PDF-Version

Verfahrensgang

LG Stuttgart, Urt. vom 24.01.2020 – 8 O 211/19
OLG Stuttgart, Urt. vom 31.03.2021 – 20 U 24/20, IPRspr 2021-325

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Versicherungs-, Verbraucher-, Arbeitsgerichtsstand
Juristische Personen und Gesellschaften → Umwandlung
Allgemeine Lehren → Rechtswahl
Vertragliche Schuldverhältnisse → Verbraucherrecht

Leitsatz

Art. 5 EVÜ und der auf ihm beruhende Art. 29 EGBGB a.F. waren im Unterschied zur Nachfolgenorm des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO auf Verträge über die Lieferung von beweglichen Sachen, die Erbringung von Dienstleistungen an Verbraucher sowie auf Verträge über die Finanzierung eines solchen Geschäfts beschränkt.

Ein Vertrag über die Begründung eines Genussrechtsverhältnisses lässt sich nicht unter Art. 29 Abs. 1 EGBGB a.F. subsumieren, da sein Gegenstand weder eine bewegliche Sache noch eine Dienstleistung noch eine diesbezügliche Finanzierung ist.

Bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung innerhalb der EU ist infolge der eintretenden Universalsukzession beim übernehmenden Rechtsträger für die Auslegung eines von der übertragenden Gesellschaft eingegangenen Genussrechtsvertrags und seiner weiteren Durchführung oder Abwicklung dasselbe (hier: österreichisches) Recht wie vor der Verschmelzung anzuwenden. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

ABGB (Österr.) § 864a; ABGB (Österr.) § 1000; ABGB (Österr.) § 1333; ABGB (Österr.) § 1334
AktG (Österr.) § 226
BrexitAbk Art. 67
EGBGB Art. 27 ff.; EGBGB Art. 29; EGBGB Art. 31
EU-VerschG (Österr.) § 1; EU-VerschG (Österr.) § 13; EU-VerschG (Österr.) § 14
EuGVVO 1215/2012 Art. 17; EuGVVO 1215/2012 Art. 18; EuGVVO 1215/2012 Art. 19; EuGVVO 1215/2012 Art. 24; EuGVVO 1215/2012 Art. 66
EVÜ Art. 5
GesR-RL 2017/1132 Art. 101; GesR-RL 2017/1132  Art. 118 ff.; GesR-RL 2017/1132 Art. 121
GmbHG (Österr.) § 96
Rom I-VO 593/2008 Art. 6; Rom I-VO 593/2008 Art. 28
UmwG § 23; UmwG § 122a
Verschmelzungs-RL 2005/56/EG Art. 4; Verschmelzungs-RL 2005/56/EG Art. 15
ZPO § 172; ZPO § 521

Sachverhalt

Mit ihrer Klage nimmt die Klägerin die beklagte englische Limited auf Rückzahlung (zuzüglich Zinsen) wegen einer Genussrechtsbeteiligung in Anspruch, die sie an der österreichischen Rechtsvorgängerin der Beklagten – der T. - erworben hatte und hinsichtlich der sie am 29.4.2019 die außerordentliche Kündigung erklärt hatte. Hilfsweise beansprucht sie im Wege der Stufenklage Abrechnung ihrer Genussrechtsbeteiligung und Auszahlung des abgerechneten Auseinandersetzungsguthabens (zuzüglich Zinsen).

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils vom 24.01.2020 (8 O 211/19) Bezug genommen, mit welchem das Landgericht die Klage vollumfänglich abgewiesen hat. Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie ihre erstinstanzlich gestellten Klaganträge vollumfänglich weiterverfolgt. Die Klägerin stellt den Berufungsantrag, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Stuttgart vom 24.01.2020 – Az. 8 O 211/19 die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu zahlen.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]B.

[2]Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache zum überwiegenden Teil Erfolg.

[3]I.

[4]Das Rechtsmittel der Klägerin ist zulässig.

[5]1. ... 2.

