Ist in einem Verfahren zur Verfahrenskostenhilfe der zugrundeliegende Streitfall aus Sicht des Gerichts unter Anwendung ausländischen Sachrechts zu entscheiden, so muss das Gericht im Lichte seiner § 293 ZPO entspringenden Ermittlungspflicht, sofern es von der Einholung eines Rechtsgutachtens absehen und Verfahrenskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung verweigern will, nachvollziehbar und belastbar darlegen, dass es die entscheidungserheblichen Normen des fremden Rechts aufgrund eigener Sachkunde zuverlässig ermitteln konnte. [LS der Redaktion]
Die mit dem Sohn des Antragsgegners verheiratete Antragstellerin begehrt die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für einen beabsichtigten Antrag auf Zustimmung zur Berichtigung des Grundbuchs in Bezug auf zwei Grundstücke. Im Zeitpunkt der Eheschließung der Antragstellerin und des Sohnes des Antragsgegners im Jahr 1981 hatten beide Eheschließenden ausschließlich die türkische Staatsangehörigkeit. Die Eheleute haben inzwischen (auch) die deutsche Staatsangehörigkeit. Einen Ehevertrag haben sie nicht geschlossen. Im Jahr 2005 erwarben die Antragstellerin und ihr Ehemann als Miteigentümer zu je 1/2 den 81/1.000 Miteigentumsanteil (Wohnung Nr. 11) an dem Grundstück ... und ... Im Jahr 2008 erwarben die Antragstellerin, ihr Ehemann und der Antragsgegner das Eigentum an dem Grundstück ..., und zwar die Antragstellerin und der Antragsgegner zu je 1/4, der Ehemann der Antragstellerin zu 1/2. Durch notariell beurkundete Verträge vom 24. Februar 2015 verpflichtete sich der Ehemann der Antragstellerin, seinem Vater unter gleichzeitiger Erklärung der Auflassung seinen hälftigen Miteigentumsanteil an dem Grundstück ... und seinen hälftigen Miteigentumsanteil an dem 81/1.000 Miteigentumsanteil (Wohnung Nr. 11) an dem Grundstück ... und ... zu übertragen. Mit Antragsschrift macht die Antragstellerin geltend, die übertragenen Miteigentumsanteile ihres Ehemannes stellten dessen gesamtes Vermögen im Sinne des § 1365 BGB dar. Sie habe der Übertragung nicht zugestimmt.
Mit Beschluss vom 28. August 2020 hat der Senat den Verfahrenskostenhilfe versagenden Beschluss des Amtsgerichts Kreuzberg (Familiengericht) vom 12. Juni 2020 aufgehoben und festgestellt, dass die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nicht mangels Bedürftigkeit versagt werden kann. Mit Beschluss vom 7. Februar 2022 hat das Amtsgericht der Antragstellerin Verfahrenskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung versagt. Gegen diese Entscheidung hat die Antragstellerin bei dem Amtsgericht sofortige Beschwerde eingelegt.
[1]II.
[2]Die gemäß den §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 127 Abs. 2 Satz 2, 567 ff. ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde ist begründet. Der Antragstellerin ist für ihre beabsichtigte Rechtsverfolgung in Gestalt der mit Antragsschrift vom 19. November 2019 entworfenen Anträge ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten zu bewilligen.
[3]Gemäß den §§ 113 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 Nr. 5 FamFG, 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter Verfahrenskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
[4]Dabei darf, wenn in der Hauptsache eine zweifelhafte Rechtsfrage zu klären ist, nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG wie des BGH die Klärung der Frage nicht in das Prozesskostenhilfeverfahren (Verfahrenskostenhilfeverfahren) verlagert werden. Das nur einer summarischen Prüfung unterliegende Prozesskostenhilfeverfahren hat nicht den Zweck, über zweifelhafte Rechtsfragen vorweg zu entscheiden. Bei zweifelhaften Rechtsfragen hat das Gericht demnach Prozesskostenhilfe bzw. Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen, auch wenn es der Auffassung ist, dass die Rechtsfrage zu Ungunsten des Antragstellers zu entscheiden ist (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2013 –
[5]Ist der Streitfall aus Sicht des Gerichts unter Anwendung ausländischen Sachrechts zu entscheiden, so muss das Gericht im Lichte seiner § 293 ZPO entspringenden Ermittlungspflicht – will es von der Einholung eines Rechtsgutachtens absehen und Verfahrenskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung verweigern – nachvollziehbar und belastbar darlegen, dass es die entscheidungserheblichen Normen des fremden Rechts aufgrund eigener Sachkunde zuverlässig ermitteln konnte (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 14. Februar 2020 –
[6]Nach diesem Maßstab bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung der Antragstellerin, nämlich die Verpflichtung des Antragsgegners zur Zustimmung zur Berichtigung des Grundbuchs gemäß der Antragsschrift hinreichende Aussicht auf Erfolg.
