Bei Sachverhalten mit Sachbezug zum Vereinigten Königreich bleibt auch nach dessen Austritt aus der Europäischen Union für gerichtliche Verfahren, die nach dem 31. Dezember 2020 eingeleitet worden sind, der Rückgriff unter anderem auf den Verbrauchergerichtsstand gemäß Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 18 Abs. 1 EuGVVO eröffnet.
Der Kläger zeichnete am xx.xx.2007 eine Genussrechtsbeteiligung in Höhe von ... EUR an der M Investments AG mit Sitz in Wien. Die Genussrechtsbedingungen "M Global High Yield Fund 450" (im Folgenden: GRB) sahen in § 13 Nr. 1 für die Genussrechtsbedingungen sowie alle sich hieraus ergebenden Rechte und Pflichten die ausschließliche Geltung des Rechts der Republik Österreich vor. Rechtsnachfolgerin der M Investments AG wurde im Jahr 2013 die ebenfalls in der Republik Österreich ansässige M Investments GmbH, die mit Wirkung zum xx.xx.2018 grenzüberschreitend auf die im Vereinigten Königreich ansässige Beklagte verschmolzen wurde. Der Kläger hat die Genussrechte zum xx.xx.2017 ordentlich gekündigt.
Der Kläger hat in erster Instanz von der Beklagte im Wesentlichen die Rückzahlung der getätigten Einlage nebst Zinsen gefordert. Hilfsweise beansprucht er im Wege der Stufenklage die Abrechnung der Genussrechtsbeteiligung und die Auszahlung des abgerechneten Auseinandersetzungsguthabens. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers.
[1]II.
[2]1. Die zulässige Berufung ist im Wesentlichen begründet, weshalb das landgerichtliche Urteil abzuändern und die Beklagte - wie tenoriert - zu verurteilen ist.
[3]a) Das Landgericht ist mit Recht von der Zulässigkeit der Klage ausgegangen (vgl. Senatsurteil vom 16. Dezember 2021 -
[4]aa) aaa) Die - in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende (vgl. BGH, Urteile vom 7. November 2001 -
[5]aaaa) Einzelne Zuständigkeitsbestimmungen der EuGVVO - wie etwa der in Art. 18 Abs. 1 geregelte Verbrauchergerichtsstand - finden unbeschadet des in der Zwischenzeit vollzogenen Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union vorliegend Anwendung.
[6]Dies ergibt sich zwar nicht (mehr) aus Art. 67 Abs. 1 lit. a) des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft vom 24. Januar 2020 (ABl. EU Nr. L 29 S. 7 ff. vom 31. Januar 2020; im Folgenden: Austrittsabkommen bzw. AA). Denn unter den dort aufgestellten und vorliegend erfüllten Voraussetzungen sind die Zuständigkeitsbestimmungen der EuGVVO nur auf gerichtliche Verfahren anwendbar, die vor dem Ablauf der - gemäß Art. 2 lit. e), Art. 126 AA am 31. Dezember 2020 geendeten - Übergangszeit eingeleitet worden sind (vgl. im Einzelnen Wagner, IPRax 2021, 1, 6; Dickinson, IPRax 2021, 213, 219). Daran fehlt es hier.
