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Verfahrensgang

BGH, Urt. vom 16.09.2015 – VIII ZR 17/15, IPRspr 2015-210

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Besonderer Vertragsgerichtsstand

Leitsatz

Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für die Kaufpreisklage eines Insolvenzverwalters am inländischen Sitz des Insolvenzgerichts aus einem vom inländischen Insolvenzschuldner vor Einleitung des Insolvenzverfahrens geschlossenen Kaufvertrag mit einem in einem anderem Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässigen Käufer (hier: auf Kaufpreiszahlung in Anspruch genommener Mitverpflichteter) bestimmt sich auch dann nicht nach Art. 3 I EuInsVO – sondern nach den Bestimmungen der EuGVO –, wenn der in Anspruch Genommene hilfsweise die Aufrechnung mit Gegenforderungen erklärt und der Insolvenzverwalter die Aufrechnungen als gemäß § 96 I Nr. 3 InsO unwirksam ansieht.

Rechtsnormen

CISG Art. 1; CISG Art. 53
EGBGB Art. 3; EGBGB Art. 27; EGBGB Art. 32
EuGVVO 1215/2012 Art. 66
EUGVVO 44/2001 Art. 1; EUGVVO 44/2001 Art. 5; EUGVVO 44/2001 Art. 23
EuInsVO 1346/2000 Art. 3; EuInsVO 1346/2000 Art. 4; EuInsVO 1346/2000 Art. 6; EuInsVO 1346/2000 Art. 13
InsO § 96
IPR-AnpG Art. 1
ZPO § 322

Sachverhalt

[Das vorgehende Urteil des OLG Hamm vom 4.12.2014 – I-2 U 29/14 – wurde bereits im Band IPRspr. 2014 unter der Nr. 190 abgedruckt.]


Der Kl. ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der L. G. GmbH (im Folgenden: Schuldnerin), die bis zu ihrer Insolvenzantragstellung 2006 im nordrhein-westfälischen V. eine Hähnchenmästerei betrieb. Im Einzelnen war der Geschäftsablauf in einem in niederländischer Sprache verfassten „Integrationsvertrag Mastküken“ zwischen der Schuldnerin als Mästerin, der Rechtsvorgängerin der Bekl. als Futtermittellieferantin sowie dem Brutbetrieb und dem Schlachthof geregelt; bis auf die Schuldnerin sind sämtliche Vertragsbeteiligten in den Niederlanden ansässig. Der Vertrag enthielt folgende Gerichtsstandsbestimmung: „Für alle Streitigkeiten, die sich aus diesem Vertrag ergeben, ist das Gericht in 's-Hertogenbosch gemäß den normalen Zuständigkeitsvorschriften befugt.“ Der Kl. beansprucht von der Bekl. den Kaufpreis nebst Zinsen für Masthähnchen, welche die Schuldnerin im Februar und März 2006 an den Schlachthof geliefert hat.

Das für den Sitz des Insolvenzgerichts zuständige LG Bielefeld hat auf dahingehende Rüge der Bekl. die Klage mangels internationaler Zuständigkeit deutscher Gerichte als unzulässig abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Kl. hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kl. sein Zahlungsbegehren weiter.

Aus den Entscheidungsgründen:

[12] II. Die Beurteilung des Berufungsgerichts hinsichtlich der Frage der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte hält rechtlicher Nachprüfung stand, so dass die Revision zurückzuweisen ist.

