Eine Klage aus einem zur Insolvenzvermeidung ausgestellten Comfort Letter stellt keine unmittelbar aus einem Insolvenzverfahren hervorgehende und damit in engem Zusammenhang stehende Klage iSv. Art. 6 I EuInsVO dar.
Ein Gericht in England, vor dem vor Ablauf des Übergangszeitraums nach Art. 126 Brexit-Austrittsabkommen ein gerichtliches Verfahren eingeleitet worden ist, ist im Übergangszeitraum und auch danach als das „Gericht eines Mitgliedstaates“ im Sinne des Art. 31 II EuGVVO zu behandeln.
Zur Frage, inwieweit ein nach Art. 25 EuGVVO möglicherweise derogiertes Gericht bei der Anwendung des Art. 31 II EuGVVO prüfen darf, ob die fragliche Gerichtsstandsvereinbarung tatsächlich zur ausschließlichen Zuständigkeit eines anderen Gerichts führt (sog. umgekehrte Torpedoklage).
Es sind auch solche Gerichte im Sinne des Art. 31 II EuGVO ausschließlich zuständig, deren Zuständigkeit durch eine asymmetrische, also einseitig begünstigende Gerichtsstandsklausel begründet wird.
Es sind auch solche Gerichte im Sinne des Art. 31 II EuGVO ausschließlich zuständig, deren Zuständigkeit durch eine Gerichtsstandsklausel begründet wird, die nur die Gerichte eines Mitgliedstaats als solche als zuständig benennt. [LS von der Redaktion neu gefasst]
Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der A. B. plc. i.L. (fortan: Schuldnerin), die - auch in ihrer Eigenschaft als Komplementärin der A. B. plc. & Co. KG - eine Luftfahrtgesellschaft betrieb. Die Beklagte ist eine Aktiengesellschaft nach dem Recht der Vereinigten Arabischen Emirate. Sie erwarb bis zum Dezember 2011 Geschäftsanteile der Schuldnerin. In der Folgezeit stellte die Beklagte der Schuldnerin verschiedentlich Liquidität zur Verfügung. Mit Datum vom 28.4.2017 schlossen die Schuldnerin als Darlehensnehmerin (Borrower) und die Beklagte als Darlehensgeberin (Lender) einen Darlehensvertrag (Facility Agreement). Zu Ziffer 32 des Darlehensvertrages bestimmten dessen Parteien die Anwendbarkeit englischen Rechts. Ferner enthält dieser zu Ziffer 33 eine asymmetrische, ausschließlich für die Schuldnerin verpflichtende Gerichtsstandsklausel zugunsten englischer Gerichte. Ebenfalls am 28.4.2017 unterzeichnete der CEO der Beklagten unter deren Briefkopf einen Comfort Letter an die Geschäftsführer der Schuldnerin, in dem er die Absicht der Beklagten versicherte, während der kommenden 18 Monate für die erforderliche finanzielle Ausstattung der Schuldnerin aufzukommen. Am 15.8.2017 stellte die Schuldnerin Insolvenzantrag. Das Verfahren wurde am 1.11.2017 vor dem Amtsgericht Charlottenburg in Berlin als Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet und der Kläger zum Sachwalter bestellt. Am 16.1.2018 wurde die Eigenverwaltung aufgehoben und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.
Mit der bei dem Landgericht am 25.7.2018 angebrachten Klage nimmt der Kläger die Beklagte auf Zahlung und auf die Feststellung in Anspruch, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm alle Schäden zu ersetzen, die der Schuldnerin durch die Verletzung der Pflichten der Beklagten aus dem Comfort Letter, hilfsweise wegen Verletzung der vorvertraglichen Pflichten der Beklagten im Zusammenhang mit dem Comfort Letter entstanden seien. Am 22.1.2019 hat die Beklagte gegen den Kläger ihrerseits Klage vor dem High Court of Justice (London, England, fortan: High Court) mit verschiedenen Anträgen erhoben. Diese Klage nimmt Bezug auf die hiesige Klageschrift und ist gerichtet unter anderem auf die Feststellung, dass die Beklagte „is not liable for breach of the Comfort Letter“ oder „on the basis of culpa in contrahendo“, jeweils „as alledged in the German Proceedings”. Mit Schriftsatz vom 10.4.2019 hat der hiesige Kläger in dem dortigen Verfahren die Zuständigkeit des High Court gerügt und beantragt, dass das dortige Verfahren ausgesetzt werde, bis das Landgericht Berlin sich für zuständig erklärt habe. Der High Court hat über diesen Antrag mündlich verhandelt und ihn am 18.11.2019 zurückgewiesen. Der High Court hat ein Rechtsmittel nur hinsichtlich der Frage zugelassen, ob eine asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarung wirksam sein könne. Mit Schriftsatz vom 20.1.2019 hatte die Beklagte im hiesigen Rechtsstreit beantragt, das Verfahren gemäß Art. 31 II EuGVO auszusetzen. Der Kläger ist dem Antrag entgegengetreten. Unter dem 13.5.2020 hat das Landgericht beschlossen, das Verfahren bis zur abschließenden Entscheidung des High Court über seine Zuständigkeit auszusetzen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Klägers. Mit Beschluss vom 10.7.2020 hat das Landgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Kammergericht zur Entscheidung vorgelegt.
[1]B.
[2]Die nach §§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 569 ZPO statthafte und auch sonst zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die auf Art. 31 Abs. 2 EuGVVO gestützte Aussetzungsentscheidung des Landgerichts ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Aussetzung scheidet nicht schon deshalb aus, weil auf den hiesigen Rechtsstreit die EuGVVO in ihrer Gesamtheit gar keine Anwendung fände (sogleich zu I.). Die Regelung in Art. 31 Abs. 2 EuGVVO ist weiter nicht im Hinblick auf das zwischenzeitliche Ausscheiden des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union unanwendbar (sodann zu II.). Es besteht auch kein Vorrang einer Klageabweisung als unzulässig, nachdem das Landgericht Berlin „an sich“ für die Klage des Schuldners gegen die Beklagte international zuständig wäre (sodann zu III.). Die Aussetzung nach Art. 31 Abs. 2 EuGVVO ist schließlich auch materiell geboten, weil für die hiesige Streitigkeit die Gerichte des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland gemäß einer Vereinbarung nach Art. 25 EuGVVO ausschließlich zuständig sind (schließlich zu IV.).
[3]I. Die vom Landgericht herangezogene Aussetzungsvorschrift des Art. 31 Abs. 2 EuGVVO ist vorliegend nicht deswegen unanwendbar, weil die EuGVVO insgesamt für „Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren“ keine Anwendung findet (Art. 1 Abs. 2 lit. b) EuGVVO).
[4]EuGVVO und InsVfVO sind im Rahmen der Abgrenzung ihrer Anwendungsbereiche so auszulegen, dass jede Regelungslücke und Überschneidung zwischen den in ihnen enthaltenen Rechtsvorschriften vermieden wird. Dementsprechend gehören die Klagen, die nach Art. 1 Abs. 2 lit. b) EuGVVO von deren Anwendungsbereich ausgeschlossen sind, in den Anwendungsbereich der InsVfVO. Spiegelbildlich fallen die Klagen, die nicht in den Anwendungsbereich der InsVfVO fallen, in denjenigen der EuGVVO (vgl. EuGH, Urteil vom 18. September 2019 - C-47/18, ZIP 2019, 1872, Rn. 33 EuGH, Urteil vom 4. Oktober 2018 - C-337/17, ZInsO 2018, 2463‚ Rn. 30 EuGH, Urteil vom 20. Dezember 2017 - C-649/16, EuZW 2018, 94‚ Rn. 24).
[5]Gemäß dem Wortlaut der danach maßgeblichen Regelung in Art. 6 Abs. 1 InsVfVO sind die Gerichte desjenigen Mitgliedstaates, in dem das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet worden ist, zuständig für alle Klagen, die unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang damit stehen, wie beispielsweise Anfechtungsklagen. Diese zweigliedrige Klausel geht auf die Gourdain-Entscheidung (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Februar 1979 - 133/78, Slg 1979, 733, Rn. 4) zu Art. 1 Abs. 2 lit. b) EuGVÜ 1968 zurück und wird durch den Erwägungsgrund 35 der InsVfVO flankiert, in Sätzen 2 und 3 wie folgt:
[6]„zu solchen Klagen sollten unter anderem Anfechtungsklagen gegen Beklagte in anderen Mitgliedstaaten und Klagen in Bezug auf Verpflichtungen gehören, die sich im Verlauf des Insolvenzverfahrens ergeben, wie z. B. zu Vorschüssen für Verfahrenskosten. Im Gegensatz dazu leiten sich Klagen wegen der Erfüllung von Verpflichtungen aus einem Vertrag, der vom Schuldner vor der Eröffnung des Verfahrens abgeschlossen wurde, nicht unmittelbar aus dem Verfahren ab.“
[7]Bei alledem soll nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH der Anwendungsbereich der InsVfVO nicht weit ausgelegt werden, während der Verordnungsgeber den in Art. 1 Abs. 1 EuGVVO enthaltenen Begriff „Zivil- und Handelssachen“ und damit den Anwendungsbereich der EuGVVO weit fassen wollte (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Februar 2019 - C-535/17, ZIP 2019, 524, Rn. 25; EuGH, Urteil vom 9. November 2017 - C-641/16, ZIP 2017, 2275, Rn. 18 - Tünkers; EuGH, Urteil vom 10. September 2009 - C-292/08, Slg 2009, I-8421, Rn. 25 - German Graphics).
[8]Nach der EuGH-Spruchpraxis sind unmittelbar aus einem Insolvenzverfahren hervorgehende und damit in engem Zusammenhang stehende Klagen (sog. Annexklagen) hinsichtlich der deutschen Insolvenzordnung beispielsweise Insolvenzanfechtungsklagen oder Klagen des Insolvenzverwalters einer insolventen Gesellschaft gegen deren Geschäftsführer auf Rückzahlung von Beträgen (vgl. EuGH, Urteil vom 4. September 2014 - C-157/13, ZIP 2015, 96, Rn. 24; EuGH, Urteil vom 4. Dezember 2014 - C-295/13, ZIP 2015, 196, Rn. 24 ff. - H ./. H. K.). Dagegen hat der EuGH eine Klage auf Erbringung von Beförderungsdienstleistungen, die von dem Verwalter eines insolventen Unternehmens gegen den in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Empfänger dieser Dienstleistungen gerichtet war, als eine zur Anwendbarkeit der EuGVVO führende Zivil- und Handelssache angesehen (vgl. EuGH, Urteil vom 4. September 2014 - C-157/13, ZIP 2015, 96, Rn. 28 ff. - Nickel & Goeldner). Nach Auffassung des BGH werden schließlich Klagen, mit denen ein Insolvenzverwalter schuldrechtliche Ansprüche aus Geschäften geltend macht, welche die Schuldnerin vor Insolvenzeröffnung mit Dritten geschlossen hat, generell nicht als insolvenzrechtliche Annexverfahren im genannten Sinne qualifiziert (vgl. Urteil vom 16. September 2015 -
[9]Bei dem vorliegenden Rechtsstreit handelt es sich in gehöriger Anwendung der von dem EuGH entwickelten Grundsätze und unter Berücksichtigung von dessen Spruchpraxis nicht um eine Klage, die im Sinne des Art. 6 Abs. 1 InsVfVO unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgeht, und zwar sowohl betreffend das Hauptvorbringen (sogleich zu 1.) als auch, soweit der Kläger seine Klage hilfsweise auf die Grundsätze der Art. 19 Abs. 4 GG stützt (sodann zu 2.).
