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Verfahrensgang

OLG Oldenburg, Beschl. vom 29.03.2006 – 9 W 6/06, IPRspr 2006-181

Rechtsgebiete

Anerkennung und Vollstreckung → Vermögensrechtliche Angelegenheiten

Leitsatz

Im Anerkennungsverfahren nach der EuGVO ist der Vollstreckungsschuldner auch mit sogenannten liquiden Einwendungen gegen den titulierten Anspruch ausgeschlossen und auf die Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO zu verweisen.

Rechtsnormen

AVAG § 12; AVAG § 14
EUGVVO 44/2001 Art. 45
ZPO § 293; ZPO § 767

Sachverhalt

Das LG Osnabrück hat mit Beschluss vom 27.1.2006 ein niederländisches Urteil der Rechtsbank Z. vom 4.1.2005 für vollstreckbar erklärt, in welchem die Beschwf. verurteilt wird, der Beschwg. 1 600 Euro nebst Zinsen sowie weitere Kosten in Höhe von 672,50 Euro zu zahlen. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beschwf., soweit das Urteil der Rechtsbank Z. über einen Betrag von 1 342,38 Euro hinaus für vollstreckbar erklärt worden ist. Sie verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass in dem gleichen Urteil zu ihren Gunsten ein ihr zustehender Anspruch nebst Zinsen gegen die Beschwg. tenoriert ist. Da die Beschwg. die titulierte Forderung mit Schreiben vom 8.6.2005 aufgerechnet habe, könne nur noch wegen des überschießenden Restbetrags das Urteil für vollstreckbar erklärt werden.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

[2]Die Beschwf. kann mit dem Erfüllungs- bzw. Aufrechnungseinwand im Klauselerteilungsverfahren nach der EuGVO nicht gehört werden (Art. 45 I EuGVO). § 12 AVAG ist im Anwendungsbereich der EuGVO nicht anwendbar. Der Senat hält eine verordnungskonforme Restriktion des Anwendungsbereichs von § 12 AVAG für geboten (Rauscher-Mankowski, EU-Zivilprozessrecht, Art. 45 Brüssel I VO Rz. 6 m.w.N.; Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im Europäischen Rechtsverkehr, 2000, 442 f.; Hub, NJW 2001, 3145, 3147; MünchKommGottwald, 2. Aufl., Art. 43 EuGVO Rz. 7; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 2. Aufl, Art. 43 EuGVVO Rz. 14; Thomas-Putzo-Hüßtege, ZPO, 27. Aufl., Art. 45 EuGVVO Rz. 3; a.A.: Wagner, IPRax 2002, 75/83; Kropholler, EU-Zivilprozessrecht, 8. Aufl., Art. 43 EuGVO Rz. 27, Art. 45 Rz. 6).

[3]Gegen die Berücksichtigung materieller Einwendungen im Klauselerteilungsverfahren nach der EuGVO spricht, dass es an zweitstaatlicher Regelungskompetenz fehlen dürfte (Mankowski aaO), dass mit dem Beschwerdeverfahren den Parteien im Vergleich zum Verfahren nach § 767 ZPO eine komplette Tatsacheninstanz genommen wird (Leutner, Die vollstreckbare Urkunde im europäischen Rechtsverkehr, 1997, 281; Nelle aaO 444), und schließlich, dass die mit der EuGVO erstrebte Beschleunigung und Vereinfachung vereitelt würde. Dies gilt umso mehr, als die materiellen Einwendungen nach § 12 AVAG vielfach das Einfallstor für Fragen ausländischen Rechts darstellen mit der häufigen Konsequenz, dass von Amts wegen eine zeitintensive Beweisaufnahme (§ 293 ZPO) zu diesen Fragen zu veranlassen ist.

[4]Der Senat hält es auch nicht für angezeigt, wenigstens sog. liquide Einwendungen im Beschwerdeverfahren zuzulassen, wie dies vermittelnd vertreten wird (OLG Düsseldorf, NJW-RR 2005, 933, 934 (IPRspr 2005-149); OLG Köln, Beschl. vom 17.11.2004 – 16 W 31/04 (IPRspr 2004-169); Zöller-Geimer, ZPO, 25. Aufl., Art. 45 EuGVVO Rz. 1; Geimer, IPRax 2003, 337, 338).

[5]Diese vermittelnde Lösung ist zwar vordergründig praktikabel; sie gestattet dem BeschwG, kurzerhand – nämlich bereits im Klauselerteilungsverfahren – materielle Gerechtigkeit herzustellen, ohne den Beschwerdeführer auf die Vollstreckungsgegenklage verweisen zu müssen. Sie hat allerdings einen bedeutenden Nachteil: Der Vollstreckungsschuldner ist von vornherein im Unklaren, welcher Rechtsbehelf statthaft ist. Macht man die Statthaftigkeit des Rechtsbehelfs davon abhängig, ob der Einwand liquide ist, ob er also vom Vollstreckungsgläubiger bestritten werden wird, muss der umsichtige Vollstreckungsschuldner schon deshalb immer vorsorglich Beschwerde einlegen (mit vollem Kostenrisiko), weil ihm ansonsten die Ausschlusswirkung des § 14 I Nr. 1 AVAG droht (vgl. Geimer aaO). Eine Normauslegung, die solche Weiterungen nach sich zieht und den Rechtsanwender, was die Statthaftigkeit des Rechtsbehelfs betrifft, derart im Unklaren lässt, genügt den Bedürfnissen der Praxis nicht. Dabei ist es nach Ansicht des Senats ohne Belang, ob man die Einwendungen über § 12 AVAG im Verfahren nach der EuGVO berücksichtigen will oder den Weg wählt, dem Vollstreckungsgläubiger das Rechtsschutzbedürfnis abzusprechen, sobald der Schuldner liquide Einwendungen erhebt (so OLG Köln aaO).

[6]Hinzu kämen abwegige Konsequenzen für das Verfahren nach § 767 ZPO. Wenn man die Statthaftigkeit der Beschwerde vom Vortrag des Vollstreckungsgläubigers abhängig macht (bestreitet er, so ist die Beschwerde unstatthaft, bestreitet er nicht, so ist der Einwand liquide und die Beschwerde statthaft), müsste man konsequenterweise auch die Prüfung der Präklusion nach § 14 I Nr. 1 AVAG von diesem Vortrag abhängig machen (will man nicht insoweit bei liquiden Einwendungen komplett auf eine Abgrenzung der Rechtsbehelfe oder auf die Präklusionswirkung verzichten, vgl. Schlosser aaO). Daraus ergäbe sich für die Vorschrift des § 14 I Nr. 1 AVAG in der Konstellation, dass der Schuldner auf die Beschwerde verzichtet hatte – etwa weil der Gläubiger den Erfüllungseinwand zuvor in Zweifel gezogen hatte –, die abseitige Konsequenz, dass der Vollstreckungsgläubiger im Verfahren der Vollstreckungsgegenklage die Präklusion des Einwands gemäß § 14 I Nr. 1 AVAG herbeiführen könnte, indem er vortrüge, er bestreite die Einwendung nicht bzw. hätte sie im Beschwerdeverfahren nach AVAG auch nicht bestritten.

[7]Diese absonderliche Konsequenz spricht ebenfalls dafür, materielle Einwendungen gegen den Titel aus Gründen der Klarheit ganz aus dem Verfahren nach der EuGVO herauszuhalten. Danach ist die Beschwf. vorliegend auf eine etwaige Klage nach § 767 ZPO zu verweisen.

Fundstellen

LS und Gründe

InVo, 2006, 445
NJW-RR, 2007, 418

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2006-181

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