[7]Gleichwohl ist der Standpunkt des Landgerichts, dass vorliegend die internationale (und örtliche) Zuständigkeit deutscher Gerichte nach Art. 18 Abs. 1 Alt. 2 EuGVVO gegeben ist, nicht zu beanstanden. Wie das Landgericht zutreffend erkannt hat, ergibt sich vorliegend der Rechtsanwendungsbefehl aus Art. 6 Abs. 1 der EuGVVO, deren sachlicher Anwendungsbereich unstreitig eröffnet ist (vgl. Senatsurteil vom 2. März 2023 -
[8]Der Umstand, dass der Austritt des Vereinigten Königreichs mit Ablauf des Übergangszeitraums vollzogen ist, hat zur Folge, dass für solche Verfahren, die nach dem 31. Dezember 2020 eingeleitet worden sind, der bis dahin an die Gerichte des Vereinigten Königreichs gerichtete Rechtsanwendungsbefehl erloschen ist, mithin diese Gerichte die Zuständigkeitsregelungen der EuGVVO nicht mehr anzuwenden haben. Dass ändert jedoch nichts daran, dass die Verordnung in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbares Recht ist und als solches weiterhin von den mitgliedstaatlichen Gerichten vorrangig zu prüfen ist. Dies gilt auch im Verhältnis zu Drittstaaten, wie sich aus dem Inhalt der Verordnung ergibt (vgl. Artt. 6, 33 EuGVVO). Um einen solchen Drittstaat handelt es sich nunmehr auch bei dem Vereinigten Königreich, so dass bei Sachverhalten mit Sachbezug zum Vereinigten Königreich auch nach dessen Austritt aus der Europäischen Union der Rückgriff unter anderem auf den Verbrauchergerichtsstand eröffnet bleibt (vgl. Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 8. Juni 2023 -
[9]bbbb) Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ergibt sich vorliegend aus dem für Verbrauchersachen vorgesehenen Gerichtsstand des Art. 18 Abs. 1 Alt. 2 in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 lit. c) EuGVVO (vgl. Senatsurteil vom 2. März 2023 -
[10](1) Diesbezüglich hat das Landgericht sowohl die Verbrauchereigenschaft des Klägers als auch die Voraussetzungen einer Verbrauchersache im Sinne von Art. 17 EuGVVO, die gegenständlich auf (vertragliche und deliktische) Ansprüche gestützte Klagen eines Verbrauchers erfasst, die untrennbar mit einem - wie hier - tatsächlich geschlossenen Verbrauchervertrag verbunden sind (vgl. Senatsurteil vom 2. März 2023 -
[11]Dies gilt insbesondere für die Annahme, dass es sich bei dem Kläger um einen Verbraucher im Sinne des Art. 17 Abs. 1 EuGVVO handle. Denn ungeachtet der gebotenen engen Auslegung des Verbraucherbegriffs (vgl. Senatsurteil vom 2. März 2023 -
[12](2) Daher kann die Beklagte auch nicht - wie in anderen Verfahren geschehen - einwenden, weder sie noch ihre Rechtsvorgängerinnen - die M Investments AG bzw. deren Rechtsnachfolgerin, die M Investments GmbH, - hätten sich zielgerichtet mit ihrer operativen Tätigkeit an den deutschen Markt gewandt (vgl. auch OLG Stuttgart, Urteil vom 31. März 2021 -
[13]bbb) Ferner steht der in § 13 Nr. 2 GRB vereinbarte Gerichtsstand am "Sitz der Gesellschaft" der Klage vor deutschen Gerichten nicht entgegen. Denn der - unterstellt wirksam vereinbarte - Gerichtsstand ist kein ausschließlicher. Dies ergibt sich aus Satz 2 des § 13 Nr. 2 GRB, der ausdrücklich vorsieht, dass "Die Gerichtsstandsvereinbarung ... nicht das Recht eines Genussrechtsinhabers [beschränkt], Verfahren vor einem anderen zuständigen Gericht anzustrengen". Ein solcher Vorbehalt war gemäß Art. 17 Nr. 2 EuGVVO a.F. (jetzt Art. 19 Nr. 2 EuGVVO) für eine Gerichtsstandsvereinbarung im Rahmen eines Verbrauchervertrages auch zwingend geboten (vgl. Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 25 Abs. 4 EuGVVO), was wiederum impliziert, dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten selbst davon ausgegangen ist, dass die Anleger Verbraucher sein würden.
[14]Anderes ergibt sich auch nicht aus den Regelungen des Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30. Juni 2005 (Text und Beitrittsstatus abrufbar auf www.hcch.net; im Folgenden: HGÜ). Denn vorliegend ist bereits der sachliche Anwendungsbereich des Übereinkommens nicht eröffnet, weil Verbrauchersachen vom sachlichen Anwendungsbereich des Übereinkommens ausgenommen sind (vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. a HGÜ).
