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Verfahrensgang

OLG Karlsruhe, Beschl. vom 27.02.2018 – 14 W 113/16, IPRspr 2018-199

Rechtsgebiete

Erbrecht → Erbrecht gesamt bis 2019

Leitsatz

Im Fall der gesetzlichen Erbfolge eines türkischen Staatsangehörigen, der seinen letzten Wohnsitz in Deutschland hatte und nach türkischem Recht verheiratet war, kommt es nicht zu einer Erhöhung des gesetzlichen Erbteils des überlebenden Ehegatten nach § 1371 I BGB.

Aus Art. 20 des Abkommens zwischen dem Deutschen Reich und der Türkischen Republik über den Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen vom 28.5.1929 (RGBl. 1930 II 6) ergibt sich keine Anwendbarkeit von § 1371 I BGB, wenn die Eheleute im Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung nach türkischem Recht lebten.

Das über Art. 15 I, 14 I Nr. 1 EGBGB anwendbare türkische Internationale Privatrecht (Art. 15 II des Gesetzes Nr. 2675 über das internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht vom 20.5.1982) enthält keine Rückverweisung auf § 1371 I BGB.

Rechtsnormen

2675/1982 IPRG (Türkei) Art. 15
4721/2001 ZGB (Türkei) Art. 218 ff.
4722/2001 EGZGB (Türkei) Art. 1
BGB § 1363; BGB § 1371
EGBGB Art. 4; EGBGB Art. 14 f.; EGBGB Art. 15
Zivil-Handels-Abk D-Türkei Art. 20

Sachverhalt

Der Erblasser, türkischer Staatsangehöriger mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, ist zwischen dem 27. und 31.10.2015 verstorben und hat kein Testament errichtet. Er war mit der Bet., ebenfalls türkische Staatsangehörige mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland, verheiratet. Die Ehe war 2003 in der Türkei geschlossen worden. Die Eheleute hatten keine güterrechtlichen Regelungen getroffen. Aus der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen. Die Eheleute lebten getrennt, Scheidungsantrag war von keiner Seite gestellt. Seit 2010 waren der Erblasser und die Bet. als Miteigentümer einer Immobilie in Deutschland im Grundbuch zu jeweils 1/2 eingetragen. Die Bet. hat einen Erbschein beantragt.

Das NachlG hat den Antrag zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der ASt.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das NachlG hat den Erbscheinsantrag der Bet. zu Recht zurückgewiesen.

[2]1. Welches Erbrecht vorliegend anzuwenden ist, ist in Nr. 14 der Anlage zu Art. 20 des deutsch-türkischen Nachlassabkommens vom 28.05.1929 geregelt. Dort heißt es:

[3]‚Die erbrechtlichen Verhältnisse in Ansehung des beweglichen Nachlasses bestimmen sich nach den Gesetzen des Landes, dem der Erblasser zur Zeit seines Todes angehörte.

[4]Die erbrechtlichen Verhältnisse in Ansehung des unbeweglichen Nachlasses bestimmen sich nach den Gesetzen des Landes, in dem dieser Nachlass liegt, und zwar in der gleichen Weise, wie wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes Angehöriger dieses Landes gewesen wäre.’

[5]Hieraus folgt, dass vorliegend für den beweglichen Nachlass türkisches Erbrecht gilt, weil der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes türkischer Staatsangehöriger war und für den unbeweglichen Nachlass in Deutschland deutsches Erbrecht gilt ...

[6]2. ... § 1371 I BGB ... findet vorliegend keine Anwendung.

[7]a. Eine Anwendbarkeit der Vorschrift folgt nicht daraus, dass nach dem deutsch-türkischen Nachlassabkommen für die Rechtsnachfolge in den Miteigentumsanteil des Erblassers an der in Deutschland belegenen Immobilie deutsches Erbrecht in der gleichen Weise gilt, wie wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes Deutscher gewesen wäre. § 1371 I BGB setzt nämlich voraus, dass die Eheleute im Güterstand der Zugewinngemeinschaft nach § 1363 I BGB lebten. Dies ist hier aber nicht der Fall. Die Eheleute lebten im Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung nach Art. 218 ff. türk. ZGB. Dieses ist vorliegend anzuwenden. Nach Art. 15 I, 14 I Nr. 1 EGBGB ist für die güterrechtlichen Wirkungen der Ehe zwischen dem Erblasser und der Bet. das Recht der Türkei maßgeblich, weil beide Eheleute die türkische Staatsangehörigkeit hatten und eine Rechtswahl gemäß Art. 15 II EGBGB nicht getroffen haben. Nachdem die Eheleute keine Wahl des Güterstands getroffen haben, gilt für sie der gesetzliche Güterstand nach Art. 218 ff. türk. ZGB. Auf die Frage, ob § 1371 I BGB als erbrechtliche oder güterrechtliche Regelung (so inzwischen BGH, Beschl. vom 13.5.2015 – IV ZB 30/14 (IPRspr 2015-140), zit. n. juris) zu qualifizieren ist, kommt es damit von vornherein nicht an (ebenso OLG Köln, Beschl. vom 11.2.2014 – 2 Wx 245/13 (IPRspr 2014-125b), zit. n. juris).

[8]b. Eine Anwendbarkeit von § 1371 I BGB ergibt sich aus nicht aus einer Rückverweisung aus dem türkischen auf das deutsche Recht.

[9]Die Bet. meint, eine solche Rückverweisung ergebe sich aus Art. 15 II türk. IPRG. Dies trifft jedoch nicht zu.