[10]1. Zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass der vorliegende Rechtsstreit um die in der Hauptsache geltend gemachten Ansprüche der Schuldnerin aus dem Comfort Letter nicht unmittelbar aus dem von dem Kläger in Deutschland geführten Insolvenzverfahren hervorgeht.
[11]Dabei ist an dieser Stelle nicht entscheidend, dass der Kläger als Insolvenzverwalter tätig wird, die Schuldnerin selbst nicht prozessführungsbefugt wäre und der erstrittene Betrag der Masse zugutekäme, was wiederum Gläubiger befriedigen könnte. Für den EuGH ist das ausschlaggebende Kriterium zur Bestimmung des Gebiets, dem eine Klage zuzurechnen ist, gerade nicht der prozessuale Kontext, in dem diese Klage steht, sondern vielmehr deren Rechtsgrundlage. Nach diesem Ansatz ist zu prüfen, ob der Anspruch oder die Verpflichtung, die der Klage als Grundlage dient, den allgemeinen Regelungen des Zivil- und Handelsrechts entspringt oder aber den abweichenden Spezialregelungen für Insolvenzverfahren (vgl. EuGH, Urteil vom 18. September 2019 - C-47/18, ZIP 2019, 1872, Rn. 36; EuGH, Urteil vom 6. Februar 2019 - C-535/17, ZIP 2019, 524, Rn. 28; EuGH, Urteil vom 4. September 2014 - C-157/13, ZIP 2015, 96, Rn. 27; s.a. BGH, Urteil vom 16. September 2015 -
[12]Nach diesem Maßstab ist eine Zahlungsklage wie die vorliegende, die durch den Insolvenzverwalter erhoben, dabei aber auf eine seitens der Schuldnerin vor der Insolvenz abgeschlossene, vertragliche Vereinbarung des Zivil- und Handelsrechts gestützt wird, ihrerseits eine solche des Zivil- und Handelsrechts (ebenso bereits EuGH, Urteil vom 4. September 2014 - C-157/13, ZIP 2015, 96, Rn. 29; EuGH, Urteil vom 21. November 2019 - C-198/18, ZIP 2019, 2360 - CeDe Group). Der Kläger stützt sich auch nicht etwa auf eine Vorschrift, die - wie § 64 GmbHG - ungeachtet ihrer systematischen Zugehörigkeit zum Zivil- und Handelsrecht eine solche des Insolvenzrechts wäre, etwa weil sie die materielle Zahlungsunfähigkeit des Schuldners voraussetzt und damit von den allgemeinen Regeln des Zivil- und Handelsrechts abweicht (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 4. Dezember 2014 - C-295/13, ZIP 2015, 196, Rn. 24 ff. - H ./. H. K.). Anspruchsgrundlage ist vorliegend keine Gesetzesvorschrift sondern eine vertragliche Vereinbarung. In der Vereinbarung ist von einer Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zudem nicht die Rede. Es ist auch sonst nicht zu erkennen, dass infolge gehöriger Auslegung (§§ 133, 157 BGB, 346 HGB) die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin in vergleichbarer Weise wie in § 64 GmbHG Tatbestandsmerkmal des hiesigen Klageanspruchs wäre und die Patronatserklärung infolgedessen von den allgemeinen Regeln des Zivil- und Handelsrechts abwiche.
[13]Ein solcher Befund ergibt sich auch nicht durch die klägerische Rechtsbehauptung, durch das Eintreten der Zahlungsunfähigkeit werde die Möglichkeit erst geschaffen, den mit der hiesigen Klage verfolgten Anspruch geltend zu machen. Für die Ermittlung des zuständigen Gerichts ist von der klägerischen Darstellung auszugehen (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Juni 2016 - C-12/15, ZIP 2016, 1894, Rn. 45; EuGH, Urteil vom 28. Januar 2015 - C-375/13, ZIP 2015, 1456, Rn. 58-65 - Kolassa). Diese geht dahin, dass der Comfort Letter klagbare Ansprüche der Schuldnerin gegen die Beklagte im Sinne einer internen harten Patronatserklärung habe begründen sollen. Wäre dem so, hätte die Schuldnerin unabhängig von einer Zahlungsunfähigkeit Ausstattung von der Beklagten verlangen können (vgl. OLG Schleswig, Urteil vom 10. April 2019 -
[14]Ist die hiesige Klage damit auf allgemeine Regelungen des Zivil- und Handelsrechts gestützt, hat dies entgegen der Auffassung des Klägers nicht zur Folge, dass sich nun die weitere Prüfung anzuschließen hätte, ob ungeachtet des Zugrundeliegens von Regeln des Zivil- und Handelsrechts nicht doch etwaige Sonderregeln des Insolvenzrechts das Klageverfahren so weitgehend prägten, dass gleichwohl anzunehmen sei, dass dieses unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehe. Eine solche „Prägung“ zum Maßstab zu nehmen verbieten bereits die in Erwägungsgrund 15 zur EuGVVO niedergelegten Grundgedanken. Nach diesen sollen die Zuständigkeitsvorschriften in hohem Maße vorhersehbar sein und die Zuständigkeit solle stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt sei.
[15]Entgegen der Auffassung des Klägers bietet auch die bislang vorliegende Rechtsprechung des EuGH zur Abgrenzung von InsVfVO und EuGVVO keinen Anlass für eine solche - erneute - Prüfung, ob eine „Prägung“ vorliege.
[16]Allerdings sind nach der Rechtsprechung des EuGH Klagen auf Feststellung des Bestehens einer Forderung zum Zweck ihrer Anmeldung in einem Insolvenzverfahren vom Anwendungsbereich der EuGVVO ausgeschlossen (vgl. EuGH, Urteil vom 18. September 2019 - C-47/18, ZIP 2019, 1872, LS 2 und Rn. 40 - Riel). Gegenstand dieses Rechtsstreits war eine österreichische Prüfungsklage nach § 110 Abs. 1 Insolvenzordnung (fortan: IO AT). Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift können Gläubiger, deren Forderungen in Ansehung der Richtigkeit oder Rangordnung streitig geblieben sind, deren Feststellung mit einer Klage geltend machen, die gegen alle Bestreitenden zu richten ist. Die Parteien des dortigen Rechtsstreits stritten daher um gegen die Schuldnerin gerichtete (Insolvenz-) Forderungen. Solcherart Forderungen hat der Insolvenzverwalter nach Rangordnung und Höhe festzustellen (vgl. § 109 IO AT, im deutschen Recht vergleichbar nach § 175 InsO). Entsteht über Rangordnung und Höhe Streit, geht dieser unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervor, steht in engem Zusammenhang mit diesem und hat darin seinen Ursprung. Vorliegend streiten die Parteien aber weder um eine Forderung, welcher der Kläger als Insolvenzverwalter die Anerkennung zur Tabelle verweigert hätte, noch überhaupt um das Verhalten des Klägers in seiner Rolle als feststellende Instanz im Insolvenzverfahren. Vielmehr macht der Kläger eine Forderung der Schuldnerin gegen die Beklagte geltend, ohne dass sein Handeln im Rahmen des Insolvenzverfahrens Streitgegenstand wäre.
[17]Der Entscheidung des EuGH vom 18. September 2019 ist entgegen der privatgutachterlich unterstützten Darstellung des Klägers nichts dafür zu entnehmen, dass nunmehr - im Sinne eines Paradigmenwechsels - tatsächlich auch in der hiesigen Fallgestaltung neben dem Ursprung des Klageanspruchs die Frage aufzuwerfen sei, ob nicht andere Normen dem Insolvenzstatut unterfielen und diese das Verfahren prägten. Es ist nicht erkennbar, dass der EuGH von seiner bisherigen Rechtsprechung überhaupt hätte abweichen wollen. Diese wird im Gegenteil von ihm als Grundlage angeführt. Zugleich betont der EuGH als das ausschlaggebende Kriterium, das er zur Bestimmung des Gebiets gewählt habe, dem eine Klage zuzuordnen ist, deren Rechtsgrundlage (vgl. EuGH, Urteil vom 18. September 2019 - C-47/18, ZIP 2019, 1872, LS 2 und Rn. 36 - Riel). Da es sich bei der Prüfungsklage nach § 110 Abs. 1 IO AT um ein Instrument im Insolvenzverfahren handelt, erstaunt zudem - wie bereits ausgeführt - nicht, dass diese Rechtsgrundlage nach Einschätzung des EuGH insolvenzrechtlich geprägt ist.
[18]Für die Sichtweise des Klägers kann dieser auch nicht mit Erfolg anführen, dass der EuGH die Anwendbarkeit der InsVfVO in einem Fall mit der Begründung abgelehnt hat, die fraglichen Klagen seien „keine im Interesse aller Gläubiger auszuübenden ausschließlichen Prärogativen des Verwalters“, vielmehr „es sich um Rechte handel[e], die [die Schuldnerin] in ihrem eigenen Interesse wahrnehmen“ könne (vgl. EuGH, Urteil vom 18. Juli 2013 - C-147/12, ZIP 2013, 1932, Rn. 25 - Östergötlands Fastigheter AB). Hieraus ist nicht der Umkehrschluss zu ziehen, dass das Gläubigerinteresse maßgeblich sei und nicht die Rechtsgrundlage des Klageanspruchs. An der angegebenen Stelle befasst sich der EuGH mit dem Merkmal des „engen Zusammenhangs mit einem Insolvenzverfahren“ und nicht mit dem hier maßgeblichen Merkmal, ob denn der Rechtsstreit „unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgeh[e]“. Nachdem beide Kriterien kumulativ vorliegen müssen, kann auch aus der Behandlung des zweiten Merkmals durch den EuGH nicht auf das Vorliegen des ersten Merkmals geschlossen werden.