[7]Der Anspruch ergibt sich aus – dem im Hinblick auf den vorliegenden Sachverhalt mit einer (wegen der ausschließlich türkischen Staatsangehörigkeit der Antragstellerin und ihres Ehemannes im Zeitpunkt ihrer Eheschließung) Verbindung zu einem ausländischen Staat gemäß Art. 43 Abs. 1 EGBGB zur Anwendung gelangenden – § 894 BGB. Danach kann, wenn der Inhalt des Grundbuchs in Ansehung eines Rechts an dem Grundstück mit der wirklichen Rechtslage nicht im Einklang steht, derjenige, dessen Recht nicht oder nicht richtig eingetragen ist, die Zustimmung zu der Berichtigung des Grundbuchs von demjenigen verlangen, dessen Recht durch die Berichtigung betroffen wird.
[8]1) ... a) ... b) Die Antragstellerin kann jedoch gemäß § 1368 BGB in Verfahrensstandschaft die Unrichtigkeit des Grundbuchs in Bezug auf die Miteigentumsanteile ihres Ehemannes wegen Unwirksamkeit der Verpflichtung zur Übertragung der Anteile geltend machen. Die schwierige Rechtsfrage, ob die Bestimmung des § 1368 BGB güterrechtlich zu qualifizieren (MüKoBGB/Looschelders, 8. Auflage 2020, EGBGB Art. 15 Rn. 35: Die Berechtigung zur gerichtlichen Geltendmachung von Rechten des anderen Ehegatten gemäß § 1368 BGB ist güterrechtlich zu qualifizieren) und deshalb wegen des türkischen Rechts als Güterstatut hier nicht anzuwenden ist oder prozessual zu qualifizieren ist (BGH, Urteil vom 2. Februar 2000 –
[9]2) Das Grundbuch ist unrichtig.
[10]a) Der Inhalt des Grundbuchs in Ansehung des Miteigentums des Ehemannes der Antragstellerin an den Grundstücken steht hier allerdings nicht deshalb mit der wirklichen Rechtslage nicht im Einklang, weil ein Verstoß gegen die Bestimmung des § 1365 BGB vorläge. Denn diese Vorschrift – die güterrechtlich zu qualifizieren ist (MüKoBGB/Looschelders, 8. Auflage 2020, EGBGB Art. 15 Rn. 35) – ist kollisionsrechtlich nicht anzuwenden. Der Senat hat am 4. Mai 2023 folgenden Hinweis erteilt:
[11]„Nachdem nunmehr feststeht, dass die Antragstellerin und ihr Ehemann im Zeitpunkt der Eheschließung beide ausschließlich die türkische Staatsangehörigkeit hatten, findet türkisches und nicht etwa deutsches Güterrecht Anwendung. Insbesondere die §§ 1365 f. BGB, auf die der Antrag gestützt wird, sind nicht anzuwenden. Dies ergibt sich aus Folgendem:
[12]Gemäß den – hier in intertemporaler Hinsicht weiter anzuwendenden (vgl. Henrich, in: Johannsen/Henrich/ Althammer, Familienrecht, 7. Auflage 2020, Art. 15 EGBGB Rn. 2) – Art. 15 Abs. 1, 14 Abs. 1 EGBGB a.F. unterliegen die güterrechtlichen Wirkungen der Ehe der Antragstellerin und ihres Ehemannes nicht dem deutschen, sondern dem türkischen Recht als dem bei der Eheschließung für die allgemeinen Wirkungen der Ehe maßgebenden Recht. Für Altehen wie der der Antragstellerin, bei denen die Ehegatten ab dem 29. Januar 2019 keine Rechtswahl getroffen haben, bleibt Art. 15 EGBGB a.F. unbeschadet des Inkrafttretens der EuGüVO weiter maßgeblich (Art. 69 Abs. 3 EuGüVO; Art. 229 § 47 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB; Looschelders, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, Art. 15 EGBGB Rn. 3). Die allgemeinen Wirkungen der Ehe unterliegen gemäß dem hier weiter maßgeblichen Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB a.F. dem Recht des Staates, dem beide Ehegatten angehören. Im Zeitpunkt der Eheschließung (Art. 15 Abs. 1 EGBGB a.F.) waren die Antragstellerin und ihr Ehemann ausschließlich türkische Staatsangehörige.