[6]Entgegen der Auffassung der Berufungserwiderung der Beklagten sind die Zustellung von Berufungsschrift und Berufungsbegründung (§ 521 Abs. 1 ZPO) keine Voraussetzungen für die Zulässigkeit oder Wirksamkeit der Berufung, sondern dienen der Unterrichtung des Berufungsgegners über Einleitung und Fortgang des Verfahrens (Rimmelspacher in: MünchKommZPO, 6. Aufl., § 521 Rz. 1 und 3). Die Zustellung der Berufungsbegründung mag zudem Voraussetzung für den wirksamen Lauf einer Berufungserwiderungsfrist sein, die zu setzen aber ohnehin nicht zwingend ist, sondern im Ermessen des Gerichts steht (§ 521 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

[7]Jedenfalls wurden sowohl die Berufungs- als auch die Berufungsbegründungsschrift nochmals an die Beklagtenvertreter zugestellt, nachdem diese sich legitimiert hatten, indem sie zunächst die jeweiligen Empfangsbekenntnisse mit der Erklärung unterzeichnet hatten, „zur Entgegennahme legitimiert zu sein“ (dazu Müller-​Häublein in: MünchKommZPO, aaO, § 172 Rz. 6 m.w.N. in Rn. 43), und indem sie nochmals mit der Berufungserwiderung ihre Bestellung angezeigt hatten. Die spätere Zustellung unterfällt deshalb jedenfalls dem 8. Erwägungsgrund zur EuZVO. Es kann also offenbleiben, ob § 172 Abs. 2 Satz 1 ZPO mit der Maßgabe dieses Erwägungsgrunds ohnehin deshalb gilt, weil es um eine Frage der Reichweite der Vollmacht geht, die der lex fori unterliegt, wie in der Literatur jedenfalls auch vertreten wird (vgl. hierzu einerseits Okonska in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 60. EL, Art. 1 VO (EG) 1393/2007 Rz. 21 Stadler in: Musielak/Voit, 17. Aufl., Art. 1 EuZustVO Rz. 3; andererseits Rauscher in: MünchKommZPO, 5. Aufl., Art. 1 EG-​ZustellVO Rz. 19; Häublein / Müller in: MünchKommZPO, 6. Aufl., § 172 Rz. 3; Roth in: Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 172 Rz. 4).

[8]Mit den vorgenommenen Zustellungen ist auch der oben genannte Zweck, die Beklagte über den Verfahrensgang zu unterrichten und ihr damit ebenfalls rechtliches Gehör zu gewähren, erreicht.

[9]3. ... 4.

[10]Entgegen der Auffassung der Berufungserwiderung hat das Landgericht zu Recht die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte angenommen.

[11]a)

[12]Insoweit ist im Ausgangspunkt zu berücksichtigen, dass die internationale Zuständigkeit ungeachtet des mittlerweile vollzogenen Brexit für den vorliegenden, zuvor anhängig gewordenen Rechtsstreit weiterhin nach den Bestimmungen der EuGVVO zu beurteilen ist.

[13]Dies ergibt sich aus Art. 67 Abs. 1 lit. a) des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft vom 24.01.2020, ABl. 2020 L 29, 7 (vgl. auch KG, Beschl. v. 03.12.2020 – 2 W 1009/20 (IPRspr 2020-275), BeckRS 2020, 33470, Rz. 38 ff.).

[14]b)

[15]Entgegen der Auffassung der Berufungserwiderung ist das Landgericht zutreffend von einer internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte für den vorliegenden Rechtsstreit nach Art. 17 Abs. 1 lit. c, Art. 18 Abs. 1 EuGVVO ausgegangen.

[16]aa)

[17]Für die Einordnung als Verbrauchergeschäft ist nicht entscheidend, dass die Beklagte nicht originäre Vertragspartnerin war. Entscheidend ist die Einordnung des mit dem ursprünglichen Vertragspartner eingegangenen Vertragsverhältnisses, auf das der streitgegenständliche Anspruch gestützt wird, hier der Vertrag über die Genussrechtsbeteiligung. Die Rechtsnachfolge auf Beklagtenseite ist unerheblich. Der Vertragspartner des Verbrauchers könnte sich sonst durch Fusionen der Bindung des Verbrauchergerichtsstandes entziehen (BGH, Urt. v. 09.02.2017 - IX ZR 67/16 (IPRspr 2017-252), Rz. 53 bei juris).

[18]bb)

[19]Das Landgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin Verbraucherin i.S.v. Art. 17 Abs. 1 EuGVVO ist.

[20]Die Verbrauchereigenschaft nach Art. 17 EuGVVO bestimmt sich nicht in erster Linie nach einem subjektiven Status des Vertragspartners, sondern ist eher rollenbezogen zu verstehen, orientiert am Zweck des abgeschlossenen Rechtsgeschäfts (vgl. etwa Paulus in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, 60. EL August 2020, VO (EG) 1215/2012 Art. 17 Rz. 24; BGH, Beschl. v. 20.10.2020 - X ARZ 124/20 (IPRspr 2020-321), Rz. 25 f. bei juris).