[19]2. Um eine Klage, die unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgeht, handelt es sich ebenso wenig, soweit der Kläger seine Klage hilfsweise auf die Grundsätze der culpa in contrahendo stützt. Folgerichtig kommt es nicht darauf an, ob die Rechtsnatur eines Hilfsbegehrens die Gerichtszuständigkeit überhaupt beeinflussen könnte.
[20]In seiner Hilfsbegründung macht der Kläger geltend, die Beklagte habe vorvertragliche Pflichten gegenüber der Schuldnerin verletzt, indem sie deren Vertrauen erweckte, sich trotz der - nach dem Hilfsvorbringen: nicht eindeutig verbindlichen - Formulierung des Comfort Letter an die dortige Finanzierungszusage zu halten, und der Schuldnerin später dennoch die bereits zugesagte Finanzierung entzog (Klageschrift, Rn. 207).
[21]Der Rechtscharakter des durch die Vertragsanbahnung entstehenden Vertrauensschuldverhältnisses teilt jedoch die Rechtsnatur des anzubahnenden Vertrages. Wenn die Parteien mit dem Comfort Letter eine vertragliche Vereinbarung des Zivil- und Handelsrechts anbahnten, kann die aus der etwaigen Verletzung des zugehörigen vorvertraglichen Vertrauensschuldverhältnisses sich gegebenenfalls ergebene Schadensersatzpflicht (deutschrechtlich nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB) nicht insolvenzrechtlicher Natur sein. Im Gegenteil waren die Bestrebungen der Parteien übereinstimmend darauf gerichtet, für den Jahresabschluss 2016 der Schuldnerin durch die Abschlussprüfer die Bestätigung des going concern zu erhalten und so eine Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin gerade zu vermeiden.
[22]II. Die Regelung in Art. 31 Abs. 2 EuGVVO ist weiterhin nicht deswegen unanwendbar, weil die Beklagte zu dem im hiesigen Rechtsstreit anhängigen Streitgegenstand (sogleich zu 1.) kein „Gericht eines Mitgliedstaats angerufen“ hätte (sodann zu 2.).
[23]1. Parteiidentität und Identität des Streitgegenstandes sind vom Landgericht zutreffend bejaht worden. Bei dem High Court ist u.a. der hiesige Streitgegenstand in einem Rechtsstreit umgekehrten Rubrums anhängig. Dort wird seitens der Beklagten u.a. die Feststellung begehrt, sie sei „not liable for breach of the Comfort Letter“ oder „on the basis of culpa in contrahendo“, jeweils „as alledged in the German Proceedings” (Anlage B1, Seite 4). Zwischen positiver Leistungsklage und negativer Feststellungsklage wird bei dieser Beurteilung nicht unterschieden (vgl. Gottwald in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Auflage 2017, Art. 31 Brüssel Ia-VO, Rn. 3; Wais GPR 2015, 142, 146), so dass es sich um denselben Streitgegenstand handelt. Die Klage vor dem High Court ist zugestellt und Rechtshängigkeit hergestellt worden.
[24]2. Der High Court ist in dem hiesigen Rechtsstreit gegenwärtig und absehbar als das „Gericht eines Mitgliedstaates“ im Sinne des Art. 31 Abs. 2 EuGVVO zu behandeln.
[25]Zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des bei ihm angebrachten Verfahrens im Februar 2019 war er dies ohne Zweifel. Durch das zwischenzeitliche Ausscheiden des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union mit Verstreichen des 31. Januar 2020 ist indes keine für das hiesige Verfahren erhebliche Änderung eingetreten. Dies folgt für die Zeit bis zum 31. Dezember 2020 als dem vorgesehenen Ende des sog. Übergangszeitraums nach Art. 126 des Austrittsabkommens aus Art. 127 Abs. 1 und Abs. 6 Austrittsabkommen (sogleich zu a.). Für die Zeit nach dem Ende des Übergangszeitraumes ergibt sich Vergleichbares aus Art. 67 Abs. 1 Austrittsabkommen (sodann zu b.).
[26]a) Nach Art. 127 Abs. 1 Austrittsabkommen gilt das Unionsrecht während des Übergangszeitraums für das Vereinigte Königreich sowie im Vereinigten Königreich, sofern in dem Abkommen nichts anderes bestimmt ist. Die Ausnahmen nach Art. 127 Abs. 1 UAbs. 2 lit. a) und b) Austrittsabkommen sind nicht einschlägig. Auch aus Art. 127 Abs. 6 Austrittsabkommen ergibt sich ebenfalls keine abweichende Bestimmung. Nach Abs. 6 schließen während des Übergangszeitraums alle Bezugnahmen auf Mitgliedstaaten in dem nach Absatz 1 geltenden Unionsrecht, einschließlich der Durchführung und Anwendung durch die Mitgliedstaaten, das Vereinigte Königreich ein, sofern wiederum im Abkommen nichts anderes bestimmt ist. Auch insoweit ist eine anderweitige Bestimmung nicht ersichtlich, so dass der High Court auch im Übergangszeitraum „Gericht eines Mitgliedstaates“ im Sinne des Art. 31 Abs. 2 EuGVVO ist, wie er es zuvor war.
[27]aa) Der Kläger wendet sich hiergegen mit dem Argument, der Verweis in Art. 127 Abs. 6 Austrittsabkommen gehe ins Leere, weil Art. 127 Abs. 1 Austrittsabkommen für die Anwendung des Art. 31 Abs. 2 EuGVVO im hiesigen Verfahren nicht notwendig heranzuziehen sei. Dem kann nicht beigetreten werden.
[28]Allerdings erwähnt die Regelung in Art. 127 Abs. 6 Austrittsabkommen nur Bezugnahmen auf Mitgliedstaaten „in dem nach Abs. 1 geltenden Unionsrecht“ (Hervorhebung nur hier), während es für den hiesigen Rechtsstreit keiner gesonderten Regelung über die Anwendbarkeit des Art. 31 Abs. 2 EuGVVO bedarf, weil letzterer für das hiesige Verfahren vor einem Gericht in Deutschland unmittelbar und nicht erst nach Maßgabe des Abs. 1 gilt. Dieser Gedankengang übersieht, dass nach Art. 127 Abs. 1 Austrittsabkommen für den Übergangszeitraum nicht nur die Geltung des Unionsrechts „im Vereinigten Königreich“ vorgesehen ist, sondern eben ausdrücklich auch die Geltung des Unionsrechts „für das Vereinigte Königreich“. Dies schließt die hier maßgebliche Wertung ein, dass Gerichte des Vereinigten Königreichs im Übergangszeitraum (weiterhin) als Gerichte eines Mitgliedstaats iSd. Art. 31 Abs. 2 EuGVVO zu behandeln sind.
[29]Nicht zu überzeugen vermag demgegenüber der Einwand, Art. 127 Abs. 1 Austrittsabkommen betreffe tatsächlich nur die Sicht des Vereinigten Königreichs auf Europa, so dass die Anwendbarkeit des Art. 31 Abs. 2 EuGVVO auf Gerichte im Vereinigten Königreich - ob gewollt oder ungewollt - ungeregelt und die Eigenschaft des High Court als Gericht eines Mitgliedstaats mit dem Austritt entfallen sei. Es liegt in der Natur eines Übergangszeitraums, dass eben nicht sogleich ganz erhebliche Veränderungen eintreten. Es ist zu beachten, dass das Austrittsabkommen kurzfristig vor dem Austrittsdatum verhandelt worden war und es im allseitigen Interesse lag, kurzfristig eintretende Behinderungen des Wirtschaftsverkehrs so weit als möglich zu vermeiden. Das wichtigste Prinzip des Austrittsabkommens war daher zunächst einmal die Weitergeltung weiter Teile des EU-Rechts für den festgelegten Übergangszeitraum (vgl. Terhechte NJW 2020, 425, 426). Angesichts dessen kann das Austrittsabkommen erst recht nicht in einer Weise ausgelegt werden, welche mit dem Eintreten des Übergangszeitraumes bereits kurz nach Abschluss des Austrittsabkommens zu erheblichen Friktionen geführt hätte. Gegenüber alledem kann sich der Kläger auch nicht auf eine womögliche Wortlautgrenze berufen. Es ist nicht im Ansatz ersichtlich, dass die von dem Landgericht angestellten Überlegungen eine Überschreitung des Wortlautes in Art. 127 Abs. 6 Austrittsabkommen mit sich brächten. Im Gegenteil erscheinen die Beanstandungen des Klägers konstruiert. Schließlich wäre auch nicht zu sehen, in wessen Interesse oder im Hinblick auf wessen Vertrauen eine Wortlautgrenze vorliegend zu wahren sein sollte, wenn sich denn die hohen vertragschließenden Parteien über die Notwendigkeit eines Übergangszeitraums einig waren.
[30]bb) Eine Auslegung mit dem Ergebnis, dass die Eigenschaft des High Court als Gericht eines Mitgliedstaats mit dem Austritt entfallen sei, verbietet sich a maiore ad minus schließlich auch deshalb, weil aus Art. 67 Abs. 1 Austrittsabkommen seinerseits klar zu entnehmen ist, dass Art. 31 Abs. 2 EuGVVO im hiesigen Rechtsstreit selbst nach dem Ende des Übergangszeitraums so anzuwenden ist, dass der High Court weiter als das Gericht eines Mitgliedstaats gilt.
[31]Art. 67 Abs. 1 Austrittsabkommen ist anwendbar in Fällen, die einen Bezug zum Vereinigten Königreich aufweisen. Dieser Bezug liegt im vorliegenden Rechtsstreit in der Rechtshängigkeit eines gegenstandsgleichen Verfahrens umgekehrten Rubrums vor dem High Court. Die Wirkung der Regelung besteht nach ihrem Wortlaut darin, dass für vor dem Ablauf der Übergangszeit eingeleitete gerichtliche Verfahren sowie für damit zusammenhängende Verfahren oder Klagen gemäß den Artt. 29, 30 und 31 EuGVVO die Zuständigkeitsbestimmungen der EuGVVO Anwendung finden. Das mit der hiesigen Klage zusammenhängende Verfahren gemäß Art. 31 Abs. 2 EuGVVO ist dasjenige, welches vor dem High Court anhängig ist.