[13] Das Berufungsgericht hat für die auf Art. 7 des Integrationsvertrags gestützten Ansprüche des Kl. zutreffend eine – auch noch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfende (Senatsurteil vom 7.11.2012 – VIII ZR 108/12 (IPRspr 2012-181b), BGHZ 195, 243 Rz. 10 m.w.N.) – internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte verneint. Der Umstand, dass die Bekl. sich gegenüber dem auf dieser Grundlage erhobenen Zahlungsbegehren hilfsweise mit Aufrechnungen verteidigt, welche der Kl. gemäß § 96 I Nr. 3 InsO für unzulässig hält, ist nicht geeignet, die Klage insoweit als insolvenzrechtliche Annexstreitigkeit im Sinne von Art. 3 I EuInsVO zu qualifizieren, auf die die gemäß Art. 66 II der VO (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 12.12.2012 (ABl. Nr. L 351/1) für die vorliegende Fallgestaltung fortgeltende EuGVO gemäß deren Art. 1 II lit. b keine Anwendung fände. Es handelt sich bei der Klage vielmehr um eine Zivil- und Handelssache im Sinne von Art. 1 I 1 EuGVO, zu deren Entscheidung das in Art. 14 des Integrationsvertrags bezeichnete niederländische Gericht gemäß Art. 23 I EuGVO ausschließlich zuständig ist.

[14] 1. Nach Art. 3 I EuInsVO sind für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Gerichte des Mitgliedstaats (international) zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat, was bei – wie hier – Gesellschaften und juristischen Personen regelmäßig auf den Ort des satzungsmäßigen Sitzes hinweist. Diese auf eine Ausschließlichkeit angelegte Zuständigkeitsregelung (vgl. BGH, Urt. vom 19.5.2009 – IX ZR 39/06 (IPRspr 2009-307), WM 2009, 1294 Rz. 16, 20) ist nach der Rspr. des EuGH angesichts des hiermit verfolgten Zwecks dahin zu verstehen, dass sie den Gerichten des für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zuständigen Mitgliedstaats eine internationale Zuständigkeit auch für Klagen zuweist, die unmittelbar aus diesem Verfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang damit stehen (EuGH, Urteile vom 11.6.2015 – Comité d'entreprise de Nortel Networks S.A. u. a. ./. Cosme Rogeau liquidateur de Nortel Networks S.A. und Cosme Rogeau liquidateur de Nortel Networks S.A. gegen Alan Robert Bloom u.a., Rs C-649/13, WM 2015, 1764 Rz. 27; vom 19.4.2012 – F-Tex SIA ./. Lietuvos-Anglijos UAB Jadecloud-Vilma, Rs C-213/10, RIW 2012, 394 Rz. 26 f.; vom 10.9.2009 – German Graphics Graphische Maschinen GmbH ./. Alice van der Schee, Rs C-292/08, RIW 2009, 798 Rz. 26 f.; je m.w.N.). Um eine solche Klage, die nach der zwischen der EuInsVO und der EuGVO bestehenden Systematik gemäß Art. 1 II lit. b EuGVO vom Anwendungsbereich der letztgenannten Verordnung ausgenommen wäre (EuGH, Urt. vom 4.9.2014 – Nickel & Goeldner Spedition GmbH ./. Kintra UAB, Rs C-157/13, RIW 2014, 673 Rz. 21 m.w.N.), handelt es sich hier indes nicht.

[15] a) Als Klagen, die unmittelbar aus einem Insolvenzverfahren hervorgehen und damit in engem Zusammenhang stehen, hat der EuGH hinsichtlich der deutschen Insolvenzordnung etwa Insolvenzanfechtungsklagen angesehen, die vom Insolvenzverwalter erhoben werden können, um Rechtshandlungen anzufechten, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die Gläubiger schädigen. Gleiches gilt für Klagen, die der Insolvenzverwalter einer insolventen Gesellschaft gegen deren Geschäftsführer auf Rückzahlung von Beträgen erhebt, die nach Eintritt des Insolvenzeröffnungsgrunds geleistet worden sind (EuGH, C-157/13 aaO Rz. 24; vom 4.12.2014 – H ./. H. K., Rs C-295/13, RIW 2015, 67 Rz. 24 ff.; je m.w.N.).