[15]ccc) Schließlich liegt entgegen der bekanntlich von der Beklagten vertretenen Auffassung eine innergesellschaftliche Streitigkeit, die eine ausschließliche Zuständigkeit gemäß Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 24 Nr. 2 EuGVVO begründen könnte, nicht vor (vgl. Senatsurteil vom 2. März 2023 -
[16]bb) Das Landgericht ist auch zutreffend vom Vorliegen eines Prozessrechtsverhältnisses zwischen den Parteien ausgegangen.
[17]aaa) Die im Februar 2022 eingegangene Klageschrift ist dem director der Beklagten an dessen Wohnort in der Schweiz am 19. Juli 2022 gemäß § 183 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 lit. a) des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 15. November 1965 (BGBl. 1977 II S. 1425 ff.; im Folgenden: HZÜ) ordnungsgemäß zugestellt worden (vgl. Bl. 18 Auslandsretent).
[18]Die Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedstaaten ("Zustellung von Schriftstücken") und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 13. November 2007 (ABl. EU Nr. L 234 S. 79 vom 10. Dezember 2007) finden vorliegend keine Anwendung, weil die Zustellung der Klageschrift an die Beklagte erst im Frühjahr 2022 und somit nach Ablauf des Übergangszeitraums veranlasst worden ist (vgl. Art. 68 lit. a, Art. 126 AA).
[19]bbb) Der Umstand, dass die Klage in deutscher Sprache verfasst war und nicht in die englische Sprache übersetzt wurde, ist unschädlich. Abgesehen davon, dass - was dem Senat aus anderen Verfahren bekannt ist - die Beklagte bzw. deren director als Adressat und Empfänger der Klageschrift die deutsche Sprache verstand und versteht, handelt es sich bei der deutschen Sprache um eine von vier Landes- bzw. Amtssprachen in der Schweiz (vgl. Art. 4 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999).
[20]b) Das Landgericht hat indes die Klage zu Unrecht abgewiesen (dazu unter bb).
[21]aa) Es hat bei seiner Entscheidung zu Unrecht angenommen, dass vorliegend deutsches Sachrecht Anwendung finde. Seine zugrundeliegende Annahme, die Rechtswahlklausel in § 13 Nr. 1 GRB sei unwirksam, ist rechtsfehlerbehaftet, so dass vorliegend das gewählte materielle Recht der Republik Österreich anwendbar ist (vgl. statt vieler nur Senatsurteil vom 2. März 2023 -
[22]bb) Nach Maßgabe des österreichischen Rechts ist die Klage in der Hauptsache (dazu aaa) umfassend und hinsichtlich des Zinsanspruchs (dazu bbb) weitgehend begründet.
[23]aaa) Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung eines Betrages in Höhe von insgesamt ... EUR, denn er kann von ihr einen Rückzahlungsbetrag in Höhe von ... EUR (dazu aaaa) und die Zahlung der bislang nicht ausgekehrten Basisdividende (abzüglich Kapitalertrag-/Quellensteuersteuer) in Höhe von ... EUR (dazu bbbb) verlangen.
[24]aaaa) Der auf Zahlung des Rückzahlungsbetrages gerichtete Anspruch ergibt sich aus § 6 Abs. 4 Satz 1 GRB. Danach kann im Fall der wirksamen Kündigung der Genussrechtsbeteiligung der Genussrechtsinhaber die Rückzahlung der Genussrechte zu 100 % des Nennbetrags abzüglich eines etwaigen Verlustanteils gemäß § 5 GRB (Rückzahlungsbetrag) verlangen.
[25](1) ... (2) ... (3) Entgegen der Annahme der Beklagten wird der geltend gemachte Nennbetrag hier nicht durch einen Verlustanteil gemindert.