[32]Die Wirkung des Art. 67 Abs. 1 Austrittsabkommen umfasst auch Art. 31 Abs. 2 EuGVVO. Ohne Erfolg macht die Beschwerde geltend, bei Art. 31 Abs. 2 EuGVVO handele es sich nicht um eine Zuständigkeitsbestimmung. Dieser Einwand übersieht die Gliederung der EuGVVO. Deren Kapitel II mit der Überschrift „Zuständigkeit“ umfasst in den Artt. 4-35 EuGVVO unter anderem Allgemeine Bestimmungen (Artt. 4-6), besondere Zuständigkeitsregelungen (Artt. 7-23), Bestimmungen über Ausschließliche Zuständigkeiten (Art. 24), Regeln zu Vereinbarungen über die Zuständigkeit (Artt. 25-26), über die Prüfung der Zuständigkeit und der Zulässigkeit des Verfahrens (Artt. 27-28), über die Anhängigkeit und im Zusammenhang stehende Verfahren (Artt. 29-34) sowie über Einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen (Art. 35 EuGVVO). In diese Verfahrensvorschriften ist Art. 33 Abs. 2 EuGVVO eingebettet, so dass es sich um eine „Zuständigkeitsbestimmun[g]“ der EuGVVO iSd. Art. 67 Abs. 1 lit. a) Austrittsabkommen handelt.
[33]Ohne Erfolg macht die Beschwerde geltend, es sei bei der Anwendung des Art. 67 Abs. 1 lit. a) Austrittsabkommen richtigerweise zwischen Zuständigkeitsbestimmungen (im engeren Sinne) und Rechtshängigkeitsregeln zu differenzieren. Für einen solchen Differenzierungswillen der hohen vertragschließenden Parteien besteht kein Anhaltspunkt. Im Gegenteil erschiene es geradezu systemwidrig und risikobehaftet, von den verschiedenen Abschnitten des Kapitels II mit der Überschrift „Zuständigkeit“ entgegen dem Wortlaut in Art. 67 Abs. 1 lit. a) Austrittsabkommen nur einzelne (welche?) Abschnitte fortgelten zu lassen, andere dagegen nicht. Selbst wenn man diese Bedenken nicht teilte, wiese zumindest der Abschnitt 9 „Anhängigkeit und im Zusammenhang stehende Verfahren (Artt. 29-34)“ eine so enge Verzahnung zu den Zuständigkeitsbestimmungen auf, dass eine teilweise Fortgeltung nicht ohne Friktionen möglich wäre, von denen nicht angenommen werden kann, dass die hohen vertragschließenden Parteien sie hätten in Kauf nehmen wollen. Die Verzahnung zeigt sich im Streitfall deutlich daran, dass beispielsweise Art. 31 Abs. 2 EuGVVO auf Art. 25 EuGVVO verweist.
[34]b) Nach alledem ergibt sich aus Art. 67 Abs. 1 Austrittsabkommen, dass auch nach dem Übergangszeitraum (nach dem gegenwärtigen Stand nach Verstreichen des 31. Dezember 2020) die Gerichte des Vereinigten Königreichs für vor dem Ablauf der Übergangszeit eingeleitete gerichtliche Verfahren wie das vorliegende weiterhin als Gerichte eines Mitgliedstaats iSd. Art. 31 Abs. 2 EuGVVO zu behandeln sind. Zur Begründung kann im Einzelnen auf die Ausführungen vorstehend zu lit. a) verwiesen werden.
[35]III. Die Aussetzung nach Art. 31 Abs. 2 EuGVVO hatte weiterhin nicht deshalb zu unterbleiben, weil das Landgericht Berlin für den vor ihn gebrachten Rechtsstreit bereits „an sich“ international unzuständig (zum Begriff Geimer in: Zöller, ZPO, 33. Auflage 2020, Art. 31 EuGVVO, Rn. 10) und daher die Klageabweisung als unzulässig vorrangig wäre.
[36]Es ist schon zweifelhaft, ob der Gedanke effizienter Verfahrensführung eine solche Prüfung gebietet. Zwar mag grundsätzlich die Abweisung in der Sache gegenüber einer Aussetzung zu einer beschleunigten Erledigung führen (zur Abwägung nach § 148 ZPO vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 5. August 2013 -
[37]Diese Erwägungen können jedoch unvertieft bleiben, denn das Landgericht Berlin wäre „an sich“ nach Art. 6 Abs. 1 EuGVVO iVm. § 23 ZPO international zuständig, blieben also Gerichtsstandsvereinbarungen außer Betracht. Denn die Beklagte hat als in D. ansässige Kapitalgesellschaft nach dem Recht der Vereinigten Arabischen Emirate keinen Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats der Europäischen Union. Daher richtet sich die internationale Zuständigkeit der Gerichte Deutschlands nach der Zivilprozessordnung. Die Beklagte hat weiters keinen Sitz im Inland, so dass das Landgericht Berlin als dasjenige Gericht zuständig ist, in dessen Bezirk sich Vermögen der Beklagten befindet. Dass dies der Fall ist, folgt indiziell aus dem Umstand, dass die Beklagte in Berlin eine Zweigniederlassung unterhält, die zu HRB … in das Handelsregister bei dem Amtsgericht Charlottenburg eingetragen ist (Anlage K3 zur Klageschrift). Zudem wäre dieser Zweigniederlassung auch der Anspruch gegen die Schuldnerin zuzuordnen, dessen sich die Beklagte in dem von dem Kläger geführten Insolvenzverfahren berühmt (Anlage K 40 zur Klageschrift). Den entsprechenden Darlegungen des Klägers, auf die für die Beurteilung der Zuständigkeit zunächst abzustellen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 28. Januar 2015 - C-375/13, ZIP 2015, 1456, Rn. 58-65 - Kolassa), ist die Beklagte ungeachtet ihres sonst umfangreichen Erwiderungsvortrags auch nicht entgegengetreten.
[38]Die weitere Gerichtsstandsklausel zugunsten der Gerichte Englands im Investment Agreement vom 19. Dezember 2011 (Anlage B5) zu Ziffer 28.2 bleibt bei dieser Betrachtung außer Ansatz. Dies gälte selbst dann, wenn die von Geimer aaO. geforderte Prüfung, ob das möglicherweise derogierte Erstgericht „an sich“ international zuständig sei, ausschließlich unter Ausblendung derjenigen (einen) Gerichtsstandsvereinbarung zu erfolgen hätte, auf deren Grundlage das Zweitgericht ausdrücklich angerufen worden ist. Denn jedenfalls hat sich die Beklagte auf die Gerichtsstandsvereinbarung im Investment Agreement bislang nicht berufen. Auch vom Ergebnis her erschiene es wenig zweckdienlich, der im möglicherweise prorogierten Gerichtsstand klagenden Partei die beantragte Aussetzung zugunsten des Verfahrens vor dem möglicherweise prorogierten Gericht mit der Begründung zu versagen, richtigerweise sei das möglicherweise prorogierte Gericht für den Rechtsstreit zuständig.
[39]IV. Die Aussetzung nach Art. 31 Abs. 2 EuGVVO ist schließlich auch materiell geboten, weil für die hiesige Streitigkeit die Gerichte des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland „gemäß einer Vereinbarung nach Art. 25 [EuGVVO für die hiesige Streitigkeit] ausschließlich zuständig“ sind, wie dies das Landgericht angenommen hat. Dabei spricht viel dafür, dass das möglicherweise derogierte Erstgericht in der Tat keine vollumfängliche förmliche Prüfung einschließlich einer eventuell erforderlichen Beweisaufnahme durchzuführen hat (sogleich zu 1.). Dies bedarf indes nicht der Entscheidung, weil die Aussetzungsentscheidung materiell auch bei Durchführung einer solchen Prüfung im Ergebnis nicht zu beanstanden wäre (sodann zu 2.).
[40]1. Eine vollumfängliche förmliche Prüfung durch das möglicherweise derogierte Erstgericht einschließlich einer eventuell erforderlichen Beweisaufnahme (hierfür Hilbig-Lugani in: FS Rolf Schütze, 2014, S. 195, 203; Weller ZZPInt 19 (2014), 251, 266 ff.) dürfte der Kläger allerdings in der Tat nicht verlangen können, weil dem Erwägungsgrund 22 der EuGVVO entgegenstünde.
[41]Dieser geht davon aus, dass das zuerst angerufene Gericht das Verfahren aussetzen müsse, sobald das vereinbarte Gericht angerufen wurde, und zwar so lange, bis das letztere Gericht erkläre, dass es gemäß der ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung nicht zuständig sei. Durch die Aussetzungspflicht solle sichergestellt werden, dass das vereinbarte Gericht vorrangig über die Gültigkeit der Vereinbarung und darüber entscheide, inwieweit die Vereinbarung auf den bei ihm anhängigen Rechtsstreit Anwendung finde.
[42]Dem so ausdrücklich vorgesehenen Vorrang des möglicherweise prorogierten Zweitgerichts liefe es aber zuwider, müssten das möglicherweise derogierte Erstgericht und das möglicherweise prorogierte Zweitgericht parallele Prüfungen der Voraussetzungen des Art. 31 Abs. 2 EuGVVO in gleich gelagertem Umfang anstellen (vgl. Peiffer/Peiffer in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Werkstand: 60. EL August 2020, Art. 31 EuGVVO, Rn. 26). Der Vorrang sollte im Anschluss an die sog. Torpedo-Klagen ermöglichende Rechtsprechung des EuGH (vgl. Urteil vom 9. Dezember 2003 - C-116/02, Slg 2003, I-14693, LS 2 und Rn. 54 - Gasser) die Verlässlichkeit von Gerichtsstandvereinbarungen stärken (vgl. Dörner in: Saenger, Zivilprozessordnung, 8. Auflage 2019, Art. 31 EuGVVO, Rn. 2; Hilbig-Lugani FS Rolf Schütze, 2014, 195, 198; Hohmeier IHR 2014, 217). Angesichts der klaren Fassung des Erwägungsgrundes kommt es auch nicht darauf an, ob die Kommissionsbegründung zur EuGVVO noch einen Gleichlauf mit Art. 6 HGÜ 2005 im Auge hatte. Im Übrigen ist der Prüfungskatalog zu den „Pflichten eines nicht vereinbarten Gerichts“ in Art. 6 lit. a) bis e) HGÜ 2005 dem ersten Augenschein nach gerade nicht auf eine vollumfängliche, sondern vielmehr auf eine punktuell-exemplarische Prüfung wichtiger Punkte (Ungültigkeit, ordre public, außergewöhnliche Gründe für die Unzumutbarkeit der Umsetzung der Vereinbarung etc.) gerichtet.