[16] Dagegen hat der EuGH keinen nach diesen Merkmalen dem Art. 3 I EuInsVO zuzuordnenden insolvenzrechtlichen Annexcharakter etwa solchen Klagen beigemessen, die ein Gläubiger gegen den Insolvenzverwalter auf Sicherung einer vor Verfahrenseröffnung unter Eigentumsvorbehalt an den Insolvenzschuldner gelieferten Sache erhoben hat oder die ein Dritter aufgrund einer ihm vom Insolvenzverwalter abgetretenen und auf dessen Anfechtungsrecht gestützten Forderung gegen einen Vertragspartner des Insolvenzschuldners angestrengt hat (EuGH, C-157/13 aaO Rz. 25 m.w.N.). Auch sonst werden nach zutreffender Auffassung Klagen, mit denen ein Insolvenzverwalter schuldrechtliche Ansprüche aus Geschäften geltend macht, die der Insolvenzschuldner vor Insolvenzeröffnung mit Dritten geschlossen hat, einhellig nicht als insolvenzrechtliche Annexverfahren im genannten Sinne qualifiziert (vgl. nur Rauscher-Mäsch, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl., Art. 1 EG-InsVO Rz. 9; Geimer-Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl., A. 1 Art. 1 EuGVVO Rz. 130; MünchKommZPO-Gottwald, 4. Aufl., Art. 1 EuGVO Rz. 20; Musielak-Voit-Stadler, ZPO, 12. Aufl., Art. 1 EuGVVO a.F. Rz. 7; je m.w.N.). Dementsprechend hat der EuGH die Klage auf Erfüllung einer auf die Erbringung von Beförderungsdienstleistungen gestützten Forderung, die von dem im Rahmen eines in einem Mitgliedstaat eröffneten Insolvenzverfahrens bestimmten Verwalter eines insolventen Unternehmens gegen den in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Empfänger dieser Dienstleistungen gerichtet war, bereits nicht als eine unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgegangene Klage, sondern als eine zur Anwendbarkeit der EuGVO führende Zivil- und Handelssache angesehen (EuGH, C-157/13 aaO Rz. 28 ff.).

[17] Zu letztgenannter Fallgruppe zählt auch die hier anhängige Klage, und zwar ungeachtet des Umstands, dass auf einer nachrangigen Stufe der Anspruchsprüfung möglicherweise einmal der von der Bekl. erhobene Aufrechnungseinwand und die dagegen vom Kl. geltend gemachte Unzulässigkeit der Aufrechnung gemäß § 96 I Nr. 3 InsO erheblich werden könnten.

[18] b) Unter Hinweis darauf, dass der in Art. 1 I EuGVO enthaltene Begriff der Zivil- und Handelssachen und damit der Anwendungsbereich dieser Verordnung im Gegensatz zum Anwendungsbereich der Zuständigkeitsvorschriften der EuInsVO weit zu fassen ist (EuGH, C-157/13 aaO Rz. 22 m.w.N.), hat der EuGH bei der Prüfung der Frage, ob eine Klage sich unmittelbar aus einem Insolvenzverfahren herleitet, als das ausschlaggebende Kriterium zur Bestimmung des Gebiets, dem die Klage zuzurechnen ist, nicht den prozessualen Kontext angesehen, in dem diese Klage steht, sondern deren Rechtsgrundlage. Danach ist zu prüfen, ob der Anspruch oder die Verpflichtung, die der Klage als Grundlage dienen, den allgemeinen Regelungen des Zivil- und Handelsrechts entspringen oder aber den abweichenden Spezialregelungen für Insolvenzverfahren (EuGH, C-157/13 aaO Rz. 27; C-295/13 aaO Rz. 21; ähnlich schon C-292/08 aaO Rz. 32).