[21]Eine berufliche oder gewerbliche Zwecksetzung der Beteiligung durch die Klägerin lag nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen des Landgerichts nicht vor. So hat es zutreffend ausgeführt, dass die Vermögens- bzw. Kapitalanlage zur Verwaltung privaten Vermögens ein Verbrauchergeschäft ist (vgl. BGH, Urt. v. 09.02.2017 - IX ZR 67/16 (IPRspr 2017-252), Rz. 13 ff. bei juris; BGH, Beschl. v. 06.05.2013 - X ARZ 65/13 (IPRspr 2013-203b), NJW-​RR 2013, 1399 Rz. 12 f.; BGH, Urt. v. 05.10.2010 - VI ZR 159/09 (IPRspr 2010-184b), NJW 2011, 532 Rz. 17 ff.). Das gilt selbst dann, wenn die Vermögensanlage in Form eines Beitritts zu einer Gesellschaft besteht wie etwa zu einem Fonds in Form einer Kommanditgesellschaft, weil und sofern - wie in der Regel - im Vordergrund nicht die Erlangung der Gesellschafterstellung, sondern die Kapitalanlage steht (vgl. zum europarechtlichen Verbrauchbergriff EuGH, Urt. v. 15.04.2010, Rs. C-​215/08). Deshalb ist das von der Beklagten vorgebrachte Argument, die Beteiligung sei aktienähnlich und es stehe die Zuführung von Eigenkapital im Vordergrund, nicht tragfähig. Das Genussrecht verlieh keine Beteiligtenstellung, die „Aktienähnlichkeit“ beschränkt sich darauf, dass die schuldrechtlichen Rechtsbeziehungen ähnlich sind wie bei Aktionären (vgl. Habersack in: MünchKommAktG, aaO, § 221 Rz. 86), insbesondere was die Beteiligung am Verlust angeht. Dies alleine begründet – nicht anders als bei einer Kommanditbeteiligung – keine Ausnahme von der Qualifizierung als Verbrauchergeschäft.

[22]Betrachtet man im Speziellen das von der Klägerin mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten abgeschlossene Rechtsgeschäft der Genussrechtsbeteiligung, so ist es nach dessen Ausgestaltung, die eine Einzahlung in Raten über einen langen Zeitraum und eine langfristige Bindung mit einer Kündigungsfrist von vielen Jahren vorgesehen hat, nur für die Anlage im Rahmen privater Vermögensverwaltung und nicht im Kontext unternehmerischer Betätigung geeignet und bestimmt gewesen (vgl. auch OLG Celle, Beschl. v. 29.01.2021 - 9 U 66/20, Rz. 15 bei juris). Es erscheint ausgeschlossen, dass ein Unternehmer welcher Art auch immer Kapital auf diese Weise bindet. Hiermit nimmt der Senat nicht etwa eine Amtsermittlung vor, wie die Beklagte meint, sondern eine Würdigung des unstreitigen Prozessstoffs.

[23]cc)

[24]Richtig hat das Landgericht auch entschieden, dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten ihre gewerbliche Tätigkeit auf Deutschland ausgerichtet hatte. Dass es hier um die „Passivtätigkeit“ ging, worunter die Beklagte das Einwerben und Einsammeln von Anlagegeldern versteht, und dass diese Mittel im Vereinigten Königreich investiert wurden („Aktivtätigkeit“), steht dem nicht entgegen. Bei diesen zwei Seiten des Geschäftsmodells ist ausschlaggebend, welchem Bereich das von der Klägerin zur Klagebegründung herangezogene Vertragsverhältnis zuzuordnen ist. Das ist die Zeichnung des Genussrechts und nicht die Investition der angelegten Mittel. Dass die Rechtsvorgängerin die Genussrechte auf dem deutschen Markt angeboten hatte, ist nach den Feststellungen des Landgerichts unstreitig.

[25]c)

[26]Auf die Klausel zum Gerichtsstand in § 13 der Genussrechtsbedingungen kommt es nicht an, denn der dort vereinbarte Gerichtsstand ist nicht ausschließlich. Übereinstimmend mit Art. 19 Nr. 2 EuGVVO heißt es in § 13 Abs. 2 Satz 2 der Genussrechtsbedingungen: „Die Gerichtsstandsvereinbarung beschränkt nicht das Recht eines Genussrechtsinhabers, Verfahren vor einem anderen zuständigen Gericht anzustrengen.“ Das Wahlrecht nach Art. 17 Abs. 1 EuGVVO wird damit allenfalls um einen zusätzlichen Gerichtsstand erweitert.