[43]Eine gleichwohl vollumfängliche Prüfung durch das möglicherweise derogierte Erstgericht könnte die jeweils klagende Partei auch nicht auf Grundlage des Justizgewährungsanspruchs verlangen, und zwar weder auf europäischer (Art. 47 Abs. 1 GRCh) noch auf nationaler Ebene (Art. 19 Abs. 4 GG). Bei der Schaffung des Art. 31 Abs. 2 EuGVVO ist die Beschränkung der Justizgewährung durch die fragliche Regelung indes berücksichtigt worden, wie sich aus Erwägungsgrund 38 zur EuGVVO ergibt. Die viel kritisierte Regelung erscheint auch zumindest geeignet, in der Folge der Gasser-Entscheidung mögliche sog. direkte Torpedoklagen durch eine Ausnahme vom Prinzip der zeitlichen Priorität (Art. 29 Abs. 1 EuGVVO) einzuschränken. Dass diese Lösung sog. indirekte Torpedoklagen unter Berufung auf eine eventuell gar nicht einschlägige Gerichtsstandsvereinbarung ermöglicht, erscheint als das deutlich geringere Übel. Dies gilt auch deshalb, weil mit dem Verfahren nach Art. 31 Abs. 2 EuGVVO schneller Klarheit geschaffen werden kann als wenn ein Instanzenzug in der Hauptsache abgewartet werden müsste.
[44]Ohne Erfolg beruft sich der Kläger für den Vorrang seines Justizgewährungsanspruchs bei alledem auf die Entscheidung des EuGH vom 18. Juni 2015 (zu C-535/14 P, ABl EU 2015, Nr C 279, 17, Rn. 42). Dieser ist schon nicht zu entnehmen, dass Eingriffe gerade in den Justizgewährungsanspruch nur auf einer „hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage“ erfolgen dürften. Der EuGH führt vielmehr richtigerweise aus, dass wegen des Justizgewährungsanspruchs der von einem durch eine belastende Maßnahme Betroffenen angerufene Unionsrichter prüfen müsse, ob der Eingriff auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage erfolgt sei. Dies hat mit der hiesigen Gestaltung wenig gemein. Selbst wenn man die Anordnung der Aussetzung des Verfahrens bis zur Klärung der Zuständigkeit durch den High Court vorliegend als eine Eingriffsmaßnahme in diesem Sinne betrachtete, setzte das Erfordernis einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage zudem eine vollumfängliche Prüfung einschließlich förmlicher Beweisaufnahme nach den hergebrachten Grundsätzen des Zivilprozesses gerade nicht voraus. Die Zulassung oder Versagung der Rechteverfolgung kann verschiedentlich auf festgestellte Erfolgsaussichten oder auf deren Fehlen gestützt werden (vgl. §§ 78b, 114 Abs. 1, 124 Abs. 2, 283a Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 2 Nr. 1, 552a, 769 Abs. 1 Satz 2 ZPO), ebenso kann die Glaubhaftmachung (§ 294 ZPO) von Tatsachen und damit deren gewisse Wahrscheinlichkeit für den Eingriff in Rechte ausreichend sein.
[45]Der von dem Kläger selbst befasste Privatgutachter geht nach alledem zu Recht davon aus, dass die tatsächlichen Grundlagen einer Aussetzung „zumindest im Rahmen einer Evidenzprüfung“ festgestellt werden müssten (Anlage K45, Rn. 29, 70 ff.). Dieser Ansatz entspricht der ganz herrschenden Meinung im Schrifttum, auch wenn naturgemäß mit unterschiedlichen Begrifflichkeiten gearbeitet wird (vgl. nur Peiffer/Peiffer in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Werkstand: 60. EL August 2020, Art. 31 EuGVVO, Rn. 27: hohe Evidenz für das Vorliegen einer wirksamen Gerichtsstandsklausel; Stadler in: Musielak/Voit, ZPO, 17. Auflage 2020, Art. 31 EuGVVO, Rn. 6: Anschein einer ausschließlichen Vereinbarung im Sinne des Art. 25; Dörner in: Saenger, Zivilprozessordnung, 8. Auflage 2019, Art. 31 EuGVVO, Rn. 2: zumindest schlüssiger Vortrag der sich auf die Abrede berufenden Partei; Gottwald in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Auflage 2017, Art. 31 Brüssel Ia-VO, Rn. 13: wenigstens Anfangswahrscheinlichkeit einer wirksamen Gerichtsstandsvereinbarung des Zweitgerichts; Mankowski RIW 2015, 17, 22: Anfangswahrscheinlichkeit für einen parteiautonomen Akt; Schlosser in: ders./Hess, EU-Zivilprozessrecht, 4. Auflage 2015, Art. 31 Brüssel Ia-VO, Rn. 2: Formwirksamkeit der Vereinbarung; Domej RabelsZ 78 (2014), 508, 536: zumindest prima-facie-Prüfung der Gerichtsstandsvereinbarung durch das zuerst angerufene Gericht; Weller ZZPInt 19 (2014), 251, 272: beschränkter Prüfungsmaßstab, ob die Voraussetzungen der behaupteten Gerichtsstandsvereinbarung prima facie vorliegen).
[46]2. Bei alledem bietet das vorliegende Beschwerdeverfahren indes keinen Anlass zur Klärung, wie eine derhalben prima facie vorzunehmende Prüfung der ausschließlichen Zuständigkeit für den Streitgegenstand im Einzelnen auszusehen hätte (instruktiv Peiffer/Peiffer in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Werkstand: 60. EL August 2020, Art. 31 EuGVVO, Rn. 31-34), oder ob richtigerweise gar dem Landgericht als möglicherweise derogiertem Erstgericht gar jedwede Prüfung der Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung untersagt wäre (so neben dem hiesigen Landgericht nur Geimer in: Zöller, ZPO, 33. Auflage 2020, Art. 31 EuGVVO, Rn. 35; Radicati di Brozolo, IPRax 2010, S. 121, 124).
[47]Eine solche Festlegung wäre - wiewohl angesichts der Unklarheiten wünschenswert - auf die vorliegend zu bescheidende Aussetzungsfrage ohne Auswirkung. Wenn eine Prüfung ganz zu unterbleiben hätte, reichte die Anrufung des Zweitgerichts unter Bezugnahme auf die fragliche Gerichtsstandsvereinbarung aus, welche hier erfolgt ist, so dass die hiesige Aussetzungsentscheidung des Landgerichts Bestand hätte. Nichts anderes ergäbe sich indes - wie nachfolgend darzulegen sein wird - im Falle der Zulassung einer Prüfung durch das möglicherweise derogierte Gericht. In deren Ergebnis wäre die hier maßgebliche Klausel in Ziffer 33.1.1 des Darlehensvertrages (Facility Agreement) auf etwaige Forderungen aus dem Comfort Letter anwendbar (sogleich a.). Die Klausel wäre im Rahmen der Aussetzungsentscheidung auch nicht aufgrund ihrer Asymmetrie (zu b.) oder wegen Benennung der Gerichte Englands in ihrer Gesamtheit (zu c.) außer Betracht zu lassen.
[48]a) Im Ergebnis einer zum Zwecke des Arguments unterstellten Prüfung durch das möglicherweise derogierte Erstgericht wäre die hier maßgebliche Klausel in Ziffer 33.1.1 des Darlehensvertrages (Facility Agreement) vom 28. April 2017 (Anlage K26) nach ihren inhaltlichen Voraussetzungen auf etwaige Forderungen aus dem Comfort Letter anwendbar.
[49]Die tatbestandliche Anwendbarkeit einer Gerichtsstandsklausel auf einen Streitgegenstand ist dabei - wie schon der Wortlaut des Art. 31 Abs. 2 EuGVVO festlegt - im Interesse der Rechtssicherheit und zur Gewährleistung des Einverständnisses der Parteien ausschließlich nach den verordnungsautonom geregelten Erfordernissen zu beurteilen, hier denjenigen des Art. 25 EuGVVO (vgl. EuGH, Urteil vom 7. Juli 2016 - C-222/15, ZIP 2016, 1700, Rn. 32; s.a. EuGH, Urteil vom 16. März 1999 - C-159/97, Slg 1999, I-1597, Rn. 34 - Castelletti zu Art. 17 EuGVÜ). Offen und unvertieft bleiben kann dagegen, ob die fragliche Gerichtsstandsklausel außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 25 EuGVVO dem englischen Recht unterliegt.
[50]Nach den Erfordernissen des Art. 25 EuGVVO ist die Geltung einer Gerichtsstandsvereinbarung allerdings auf diejenigen Rechtsstreitigkeiten beschränkt, die ihren Ursprung in dem Rechtsverhältnis haben, anlässlich dessen die Vereinbarung geschlossen wurde dies soll vermeiden, dass eine Partei dadurch überrascht wird, dass die Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts für sämtliche Rechtsstreitigkeiten begründet wird, die sich eventuell aus den Beziehungen mit ihrem Vertragspartner ergeben und ihren Ursprung in einer anderen Beziehung als derjenigen haben, anlässlich derer die Begründung des Gerichtsstands vorgenommen wurde (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Mai 2015 - C-352/13, ZIP 2015, 2043, Rn. 68 - CDC Hydrogen Peroxide; EuGH, Urteil vom 10. März 1992 - C-214/89, Slg 1992, I-1745, Rn. 31 - Powell Duffryn, zu Art. 17 EuGVÜ). Dieses Erfordernis dient also dem Schutz vor Überrumpelung (vgl. Gaier in: Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, Stand: 01.09.2020, Art. 25 Brüssel Ia-VO, Rn. 25.1).
[51]Maßgeblich ist hiernach nicht das einzelne Vertragswerk, sondern vielmehr dasjenige „Rechtsverhältnis, anlässlich dessen die Vereinbarung geschlossen wurde“. Es bestehen daher schon im Ausgangspunkt Zweifel, ob ein solches „Rechtsverhältnis“ im Sinne der Rechtsprechung des EuGH tatsächlich - wie der Kläger meint - auf den Darlehensvertrag (Facility Agreement) beschränkt sein kann, wenn am gleichen Tag und nach einheitlichen wie eingehenden Verhandlungen zusätzlich zum Abschluss eines Darlehensvertrages dem Darlehensnehmer auch ein Comfort Letter ausgestellt worden ist. Diese anfänglichen Zweifel werden durch die auf grundlegende Erwägungen begrenzte Betrachtungen der Klausel nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte nicht zerstreut, sondern vielmehr erhärtet. Dies gilt nicht nur für die im Hauptbegehren verfolgten vertraglichen Ansprüchen (sogleich zu aa.), sondern entsprechend auch für die hilfsweise geltend gemachten Ansprüche aus culpa in contrahendo (sodann zu bb.).
[52]aa) Tatsächlich ist im einzunehmenden Ausgangspunkt der Formulierung der Gerichtsstandsklausel zu entnehmen, dass diese zumindest sämtliche Streitigkeiten aus dem Darlehensvertrag oder im Zusammenhang mit diesem (einschließlich nicht vertraglicher Verpflichtungen aus dem Darlehensvertrag oder im Zusammenhang mit diesem oder betreffend die Existenz, Gültigkeit oder Beendigung des Darlehensvertrages) umfassen sollte. Hieraus folgt der Wille der vertragschließenden Parteien, dass die Klausel möglichst umfassend wirken und insbesondere nicht der Fall eintreten sollte, dass im Zusammenhang mit der vereinbarten Finanzierung Ansprüche der Parteien bestehen, für die die Zuständigkeit der Gerichte Englands nicht vereinbart ist.