[19] aa) Diese Rechtsgrundlage bilden hier zum einen Art. 53 CISG, der mangels eines erkennbaren Willens der Vertragsparteien zum Ausschluss des UN-Kaufrechtsübereinkommens auf den geltend gemachten Kaufpreisanspruch auch bei einer dem Integrationsvertrag zu entnehmenden Wahl niederländischen anstelle deutschen Rechts [s.u. II. 1. c) bb)] gemäß Art. 1 I lit. a CISG zur Anwendung kommt (vgl. Senatsurteil vom 4.4.1979 – VIII ZR 199/78 (IPRspr. 1979 Nr. 152b), BGHZ 74, 136, 139 f.; Schlechtriem-Schwenzer-Ferrari, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, 6. Aufl., Art. 6 Rz. 31; Schlechtriem-Schwenzer-Schroeter aaO Vor Artt. 14–24 Rz. 41; je m.w.N.), sowie zum anderen Art. 7 des Integrationsvertrags, aus dem der Kl. eine Mitverpflichtung der Bekl. für die Kaufpreiszahlung herleiten will. Der Klageanspruch entspringt daher den auf eine Anwendbarkeit der EuGVO abzielenden allgemeinen Regelungen des Zivil- und Handelsrechts.

[20] Das gilt selbst unter Berücksichtigung des Umstands, dass zu den von den allgemeinen Regelungen des Zivil- und Handelsrechts abweichenden Spezialregelungen für Insolvenzverfahren, auf die eine Klage gestützt wird, auch solche zählen können, deren Anwendung zwar nicht die förmliche Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, wohl aber die materielle Zahlungsunfähigkeit des Schuldners voraussetzen (EuGH, C-295/13 aaO Rz. 22). Denn auch hierzu zählen die genannten Rechtsgrundlagen der Klageforderung nicht.

[21] bb) Daran ändert – anders als die Revision meint – der Umstand nichts, dass die Bekl. sich gegen die Klageforderung u.a. mit einer Hilfsaufrechnung verteidigt, die der Kl. aus insolvenzrechtlichen Gründen für unzulässig und damit unwirksam hält. Denn ungeachtet der von der Revision hervorgehobenen Rechtskrafterstreckung des § 322 II ZPO, zu der es ohnehin nicht käme, wenn die Aufrechnung – wie vom Kl. eingewandt – bereits gemäß § 96 I Nr. 3 InsO unzulässig wäre (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 31.7.2001 – XI ZR 217/01, NJW 2001, 3616 [unter II.] m.w.N.; vom 22.12.2010 – IV ZR 221/10, juris Rz. 2), kann diesem Verteidigungsmittel keine zuständigkeitsbegründende Wirkung beigemessen werden.

[22] Zuständigkeitsbestimmende Grundlage des Anspruchs, auf den eine Klage gestützt wird, sind vielmehr der Sachverhalt und die für diesen Anspruch maßgeblichen Rechtsvorschriften, hier also Art. 53 CISG i.V.m. Art. 7 des Integrationsvertrags (vgl. EuGH, Urt. vom 9.11.2010 – Bianca Purrucker ./. Guillermo Vallés Pérez, Rs C-296/10, NJW 2011, 363 Rz. 68; BGH, Urt. vom 24.3.2011 – I ZR 211/08 (IPRspr 2011-229), GRUR 2011,1112 Rz. 21; je m.w.N.). Bei der zu treffenden Feststellung, ob ein Rechtsstreit in den Anwendungsbereich der EuGVO fällt, ist deshalb nur der so bestimmte Gegenstand dieses Rechtsstreits zu berücksichtigen. Denn es würde – wie der EuGH für vergleichbare Fallgestaltungen im Zusammenhang mit ausschließlichen Zuständigkeiten mehrfach hervorgehoben hat – gegen den im Erwgr. 11 der EuGVO eigens hervorgehobenen Grundsatz der Rechtssicherheit verstoßen, wenn die Anwendbarkeit einer Regel über die gerichtliche Zuständigkeit, die – wie hier Art. 1 II lit. b EuGVO, 3 I EuInsVO – auf das Wesen des Rechtsstreits abstellt (vgl. EuGH, C-157/13 aaO; C-295/13 aaO Rz. 21), von der Existenz einer Vorfrage, die von den Parteien jederzeit aufgeworfen werden kann, mit der Folge abhinge, dass das Wesen des Rechtsstreits dadurch geändert würde (EuGH, Urteile vom 15.5.2003 – Préservatrice foncière TIARD S.A. ./. Staat der Nederlanden, Rs C-266/01, IPRax 2003, 528 Rz. 42; vom 12.5.2011 – Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), Anstalt des öffentlichen Rechts ./. JPMorgan Chase Bank N.A., Frankfurt Branch, Rs C-144/10, RIW 2011, 464 Rz. 33 ff.; je m.w.N.).

