Bei Sachverhalten mit Sachbezug zum Vereinigten Königreich bleibt auch nach dessen Austritt aus der Europäischen Union für gerichtliche Verfahren, die nach dem 31. Dezember 2020 eingeleitet worden sind, der Rückgriff unter anderem auf den Verbrauchergerichtsstand gemäß Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 18 Abs. 1 EuGVVO eröffnet.
Die Klägerin nimmt die Beklagte, eine englische Limited mit Sitz in London, im Zusammenhang mit zwei Genussrechtsbeteiligungen auf Rückzahlung der getätigten Einlagen und auf Zahlung ausstehender Dividenden nebst Zinsen in Anspruch.
[1]II.
[2]1. Das Urteil des Landgerichts ist auf die zulässige Berufung der Klägerin - wie tenoriert - abzuändern (dazu b) bei gleichzeitiger Zurückweisung der Berufung der Beklagten, die unbegründet ist (dazu a).
[3]a) Die zulässige Berufung der Beklagten bleibt ohne Erfolg.
[4]aa) Das Landgericht ist mit Recht von der Zulässigkeit der Klage ausgegangen (vgl. Senatsurteil vom 16. Dezember 2021 -
[5]aaa) aaaa) Die - in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende (vgl. BGH, Urteile vom 7. November 2001 -
[6]Einzelne Zuständigkeitsbestimmungen der EuGVVO - wie etwa der in Art. 18 Abs. 1 geregelte Verbrauchergerichtsstand - finden gemäß Art. 6 Abs. 1 EuGVVO unbeschadet des in der Zwischenzeit vollzogenen Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union vorliegend Anwendung, denn das Vereinigte Königreich ist seitdem aus der Sicht der Europäischen Union ein Drittstaat (vgl. Senatsurteil vom 23. November 2023 -
[7]Dem steht das Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft vom 24. Januar 2020 (ABl. EU Nr. L 29 S. 7 ff. vom 31. Januar 2020; im Folgenden: Austrittsabkommen bzw. AA) nicht entgegen. Die Beklagte verkennt mit dem von ihr dem Austrittsabkommen beigemessenen Verständnis, das - soweit ersichtlich - weder in der Rechtsprechung noch im Schrifttum geteilt wird, dass der mit Ablauf des Übergangszeitraums vollzogene Austritt des Vereinigten Königreichs zur Folge hat, dass für solche Verfahren, die nach dem 31. Dezember 2020 eingeleitet worden sind, der bis dahin an die Gerichte des Vereinigten Königreichs gerichtete unionsrechtliche Rechtsanwendungsbefehl erloschen ist, mithin (nur) diese Gerichte die Zuständigkeitsregelungen der EuGVVO nicht mehr anzuwenden haben. Das ändert jedoch nichts daran, dass die Verordnung in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbares Recht ist und als solches - unter Berücksichtigung ihrer Drittstaatenregelungen - weiterhin von den mitgliedstaatlichen Gerichten vorrangig zu prüfen ist (vgl. auch Garber/Neumayr, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl., Brüssel Ia-VO Art. 66 Rn. 33). Nichts Anderes besagt die von der Beklagten angeführte Präambel des Austrittsabkommens, denn darin kommt nur zum Ausdruck, dass das Vereinigte Königreich, dessen Status als Drittstaat ausdrücklich festgehalten wird (ABl. EU Nr. L 29 S. 8 vom 31. Januar 2020), mit seinem Austritt aus der Europäischen Union nicht mehr unionsrechtlicher Normadressat ist, mithin das Vereinigte Königreich mit Vollzug des Austritts von seiner Verpflichtung zur Umsetzung bzw. Anwendung von Unionsrecht entbunden ist.