[53]Hinsichtlich der Entstehungsgeschichte des Darlehensvertrages (Facility Agreement, Anlage K26) einerseits wie des Comfort Letter (Anlage K25) andererseits kann zudem hier nicht außer Betracht bleiben, dass sowohl die Schuldnerin als auch die Beklagte die am 28. April 2017 vereinbarten Maßnahmen im Rahmen der E-Mail-Kommunikation im Vorfeld als „Unterstützungspaket“ oder „Paket“ bezeichnet haben (ebenso Klageschrift vom 24. Juli 2018 zu Rz. 181) und zumindest das Verhältnis von Darlehensvertrag und dem hier streitbefangenen Comfort Letter auch so gesehen haben. Dies ergibt sich ohne Beweisaufnahme aus dem Gang der Verhandlungen, wie er in den eingereichten Anlagen dokumentiert ist.
[54]Die Schuldnerin benötigte danach Anfang April 2017 erhebliche Barmittel und hatte bei der Beklagten um eine Kreditlinie von insgesamt EUR ... angefragt. Mit E-Mail vom 9. April 2017 (15:24h) übersandte darauf die zuständige juristische Mitarbeiterin („responsable legal counsel in charge for this matter“) der Beklagten T. an die Schuldnerin Entwürfe eines Darlehensvertrages über EUR ... sowie zweier Comfort Letter, einen betreffend die Refinanzierung der 2018er Bonds und einen anderen betreffend die Nichtausübung der Put-Option für Wandelanleihen im Dezember 2017 (Anlage K12, Seite 6). Aus einer E-Mail des CFO der Beklagten R. an den CFO der Schuldnerin C. vom 22. April 2017 ergibt sich dabei, dass ein Anteil von EUR ... an der Gesamtsumme von EUR ... auf eine Anforderung der Abschlussprüferin K. zurückgingen und diese hiervon auch nicht abgehen wollte (Anlage B11: „K. holding firm on the additional €[...] contingent“). Die Schuldnerin drängte in der Folge darauf, das Darlehen in voller Höhe zu erhalten, weil andere Maßnahmen (Vereinbarung mit der L. AG, Landesbürgschaft des Landes Nordrhein-Westfalen) die Liquidität nicht rechtzeitig würden bereitstellen können (E-Mail des CFO der Schuldnerin vom 22. April 2017, Anlage B11). Im Ergebnis vereinbarten die Schuldnerin und die Beklagte am 28. April 2017 ein Darlehen über EUR ... und stellte die Beklagte der Schuldnerin zugleich den hier streitbefangenen, vollumfassenden Comfort Letter aus (Anlagen K26, K25). Angesichts dessen liegt es nicht fern, den hier streitbefangenen Comfort Letter im Hinblick auf die Anforderungen der Abschlussprüferin K. als Ersatz für die Kreditgewährung in Höhe von EUR ... zu betrachten. So hat es jedenfalls die Schuldnerin gesehen und es im Protokoll ihrer Verwaltungsratssitzung vom 27. April 2017 festgehalten. Dort heißt es, der Gesamtbetrag des neuen Gesellschafterdarlehens sei von EUR ... auf EUR ... gesunken „with further comfort to be granted by a letter of support“ (Anlage K47, zu Ziffer 12., etwa: „während weitere Bonität durch ein Unterstützungsschreiben gewährt werden soll“). Trat aber der hier streitbefangene Comfort Letter in den Verhandlungen an die Stelle des „additional €[...] contingent“, kann jedenfalls insoweit durchaus von einem Finanzierungspaket gesprochen werden. Auf die anderen angeführten Verträge (Total Return Swap, Garantieverlängerung), an denen andere Rechtspersonen beteiligt sein mögen, kommt es hierbei nicht an, weil diese nicht Gegenstand der hiesigen Streitigkeit sind.
[55]Die Behauptung des Klägers, es habe kein Unterstützungspaket, keine inhaltliche Verknüpfung zwischen Comfort Letter und Darlehensvertrag (Facility Agreement) und keinen wechselseitigen Bezug gegeben, ist demnach unzutreffend. Es wird im Gegenteil deutlich, dass Darlehensvertrag und Comfort Letter aus Sicht der Parteien in Zusammenhang standen. Der Zusammenhang war dabei auch nicht etwa von der Natur, dass der Darlehensvertrag dem Comfort Letter untergeordnet gewesen wäre, wie dies der Kläger mit seinem Hinweis auf Rechtsprechung des italienischen Kassationsgerichtshofes geltend macht. Letzterer hat nämlich entschieden, dass die in einer akzessorischen Begleitabrede (einem Lagervertrag) zu einem Rahmenvertrag (Vertragshändlervertrag) enthaltene Gerichtsstandsklausel nicht auf den Rahmenvertrag durchschlage; allenfalls teile die Begleitabrede das Schicksal des Rahmenvertrages, nicht aber umgekehrt (vgl. Corte de Cassazione civile, sez. III, 14. Juni 2007, n. 13953). Vorliegend war aber der Darlehensvertrag keine solche akzessorische Begleitabrede zu dem Comfort Letter als dem Rahmenvertrag. Dies folgt schon daraus, dass die Beklagte sich zur Gewährung der Kreditlinie in einem Umfang von EUR ... bereits zu einem Zeitpunkt bereit erklärt hatte, als von dem hier streitbefangenen Comfort Letter zwischen den Parteien noch nicht die Rede war. Lange vor Beginn der Verhandlungen über einen Comfort Letter ab dem Abend des 26. April 2017 lag ein Entwurf des Darlehensvertrages (Facility Agreement) vor. Es erstaunt angesichts dessen nicht, dass der Darlehensvertrag an keiner Stelle erwähnt, dass der allgemeine Comfort Letter etwa seine Rechtsgrundlage wäre. Eine Unterordnung des Darlehensvertrages unter den Comfort Letter kann auch deswegen nicht angenommen werden, weil nach der Entstehungsgeschichte der Vereinbarungen der Comfort Letter an die Stelle des „additional €[...] contingent“ (Anlage B11) treten sollte. Eine Unterordnung ergibt sich schließlich nicht daraus, dass in dem Comfort Letter seinerseits die bisherige Vergabe von Krediten durch die Beklagte an die Schuldnerin Erwähnung findet. Denn die frühere Kreditvergabe erfolgte ersichtlich nicht in Vollzug von Verpflichtungen aus dem Comfort Letter, über den erst ab April 2017 verhandelt wurde. Die Erwähnung der bisherigen Kreditvergabe sollte vielmehr ersichtlich lediglich die Ernsthaftigkeit des Engagements der Beklagten bei der Schuldnerin unterstreichen.
[56]Gegen die Annahme eines Finanzierungspaketes spricht bei alledem nicht, dass die Rechtsprechung des EuGH es im Sinne eines Überrumpelungsschutzes vermeiden will, dass eine Partei dadurch überrascht wird, dass die Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts für Rechtsstreitigkeiten begründet wird, die ihren Ursprung in einer anderen Beziehung als derjenigen haben, anlässlich derer die Begründung des Gerichtsstands vorgenommen wurde (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Mai 2015 - C-352/13, ZIP 2015, 2043, Rn. 68 - CDC Hydrogen Peroxide; EuGH, Urteil vom 10. März 1992 - C-214/89, Slg 1992, I-1745, Rn. 31 - Powell Duffryn, zu Art. 17 EuGVÜ). Die Schuldnerin konnte vorliegend durch die Anwendung der Gerichtsstandsklausel aus dem Darlehensvertrag (Facility Agreement) nicht ernsthaft überrascht werden. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass sie selbst dringend darum nachgesucht hatte, dass ihr in Höhe von EUR ... eine Kreditlinie gewährt werde, die aber nach Lage der Dinge - und mutmaßlich auch nach der Fassung des der E-Mail vom 9. April 2017 (15:24h) beigefügten Entwurfs (Anlage K12, Seite 6) - im Streitfall ebenfalls ausdrücklich von der Gerichtsstandsklausel des Darlehensvertrages umfasst gewesen wäre.
[57]Ein Überraschungsmoment vermochte sich auch nicht aus dem Umstand zu ergeben, dass die interne Patronatserklärung naturgemäß einen gewissen Bezug zur Stellung des Patrons als Gesellschafter des Protegé aufweist. Im Zusammenhang mit dem Erwerb der Beteiligung der Beklagten an der Schuldnerin hatten beide unter dem 19. Dezember 2011 ein sog. Investment Agreement abgeschlossen. Dieses sieht in Ziffer 28.2. seinerseits die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte Englands für alle Streitigkeiten aus oder in Zusammenhang mit der Vereinbarung oder den durch sie geschaffenen Rechtsverhältnissen einschließlich nicht-vertraglicher Verpflichtungen vor. Die Klausel enthält darüber hinaus den Zusatz, dass sich die Parteien für solche Zwecke unwiderruflich der Gerichtsbarkeit der englischen Gerichte unterwerfen und auf jeden Einwand gegen die Ausübung dieser Gerichtsbarkeit verzichten (Anlage B5, Seite 26: „For such purposes each party irrevocably submits to the jurisdiction of the English courts and waives any objection to the exercise of such jurisdiction“). Wer eine solche Klausel im Investment Agreement vereinbart, wird nicht unbotmäßig überrascht, wenn der Streit über eine interne Patronatserklärung des Gesellschafters vor den Gerichten Englands auszutragen ist.