[23] Dementsprechend misst der EuGH Verteidigungsmitteln, welche – wie hier der lediglich hilfsweise erhobene Aufrechnungseinwand der Bekl. und die dagegen eingewandte insolvenzrechtliche Unzulässigkeit einer solchen zur Anspruchstilgung führenden Aufrechnung – gegen den jeweiligen Klageanspruch vorgebracht werden, durchgängig keine zuständigkeitsprägenden Wirkungen zu (EuGH, Urteile vom 8.5.2003 – Gantner Electronic GmbH ./. Basch Exploitatie Maatschappij BV, Rs C-111/01, NJW 2003, 2596 Rz. 30 ff.; C-266/01 aaO Rz. 43; vom 14.10.2004 – Mærsk Olie & Gas A/S ./. Firma M. de Haan en W. de Boer, Rs C-39/02, IPRax 2006, 262 Rz. 36; C-144/10 aaO Rz. 38 f.; je m.w.N.; vgl. auch Senatsurteil vom 23.6.2010 – VIII ZR 135/08 (IPRspr 2010-197), BGHZ 186, 81 Rz. 17).

[24] c) Darüber hinaus fehlt es der Klage an dem zusätzlich erforderlichen engen Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin. Das ergibt sich nicht nur daraus, dass es – worauf die Revisionserwiderung mit Recht hinweist – ungewiss ist, ob der lediglich hilfsweise erhobene Aufrechnungseinwand der Bekl. und die dagegen wiederum eingewandte insolvenzrechtliche Unzulässigkeit einer Aufrechnung überhaupt zur Entscheidung kommen, und dass die Bekl. in ihrer Entscheidung frei war, diesen Einwand zu erheben oder ihn – was auch zulässig wäre (vgl. BGH, Urt. vom 19.11.2008 – XII ZR 123/07, BGHZ 179, 1 Rz. 12; BAG, Urt. vom 1.2.1979 – 3 AZR 572/77, juris Rz. 30) – im weiteren Verlauf des Rechtsstreits wieder fallenzulassen (vgl. EuGH, C-213/10 aaO Rz. 43). Vielmehr folgt dies auch daraus, dass selbst dann, wenn sich das Aufrechnungsverbot des § 96 I Nr. 3 InsO letzten Endes doch als prüfungsrelevant erweisen sollte, es sich – anders als die Revision meint – dabei nur um einen dem Insolvenzstatut des Art. 4 EuInsVO folgenden singulären Prüfungsgesichtspunkt handelte, dessen Verbindung zum Insolvenzverfahren neben den ansonsten durchgängig nach dem niederländischen Vertragsstatut zu prüfenden Rechtsfragen keine eigenständige, die Konzentration der Entscheidungszuständigkeit bei dem Gericht am Sitz des Insolvenzgerichts rechtfertigende Bedeutung beigemessen werden kann.

[25] aa) Die Rspr. des EuGH zur Einbeziehung der Annexverfahren in den Anwendungsbereich des Art. 3 I EuInsVO stützt sich maßgeblich auf die Erwägung, auf diese Weise die praktische Wirksamkeit der genannten Verordnungsbestimmung zu gewährleisten (EuGH, C-649/13 aaO Rz. 39 f.; vom 12.2.2009 – Christopher Seagon ./. Deko Marty Belgium N.V., Rs C-339/07, NJW 2009, 2189 Rz. 21). Vor diesem Hintergrund hat der EuGH sich veranlasst gesehen, den Gerichten des Staats der Verfahrenseröffnung die internationale Zuständigkeit für sämtliche sich unmittelbar aus der Insolvenz eines Unternehmens ergebende und damit in engem Zusammenhang stehende Verfahren zuzuweisen, um durch die Bündelung dieser Klagen die Effizienz grenzüberschreitender Insolvenzen zu verbessern und die Klageverfahren zu beschleunigen (EuGH, C-339/07 aaO Rz. 22; BAG, NZI 2012, 1011, 1013 (IPRspr 2012-63c)).