[27]d)

[28]Eine Streitigkeit im Sinne von Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 EuGVVO um die Auflösung einer Gesellschaft liegt nicht vor. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen landgerichtlichen Urteil auf S. 8 Bezug genommen.

[29]II.

[30]Die Berufung hat in der Sache zum überwiegenden Teil Erfolg …

[31]1. a)

[32]Zu Unrecht problematisiert die Klägerin allerdings in der Berufungsbegründung (BA 49 ff.) das anwendbare Recht und die Wirksamkeit der Klausel zur Wahl österreichischen Rechts in den Genussrechtsbedingungen mit Blick auf die Rom I-​VO.

[33]Denn diese gilt nach ihrem Art. 28 nur für ab 17.12.2009 geschlossene Verträge. Für bis einschließlich 16.12.2009 geschlossene Verträge gilt demgegenüber das EVÜ bzw. dessen Inkorporation durch die Art. 27 ff. EGBGB a.F. weiter (vgl. Leible in: Hüßtege/Mansel, BGB, Rom-​Verordnungen - EuErbVO - HUP, 3. Aufl., Art. 28 Rom I-​VO Rz. 1; Martiny in: MünchKommBGB, 8. Aufl., Art. 28 Rom I-​VO Rz. 5; jeweils m.w.N.).

[34]Die Vereinbarung über die Genussrechtsbeteiligung der Klägerin wurde offensichtlich vor dem 17.12.2009 geschlossen. Zwar ist ein Datum nicht vorgetragen, ein Zeichnungsschein oder vergleichbares Vertragsdokument nicht vorgelegt (die Anlage K 1 enthält kein Datum bzw. ein solches ist jedenfalls auf der schlechten Abbildung nicht erkennbar). Der frühere Zeitpunkt lässt sich aber aus den Angaben im Schreiben der Anlegerverwaltung vom 19.03.2010 (Anlage K 5) schließen, wonach die Kündigung der Klägerin wegen fehlender Volleinzahlung erst nach Ablauf von 20 vollen Geschäftsjahren möglich sei und damit frühestens zum 31.12.2028. Dieser ihnen bereits mit Verfügung des Senats vom 11.12.2020 (S. 4 f. unter II.1.; BA 105 f.) mitgeteilten Würdigung sind die Parteien nicht entgegengetreten.

[35]b)

[36]Das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien unterliegt gem. Art. 27 Abs. 1 EGBGB a.F. aufgrund der vereinbarten Rechtswahlklausel in § 13 Abs. 1 der Genussrechtsbedingungen österreichischem Recht. Dabei ist anzumerken, dass die Frage nach dem auf das Vertragsverhältnis anwendbaren Recht im Ergebnis nur für die Entscheidung über die Zinsforderungen von Bedeutung ist, während sich die Rechtslage nach deutschem und österreichischen Recht im Übrigen auch und insbesondere in Bezug auf die verschmelzungsrechtlichen Fragen nicht unterscheidet (s.u. 2. c) aa)).

[37]aa)

[38]Selbst wenn man die Rechtswahlklausel - mit der Berufung (BA 49) - als Allgemeine Geschäftsbedingung erachten würde, stünde dies der Wirksamkeit der Rechtswahlklausel nicht entgegen.

[39](1)

[40]Für die Prüfung der Wirksamkeit der Rechtswahlklausel wäre in diesem Fall nach Art. 31 Abs. 1 EGBGB a.F. das Recht maßgebend, das nach der Klausel angewendet werden soll (vgl. BGH, Urt. v. 25.01.2005 - XI ZR 78/04 (IPRspr 2005-12), NJW-​RR 2005, 1071, 1072 m.w.N.). Nach dem insoweit in Rede stehenden österreichischen Recht reicht auch die Vereinbarung einer Rechtswahl in Allgemeinen Geschäftsbedingungen grundsätzlich aus (vgl. nur OGH, Urt. v. 13.12.2012 - 1Ob48/12h). Ein Anderes gilt nach neuerer Rechtsprechung des OGH - im Hinblick auf das Urteil des EuGH vom 28.07.2016 (C-​191/15, NJW 2016, 2727 ff.) - nur dann, wenn unter Geltung der Rom I-​VO eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene Rechtswahlklausel einen Verbraucher in die Irre führt, indem sie ihm den Eindruck vermittelt, auf den Vertrag sei nur das gewählte Recht dieses Mitgliedstaats anwendbar, ohne ihn darüber zu unterrichten, dass er nach Art. 6 Abs. 2 der Rom I-​VO auch den Schutz der zwingenden Bestimmungen des Rechts genießt, dass ohne diese Klausel anzuwenden wäre.