[13]Die Verweisung des Art. 15 Abs. 1 EGBGB a.F. auf das türkische Recht ist eine Gesamtverweisung, so dass auch dessen Internationales Privatrecht anzuwenden ist (Art. 4 Abs. 1 Satz 1 EGBGB). Art. 15 Abs. 1 des türkischen Gesetzes über das internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht (Gesetz Nr. 5718 vom 27. November 2007; im Folgenden: türk. IPRG) nimmt diese Verweisung an und bestimmt, dass mangels Rechtswahl das im Zeitpunkt der Eheschließung geltende gemeinsame Heimatrecht Anwendung findet. Art. 15 türk. IPRG ist in intertemporaler Hinsicht anwendbar, weil in entsprechender Anwendung von Art. 1 des Einleitungsgesetzes zum türkischen Zivilgesetzbuch (EinlG ZGB) Nr. 4722 bei Dauerrechtsverhältnissen für die allgemeinen Wirkungen der Ehe einschließlich der güterrechtlichen Wirkungen nicht auf das im Zeitpunkt des Zustandekommens der Ehe geltende Recht abzustellen ist, sondern auf das Recht, das im Zeitpunkt des Eintritts des für die Beurteilung maßgeblichen Tatbestands gilt (OLG Köln, Beschluss vom 27. Februar 2018 –
[14]Nichts anderes ergibt sich aus der Bestimmung des Art. 15 Abs. 2 türk. IPRG, wonach bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung bei unbeweglichem Vermögen das Recht des Ortes der Belegenheit Anwendung findet. Denn nach der – gemäß § 293 ZPO maßgeblichen (der deutsche Richter hat das ausländische Recht so anzuwenden, wie es der Richter des betreffenden Landes auslegt und anwendet; BGH, Beschluss vom 17. Mai 2018 –
[15]Die Anknüpfung an das Ehewirkungsstatut zum Zeitpunkt der Eheschließung hat zur Folge, dass die für die Beurteilung der güterrechtlichen Wirkungen der Ehe einmal festgelegte Rechtsordnung auch dann maßgebend bleibt, wenn sich während der Ehe tatsächliche Veränderungen in Bezug auf die Anknüpfungspunkte – z.B. Wechsel der Staatsangehörigkeit oder des gewöhnlichen Aufenthalts – ergeben. Aus diesem Grunde beherrscht das zu Beginn der Ehe geltende Güterrechtsstatut das Güterrecht der Ehegatten während der gesamten Ehezeit, weshalb von der grundsätzlichen Unwandelbarkeit des Güterrechtstatuts die Rede ist. Dieser Grundsatz gilt aber nur für die Anknüpfung auf der kollisionsrechtlichen Ebene und ist somit auf die Bestimmung des Güterrechtsstatuts beschränkt, bedeutet mit anderen Worten nicht die Unwandelbarkeit des Güterstands selbst. Der Güterstand gehört nämlich zur sachrechtlichen Ebene, weshalb Änderungen und Fortentwicklungen des maßgeblichen Sachrechts hinsichtlich des Güterstands zu beachten sind. Folglich liegt keine Versteinerung des Güterstands vor. […] Im Falle von in Deutschland lebenden Ehegatten, die im Zeitpunkt ihrer Eheschließung beide die türkische Staatsangehörigkeit hatten, bedeutet dies, dass die Eheleute an der Änderung des gesetzlichen Güterstands der Türkei von der Gütertrennung zur Errungenschaftsbeteiligung mit Wirkung ab dem 1.1.2002 teilnehmen, auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr türkische, sondern ausschließlich deutsche Staatsangehörige sein sollten. (Ali Yarayan, Das Ehegüterrecht nach türkischem Recht in der deutschen Rechtspraxis, NZFam 2016, 1147 ff.; so auch Hausmann/Odersky, a.a.O., § 9 Rn. 64).
[16]b) Die Unrichtigkeit des Grundbuchs folgt auch nicht aus der Bestimmung des Art. 194 Abs. 1 türk. ZGB. Danach kann ein Ehegatte nur mit der ausdrücklichen Zustimmung des anderen einen Mietvertrag über die Familienwohnung kündigen, das Haus oder die Wohnung der Familie veräußern oder die Rechte daran beschränken.