[26] Die insbesondere über das Merkmal des engen Zusammenhangs beabsichtigte Verfahrenseffizienz, nämlich über eine dadurch bedingte Sachnähe des Gerichts am Sitz des Insolvenzgerichts zu den tatsächlichen und rechtlichen Fragen des Streitfalls diese Fragen einfacher und schneller als andere Gerichte entscheiden zu können (vgl. Schlussanträge GA vom 29.1.2015 – Comité d'entreprise de Nortel Networks S.A. u. a. ./. Cosme Rogeau u. Cosme Rogeau ./. Alan Robert Bloom u.a., Rs C-649/13, juris Rz. 35, 50; Stellungnahme der Kommission im Urteil des EuGH vom 4.12.2014 – C-295/13 aaO Rz. 16), ist jedoch dann nicht mehr gegeben, wenn das Gericht am Sitz des Insolvenzgerichts etwa über Sachverhalte entscheiden müsste, deren rechtliche Beurteilung sich in wesentlichen Teilen nach einer ihm fremden Rechtsordnung richten würde mit der Folge, dass es sich die für die Beurteilung notwendigen Kenntnisse im Gegensatz zum sonst zuständigen Prozessgericht erst aufwändig verschaffen müsste (vgl. BAG aaO). So liegt der Fall hier.

[27] bb) Die – worauf die Revisionserwiderung mit Recht hinweist – bereits zum Anspruchsgrund streitige Frage, ob die Bekl. neben dem als Vertragspartner belieferten Schlachthof für die Zahlung des (unstreitigen) Kaufpreisanspruchs (Art. 53 CISG) mitverpflichtet ist, beurteilt sich nach Art. 7 des Integrationsvertrags. Auf diesen ist ungeachtet der sonst für einen Schuldbeitritt in Betracht kommenden Anknüpfungsmöglichkeiten (vgl. dazu BGH, Urt. vom 11.11.2010 – VII ZR 44/10 (IPRspr 2010-44), NJW-RR 2011, 130 Rz. 14 f.; MünchKomm-Martiny, 6. Aufl., Art. 15 Rom I-VO Rz. 25 ff.; je m.w.N.) gemäß Art. 3 I 1, 27 I EGBGB in der bis zum 16.12.2009 geltenden Fassung [vgl. Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die VO (EG) Nr. 593/2008 vom 25.6.2009 (BGBl. I 1574); nachfolgend: EGBGB a.F.] nicht (unvereinheitlichtes) deutsches, sondern (unvereinheitlichtes) niederländisches Recht als das von den Vertragsparteien gewählte Recht anzuwenden. Denn eine Gerichtsstandsvereinbarung, wie sie in Art. 14 des Integrationsvertrags getroffen worden ist, beinhaltet bei Fehlen gegenläufiger Anhaltspunkte regelmäßig zugleich die konkludente Wahl des an diesem Gerichtsstand geltenden Rechts, da die Vertragsparteien im Allgemeinen davon ausgehen, dass das als zuständig vereinbarte Gericht sein eigenes Recht anwenden werde und dies dementsprechend auch anwenden soll [BGH, Urteile vom 4.2.1991 – II ZR 52/90 (IPRspr. 1991 Nr. 171), NJW 1991, 1420 unter 2. a) m.w.N.; vom 13.6.1996 – IX ZR 172/95 (IPRspr. 1996 Nr. 36), WM 1996, 1467 unter II. 1. b); vom 26.7.2004 – VIII ZR 273/03 (IPRspr 2004-27), WM 2004, 2066 unter II. 2; BeckOK-BGB-Spickhoff, Stand Februar 2013, Art. 3 VO (EG) 593/2008 Rz. 21; MünchKomm-Martiny aaO Art. 3 Rom I-VO Rz. 48 m.w.N.].

