2005, 276, 277 (IPRspr 2004-171); OLG Oldenburg, NJW-RR 2007, 418 f. (IPRspr 2006-181); HK-ZPO-Dörner, 4. Aufl., Art. 45 EuGVVO Rz. 4; Thomas-Putzo-Hüßtege, ZPO, 33. Aufl., Art. 45 EuGVVO Rz. 3, vgl. auch Rauscher-Mankowski, EuZPR/EuIPR, 2011, Art. 45 EuGVVO Rz. 5 ff. m.w.N.). Nach dieser Auffassung kann der Einwand des AGg. keine Berücksichtigung finden. Zum gleichen Ergebnis kommt die Ansicht, die im Bereich der VO § 12 AVAG einschränkend dahingehend auslegt, dass der Schuldner im Beschwerdeverfahren nur liquide Einwendungen erheben kann (OLG Düsseldorf, NJW-RR 2005, 933, 934 f. (IPRspr 2005-149); FamRZ 2006, 803, 804 (IPRspr 2006-194); OLG Köln, OLGR 2004, 359, 360 (IPRspr 2004-162); Zöller-Geimer, ZPO, 29. Aufl., Art. 45 EuGVVO Rz. 1; MünchKommZPO-Gottwald, 3. Aufl., Art. 43 EuGVVO Rz. 7; Geimer-Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl., Art. 45 Rz. 11; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl., Art. 43 EuGVVO Rz. 14).

[9]Im Gegensatz dazu ist eine dritte Meinung der Ansicht, dass § 12 AVAG auch im Rechtsbehelfsverfahren nach der VO umfassend Anwendung finde. Zu den nachträglich entstandenen materiell-rechtlichen Einwendungen verhalte sich die EuGVO nicht, sodass es den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen bleibe, wie sie mit dieser Regelungslücke umgingen und welche Rechtsbehelfe sie dem Schuldner zur Verfügung stellten (vgl. Kropholler-v. Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Art. 43 EuGVO Rz. 27 f. u. Art. 45 Rz. 6; Wagner, IPRax 2002, 75, 83; Roth, JZ 2007, 898 f.).

[10]cc) Jedenfalls die letztgenannte Auffassung ist überholt. Nunmehr hat der EuGH entschieden (Urt. vom 13.10.2011 – Prism Investments: Prism Investments BV ./. Jaap Anne van der Meer, Rs C-139/10, Slg. 2011 I-09511, NJW 2011, 3506), Art. 45 EuGVO sei dahin auszulegen, dass er der Versagung oder Aufhebung einer Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung durch ein Gericht, das über einen Rechtsbehelf gemäß Art. 43 oder 44 EuGVO zu entscheiden habe, aus einem anderen als einem in Art. 34 und 35 EuGVO genannten Grund entgegenstehe. Geklärt hat der EuGH die Frage für den Einwand der nachträglichen Erfüllung durch Aufrechnung; für den Verlust der Aktivlegitimation durch Abtretung kann nichts anderes gelten.