[8]bbbb) Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ergibt sich vorliegend aus dem für Verbrauchersachen vorgesehenen Gerichtsstand des Art. 18 Abs. 1 Alt. 2 in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 lit. c) EuGVVO (vgl. Senatsurteil vom 23. November 2023 -
[9](1) Diesbezüglich hat das Landgericht sowohl die Verbrauchereigenschaft der Klägerin als auch die Voraussetzungen einer Verbrauchersache im Sinne von Art. 17 EuGVVO, die gegenständlich auf (vertragliche und deliktische) Ansprüche gestützte Klagen eines Verbrauchers erfasst, die untrennbar mit einem - wie hier - tatsächlich geschlossenen Verbrauchervertrag verbunden sind (vgl. Senatsurteil vom 2. März 2023 -
[10]Dies gilt insbesondere für die Annahme, dass es sich bei der Klägerin um eine Verbraucherin im Sinne des Art. 17 Abs. 1 EuGVVO handle. Denn ungeachtet der gebotenen engen Auslegung des Verbraucherbegriffs (vgl. Senatsurteil vom 2. März 2023 -
[11](2) Daher kann die Beklagte auch nicht - wie in anderen Verfahren geschehen - einwenden, weder sie noch ihre Rechtsvorgängerinnen - die M. J. Investments AG bzw. deren Rechtsnachfolgerin, die M. J. Investments GmbH, - hätten sich zielgerichtet mit ihrer operativen Tätigkeit an den deutschen Markt gewandt (vgl. auch OLG Stuttgart, Urteil vom 31. März 2021 -
[12]cccc) Ferner steht der in § 12 Nr. 2 GRB vereinbarte Gerichtsstand am "Sitz der Gesellschaft" der Klage vor deutschen Gerichten nicht entgegen. Denn die Gerichtsstandsvereinbarung ist, wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat, wegen Verstoßes gegen Art. 19 Nr. 2 EuGVVO (Art. 17 Nr. 2 EuGVVO aF) unwirksam (vgl. Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 25 Abs. 4 EuGVVO [Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Art. 23 Abs. 5 EuGVVO aF]).
[13]Anderes ergibt sich auch nicht aus den Regelungen des Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30. Juni 2005 (Text und Beitrittsstatus abrufbar auf www.hcch.net; im Folgenden: HGÜ). Denn vorliegend ist bereits der sachliche Anwendungsbereich des Übereinkommens nicht eröffnet, weil Verbrauchersachen vom sachlichen Anwendungsbereich des Übereinkommens ausgenommen sind (vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. a HGÜ).
[14]dddd) Schließlich liegt entgegen der bekanntlich von der Beklagten vertretenen Auffassung eine innergesellschaftliche Streitigkeit, die eine ausschließliche Zuständigkeit gemäß Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 24 Nr. 2 EuGVVO begründen könnte, nicht vor (vgl. Senatsurteil vom 2. März 2023 -
[15]bbb) Das Landgericht ist auch zutreffend vom Vorliegen eines Prozessrechtsverhältnisses zwischen den Parteien ausgegangen.
[16]Die im Dezember 2022 eingegangene Klageschrift ist dem director der Beklagten an dessen Wohnort in der Schweiz am 15. Februar 2023 gemäß § 183 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 lit. a) des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 15. November 1965 (BGBl. 1977 II S. 1425 ff.; im Folgenden: HZÜ) ordnungsgemäß zugestellt worden (vgl. Bl. 70 eA-LG).
[17]Die Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedstaaten ("Zustellung von Schriftstücken") und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 13. November 2007 (ABl. EU Nr. L 234 S. 79 vom 10. Dezember 2007) finden vorliegend keine Anwendung, weil die Zustellung der Klageschrift an die Beklagte erst im Dezember 2022 und somit nach Ablauf des Übergangszeitraums veranlasst worden ist (vgl. Art. 68 lit. a, Art. 126 AA).
[18]Der Umstand, dass die Klage in deutscher Sprache verfasst war und nicht in die englische Sprache übersetzt wurde, ist unschädlich. Abgesehen davon, dass - was dem Senat aus anderen Verfahren bekannt ist - die Beklagte bzw. deren director als Adressat und Empfänger der Klageschrift die deutsche Sprache verstand und versteht, handelt es sich bei der deutschen Sprache um eine von vier Landes- bzw. Amtssprachen in der Schweiz (vgl. Art. 4 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999).
[19]ccc) Schließlich ist die Klage auch nicht wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig (vgl. Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 8. Juni 2023 -
[20]Der Einwand der Beklagten, die ihre gegenteilige Annahme damit begründet, dass Ansprüche, die in erst nach dem 31. Dezember 2020 eingeleiteten Verfahren tituliert würden, gemäß Art. 67 Abs. 2 lit. a) AA im Verhältnis zum Vereinigten Königreich nicht mehr den "innerhalb der Europäischen Gesellschaft geltenden Exequaturbestimmungen" unterfielen und daher nicht mehr für vollstreckbar erklärt werden könnten, so dass die Durchführung des Erkenntnisverfahrens zur Durchsetzung vermeintlicher Rechte der Klägerin nicht tauge, verfängt nicht. Abgesehen davon, dass die (nach Maßgabe des Austrittsabkommens im Verhältnis zum Vereinigten Königreich zuletzt anwendbare) EuGVVO ein Exequaturverfahren nicht vorsieht, verkennt die Beklagte, dass die entfallene Anwendbarkeit der unionsrechtlichen Regelungen zur Anerkennung und Vollstreckung also solche der Durchsetzbarkeit eines im vorliegenden Verfahren ergehenden Titels nicht entgegen steht, denn insoweit bemisst sich die Frage seiner Anerkennung und Vollstreckung im Vereinigten Königreich nach Maßgabe der an die Stelle der EuGVVO getretenen staatsvertraglichen bzw. nationalen Regelungen, über deren Anwendung gegebenenfalls die Gerichte des Vereinigten Königreichs zu befinden haben (vgl. Dickinson, IPRax 2021, 213, 217 f.).