[28] Dieses auf eine Wahl niederländischen Rechts hindeutende Indiz wird hier noch dadurch verstärkt, dass die Vertragsparteien als Vertragssprache zugleich die ihnen sämtlich vertraute niederländische Sprache gewählt und die Vertragsurkunde dementsprechend in dieser Sprache verfasst haben [vgl. BGH, Urt. vom 25.9.1997 – II ZR 113/96 (IPRspr. 1997 Nr. 60), NJW 1998, 1321 unter II. 1. b); MünchKomm-Martiny aaO Rz. 63 m.w.N.]. Demgemäß kommt, da das UN-Kaufrechtsübereinkommen die Voraussetzungen, Wirkungen und Folgen einer Schuldübernahme oder eines Schuldbeitritts nicht regelt (Senatsurteil vom 23.10.2013 – VIII ZR 423/12 (IPRspr 2013-51), WM 2014, 74 Rz. 12 m.w.N.), auf die zwischen den Parteien streitige Frage, ob, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Wirkungen Art. 7 des Integrationsvertrags als Mitverpflichtung der Bekl. verstanden werden kann, das niederländische Recht einschl. der in der dortigen Rechtspraxis gehandhabten Wertungen und Auslegungsregeln zur Anwendung.

[29] cc) Das inländische Gericht am Sitz des Insolvenzgerichts hätte bei Zuweisung einer internationalen Entscheidungszuständigkeit deshalb – jeder Verfahrenseffizienz zuwider – vorrangig nicht nur diese ‚insolvenzferne’ Frage anhand des ihm regelmäßig nicht vertrauten ausländischen Zivilrechts zu klären. Es hätte sich ferner mit der gemäß Art. 32 I Nr. 4 EGBGB a.F. nach niederländischem Recht zu beurteilenden und der Hilfsaufrechnung ebenfalls vorrangigen Frage einer Anspruchsverjährung zu befassen. Erst wenn sich danach ein unverjährter Zahlungsanspruch gegen die Bekl. ergäbe, stünde die Wirksamkeit der von der Bekl. für diesen Fall geltend gemachten Hilfsaufrechnung zur Beurteilung an.

[30] Zudem beschränkte sich die dabei vorzunehmende Prüfung nicht auf die gemäß Art. 4 II 2 lit. m EuInsVO nach deutschem Insolvenzrecht zu beurteilende Frage einer nach § 96 I Nr. 3 InsO gegebenen (Un-)Zulässigkeit der Aufrechnung. Denn die Anwendbarkeit dieser Regelung, die ungeachtet des nach Art. 6 I EuInsVO für die Aufrechnung maßgeblichen niederländischen Sachstatuts (vgl. dazu Uhlenbruck-Lüer, InsO, 14. Aufl., Art. 6 EuInsVO Rz. 4) gemäß Art. 6 II EuInsVO zu beachten wäre, stünde gemäß Art. 13 EuInsVO unter dem Vorbehalt, dass die Bekl. als durch die benachteiligende Rechtshandlung begünstigte Person nachweist, dass die Aufrechnung, gleich ob sie auf die gesetzlichen Bestimmungen oder ebenso wie die Klageforderung auf Art. 7 des Integrationsvertrags und eine darin möglicherweise liegende Erweiterung der gesetzlichen Aufrechnungsmöglichkeiten gestützt ist, nach dem für sie gemäß Art. 32 I Nr. 4 EGBGB a.F. maßgeblichen niederländischen Recht in keiner Weise angreifbar ist. Das für den Sitz des Insolvenzgerichts zuständige inländische Gericht hätte also – ohne dass es darauf für das gefundene Ergebnis allerdings noch entscheidend ankäme – nicht nur die Anfechtbarkeit der Aufrechnung nach deutschem Insolvenzrecht, sondern bei entspr. Vortrag parallel dazu auch nach niederländischem Recht zu beurteilen, um darüber das weniger anfechtungsfreundliche Recht zur Anwendung zu bringen (vgl. Uhlenbruck-Lüer aaO Art. 13 EuInsVO Rz. 1).