[17]Diese Vorschrift gehört nach deutschem IPR zu den allgemeinen Ehewirkungen (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. Juni 2015 –
[18]Hinzu kommt, dass Dritte – wenn die Verfügungsbeschränkung nach § 194 türk. ZGB nicht im Grundbuch eingetragen ist – das Eigentum am Familienwohnheim gutgläubig unter Nichtbeachtung der Beschränkung erwerben können. Diese Verfügungsbeschränkung besteht zwar kraft Gesetzes, gegenüber einem gutgläubigen Dritten wirkt sie jedoch nur bei Eintragung im Grundbuch. Insoweit kommt ihre keine absolute Wirkung zu (Andrae a.a.O.; a.A. Schaal BWNotZ 2009, 172 ff., der absoluten Charakter annimmt).
[19]c) Die Unrichtigkeit des Grundbuchs folgt jedoch – jedenfalls bei der im Verfahrenskostenhilfeverfahren gebotenen summarischen Prüfung – aus Art. 223 Abs. 2 türk. ZGB.
[20]Art. 223 türk. ZGB lautet:
[21](1) Jeder Ehegatte ist berechtigt, innerhalb der gesetzlichen Schranken sein Eigengut und seine Errungenschaft zu verwalten, diese zu nutzen und darüber zu verfügen.
[22](2) Sofern nichts Gegenteiliges vereinbart ist, kann kein Ehegatte über seinen Anteil an einer im Miteigentum stehenden Sache ohne die Zustimmung des anderen verfügen.
[23]Diese Vorschrift ist güterrechtlich zu qualifizieren und findet hier Anwendung.
[24]Ob Art. 223 Abs. 2 türk. ZGB auch den Fall (wie hier bei dem Grundstück ...) erfasst, dass ein Ehegatte über eine Sache verfügt, die nicht allein im Miteigentum der Ehegatten steht, sondern an der auch Dritte Miteigentümer sind, ist ebenso wie die Frage, ob dieser Bestimmung relative oder absolute Wirkung zukommt, im Hauptsacheverfahren ggf. durch Einholung eines Rechtsgutachtens zum türkischen Recht zu klären.
[25]Ebenfalls bleibt der Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten, ob – bei Bejahung der vorstehenden Fragen – der Unwirksamkeit der Verfügungen die Bestimmung des Art. 16 EGBGB a.F. entgegensteht. Art. 16 Abs. 1 EGBGB a.F. schützt den guten Glauben bei Unkenntnis der Anwendbarkeit eines ausländischen Güterrechts. Ebenso wie Art. 15 EGBGB a.F. ist auch Art. 16 EGBGB a.F. aber auf vor dem 29. Januar 2019 geschlossene Ehen weiterhin anzuwenden – und zwar auch, wenn das Rechtsgeschäft, um dessen Schutz es geht, ab dem 29. Januar 2019 abgeschlossen wird (BeckOGK/Hertel, Stand: 1. März 2020, EGBGB Art. 16 Rn. 1). Der Schutz des Art. 16 Abs. 1 EGBGB a.F. setzt voraus, dass zumindest ein Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat oder einen Gewerbebetrieb in Deutschland betreibt. Ist dann der ausländische Güterstand weder im deutschen Güterrechtsregister eingetragen noch dem Dritten positiv bekannt, dass und welches ausländische Güterrecht gilt, so muss der Dritte nur die Beschränkungen des ausländischen Güterrechts gegen sich gelten lassen, die auch nach deutschen Ehegüterrecht gelten würden. Ist der Dritte „gutgläubig“, d.h. weiß er nicht, dass die betreffende Verfügungsbeschränkung nach ausländischem Eherecht eingreift und ist seine Unkenntnis auch nicht grob fahrlässig, so ist die Verfügungsbeschränkung des ausländischen Rechts nicht anzuwenden, sondern nur eine vergleichbare Verfügungsbeschränkung des deutschen Eherechts (z.B. §§ 1365, 1369 BGB, auch wenn diese im deutschen Recht nur güterstandsabhängig gelten) – oder, wenn es keine funktionell vergleichbare Vorschrift im deutschen Eherecht gibt, entfällt die Beschränkung ganz (BeckOGK/Hertel, Stand: 1. März 2020, EGBGB Art. 16 Rn. 57-59).