[26](a) Dabei kann offen bleiben, ob die Beklagte für den von ihr zur Begründung des Anspruchsausschlusses eingewandten Verlustanteil die Darlegungs- und Beweislast trägt. Denn selbst wenn man in ihrem Sinne unterstellt, dass auch dieser Gesichtspunkt als zum Gesichtspunkt der Anspruchshöhe gehörig grundsätzlich durch den kündigenden Genussrechtsinhaber, hier den Kläger, darzulegen und zu beweisen ist, verhilft dieser Einwand der Berufung nicht zum Erfolg. Denn die Beklagte trägt als (Rechtsnachfolgerin der) Emittentin insoweit eine sekundäre Darlegungslast, der sie nicht nachgekommen ist mit der Folge, dass die vom Kläger aufgestellte Behauptung, dass ein zur Minderung des geltend gemachten Nennbetrages führender Verlustanteil nicht gegeben sei, gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen ist. Dabei bemessen sich die Annahme einer sekundären Darlegungslast, die ihre Grundlage in der allgemeinen Pflicht zu redlicher Prozessführung hat (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 1961 -
[27](b) Die Beklagte ist ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen, denn sie hat weder einen Wert der Genussrechte von 0 EUR (dazu [aa]) noch einen Verlustanteil zum 31. Dezember 2017 (dazu [bb]) hinreichend dargelegt (vgl. Senatsurteil vom 2. März 2023 -
[28](aa) ... (bb) ... bbbb) Darüber hinaus hat der Kläger gegen die Beklagte aus § 4 GRB auch einen Anspruch auf eine nicht ausgezahlte Basisdividende abzüglich abgeführter Kapitalertrag-/Quellensteuer (vgl. OLG Oldenburg, Urteil vom 23. Februar 2023 -
[29]cccc) Der Zahlungsanspruch ist insgesamt fällig ...
[30]dddd) Der Zahlungsanspruch ist auch nicht verjährt. Die Frage der Verjährung beurteilt sich gemäß Art. 32 Abs. 1 Nr. 4 Var. 2 EGBGB in seiner bis zum 16. Dezember 2009 geltenden Fassung nach dem Vertragsstatut, mithin hier nach dem österreichischem Recht.
[31]Danach unterliegt der mit Beendigung der Genussrechtsbeteiligung gegebene Anspruch auf den Rückzahlungsbetrag der dreißigjährigen Verjährung nach § 1478 östABGB (vgl. OLG Nürnberg, Urteil vom 28. Februar 2023 -
[32]Entsprechend verhält es sich für den auf Zahlung der Basisdividende gerichteten Anspruch der - wie die Beklagte in der Erläuterung Nr. 7 ihrer Anlegerinformation vom 21. Dezember 2017 (Anlage BK 15 - Bl. 406 f. eA) selbst angegeben hat - erst bei Beendigung der Genussrechtsbeteiligung nach Maßgabe der Genussrechtsbedingungen fällig wurde. Danach ist ein Fall von § 1480 östABGB nicht gegeben, weil diese Vorschrift das Erlöschen bzw. die Verjährung von Forderungen auf rückständige jährliche Leistungen regelt. Darunter können nur solche wiederkehrenden Leistungen verstanden werden, die periodisch fällig werden, mag auch ihre Höhe nach einem vorausbestimmten Plan wechseln (vgl. östOGH vom 16. Oktober 1957 -
[33]bbb) Der auf die Hauptforderung bezogene Anspruch auf Zinsen bemisst sich nach der lex causae, mithin hier nach dem materiellen Recht der Republik Österreich (§ 1333 Abs. 1, [...] § 1334 östABGB) und beläuft sich gemäß § 1000 Abs. 1 östABGB auf vier Prozent p.a.; dieser durch das österreichische Sachrecht vorgegebenen Rechtslage, der das Klagebegehren nicht Rechnung trägt, ist durch eine entsprechende Deckelung im Urteilstenor Rechnung zu tragen (vgl. Senatsurteil vom 2. März 2023 -
[34]2. ...
Dieses Werk steht unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.