[31] dd) Der hiernach fehlende enge Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin wird im Übrigen auch nicht bereits dadurch hergestellt, dass Art. 4 II 1, 2 lit. m EuInsVO das Recht des Staats der Verfahrenseröffnung zu der Frage für anwendbar erklärt, welche Rechtshandlungen nichtig, anfechtbar oder relativ unwirksam sind, weil sie die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligen. Denn bei dieser Vorschrift handelt es sich nur um eine das anwendbare materielle Recht regelnde Kollisionsnorm, ohne dass sie darüber hinausgehende Auswirkungen auf den Anwendungsbereich der EuGVO hat (vgl. EuGH, C-292/08 aaO Rz. 37).

[32] 2. Da hiernach die Anwendbarkeit der EuGVO nicht gemäß deren Art. 1 II lit. b ausgeschlossen ist, ist das in Art. 14 des Integrationsvertrags bezeichnete niederländische Gericht ungeachtet des Umstands, dass sich ansonsten auch aus der Lieferverpflichtung in Art. 5 Abs. 1 des Integrationsvertrags eine gleichlaufende Erfüllungsortszuständigkeit nach Art. 5 I litt. a, b Spiegelstrich 1 EuGVO ergäbe, gemäß Art. 23 I EuGVO zur Entscheidung des Rechtsstreits ausschließlich zuständig. Denn die Vertragsparteien haben – was nicht im Streit steht – in Art. 14 des Integrationsvertrags eine den Anforderungen des Art. 23 I EuGVO gerecht werdende Zuständigkeitsvereinbarung getroffen, welche allein schon wegen der ihr nach Art. 23 I 2 EuGVO zukommenden Ausschließlichkeit einer internationalen Entscheidungszuständigkeit deutscher Gerichte, die im Übrigen auch nach keinem anderen Gerichtsstand der EuGVO zuständig wären, entgegensteht. Dass der Kl., der aus dem lange vor Einleitung des Insolvenzverfahrens in nicht anfechtbarer Weise geschlossenen Integrationsvertrag von der Bekl. Erfüllung begehrt, in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter an die darin getroffene Gerichtsstandsvereinbarung gebunden ist, steht ebenfalls außer Frage (vgl. BGH, Urteile vom 28.2.1957 – VII ZR 204/56, BGHZ 24, 15, 18; vom 10.7.2003 – IX ZR 119/02, BGHZ 155, 371, 376 f.; Musielak-Voit-Heinrich aaO § 19a Rz. 6; Gottwald-Eckardt, Insolvenzrechts-Handbuch, 5. Aufl., § 32 Rz. 34; je m.w.N.; ferner auch EuGH, Urteile vom 9.11.2000 – Coreck Maritime GmbH ./. Handelsveem BV u. a., Rs C-387/98, NJW 2001, 501 Rz. 22 ff.; vom 21.5.2015 – Cartel Damage Claims (CDC) Hydrogen Peroxide S.A. ./. Akzo Nobel N.V. u.a., Rs C-352/13, juris Rz. 65).

Fundstellen

nur Leitsatz

BB, 2015, 2625
EWiR, 2015, 751, mit Anm. Brinkmann
LMK, 2016, 374737

LS und Gründe

DB, 2015, 2568
NZI, 2015, 1033, mit Anm. Mankowski
RIW, 2015, 839, mit Anm. Arts
WM, 2015, 2058
ZInsO, 2015, 2236
ZIP, 2015, 2192
IHR, 2016, 25

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2015-210

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