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Verfahrensgang

OLG Köln, Beschl. vom 04.06.2004 – 16 W 7/04, IPRspr 2004-162

Rechtsgebiete

Anerkennung und Vollstreckung → Vermögensrechtliche Angelegenheiten

Leitsatz

Im Beschwerdeverfahren gegen die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen (hier: belgischen) Urteils nach §§ 11 ff. AVAG sind materiell-rechtliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch ungeachtet der nach Art. 45 EuGVO in Verbindung mit Art. 34 f. EuGVO beschränkten Versagungsgründe jedenfalls insofern zu berücksichtigen, als dem Gläubiger eines unstreitig erloschenen Anspruchs das Rechtsschutzbedürfnis zur Erlangung einer Vollstreckungsklausel fehlt.

Rechtsnormen

AVAG § 8; AVAG § 11; AVAG § 12; AVAG § 55
EUGVVO 44/2001 Art. 34; EUGVVO 44/2001 Art. 34 f.; EUGVVO 44/2001 Art. 35; EUGVVO 44/2001 Art. 43; EUGVVO 44/2001 Art. 45
ZPO § 92; ZPO § 788; ZPO § 887; ZPO § 888

Sachverhalt

Die ASt., eine belgische Bank, begehrt die Vollstreckbarerklärung eines aus einer Baufinanzierung am 25.2.2003 erwirkten Urteils des Gerichts erster Instanz in Eupen/Belgien gegen die AGg. über 510 096,68 Euro. Dieses hat das LG Aachen – der Vorsitzende – mit Beschluss vom 5.12.2003 wegen der Hauptforderung zuzüglich 84,03 Euro Tageszinsen bis zum Tag der Ladung am 23.7.2002 und gesetzlicher Zinsen von 7% p.a. auf 477 239,95 Euro seit dem 23.7.2002 und zzgl. der mit 766,38 Euro abgerechneten Kosten des Verfahrens für vollstreckbar erklärt.

Gegen diesen am 17.2.2004 zugestellten Beschluss wendet sich die AGg. zu 2) mit ihrer am 5.3.2004 eingegangenen Beschwerde. Sie macht geltend, dass der überwiegende Teil der titulierten Forderung erloschen sei, weil das finanzierte Objekt inzwischen verkauft und der Verkaufserlös der ASt. zugeflossen sei. Soweit die ASt. ein teilweises Erlöschen eingeräumt hat, war das Rechtsmittel erfolgreich.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Die (befristete) Beschwerde ist gemäß Art. 43 I, II, V 2 EuGVO i.V.m. §§ 11, 55 II AVAG zulässig, insbesondere hat die in Belgien wohnende AGg. zu 2), für die nicht die Monatsfrist des § 11 III AVAG, sondern die Frist von zwei Monaten des Art. 43 V 2 EuGVO gilt, das Rechtsmittel rechtzeitig eingelegt.

[2]In der Sache hat die Beschwerde teilweise Erfolg.

[3]Zwischen den Parteien ist es nicht im Streit, dass der Erlös aus dem Verkauf des finanzierten Objekts der ASt. zugeflossen ist und sie nach den von ihr eingereichten Kontenabrechnungen am 3./5.9.2003 Beträge von 333 049,44 Euro bzw. 73,35 Euro auf die Hauptforderung gutgeschrieben hat. Damit ist die Hauptforderung nach Erlass des Urteils des Gerichts erster Instanz in Eupen/Belgien teilweise erloschen und der hierauf gestützte Erfüllungseinwand greift durch.

