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Verfahrensgang

OLG Düsseldorf, Beschl. vom 01.03.2005 – 3 W 335/04, IPRspr 2005-149

Rechtsgebiete

Anerkennung und Vollstreckung → Vermögensrechtliche Angelegenheiten

Leitsatz

Der Schuldner kann auch nach Inkrafttreten der EuGVO jedenfalls eine zwischen den Parteien unstreitige Erfüllung der titulierten Forderung nach Erlass des ausländischen (hier: niederländischen) Urteils gemäß § 12 I AVAG dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung entgegengehalten.

Rechtsnormen

AVAG § 11; AVAG §§ 11 ff.; AVAG § 12
EUGVVO 44/2001 Art. 34; EUGVVO 44/2001 Art. 35; EUGVVO 44/2001 Art. 38; EUGVVO 44/2001 Art. 43; EUGVVO 44/2001 Art. 45; EUGVVO 44/2001 Art. 66
ZPO §§ 887 f.

Sachverhalt

Der ASt. beabsichtigt, aus dem Urteil des Amtsgerichts Venlo vom 26.6.2002 gegen den AGg. in Deutschland zu vollstrecken, und zwar wegen einer dort ausgeurteilten Hauptforderung von 313,20 Euro zzgl. der gesetzlichen Zinsen ab dem 30.11.2001 und der festgestellten Kosten des Rechtsstreits in Höhe von 495,07 Euro. Auf Antrag des ASt. vom 14.4.2004 hat die stellvertretende Vorsitzende der 6. ZK des LG Mönchengladbach in dem angefochtenen Beschluss angeordnet, das Urteil mit der Vollstreckungsklausel zu versehen und zugleich den Inhalt des zu vollstreckenden Titels festgestellt.

Der AGg. hat jedoch am 25.9.2002 an den ASt. 843,71 Euro überwiesen und damit dessen Forderungen aus dem Urteil vollständig erfüllt. Diesem Vorbringen ist der ASt. nicht entgegengetreten.

Gegen diesen ihm am 22.11.2004 zugestellten Beschluss wendet sich daher der AGg. mit seiner am 22.12.2004 eingegangenen Beschwerde vom selben Tag mit Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. ... 1. Grundlage der Prüfung ist neben dem AVAG das Kapitel III der am 1.3.2002 in Kraft getretenen EuGVO. Das ergibt sich allerdings nicht aus Art. 66 I EuGVO, der für die Anwendbarkeit der Verordnung allein auf den Zeitpunkt der Klageerhebung abstellt. Denn dem Akteninhalt lässt sich nicht entnehmen, wann die dem Titel zugrunde liegende Klage erhoben wurde. Die Anwendbarkeit dieser Vorschriften folgt jedoch aus Art. 66 II lit. a EuGVO. Die Niederlande und Deutschland sind Ursprungsmitgliedstaaten im Sinne dieser Norm. Ferner ist die Klage nach Inkrafttreten des EuGVÜ erhoben worden, und das niederländische Urteil ist nach Inkrafttreten der EuGVO ergangen.

[2]2. Die innerhalb eines Monats nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung des LG eingegangene Beschwerde des AGg. ist gemäß Art. 43 EuGVO; § 11 AVAG zulässig.

[3]3. Die Beschwerde ist auch begründet. Der AGg. hat die ausgeurteilte Forderung des ASt. nach Urteilserlass vollständig erfüllt, weshalb Letzerer keinen Anspruch auf Erteilung einer Klausel zur Betreibung der bereits erloschenen Forderung hat.

[4]a) Offen bleiben kann hierbei, ob bei einer unstreitigen Erfüllung der im ausländischen Urteil titulierten Forderung bereits das Rechtsschutzbedürfnis des Gl. an der Erteilung einer Vollstreckungsklausel zur Betreibung des ausgeurteilten Betrags in Deutschland fehlt. Das nimmt das OLG Köln an und verweist darauf, in diesem Zusammenhang könne nichts anderes gelten als etwa bei der Handlungsvollstreckung nach §§ 887 f. ZPO, bei der ebenfalls in den Fällen, in denen die dem Erfüllungseinwand zugrunde liegenden Tatsachen unstreitig seien, nach zutreffender Auffassung einem Vollstreckungsantrag des Gläubigers bereits das Rechtsschutzbedürfnis fehle (NJOZ, 2004, 3448 f.) (IPRspr 2004-162). Ob dem zu folgen ist, muss nicht entschieden werden, weil das Begehren des ASt., wie noch darzulegen sein wird, jedenfalls sachlich nicht gerechtfertigt ist, weshalb die Prüfung, ob ein Rechtsschutzbedürfnis für sein Antrag besteht, entbehrlich ist. Dagegen spricht nicht, dass grundsätzlich in die Sachprüfung erst eingetreten werden darf, wenn feststeht, dass die Prozessvoraussetzungen gegeben sind. Das Rechtsschutzbedürfnis hat als Prozessvoraussetzung die Funktion, zu verhindern, dass Gegner und Gericht ohne ausreichendes Interesse an gerichtlichem Rechtsschutz durch ein Verfahren belastet werden. Diesem Zweck entspricht es nicht, die Prüfung des Rechtschutzbedürfnisses als Zulässigkeitsvoraussetzung auch dann zu fordern, wenn die Unbegründetheit eines Antrag bereits feststeht (vgl. BGH, NJW 1996, 193, 195; Zöller-Greger, ZPO, 25. Aufl., Vor § 253 Rz. 10; jeweils m.w.N.).