[58]Gegen die Einbeziehung etwaiger Ansprüche aus dem Comfort Letter in die Gerichtsstandsvereinbarung spricht bei alledem nicht, dass der Comfort Letter selbst keine Gerichtsstandsvereinbarung enthält. Dies stellt keinen belastbaren Anhaltspunkt dafür dar, dass die Schuldnerin und die Beklagte sich tatsächlich darüber einig gewesen wären, dass etwaige Ansprüche aus dem Comfort Letter gerade nicht in dem Gerichtsstand hätten verfolgt werden müssen, der nach dem Darlehensvertrag (Facility Agreement) oder nach dem Investment Agreement vorgesehenen war. Ein in diesem Sinne „beredtes Schweigen“ des Comfort Letter liegt fern. Das Fehlen einer Gerichtsstandsklausel kann plausibel darauf zurückgeführt werden, dass die Beklagte ersichtlich und aus nachvollziehbaren Gründen bemüht war, das Risiko ihrer Inanspruchnahme gerade so gering zu halten, wie dies die Abschlussprüferin K. noch hinzunehmen bereit war. Dies folgt nicht zuletzt aus der internen Korrespondenz der maßgeblichen Verantwortungsträger der Beklagten vom 27./28. April 2017 (Anlage K23: „the least we say the better“). Es dürfte auf eben dieser Motivation beruhen, dass die in verschiedenen Entwürfen vorgesehene Rechtswahlklausel zugunsten des englischen Rechts (vgl. Anlagen K20, K21, B14-Anhang) nicht Bestandteil des Comfort Letter wurde. Wenn möglichst keine Rechtsansprüche begründet werden sollen, ist die Wahl des anwendbaren Rechts nicht erforderlich und könnte zugleich kontraproduktiv wirken, weil sie ungewollten Auslegungsanhalt für einen Rechtsbindungswillen böte. Aus dem Verzicht auf eine Rechtswahlklausel zugunsten des englischen Rechts kann daher nicht auf eine rechtsverbindliche Einigung dahin geschlossen werden, dass im Falle eines Streits über Rechte aus der Vereinbarung keine englischen Gerichte entscheiden dürften. Eine solche folgt auch nicht etwa daraus, dass in den Comfort Letter zur Nichtausübung der Put-Option für Wandelanleihen im Dezember 2017 (Anlage B17) und zur Refinanzierung der 2018er Bonds (Anlage K12 nach Seite 12) ebenfalls keine Gerichtsstandsvereinbarungen vorgesehen waren, wenn auch Rechtswahlklauseln zugunsten des englischen Rechts vorhanden waren. Für den klägerseits behaupteten allgemeinen Willen der Schuldnerin wie der Beklagten, sich bei Comfort Letters generell in die Hände allgemeiner zivilprozessualer Zuständigkeitsbestimmungen zu begeben, was eine Heranziehung von Gerichtsstandsvereinbarungen ausschließe, ist nichts ersichtlich.
[59]Gegen eine Einbeziehung etwaiger Ansprüche aus dem Comfort Letter in die Gerichtsstandsvereinbarung des Darlehensvertrages (Facility Agreement) spricht weiterhin nicht, dass sich die Gerichtsstandsvereinbarung nach dem Wortlaut des Art. 25 Abs. 1 EuGVVO auf „eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit“ beziehen muss (Hervorhebung nur hier). Allerdings kommt die Erstreckung einer Gerichtsstandsvereinbarung auf Streitigkeiten, die nicht unmittelbar aus dem Vertrag entstehen, in dem die Gerichtsstandsvereinbarung getroffen worden ist, nur dann in Betracht, wenn das den Streitigkeiten zugrundeliegende Rechtsverhältnis zum Zeitpunkt der Vereinbarung nach Art und Gegenstand bereits hinreichend bestimmt war (vgl. OLG Oldenburg, Urteil vom 28. Juli 1997 -
[60]bb) Die vorstehenden Erwägungen gelten entsprechend für die hilfsweise geltend gemachten etwaigen Ansprüche der Schuldnerin aus culpa in contrahendo. Denn die oben zu A. im Wortlaut abgedruckte Klausel 33.1.1 des Darlehensvertrages (Facility Agreement) benennt als von der Gerichtsstandsvereinbarung umfasst Streitigkeiten aus oder in Verbindung mit dem Darlehensvertrag einschließlich Streitigkeiten mit Bezug zu nicht vertraglichen Verpflichtungen aus oder in Zusammenhang mit dem Darlehensvertrag (Hervorhebung nur hier). Ansprüche aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen sind von dieser Klausel also unabhängig davon umfasst, ob diese - wie nach deutschem Recht - der (vor-) vertraglichen Sphäre oder - wie nach zahlreichen anderen europäischen Rechtsordnungen - der außervertraglichen (Delikts-) Haftung zuzuordnen sind. Für etwas anderes kann sich der Kläger auch nicht auf die bereits oben angeführten Rechtsprechung des EuGH zum Kartelldeliktsrecht berufen (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Mai 2015 - C-352/13, ZIP 2015, 2043, Rn. 69. - CDC Hydrogen Peroxide). Die Erwägungen des EuGH sind auf die hiesige Fallgestaltung bereits aus tatsächlichen Gründen nicht übertragbar. Weder liegt hier eine Klausel vor, die sich lediglich in abstrakter Weise auf Rechtsstreitigkeiten aus Vertragsverhältnissen bezieht, noch handelt es sich hier um einen Rechtsstreit, in dem ein Vertragspartner aus deliktischer Haftung wegen eines Verhaltens belangt wird, das bei Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung nicht vorhergesehen werden konnte. Auf die Ausführungen oben zu lit. aa) wird verwiesen.
[61]b) Die Klausel in Ziffer 33.1.1 des Darlehensvertrages (Facility Agreement) ist im Rahmen der Entscheidung über die Aussetzung nicht aufgrund ihrer Asymmetrie außer Betracht zu lassen.
[62]Eine Aussetzung nach Art. 31 Abs. 2 EuGVVO kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn das möglicherweise prorogierte Zweitgericht „gemäß einer Vereinbarung nach Artikel 25 [EuGVVO für den Rechtsstreit] ausschließlich zuständig ist“. Diese Ausschließlichkeit des prorogierten Gerichtsstandes gehört zum Wesenskern der Vorschrift, die im Anschluss an die sog. Torpedo-Klagen ermöglichende Rechtsprechung des EuGH (vgl. Urteil vom 9. Dezember 2003 - C-116/02, Slg 2003, I-14693, LS 2 und Rn. 54 - Gasser) dafür Sorge tragen sollte, die Verlässlichkeit von Gerichtsstandvereinbarungen zu stärken (vgl. Dörner in: Saenger, Zivilprozessordnung, 8. Auflage 2019, Art. 31 EuGVVO, Rn. 2; Hilbig-Lugani FS Rolf Schütze, 2014, 195, 198; Hohmeier IHR 2014, 217). Das Erfordernis einer Stärkung besteht ersichtlich nur bei solchen Gerichtsständen, die als ausschließliche Gerichtsstände gewollt sind. Zutreffend weist der Kläger zudem darauf hin, dass die oben zu A. im Wortlaut wiedergegebene Klausel 33.1.3 eine solche ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte Englands nur für Klagen der Schuldnerin gegen die Beklagte begründet, während die Beklagte - was die Klausel ausdrücklich vorsieht - nicht daran gehindert sein soll, gegen die Schuldnerin Verfahren vor anderen zuständigen Gerichten einzuleiten und sogar parallele Verfahren in mehreren Jurisdiktionen zu führen.
[63]Dies führt allerdings nicht dazu, dass die hier zu beurteilende Klausel nicht mehr als eine solche anzusehen wäre, die nach Art. 25 EuGVVO eine ausschließliche Zuständigkeit begründet. Eine Wirkung als ausschließlicher Gerichtsstand ist in Art. 25 Abs. 1 Satz 2 EuGVVO für sämtliche Gerichtsstandsvereinbarungen vorgesehen, „sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben“. Eine dahingehende Vereinbarung kann in der gewählten Gestaltungsvariante nicht gesehen werden. Nachdem die hiesige Klage des Klägers als Insolvenzverwalter der Schuldnerin gegen die Beklagte ausgesetzt werden soll, ist maßgeblich, welche Regelungen die Parteien für diese Art von Klage getroffen haben. Insoweit ist die Klausel aber eindeutig und lautet auf eine ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte Englands. Es liegt schon rein tatsächlich keine erkennbare Relativierung der Ausschließlichkeit dieser Zuständigkeit darin, dass für Klagen umgekehrten Rubrums ausdrückliche keine solchen Festlegungen getroffen werden sollen.
[64]Es ist auch nicht zu erkennen, dass Art. 31 Abs. 2 EuGVVO von Rechts wegen auf asymmetrische, einseitig begünstigende Gerichtsstandsklauseln unanwendbar wäre. Das deutschsprachige Schrifttum geht ganz überwiegend davon aus, dass insoweit keine Besonderheiten bestehen (vgl. Peiffer/Peiffer in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Werkstand: 60. EL August 2020, Art. 31 EuGVVO, Rn. 14; Schlosser in: ders./Hess, EU-Zivilprozessrecht, 4. Auflage 2015, Art. 31 Brüssel Ia-VO, Rn. 2; Freitag in: FS U. Magnus, 2014, S. 419, 430-431; a.A. begründungslos Mankowski RIW 2015, 17, 19). Dies entspricht der durch die C.-Entscheidung des High Court geprägten Rechtslage in England (Urteil vom 3. Februar 2017, Commerzbank v Liquimar [2017] EWHC 161 (Comm) = Anlage B35).
[65]Unter Geltung des Art. 3 lit. a) HGÜ 2005 mag demgegenüber wegen dessen Formulierung „to the exclusion of the jurisdiction of any other courts” (nach der im Jahr 2006 zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz abgestimmten Übersetzung: „unter Ausschluss der Zuständigkeit aller anderen Gerichte”) und aufgrund von Erwägungen in der vorbereitenden Kommission der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht (Nachweise in Anlage B31, bei und in Note 20) verbreiteter davon ausgegangen worden sein, dass asymmetrische Klauseln auszunehmen sind, was sich freilich im Text des Übereinkommens nicht konkreter niedergeschlagen hatte. Vorliegend sind dagegen die hier anwendbaren Vorschriften der Art. 25 Abs. 1 EuGVVO und Art. 31 Abs. 2 EuGVVO auszulegen, welche weder eine vergleichbare Formulierung noch Struktur aufweisen noch sonst besondere Anhaltspunkte dafür bieten, dass die zu Art. 3 lit. a) HGÜ 2005 angestellten Erwägungen auch hinsichtlich ihrer Auslegung zu gelten hätten. Hiergegen spricht schon in systematischer Hinsicht, dass Art. 3 lit. a) HGÜ 2005 an der „Ausschließliche[n] Gerichtsstandsvereinbarung“ selbst ansetzt, während nach dem Regelungsmodell in Art. 25 Abs. 1 EuGVVO jedwede Gerichtsstandsvereinbarung per Auslegungsregel für ausschließlich erklärt wird (insoweit wie zuvor in Art. 17 Abs. 1 EuGVÜ 1972), wenn nicht etwas anderes bestimmt ist. Die bereits bei Abschluss des HGÜ 2005 bekannte Praxis internationaler Darlehensverträge war auch bei den Vorarbeiten zur EuGVVO bekannt und hatte durch den Heidelberger Bericht Hervorhebung gefunden, indem dieser empfahl, asymmetrische Gerichtsstandsklauseln von der Pflicht zur Aussetzung auszunehmen (vgl. Hess/Pfeiffer/ Schlosser, Heidelberg Report, Rn. 892). Gleichwohl ist nicht zu erkennen, dass die EuGVVO insgesamt in der letztlich verabschiedeten Fassung diesem Ansinnen hätte näher treten wollen. Das im Heidelberger Bericht vorgeschlagene Lösungsmodell wurde vielmehr gerade nicht umgesetzt. Einzelne Anlehnungen an das HGÜ bei der Frage der Durchbrechung des Prioritätsprinzips und bei der Frage der Gültigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung nach dem Recht am Sitz des vereinbarten Gerichts geben für eine Übernahme auch der Literaturmeinungen zur Frage der Symmetrie der Gerichtsstandsvereinbarung nichts her.