[41](2)

[42]Für den vorliegenden Fall ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Verbraucherkollisionsrecht durch Art. 6 Rom I-​VO eine Ausweitung seines sachlichen Anwendungsbereichs auf sämtliche Vertragstypen (vorbehaltlich des Ausnahmekatalogs) erfahren hat, wohingegen der Anwendungsbereich der auf Art. 5 EVÜ beruhenden Vorgängernorm des Art. 29 EGBGB a.F. nach deren Abs. 1 in sachlicher Hinsicht auf Verträge über die Lieferung von beweglichen Sachen oder die Erbringung von Dienstleistungen an Verbraucher sowie auf Verträge über die Finanzierung eines solchen Geschäfts beschränkt war (vgl. Staudinger in: Ferrari/Kieninger/ Mankowski, Internationales Vertragsrecht, 3. Aufl., Art. 6 VO (EG) 593/2008 Rz. 3; Kreuzer/Wagner/ Reder in: Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-​Wirtschaftsrechts, Werkstand: 51. EL Oktober 2020, R. Europäisches IPR Rz. 173).

[43]Unter diese Kategorien lässt sich der streitgegenständliche Vertrag über die Begründung des Genussrechtsverhältnisses nicht subsumieren, da sein Gegenstand weder eine bewegliche Sache noch eine Dienstleistung noch eine diesbezügliche Finanzierung ist. Was im Besonderen den Begriff „Erbringung von Dienstleistungen" in Art. 29 Abs. 1 EGBGB n.F. betrifft, so umfasst dieser - hier nicht gegebene - tätigkeitsbezogene Leistungen an einen Verbraucher, die aufgrund von Dienst-​, Werk- und Werklieferungsverhältnissen sowie Geschäftsbesorgungsverhältnissen erbracht werden (BGH, Urt. v. 26.10.1993 - XI ZR 42/93 (IPRspr. 1993 Nr. 37), NJW 1994, 262, 263).

[44]Dies hat im vorliegenden Fall zur Konsequenz, dass - wie oben bereits erwähnt - hinsichtlich der Frage der internationalen Zuständigkeit von einer Verbrauchersache i.S. von Art. 17 Abs. 1 c), Art. 18 EuGVVO auszugehen ist, da das EuGVVO n.F. - mit dessen weiter gefasstem Begriff der Verbrauchersache - gem. Art. 66 Abs. 1 auf Verfahren anzuwenden ist, die - wie der vorliegende Rechtsstreit - am 10.01.2015 oder danach „eingeleitet“ worden sind, wohingegen hinsichtlich der Frage des heranzuziehenden Sachrechts die verbraucherkollisionsrechtliche Norm des Art. 29 EGBGB a.F. wegen des enger gefassten Anwendungsbereichs nicht einschlägig ist.

[45](3)

[46]Ginge man nunmehr - mit der Berufung - hinsichtlich der Rechtswahlklausel von einer Allgemeinen Geschäftsbedingung der Beklagten aus, so wäre deren Vereinbarung gem. § 864a östABGB wirksam. Denn die Klägerin musste nach den Umständen mit einer Klausel über die Vereinbarung der Geltung österreichischen Rechts rechnen, nachdem die Rechtsvorgängerin der Beklagten zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ihren Geschäftssitz in Österreich hatte, welcher gem. § 13 Abs. 2 der Genussrechtsbedingungen zugleich Erfüllungsort - insbesondere für die vereinbarten ratierlichen Zahlungen der Klägerin - war (vgl. BGH, Urt. v. 26.10.1993 - XI ZR 42/93 (IPRspr. 1993 Nr. 37), NJW 1994, 262, 263).