[5]b) Aufgrund der nach dem Erlass des niederländischen Urteils erfolgten Erfüllung der ausgeurteilten Forderung, die der AGg. dem ASt. nach § 12 I AVAG entgegenhalten kann, ist das Begehren des ASt., das Urteil nach Art. 38 I EuGVO für vollstreckbar zu erklären, unbegründet.

[6]aa) Die Anwendbarkeit des § 12 AVAG, der es dem Schuldner ermöglicht, dem titulierten Anspruch nachträglich entstandene materiell-rechtliche Einwendungen entgegenzuhalten, wird für Vollstreckbarerklärungen aufgrund des Art. 38 EuGVO allerdings in der Literatur von einigen mit dem Argument verneint, § 12 AVAG werde durch Art. 45 EuGVO verdrängt, weil hierin ausdrücklich bestimmt sei, dass auf einen Rechtsbehelf nach Art. 43 EuGVO die Vollstreckbarerklärung nur aus einem der in den Art. 34, 35 aufgeführten Gründe versagt werden dürfe. Hierzu gehörten nach Urteilserlass entstandene Einwendungen materiell-rechtlicher Art aber gerade nicht (Thomas-Putzo-Hüßtege, ZPO, 26. Aufl., Art. 45 EuGVO Rz. 3; MünchKommZPO-Gottwald, 2. Aufl., Art. 45 EuGVO Rz. 4; Hub, NJW 2001, 3145, 3147). Die Gegenmeinung hingegen geht davon aus, dass, da die Behandlung nachträglich entstandener materiell-rechtlicher Einwendungen gegen einen Titel in der EuGVO nicht geregelt sei, es dem nationalen Gesetzgeber überlassen bleibe, eigenständig zu regeln, wie diese Lücke zu füllen sei. Daher könne der Schuldner vor deutschen Gerichten solche Einwände weiterhin nach § 12 AVAG im Rechtsbehelfsverfahren geltend machen (Wagner, IPRax 2002, 75, 82). Zum Teil wird auch angenommen, dass es der Beschleunigungseffekt, dem Art. 45 EuGVO diene, erfordere, § 12 AVAG gemeinschaftsrechtskonform dahin auszulegen, dass materiell-rechtliche Einwendungen nur zuzulassen seien, wenn sie unbestritten oder rechtskräftig festgestellt worden seien. Nur andere Einwendungen müsse der Antragsgegner mit der Vollstreckungsgegenklage geltend machen (Zöller-Geimer aaO Art. 45 EuGVO Rz. 1; ders. in Geimer, IZPR, 5. Aufl., Rz. 3152a).

[7]bb) Der letztgenannten Auffassung schließt sich der Senat jedenfalls insoweit an, als zumindest eine unstreitige Erfüllung nach Erlass des ausländischen Urteils vom Schuldner im Rahmen des § 12 AVAG auch nach Inkrafttreten der EuGVO dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung entgegengehalten werden kann. Es ist hierbei davon auszugehen, dass eine Beschränkung der Einwendungen nach Art. 45 I EuGVO dazu dienen soll, das Verfahren der Vollstreckbarerklärung zu beschleunigen und dem Gläubiger die Möglichkeit zu geben, einen bereits erwirkten Titel rasch auch im EU-Ausland zu vollstrecken, ohne sich auf langwierige Auseinandersetzungen mit dem Schuldner einlassen zu müssen. Dieser Schutzzweck erfordert es nicht, nachträglich entstandene Einwendungen, die ohne jede zeitliche Verzögerung berücksichtigt werden können, weil der Gläubiger selbst sie zugesteht, in dem Beschwerdeverfahren gemäß Art. 43 EuGVO, §§ 11 ff. AVAG auszuschließen. Es ist kein vernünftiger Grund ersichtlich, auch bei solchen Einwendungen den Schuldner auf die Möglichkeit eines Vollstreckungsschutzantrags zu verweisen, bis über einen anderen Rechtsbehelf, etwa eine Vollstreckungsgegenklage, entschieden ist. Denn es steht ja bereits fest, dass die titulierte Forderung endgültig nicht mehr beigetrieben werden darf. Somit ist in den Fällen einer unstreitig nachträglich entstandenen Einwendung gegen den titulierten Anspruch selbst die gebotene gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung des § 12 AVAG in der dargestellten Art ausreichend, um den Regelungen der EuGVO Rechnung zu tragen.

[8]cc) Damit kann der AGg. dem ASt. entgegenhalten, die zu dessen Gunsten am 26.6.2002 titulierte Forderung sei durch Erfüllung bereits im September 2002 erloschen. Denn dieses Vorbringen ist unstreitig, da der ASt. ihm nicht entgegengetreten ist, obwohl ihm hierzu Gelegenheit gegeben worden ist.

Fundstellen

LS und Gründe

InVo, 2005, 515
NJW-RR, 2005, 933
RIW, 2005, 708

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2005-149

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