[10](1) Art. 15 türk. IPRG ist zwar auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar.

[11]Die Vorschrift bestimmt:

[12]‚(1) Die Ehegatten können hinsichtlich ihres ehelichen Vermögens ausdrücklich das Recht ihres Aufenthalts im Zeitpunkt der Eheschließung oder eines ihrer Heimatrechte im Zeitpunkt der Eheschließung wählen; falls eine solche Wahl nicht getroffen wird, wird hinsichtlich des ehelichen Vermögens das gemeinsame Heimatrecht im Zeitpunkt der Eheschließung und falls ein solches nicht vorhanden ist, das Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts zur Zeit der Eheschließung und falls auch ein solches fehlt, türkisches Recht angewandt.

[13](2) Auf die Auseinandersetzung des Vermögens hinsichtlich unbeweglicher Sachen wird das Recht des Landes, in dem sie belegen sind, angewandt.

[14](3) Ehegatten, die nach der Eheschließung eine neue gemeinsame Staatsangehörigkeit erwerben, können sich unter der Voraussetzung, dass die Rechte Dritter unberührt bleiben, diesem neuen Recht unterstellen.’ (Übersetzung, Rechtsgutachten S. 4)

[15]Die Verweisung in Art. 15 I, 14 I Nr. 1 EGBGB erfasst Art. 15 türk. IPRG, denn es handelt sich um eine Gesamtverweisung, also eine Verweisung sowohl auf das türkische Sachrecht als auch auf das türkische IPR (Art. 4 I 1 EGBGB). Das türk. IPRG ist vorliegend auch in zeitlicher Hinsicht anwendbar. Zwar wurde die Ehe des Erblassers und der Bet. bereits am 15.7.2003, und damit vor dem Inkrafttreten des türk. IPRG, geschlossen. In entspr. Anwendung von Art. 1 des türk. Gesetzes Nr. 4722 – Einführungsgesetz zum Zivilgesetzbuch – vom 8.12.2001 ist bei Dauerrechtsverhältnissen für die allgemeinen Wirkungen der Ehe einschließlich der güterrechtlichen Wirkungen jedoch nicht auf das im Zeitpunkt des Zustandekommens der Ehe geltende Recht abzustellen, sondern auf das Recht, das im Zeitpunkt des Eintritts des für die Beurteilung maßgeblichen Tatbestands gilt (Rechtsgutachten S. 3, 14). Dies ist hier der Tod des Erblassers, mit dem der Güterstand der Eheleute beendet wurde ...

[16](2) Trotz [der] Anwendbarkeit von Art. 15 II türk. IPRG auf den vorliegenden Fall führt dies nicht zur Anwendbarkeit von § 1371 I BGB, denn die Norm enthält keine Verweisung auf § 1371 I BGB (so i. Erg. ohne Einholung eines Rechtsgutachtens auch OLG Köln aaO; a.A., ebenfalls ohne Einholung eines Rechtsgutachtens, für den Fall des Zugewinnausgleichs im Rahmen eines Scheidungsverfahrens von Eheleuten türkischer Abstammung OLG Bremen, Beschl. vom 7.5.2015 – 4 WF 52/15 (IPRspr 2015-82)). Art. 15 I türk. IPRG ist nämlich nicht als kollisionsrechtliche Norm anzusehen.

[17]Bei der Anwendung ausländischen Rechts hat der deutsche Richter dieses so anzuwenden, wie es der Richter des betreffenden Landes auslegt und anwendet, und nicht eine eigene Interpretation vorzunehmen. Maßgeblich ist daher weder das eigene Normverständnis des Senats noch das des Gutachters, der Bet. oder der deutschen Rechtslehre, sondern das Normverständnis der türkischen Lehre und Rechtsprechung. Wie sich aus dem vom Senat eingeholten Rechtsgutachten ergibt, war die Vorschrift bisher nicht Gegenstand veröffentlichter türkischer Gerichtsentscheidungen. Die türkischen Rechtslehre legt, soweit sie den Regelungsgehalt der Norm überhaupt thematisiert, Art. 15 II türk. IPRG dahin aus, dass es sich nicht um eine kollisionsrechtliche Norm handelt. Dort herrscht die Ansicht vor, dass die Norm nicht zu einer Güterrechtsspaltung für bewegliches und unbewegliches Vermögen führt, sondern dass das Güterrechtsstatut einheitlich in Art. 15 I türk. IPRG geregelt ist, ohne dass zwischen beweglichem und unbeweglichem Vermögen unterschieden wird. Demzufolge legt die türkische Rechtslehre Art. 15 II türk. IPRG einschränkend dahin aus, dass sie nicht das für die schuldrechtliche Seite der Auseinandersetzung anwendbare Recht bestimmt, sondern lediglich eine Bestimmung des Rechts trifft, das für die dingliche Seite der Auseinandersetzung des ehelichen Vermögens bei Beendigung des Güterstands gilt, und damit nur eine Bestätigung des Grundsatzes der lex rei sitae darstellt.

Fundstellen

Bericht

Ludwig, FamRB, 2018, 406

LS und Gründe

FamRZ, 2018, 858, m. Anm. Fornasier
FGPrax, 2018, 131
FuR, 2018, 331, m. Anm. Burandt
MDR, 2018, 746
NJW-RR, 2018, 713
NZFam, 2018, 624, m. Anm. Elden
RNotZ, 2018, 412
Rpfleger, 2018, 468
ZErb, 2018, 120
ZEV, 2018, 330, m. Anm. Majer

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2018-199

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