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Verfahrensgang

OLG Koblenz, Beschl. vom 05.04.2004 – 11 UF 43/04, IPRspr 2004-171

Rechtsgebiete

Anerkennung und Vollstreckung → Unterhaltssachen

Leitsatz

Die Vollstreckbarerklärung eines im EU-Ausland (hier: Österreich) nach dem 1.3.2002 geschlossenen Prozessvergleichs betreffend Kindes- und Getrenntlebenunterhalt richtet sich nach den Vorschriften der Art. 38 ff., Art. 57, 58 EuGVO in Verbindung mit § 1 I Nr. 2 lit. b, II 1 AVAG. Soweit wegen des Kindesunterhalts vorrangig das im Verhältnis zu Österreich fortgeltende Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern vom 15.4.1958 Anwendung findet, besteht nach Art. 11 des Übereinkommens und Art. 71 II lit. b Satz 3 EuGVO für die Vollstreckbarerklärung nach der EuGVO ein Wahlrecht.

Bei der Entscheidung über die Vollstreckbarerklärung ist der Prüfungsumfang nach Art. 57 I 2 EuGVO darauf beschränkt, ob die Zwangsvollstreckung aus dem Prozessvergleich dem ordre public offensichtlich widersprechen würde; sonstige Einwendungen gegen die Entscheidungsfindung erster Instanz sowie Einwendungen gegen den titulierten Anspruch selbst sind ungeachtet der Vorschrift § 12 II AVAG ausgeschlossen.

Rechtsnormen

AVAG § 1; AVAG § 12; AVAG § 14; AVAG § 55
EGV-Amsterdam Art. 249
EUGVVO 44/2001 Art. 1; EUGVVO 44/2001 Art. 32; EUGVVO 44/2001 Art. 38 ff.; EUGVVO 44/2001 Art. 39; EUGVVO 44/2001 Art. 43; EUGVVO 44/2001 Art. 45; EUGVVO 44/2001 Art. 57; EUGVVO 44/2001 Art. 58; EUGVVO 44/2001 Art. 66; EUGVVO 44/2001 Art. 68; EUGVVO 44/2001 Art. 71; EUGVVO 44/2001 Art. 76
Unterhaltsvollstreck Art. 11
ZPO § 257; ZPO § 258; ZPO § 767

Sachverhalt

Die mit dem AGg. verheiratete ASt. begehrt die Vollstreckbarerklärung eines am 9.5.2003 vor dem Bezirksgericht L./Österreich geschlossenen Prozessvergleichs, der laut vorgelegter Bescheinigung dieses Gerichts in Österreich vollstreckbar ist. Der AGg. hat sich darin verpflichtet, ab 1.6.2003 an die ASt. monatliche Zahlungen als Trennungsunterhalt sowie als Unterhalt für die gemeinsamen Kinder in Höhe von insgesamt rund 2 800 Euro zu leisten.

Das LG hat mit Beschluss vom 19.11.2003 auf Erteilung der Vollstreckungsklausel erkannt, was am 1.12.2003 erfolgte. Der AGg. hat am 22.12.2003 Beschwerde eingelegt. Das Rechstmittel blieb ohne Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Die Beschwerde ist statthaft (Art. 43 I EuGVO) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben (Art. 43 V 2 EuGVO); sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

[2]1. Die gegenständliche Vollstreckbarerklärung bestimmt sich – worauf bereits das LG zutreffend hingewiesen hat – nach Maßgabe der Art. 38 ff.; 57, 58 EuGVO, ergänzt durch die Durchführungsbestimmungen des AVAG (§ 1 I Nr. 2 lit. b, II 1). Der sachliche Anwendungsbereich der – unmittelbar geltenden (Art. 249 II EG) – EuGVO ist eröffnet (Art. 1 I und II). Deutschland und Österreich sind Mitgliedstaaten im Sinne der Verordnung (Art. 1 III, 68 EuGVO); der Prozessvergleich vor dem Bezirksgericht L. wurde zeitlich nach dem Inkrafttreten der EuGVO (Art. 76) geschlossen (Art. 66 I).