[66]Der Wortlaut von Art. 25 Abs. 1 EuGVVO und Art. 31 Abs. 2 EuGVVO geht auf diese Frage nicht ein. Der Wortsinn begrenzt die Anwendbarkeit der Vorschriften daher nicht im Sinne des Klägers. Er bietet in beiden Normen keinen belastbaren Anhalt dafür, dass unter der EuGVVO ungeachtet der Nichtumsetzung des im Heidelberger Bericht vorgeschlagenen Modells dennoch zwischen symmetrischen und asymmetrischen Gerichtsstandsklauseln zu unterscheiden sein sollte, obschon eine gesonderte Erwähnung letzterer in der EuGVVO ungeachtet des im Raume stehenden Art. 17 Abs. 5 EuGVÜ 1972 gerade nicht erfolgte. Eindeutigkeit im Sinne des Klägers vermag der Formulierung auch nicht das Argument zu verleihen, wegen des Zusammenhangs mit der Anrufung des Zweitgerichts in Art. 31 Abs. 2 EuGVVO am Anfang müsse für dessen Anrufung die ausschließliche Zuständigkeit bestehen, was bei einer asymmetrischen Klausel gerade nicht der Fall sei. Nicht nur wird im selben Satz ebenso das Gericht des anderen Mitgliedstaates erwähnt. In der Sache geht es zudem um die Aussetzung von dessen Verfahren entgegen dem Justizgewährungsanspruch, weil für dieses Verfahren tatsächlich eine ausschließliche Zuständigkeit andernorts begründet sei. Die Formulierung stützt daher - wenn ihr an dieser Stelle überhaupt ein Erklärungswert für die Frage der asymmetrischen Gerichtsstandsklauseln zu entnehmen sein sollte - eher die Erwägung, dass für das auszusetzende Klageverfahren ein ausschließlicher Gerichtsstand bei dem Zweitgericht bestehen muss. Dies ist hier der Fall.
[67]Die systematische Erwägung, dass ausnahmsweise Zuständigkeitsregelungen eng auszulegen sind (vgl. EuGH, Urteil vom 20. Januar 2005 - C-464/01, Slg 2005, I-439, Rn. 43 nach juris), führt zu keinem anderen Ergebnis. Lediglich die Regelung in Art. 31 Abs. 2 EuGVVO ist eine Ausnahmevorschrift zu dem in Artt. 29 Abs. 1, 31 Abs. 1 EuGVVO geregelten Prioritätsprinzip. Die Regelung in Art. 25 Abs. 1 EuGVVO, welche sedes materiae der Ausschließlichkeit ist, ist dagegen keine Ausnahmevorschrift. Zudem ist nicht zu erkennen, an welcher Stelle des Wortlautes denn eine wortlautgetreue, enge Auslegung im Sinne des Klägers ansetzen sollte, wenn Art. 31 Abs. 2 EuGVVO - was in der Sache auch unabdingbar erscheint - gerade beide Klageverfahren erwähnt. Ein solcher Ansatz folgt auch nicht - außerhalb des Wortlauts - aus der Erwägung, dass jedes mitgliedstaatliche Gericht nur seine eigene, nicht aber die Zuständigkeit eines in einem anderen Mitgliedstaat gelegenen Gerichts prüfen solle. Dies soll auf dem Vertrauen beruhen, das die Vertragsstaaten gegenseitig ihren Rechtssystemen und Rechtspflegeorganen entgegenbringen (vgl. EuGH, Urteil vom 9. Dezember 2003 - C-116/02, Slg 2003, I-14693, LS 2 und Rn. 72 - Gasser). Allerdings hatte der EuGH gerade mit dieser Erwägung seine Entscheidung zu sog. Torpedoklagen begründet, durch die eine Rechtslage geschaffen wurde, die mit der Ausnahmevorschrift des Art. 31 Abs. 2 EuGVVO durchbrochen werden sollte.
[68]Aus der Formulierung des Erwägungsgrunds 22 zur EuGVVO folgt ebenso wenig, dass der europäische Verordnungsgeber tatsächlich einseitig begünstigende Gerichtsstandsklauseln nicht zur Begründung einer ausschließlichen Zuständigkeit im Sinne von Art. 31 Abs. 2 EuGVVO hätte ausreichen lassen wollen. Zwar mag der Erwägungsgrund verschiedentlich „das vereinbarte Gericht“ in der Einzahl erwähnen. Daraus lässt sich jedoch nicht belastbar darauf schließen, dass die Regelungen nur dann Anwendung finden sollten, wenn tatsächlich nur ein einziges Gericht für beide Parteien der ausschließliche Gerichtsstand sein sollte. „[D]as vereinbarte Gericht“ ist hier jeweils vielmehr ersichtlich das für die andernorts angebrachte Klage richtigerweise vereinbarte Gericht. Dieses existiert auch bei einer einseitig begünstigenden Gerichtsstandsklausel wie der hier in Rede stehenden nur einmal (zur Frage der Vereinbarung der Gerichte Englands sogleich zu c.), so dass sich aus der Verwendung der Einzahl gerade kein Argument für den Kläger ergibt. Etwas anderes folgt auch nicht aus den angestellten Erwägungen zu Art. 17 Abs. 5 EuGVÜ 1972. Die dortige gesonderte Ausweisung von Gerichtsstandsvereinbarungen nur zugunsten einer der Parteien hat nur klarstellende Wirkung und ist zudem in Art. 25 EuGVVO gerade nicht übernommen worden, was eher für die Sichtweise der Beklagten spricht.
[69]c) Die Klausel in Ziffer 33.1.1 des Darlehensvertrages (Facility Agreement) ist im Rahmen der Entscheidung über die Aussetzung schließlich auch nicht aufgrund der Benennung der Gerichte Englands in ihrer Gesamtheit außer Betracht zu lassen.
[70]Die oben zu A. im Wortlaut wiedergegebene Klausel sieht allerdings in der Tat eine ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte Englands vor. Dies ist im Streitfall jedoch ohne rechtliche Bedeutung, weil das konkurrierende Gericht der High Court in London ist, der für Streitigkeiten der fraglichen Größenordnung in England allein zuständig ist. Insoweit fehlt der Klausel im Streitfall gerade nicht der durch Heranziehung des englischen Prozessrechts sonst aufzufüllende Aspekt der örtlichen Zuständigkeit. Dem Anliegen des Klägers hilft auch nicht der Gedanke, die Klausel könne auch im hiesigen Rechtsstreit ungeeignet sein, eine Aussetzung gemäß Art. 31 Abs. 2 EuGVVO zu rechtfertigen, weil sie in anderen Fallkonstellationen - beispielsweise unterhalb der für die Anrufung des High Court gegebenen Streitwertgrenze - der Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts ermangelte. Denn Art. 31 Abs. 2 EuGVVO stellt ersichtlich auf den konkreten Akt des Anrufens ab und nicht auf die abstrakte Eignung der Klausel.
[71]Unabhängig hiervon wäre der Rechtsposition des Klägers auch in der Sache nicht beizutreten. Hinsichtlich des für zuständig erklärten Gerichts genügt nämlich generell dessen Bestimmbarkeit nach objektiven Kriterien (EuGH, Urteil vom 9. November 2000 - C-387/98, Slg 2000, I-9337, LS 1 - Coreck Maritime; Schlosser in: ders./Hess, EU-Zivilprozessrecht, 4. Aufl. 2015, Art. 25 Brüssel Ia-VO, Rn. 12). Das Erfordernis einer solchen Bestimmung nimmt der Klausel nicht die erforderliche Ausschließlichkeit im Sinne des Art. 31 Abs. 2 EuGVVO. Diese Vorschrift verweist - wie bereits dargetan - zur Frage der ausschließlichen Vereinbarung auf Art. 25 EuGVVO. Letzterer definiert in Abs. 1 solche Vereinbarungen als ausschließlich, in denen „ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats“ entscheiden sollen. Dieser Maßstab gilt auch im Rahmen des Art. 31 Abs. 2 EuGVVO (vgl. Stadler in: Musielak/Voit, ZPO, 17. Auflage 2020, Art. 31 EuGVVO, Rn. 6; Geimer in: Zöller, ZPO, 33. Auflage 2020, Art. 31 EuGVVO, Rn. 12; s.a. Gottwald in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Auflage 2017, Art. 31 Brüssel Ia-VO, Rn. 3; für eine analoge Anwendung Klöpfer, Missbrauch im Europäischen Zivilverfahrensrecht, 2016, S. 358).
[72]Aus demselben Grund kann sich der Kläger auch nicht auf die gegenüber Art. 25 Abs. 1 EuGVVO oder dem zu dieser Vorschrift gehörenden Erwägungsgrund 20 engere Formulierung des Art. 31 Abs. 2 EuGVVO berufen. Was im Sinne des Art. 31 Abs. 2 EuGVVO „ein Gericht [ist] (…) das (…) ausschließlich zuständig ist“, bemisst sich nach Art. 25 Abs. 1 EuGVVO. Dementsprechend braucht die verweisende Vorschrift erweiterte Tatbestände der Vorschrift, auf die verwiesen wird, gerade nicht zu wiederholen. Hierin liegt ganz augenscheinlich auch der Grund, warum im Rahmen der Kommissionsberatungen zur Verabschiedung der EuGVVO die Formulierung geändert worden ist. Tatsächlich ist dabei nicht - wie der Kläger mit seinem Rechtsgutachten glauben machen möchte (Anlage K 45, Rn. 192-196) - schlicht die Formulierung „oder aller Gerichte eines Mitgliedstaats“ aus der Entwurfsfassung gestrichen worden, was dafür spräche, dass die Prorogation aller Gerichte eines Mitgliedstaats aus dem Anwendungsbereich des späteren Art. 31 Abs. 2 EuGVVO habe herausgenommen werden sollen. Vielmehr ist die eigene Definition „eines oder aller Gerichte eines Mitgliedstaats“ durch eine vollumfängliche Bezugnahme auf den späteren Art. 25 EuGVVO ersetzt worden. Demgemäß bedurfte es aber einer Wiederholung der bereits in Art. 25 EuGVVO enthaltenen Wendung „Gericht eines Mitgliedstaats“ in Art. 31 Abs. 2 EuGVVO nicht mehr.
[73]C. ...