[21]bb) Die Berufung der Beklagten wendet sich ohne Erfolg gegen ihre Verurteilung zur Zahlung von 13.289,10 EUR nebst Rechtshängigkeitszinsen. Das Landgericht hat der Klage insoweit mit Recht stattgegeben (dazu unter bbb).
[22]aaa) Dabei hat das Landgericht seiner Prüfung zutreffend österreichisches Sachrecht zugrunde gelegt.
[23]Denn die zwischen der Klägerin und der Rechtsvorgängerin der Beklagten gemäß Art. 27 Abs. 1 EGBGB aF wirksam getroffene Rechtswahl führt zur Anwendung österreichischen Sachrechts (vgl. Art. 35 Abs. 1 EGBGB aF), das nicht nur für die Erfüllung vertraglich begründeter Verpflichtungen gilt, sondern auch für die Folgen der Nichterfüllung, für Fragen des Schuldnerverzugs und die Bestimmung gesetzlicher Zinsen einschließlich Prozesszinsen sowie für die Verteilung der Beweislast (vgl. Senatsurteil vom 2. März 2023 -
[24]bbb) Nach Maßgabe des österreichischen Rechts ist die Klage in der Hauptsache (dazu aaaa) umfassend und hinsichtlich des Zinsanspruchs (dazu bbbb) weitgehend begründet.
[25]aaaa) Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung eines Betrages in Höhe von insgesamt ... EUR, denn sie kann von der Beklagten die Rückzahlung der von ihr erbrachten Einlagen verlangen.
[26](a) ... (b) ... (c) ... (aa) ... (bb) ... (d) ... (e) Der Zahlungsanspruch ist auch nicht verjährt. Die Frage der Verjährung beurteilt sich gemäß Art. 32 Abs. 1 Nr. 4 Var. 2 EGBGB in seiner bis zum 16. Dezember 2009 geltenden Fassung nach dem Vertragsstatut, mithin hier nach dem österreichischem Recht. Danach unterliegt der mit Beendigung der Genussrechtsbeteiligung gegebene Anspruch auf den Rückzahlungsbetrag der dreißigjährigen Verjährung nach § 1478 östABGB (vgl. Senatsurteil vom 23. November 2023 -
[27](2) Der auf die Hauptforderung bezogene Anspruch auf Zinsen bemisst sich nach der lex causae, mithin hier nach dem materiellen Recht der Republik Österreich (§ 1333 Abs. 1, §§ 1334 östABGB) und beläuft sich gemäß § 1000 Abs. 1 östABGB auf vier Prozent p.a.; dieser durch das österreichische Sachrecht vorgegebenen Rechtslage, der das Klagebegehren nicht Rechnung trägt, ist durch eine entsprechende Deckelung im Urteilstenor Rechnung zu tragen (vgl. Senatsurteil vom 2. März 2023 -
[28]b) Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet, weshalb das angegriffene Urteil abzuändern und die Beklagte weitergehend - wie tenoriert - zu verurteilen ist.
[29]aa) ... bb) ... cc) Auch der auf Zahlung der Basisdividende gerichteten Anspruch ist nach dem maßgeblichen österreichischen Sachrecht nicht verjährt. Der Anspruch wurde - wie die Beklagte in der Erläuterung Nr. 7 ihrer Anlegerinformation (Anlage K 2 und K 3 - Bl. 143 f. eA) selbst angegeben hat - erst bei Beendigung der Genussrechtsbeteiligung nach Maßgabe der Genussrechtsbedingungen fällig. Danach ist ein Fall von § 1480 östABGB nicht gegeben, weil diese Vorschrift das Erlöschen bzw. die Verjährung von Forderungen auf rückständige jährliche Leistungen regelt. Darunter können nur solche wiederkehrenden Leistungen verstanden werden, die periodisch fällig werden, mag auch ihre Höhe nach einem vorausbestimmten Plan wechseln (vgl. östOGH vom 16. Oktober 1957 -
[30]dd) ...
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