[3]Diese Rechtsgrundlage greift – unmittelbar – auch im Hinblick auf die titulierte Verpflichtung des AGg. zur Zahlung von Kindesunterhalt ein. Zwar ist insofern – vorrangig – das im Verhältnis zu Österreich fortgeltende Haager Übereinkommen vom 15.4.1958 (BGBl. 1961 II 1006) – im Folgenden HÜÜ 1958 – einschlägig (Art. 71 I, II lit. b Satz 2 EuGVO; vgl. Thomas-Putzo-Hüßtege, ZPO, 25. Aufl., 2003, Anh. nach § 723 Rz. 5); die ASt. hat indes ausdrücklich (Schriftsatz vom 12.11.2003) das Verfahren der Vollstreckbarerklärung nach der EuGVO gewählt (Art. 11 HUÜ 1958; 71 II lit. b Satz 3 EuGVO; Thomas-Putzo-Hüßtege aaO Art. 71 EuGVVO Rz. 5; Heiderhoff, IPRax 2004, 99, 100 f.; siehe allgemein zum sog. Günstigkeitsprinzip Linke, Internationales Zivilprozessrecht, 3. Aufl., 2001, Rz. 339).

[4]2. … 3. Die vom LG ausgesprochene Vollstreckbarerklärung des ausländischen Prozessvergleichs begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

[5]a) In Ansehung des gegenständlichen Prozessvergleichs ist der Senat im Rechtsbehelfsverfahren auf die Prüfung beschränkt, ob die Zwangsvollstreckung aus dem Vergleich der öffentlichen Ordnung im Bundesgebiet offensichtlich widersprechen würde (Art. 57 I 2, 58 Satz 1 EuGVO). Dies ist weder dargetan noch überhaupt ersichtlich.

[6]b) Die mit der Beschwerde erhobenen Rügen – örtliche Unzuständigkeit; Rechtsschutzbedürfnis; Erfüllungseinwand – sind der Überprüfung durch den Senat entzogen. Nach dem keiner abweichenden Auslegung zugänglichen Wortlaut des Art. 57 I 2 EuGVO (siehe auch Art. 45 I 1 EuGVO für die Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung im Sinne des Art. 32 EuGVO) ist der Prüfungsumfang im Beschwerdeverfahren auf den dort genannten Gegenstand (ordre public) beschränkt; sonstige Einwendungen gegen die Entscheidungsfindung erster Instanz sowie Einwendungen gegen den titulierten Anspruch selbst sind ausgeschlossen (vgl. Thomas-Putzo-Hüßtege Art. 45 EuGVVO Rz. 3 und Art. 57 EuGVVO Rz. 8; Hub, NJW 2001, 3145, 3147; Heiderhoff aaO 101; a.A. contra legem Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 7. Aufl., 2002, Art. 45 Rz. 4 ff. und Art. 57 Rz. 14 ff.: siehe auch EuGVO Erwägungsgründe 15–18). Dem steht § 12 II AVAG nicht entgegen. Auch wenn die Vorschrift in § 55 AVAG (Vollzug der EuGVO) nicht für unanwendbar erklärt ist, vermag das innerstaatliche (Durchführungs-)Recht nicht Vorschriften des – höherrangigen – Gemeinschaftsrechts zu derogieren. Im Hinblick auf Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Anspruch selbst bleibt der Schuldner auf Rechtsmittel bzw. Rechtsbehelfe im Ursprungsland oder aber auf die Vollstreckungsgegenklage gemäß § 767 ZPO verwiesen (vgl. Hüßtege aaO, der insofern aber – bedenklich – ergänzend die Beschränkung nach § 14 AVAG eingreifen lassen will).

[7]c) Ungeachtet des nach Auffassung des Senats hier eingeschränkten Prüfungsumfangs (siehe unter b) vermögen die Rügen aber auch in der Sache nicht durchzugreifen. Das LG Mainz war zur Entscheidung über den Antrag örtlich zuständig, da die Zwangsvollstreckung nach dem – schlüssigen – Vortrag der ASt. in seinem Bezirk durchgeführt werden soll (Art. 39 II EuGVO; Lohn- und Kontenpfändung). Soweit der AGg. – vollends pauschal – eingewendet hat, dass er ‚seinen Verpflichtungen aus dem gegenständlichen Vergleich nachgekommen ist und nachkomme’ lässt dies – worauf die ASt. zutreffend hingewiesen hat – das Rechtschutzbedürfnis für die Vollstreckbarerklärung des Prozessvergleichs nicht entfallen (vgl auch §§ 257, 258 ZPO).

Fundstellen

LS und Gründe

OLGR, 276

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2004-171

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