[47]bb)

[48]Auch steht der Wirksamkeit der Wahl österreichischen Rechts die Vorschrift des Art. 27 Abs. 3 EGBGB a.F. nicht entgegen, weil die Rechtsvorgängerin der Beklagten zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ihren geschäftlichen Sitz in Österreich hatte und der Sachverhalt auch im Übrigen sowohl mit Deutschland als auch mit Österreich - insbesondere im Hinblick auf die bereits oben erwähnte vereinbarte Einzahlung in Raten über einen langen Zeitraum durch die in Deutschland wohnhafte Klägerin - verbunden ist (vgl. BGH, Urt. v. 25.01.2005 - XI ZR 78/04 (IPRspr 2005-12), NJW-​RR 2005, 1071, 1072; BGH, Urt. v. 26.10.1993 - XI ZR 42/93 (IPRspr. 1993 Nr. 37), NJW 1994, 262, 263 m.w.N.).

[49]cc)

[50]Das Recht des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland kann jedenfalls für die von der Klägerin aus dem Genussrechtsverhältnis abgeleiteten Rechtsfolgen deswegen nicht einschlägig sein, weil bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung innerhalb der EU infolge der eintretenden Universalsukzession beim übernehmenden Rechtsträger für die Auslegung eines von der übertragenden Gesellschaft eingegangenen Genussrechtsvertrags und seiner weiteren Durchführung oder Abwicklung dasselbe Recht wie vor der Verschmelzung anzuwenden ist (vgl. EuGH v. 07.04.2016 - C-​483/14, EuZW 2016, 339 Rz. 59).

[51]2.

[52]Die Klägerin hat ihre Beteiligung jedenfalls mit Anwaltsschreiben vom 29.04.2019 (Anlage K 7) wirksam außerordentlich gekündigt.

[53]a) ... b)

[54]Soweit die Klägerin allerdings nach erfolgter Verschmelzung zum 31.12.2018 mit oben erwähntem Anwaltsschreiben vom 29.04.2019 (Anlage K 7) die „außerordentliche fristlose Kündigung“ des Vertrages erklärt hat, greift diese durch, wenn auch - entgegen der Auffassung der Klägerin - nach allgemeinen Grundsätzen lediglich mit Wirkung ex nunc.

[55]aa) ... bb) ... c)

[56]Im vorliegenden Fall ist ein Verstoß der Beklagtenseite gegen § 8 Abs. 2 der Genussrechtsbedingungen gegeben.

[57]§ 8 der Genussrechtsbedingungen enthält unter der Überschrift „Bestandsschutz“ folgende Regelungen:

[58]„1. Der Bestand der Genussrechte wird vorbehaltlich § 5 dieser Bedingungen im Falle der Beteiligung der Gesellschaft an einem Umwandlungsvorgang oder Bestandsübertragung der Gesellschaft nicht berührt.

[59]2. Im Falle einer Maßnahme nach Absatz 1 sind den Genussrechtsinhabern gleichwertige Rechte an dem neuen / übernehmenden Rechtsträger einzuräumen.“

[60]Der Klägerin sind jedoch von der Beklagten als übernehmenden Gesellschaft im Zusammenhang mit der Verschmelzung keine Rechte übertragen worden, die als gleichwertige Rechte zu den vormaligen Genussrechten anzusehen wären.

[61]aa)

[62]Was die rechtlichen Anforderungen an die Gewährung gleichwertiger Rechte angeht, so unterscheidet sich insoweit die Rechtslage nach dem deutschen wie auch nach dem vorliegend kraft Rechtswahl zur Anwendung kommenden österreichischen Recht nicht, zumal es auf denselben EU-​Richtlinien zu nationalen und grenzüberschreitenden Verschmelzungen beruht.

[63](1)

[64]Bei Anwendung deutschen Rechts würde sich die Verpflichtung der Beklagten als übernehmender Rechtsträgerin zur Gewährung gleichwertiger Rechte für Genussrechtsinhaber des übertragenden Rechtsträgers aus § 23 UmwG ergeben, dies wegen der grenzüberschreitenden Verschmelzung i.V.m. § 122a Abs. 2 UmwG.

[65]In Österreich sind die grenzüberschreitenden Verschmelzungen im EU-​Verschmelzungsgesetz (öBGBl. I 2007, 72) geregelt, das nach § 1 für sämtliche Kapitalgesellschaften, also auch bei Beteiligung von GmbHs gilt. § 13 Abs. 2 dieses Gesetzes bestimmt u.a., dass die erforderliche Verschmelzungsbescheinigung (§ 14) erst ausgestellt werden darf, wenn u.a. „sichergestellt ist, dass den Inhabern von Schuldverschreibungen und Genussrechten gleichwertige Rechte gewährt werden“. Von der Anwendbarkeit dieses Gesetzes gingen nicht zuletzt auch die Verschmelzungspartner aus, die auf seine Vorschriften im Verschmelzungsplan (Anlage BK 10) mehrfach Bezug genommen haben. Damit ergibt sich auch nach diesem Gesetz, dass - wie bei Verschmelzungen innerhalb Österreichs (§ 226 Abs. 3 öAktG, ggf. i.V.m. § 96 Abs. 2 öGmbHG) - den Genussrechtsinhabern gleichwertige Rechte zu gewähren sind.