[11](1) Zur Begründung hat der EuGH ausgeführt, das Vollstreckbarerklärungsverfahren umfasse nur eine ‚einfache formale Prüfung der Schriftstücke’ (Rz. 28, 42), die Behörden dürften lediglich kontrollieren, ob die Förmlichkeiten zur Erteilung der Vollstreckbarerklärung des ausländischen Titels erfüllt seien (Rz. 30). Es werde kein neues Verfahren in Gang gesetzt, sondern ‚auf der Grundlage eines gegenseitigen Vertrauens in die Justiz der Mitgliedstaaten’ die Zustimmung erteilt, eine Entscheidung durch Integration in eine fremde Rechtsordnung zu vollstrecken, damit eine in dem Urteilsmitgliedstaat erlassene Entscheidung im Vollstreckungsmitgliedstaat die Wirkungen eines vollstreckbaren nationalen Rechtstitels entfalte (Rz. 31). Die Gründe, aufgrund derer eine erfolgte Vollstreckbarerklärung angefochten werden könne, seien in Art. 34 und 35 EuGVO, die eng auszulegen seien, abschließend aufgezählt (Rz. 32 f.). Da die nachträgliche Erfüllung einer titulierten Forderung in Befolgung der gerichtlichen Entscheidung dieser in dem Urteilsland nicht den vollstreckbaren Charakter nehme, kämen ihr diese Rechtswirkungen auch nicht bei ihrer Vollstreckbarerklärung im Ausland zu (Rz. 39). Eine Erfüllung könne insoweit nur im Vollstreckungsstaat nach Integration in dessen Rechtsordnung Prüfungsgegenstand werden (Rz. 40). Auch die Tatsache, dass dadurch einem gerade vollstreckbar erklärten Titel die Vollstreckbarkeit wieder genommen werden könne, führe nicht zu einer Berücksichtigung der nachträglich entstandenen materiell-rechtlichen Einwendungen im Verfahren der Vollstreckbarerklärung, weil anderenfalls diese dessen Merkmale änderten und sich entgegen dem im 17. Erwgr. der VO angeführten Ziel eines raschen und effizienten Verfahrens die Verfahrensdauer verlängere (Rz. 42; vgl. auch Meller-Hannich, GPR 2012, 90, 92 ff.).

[12](2) Ob aus der zit. Entscheidung des EuGH zu folgern ist, dass § 12 AVAG im Anwendungsbereich der VO insgesamt unanwendbar und es dem Schuldner infolge von Art. 45 EuGVO fortan generell verwehrt ist, materiell-rechtliche Einwendungen, die nach Erlass der zu vollstreckenden Entscheidung entstanden sind, im Rechtsbehelfsverfahren nach Art. 43 f. EuGVO geltend zu machen, gleichgültig, ob die Einwendungen liquide oder nicht liquide sind (so Bach, EuZW 2011, 871; Meller-Hannich aaO 94; Musielak-Lackmann, ZPO, 9. Aufl., Art. 45 EuGVVO Rz. 2), muss der Senat nicht entscheiden, weil der hier geltend gemachte Einwand nicht liquide ist. Entgegen der Rechtsbeschwerdebegründung ist es unerheblich, dass die Abtretung der Forderung durch die ASt. an einen Dritten außer Streit steht und nur die schlüssig vorgetragene Rückübertragung der Forderung auf die ASt. vom AGg. bestritten ist. In beiden Fällen ist Beweis zu erheben, um die Berechtigung der ASt. zur Vollstreckung aus dem ausländischen Titel feststellen zu können. Ein solcher Streit ist nach der zit. Entscheidung des EuGH keinesfalls im Rechtsbehelfsverfahren nach der VO zu klären. Denn die Berücksichtigung dieser Einwendung würde die Merkmale des Vollstreckbarerklärungsverfahrens ebenfalls ändern und die Verfahrensdauer verlängern. Das Urteil des EuGH kann aus demselben Grund auch nicht so verstanden werden, dass der Schuldner nur mit dem Erfüllungseinwand im Vollstreckbarerklärungsverfahren nicht zu hören ist. Vielmehr ergeben die Ausführungen des EuGH mit Deutlichkeit, dass sämtliche materiell-rechtlichen Einwendungen gegen den Vollstreckungstitel von dieser Rspr. erfasst werden. Jedenfalls soweit der Schuldner sich auf nachträglich entstandene materiell-rechtliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch beruft, die weder unstreitig noch rechtskräftig festgestellt sind, wird er damit in den Beschwerdeverfahren nach Art. 43 und 44 EuGVO gemäß Art. 45 EuGVO nicht gehört.

Fundstellen

LS und Gründe

DZWIR, 2012, 438
IHR, 2012, 214
MDR, 2012, 1120
NJW, 2012, 2663
WM, 2012, 1555
ZInsO, 2012, 1635
ZIP, 2012, 2273
FPR, 2013, 106
RIW, 2013, 83

nur Leitsatz

EuZW, 2012, 760
FoVo, 2012, 215
JZ, 2012, 607

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2012-269

Lizenz

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