[4]Allerdings wird im Anwendungsbereich der EuGVO in der Literatur teilweise in Zweifel gezogen, ob nicht die Vorschrift des § 12 AVAG, welche dem Schuldner die Geltendmachung von nachträglich entstandenen materiell-rechtlichen Einwendungen gegen den titulierten Anspruch ermöglicht, durch Art. 45 EuGVO verdrängt wird, weil hierin ausdrücklich bestimmt ist, dass auf einen Rechtsbehelf nach Art. 43 EuGVO, also in Deutschland auf eine Beschwerde, die Vollstreckbarerklärung nur aus einem der in den Art. 34 und 35 aufgeführten Gründe versagt werden darf, wozu nach Urteilserlass entstandene Einwendungen materiell-rechtlicher Art unzweifelhaft nicht gehören (so MünchKommZPO-Gottwald, 2. Aufl., Aktualisierungsband, Art. 43 EuGVO Rz. 7; Münzberg in Festschrift für Reinhold Geimer, 2002, 748 ff.; Thomas-Putzo-Hüßtege, ZPO, 25. Aufl., Art. 45 EuGVO Rz. 3; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Art. 43 EuGVO Rz. 14; Hub, NJW 2001, 3145 [3147]; Micklitz/Rott, EuZW 2002, 15 [22]). Dem wird allerdings entgegengehalten, dass die Behandlung materiell-rechtlicher Einwendungen gegen einen Titel in der EuGVO nicht geregelt und es deshalb dem nationalen Gesetzgeber überlassen sei, eigenständig zu regeln, wie mit entsprechenden Sachverhalten zu verfahren sei, ob insbesondere nur der Weg über eine selbständige Vollstreckungsgegenklage eröffnet oder die Geltendmachung der Einwendungen aus Gründen der Verfahrensökonomie zeitlich vorverlegt und schon mit dem Rechtsbehelf gegen die Vollstreckbarerklärung kombiniert werde (so insbes. Wagner, IPRax 2002, 75 [83]; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 7. Aufl., Art. 43 EuGVO Rz. 27 ff.)

[5]Welcher dieser beiden Meinungen vom grundsätzlichen Ansatz her zu folgen ist, kann vorliegend aber letztlich offen bleiben. Die Frage der Berücksichtigung materiell-rechtlicher Einwendungen berührt das Spannungsfeld der Ermöglichung einer effektiven und schnellen Vollstreckung einerseits und des Schutzes des Schuldners vor der Inanspruchnahme aufgrund von Forderungen, die zwar tituliert, aber nach Titelerlass erloschen sind. Wenn auch nach dem Tatsachenvortrag des Gläubigers die titulierte Forderung erloschen ist, hat er kein rechtlich geschütztes Interesse daran, den Titel für vollstreckbar erklären zu lassen, bzw. kann er in dem hier gegebenen Fall einer teilweisen Erfüllung seinen Antrag auf die Restforderung beschränken. In derartigen Fällen einer unstrittigen materiell-rechtlichen Einwendung ist demzufolge der Antrag bereits wegen (teilweise) fehlenden Rechtsschutzinteresses unzulässig mit der Folge, dass ein Schuldner mit einem entsprechenden Vortrag auch im Beschwerdeverfahren gehört werden kann (vgl. Münzberg aaO 751 sowie im Ergebnis auch Schlosser aaO). Insofern kann nichts anderes gelten, wie etwa bei der Handlungsvollstreckung nach den §§ 887, 888 ZPO, bei der ebenfalls in den Fällen, in denen die dem Erfüllungseinwand zugrunde liegenden Tatsachen unstreitig sind, nach zutreffender Auffassung einem Vollstreckungsantrag des Gläubigers bereits das Rechtsschutzbedürfnis fehlt (vgl. Schuschke-Walker, Zwangsvollstreckung, 3. Aufl., § 887 Rz. 15, § 888 Rz. 20 m.w.N. zum Meinungsstand).

[6]Dafür schließlich, dass über die vorgenannten unstrittigen Gutschriften hinaus die ASt. weitere Beträge auf die titulierte Forderung vereinnahmt hat, hat die AGg. zu 2) auch auf die Verfügung des Berichterstatters vom 14.5.2004 hin, mit der ihr Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag gegeben wurde, Tatsachen nicht dargetan. Schon von daher stellt sich ebenfalls nicht die Frage, ob ggf. ein strittiger Erfüllungseinwand beachtlich ist.

[7]Die Entscheidung über die Kosten erster Instanz beruht auf § 8 I 3, II 2 AVAG i.V.m. § 788 ZPO, diejenige über die Kosten des Beschwerdeverfahrens auf § 92 I ZPO.

Fundstellen

LS und Gründe

NJOZ, 2004, 3448
IHR, 2005, 216
InVo, 2005, 110

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2004-162

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