[66](2)

[67]§ 23 UmwG und § 226 Abs. 3 öAktG beruhen auf der entsprechenden Regelung in Art. 15 der EU-​Verschmelzungs- bzw. Fusionsrichtlinie(n) für die Verschmelzung von Aktiengesellschaften; mittlerweile ist diese Regelung in Art. 101 der Gesellschaftsrechtsrichtlinie, der Richtlinie (EU) 2017/1132 (kurz „GesRR“), übernommen worden. Mit der Anwendbarkeit auch auf Verschmelzungen, bei denen GmbHs beteiligt sind, sind beide nationale Gesetzgeber zwar über die Richtlinie hinausgegangen, dies ist aber für die Auslegung der Vorschriften aus den nachfolgenden Gründen unerheblich.

[68]Die genannten deutschen und österreichischen Normen zur grenzüberschreitenden Verschmelzung haben ihre Grundlage in der einschlägigen EU Richtlinie 2005/56/EG, die nicht nur für Aktiengesellschaften, sondern auch für andere Kapitalgesellschaften gilt und mittlerweile in den Art. 118 ff. GesRR aufgegangen ist. In diesen Richtlinienbestimmungen gibt es keine entsprechende ausdrückliche Bestimmung zur Gewährung gleichwertiger Rechte für Sonderrechtsinhaber. Weil nach dieser Richtlinie jeweils das nationale Recht anzuwenden ist, das bei der fraglichen Gesellschaft bei innerstaatlichem Recht anzuwenden wäre und weil der dritte Erwägungsgrund mit Art. 4 Abs. 1 b) und Abs. 2 der Richtlinie 2005/56/EG bzw. nunmehr Art. 121 Abs. 1 b) und Abs. 2 GesRR verlangt, dass die nationalen Gläubigerschutzvorschriften einzuhalten sind, die in Bezug auf die Gewährung gleichwertiger Rechte für Inhaber von Sonderrechten auf den genannten Richtlinienbestimmungen zur innerstaatlichen Verschmelzung beruhen, ist auch europarechtlich bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen der entsprechende Schutz dieser Gläubiger geboten (vgl. EuGH, Urt. v. 07.04.2016 - C-​483/14, EuZW 2016, 339 Rz. 60 ff. - „KA Finanz/Sparkassen Versicherung“).

[69]Allerdings bezieht sich Art. 15 der Verschmelzungsrichtlinie bzw. Art. 101 GesRR nach ihrem Wortlaut nur auf „Wertpapiere“, die ihren Inhabern Sonderrechte gewähren, womit nur verbriefte Rechte gemeint sein dürften (siehe etwa Rieder in: Habersack/Wicke, UmwG, § 23 Rz. 3; Hüffer in: Festschrift Lutter, 2000, 1227, 1234; Vossius in: Widmann/Mayer, UmwG, § 23 Rz. 1.10). Demgegenüber erfassen nach allgemeiner Meinung die nationalen deutschen und österreichischen Vorschriften schon nach ihrem Wortlaut (z.B. „Genussrechte“ statt „Genussscheine“) die verschiedenen Gestaltungen unabhängig von einer Verbriefung. Sie sind zwar nur im unmittelbaren Anwendungsbereich der jeweils einschlägigen Richtlinie richtlinienkonform auszulegen, angesichts desselben Schutzbedürfnisses der Inhaber unverbriefter Rechte und desselben Schutzzwecks kommt aber nur eine einheitliche Auslegung in Betracht (Simon, aaO). Abgesehen davon betont auch Erwägungsgrund 51 der GesRR den Schutz sämtlicher Gläubiger und Inhaber anderer Rechte der sich verschmelzenden Gesellschafter. Eine unterschiedliche Behandlung verbriefter und unverbriefter Rechte ist jedenfalls nicht gerechtfertigt.

[70]Letztlich bestimmt ja auch § 8 Abs. 2 der Genussrechtsbedingungen, dass gleichwertige Rechte an dem übertragenden Rechtsträger einzuräumen sind. Soweit § 8 Abs. 1 davon spricht, dass ein Umwandlungsvorgang die Beteiligung nicht berühre ist, steht dies dazu im Widerspruch und ist dies „objektiv falsch“ (vgl. Driver, BB 2014, 195, 199), aber letztlich unerheblich, weil Abs. 2 offensichtlich mit Rücksicht auf die ohnehin zwingend zur Anwendung kommenden gesetzlichen Regeln nach beiden Rechtsordnungen die Folge von Umwandlungen, insbesondere wenn es wie hier um eine Verschmelzung geht, beschreibt.

[71]bb) ... cc) ...dd) ... ee) ... 4.

[72]Die auf den Hauptanspruch mit Zinslauf seit 15.05.2019 geltend gemachte Zinsforderung i.H. von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz steht der Klägerin lediglich mit Zinslauf ab 01.04.2020 und höchstens i.H. von 4 % p.a. zu (vgl. §§ 1333 Abs. 1, 1334 Sätze 1 und 3 i.V.m. § 1000 Abs. 1 östABGB), wie dies in Ziff. 1 des Tenors des vorliegenden Urteils entsprechend Ausdruck gefunden hat (vgl. OLG Dresden, Urt. v. 03.03.2021 - 5 U 1581/20 (2); Anlage BK 27, S. 14 f. des Umdrucks).

[73]a)

[74]Nach § 1333 Abs. 1 östABGB wird der Schaden, den der Schuldner seinem Gläubiger durch die Verzögerung der Zahlung einer Geldforderung zugefügt hat, durch die gesetzlichen Zinsen (§ 1000 Abs. 1 östABGB) vergütet. Gem. § 1334 Satz 1 östABGB fällt eine Verzögerung einem Schuldner zur Last, wenn er den durch Gesetz oder Vertrag bestimmten Zahlungstag nicht einhält. Ist die Zahlungszeit sonst nicht bestimmt, so trägt der Schuldner die Folgen der Zahlungsverzögerung, wenn er sich nach dem Tag der gerichtlichen oder außergerichtlichen Einmahnung nicht mit dem Gläubiger abgefunden hat (§ 1334 Satz 3 östABGB).

[75]b)

[76]Im vorliegenden Fall ist der Rückzahlungsanspruch gem. § 6 Abs. 4 Satz 2 der Genussrechtsbedingungen nach Maßgabe des § 4 Abs. 5 der Genussrechtsbedingungen fällig. Die letztgenannte Bestimmung sieht in deren Satz 1 für die Zahlung der Dividenden eine Fälligkeit jeweils drei Monate nach Ende des Geschäftsjahres vor.

[77]Da der Rückzahlungsanspruch nicht bereits aufgrund der zum 31.12.2018 erfolgten Verschmelzung entstanden ist, sondern erst durch die außerordentliche Kündigung der Klägerin mit Anwaltsschreiben vom 29.04.2019 (Anlage K 7), hat dies bei sinngemäßer Anwendung von § 4 Abs. 5 der Genussrechtsbedingungen zur Konsequenz, dass dessen Fälligkeit erst während des laufenden Rechtsstreits mit Ablauf des 31.03.2020 eingetreten ist. Dies hat zur Folge, dass der Zinslauf erst mit dem 01.04.2020 einsetzt.

[78]5.

[79]Zwar kann der Gläubiger nach § 1333 Abs. 2 östABGB außer den gesetzlichen Zinsen auch den Ersatz anderer, vom Schuldner verschuldeter und ihm erwachsener Schäden geltend machen, insbesondere die notwendigen Kosten zweckentsprechender außergerichtlicher Beitreibungs- oder Einbringungsmaßnahmen, soweit diese in einem angemessenen Verhältnis zur betriebenen Forderung stehen.

[80]Da jedoch im vorliegenden Fall die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin, welche mit Schreiben vom 29.04.2019 (Anlage K 7) die außerordentliche Kündigung ausgesprochen haben, vor Fälligkeit der verfolgten Hauptforderung erfolgte, besteht ein entsprechender Anspruch auf Ersatz außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten ebenso wenig wie der hieraus geltend gemachte akzessorische Zinsanspruch.

[81]6. ...

Fundstellen

LS und Gründe

BeckRS, 2021, 17797

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2021-325

Lizenz

Copyright (c) 2024 Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht
Creative-Commons-Lizenz Dieses Werk steht unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.