Die Formulierung des Art. 16 I EulnsVO ("durch ein nach Art. 3 zuständiges Gericht") ist nicht dahingehend zu verstehen, dass im Anerkennungsstaat zu prüfen ist, ob das Gericht für die Verfahrenseröffnung zuständig war. Dies verbietet der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens.
Die Wirkung einer im Ausland erteilten Restschuldbefreiung bestimmt sich nach dem Recht des Staats, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde (hier: England). Allein die Ausnutzung der Vorteile, die das ausländische (hier: englische) Insolvenzrecht dem Beklagten bietet, insbesondere die Möglichkeit, schneller als in Deutschland eine Restschuldbefreiung zu erlangen, stellen keinen Verstoß gegen den ordre public dar.
Der Einwand, dass ein Insolvenzschuldner die Erlangung einer Eröffnungsentscheidung in Folge einer Täuschung des englischen Gerichts erlangt hat, kann lediglich durch Einlegung eines Rechtsbehelfs im Eröffnungsstaat geltend machen. Allein der Umstand, dass der Gläubiger keine verfahrensrechtliche Möglichkeit hatte, sich in dem ausländischen (hier: englischen) Verfahren Gehör zu verschaffen, reicht nicht aus, um der ausländischen Entscheidung wegen Verstoßes gegen den ordre public nach Art. 26 EuInsVO die Anerkennung zu versagen. [LS der Redaktion]
Die Klägerin nimmt den Beklagten aus zahnärztlicher Behandlung auf Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz in Anspruch. Die Klägerin wirft dem Beklagten im Zusammenhang mit einer Zahnbehandlung verschiedene Behandlungsfehler vor. Nachdem in dem Verfahren
Die Klägerin ist der Auffassung, die vom Beklagten erhobene Einrede der Restschuldbefreiung greife nicht durch. Weder würde die Forderung der Klägerin von der Restschuldbefreiung erfasst, noch seien sie überhaupt Gegenstand des Insolvenzverfahrens geworden. Der Beklagte habe sich arglistig einer früheren Prozessführung entzogen und habe bei Einleitung des behaupteten Insolvenzverfahrens das englische Gericht getäuscht. Die Klägerin beantragt, den Beklagten zu verurteilen, zu zahlen. Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
[1]Die zulässige Klage ist unbegründet.
[2]I.
[3]Die zulässige Leistungsklage hat in der Sache keinen Erfolg. Aufgrund der dem Beklagten durch Beschluss des Medway County Court vom 24.03.2012 erteilten Restschuldbefreiung (discharge) kann die Klägerin Ansprüche gegen den Beklagten nicht mehr geltend machen. Die streitgegenständlichen Forderungen sind im Rahmen des in England vom Beklagten durch Antrag vom 24.03.2011 betriebenen Insolvenzverfahrens erloschen.
[4]Der Vortrag der Klägerin ist nicht geeignet, die Wirksamkeit der dem Beklagten am 24.03.2012 vom Medway County Court in Großbritannien erteilten Restschuldbefreiung in der Bundesrepublik Deutschland in Zweifel zu ziehen. Deren Wirksamkeit in Deutschland beurteilt sich allein nach der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (EulnsVO), die in der Europäischen Union allgemeine Geltung hat, in allen ihren Teilen verbindlich ist und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gilt (vgl. Art. 288 Abs. 2 AEUV), mithin auch in der Bundesrepublik Deutschland und insbesondere auch in Großbritannien (vgl. den 32. Erwägungsgrund zur EulnsVO). In ihrem Anwendungsbereich, in den gemäß Art. 2 Buchst. a EulnsVO auch das im Anhang A zur EulnsVO aufgeführte britische Bankruptcy-Verfahren fällt, in dem die Restschuldbefreiung hier ausweislich der vorgelegten Bescheinigung des High Medway County Court erteilt wurde, verdrängt sie deshalb das deutsche internationale Insolvenzrecht. Eines Rückgriffs auf die §§ 335, 343 InsO bedarf es insoweit nicht (vgl. Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 16. Mai 2014
[5]Der Beschluss des Medway County Court vom 24.03.2011 über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (0120 of 2011 Medway County Court Bankruptcy Order) ist daher in Deutschland gemäß Art. 16 Abs. 1 Unterabs. 1 EulnsVO anzuerkennen. Die dem Beklagten vom Medway County Court ausgestellte Bescheinigung vom 24.03.2012 über die Restschuldbefreiung (Certifikate of Discharge) ist danach ebenfalls anzuerkennen. Nachdem das englische Gericht durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Restschuldbefreiung des Beklagten seine Zuständigkeit angenommen und der Beklagte dies mit den vorgelegten Bescheinigung des Medway County Court (vgl. Anl. B 8 Bl. 135 GA) nachgewiesen hatte, war es der Kammer grundsätzlich verwehrt durch Beiziehung oder Anforderung der englischen Insolvenzakten die zu prüfen, ob das Medway County Court seine Zuständigkeit zutreffend angenommen hat und der Beklagte den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EulnsVO tatsächlich in Großbritannien hatte. Dass das englische Insolvenzverfahren tatsächlich durchgeführt wurde, ergibt sich aus den vom Beklagten bereits mit der Klageerwiderung vorgelegten Bescheinigungen und wird von den klägerseits eingeholten und vorgelegten Auskünften ebenfalls bestätigt.
[6]Die dem Beklagten in England erteilte Restschuldbefreiung hat gegenüber der Klägerin schuldbefreiende Wirkung. Die Wirkung einer im Ausland erteilten Restschuldbefreiung bestimmt sich nach dem Recht des Staats, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Nach dem englischen Recht wird der Schuldner durch die Restschuldbefreiung grundsätzlich von allen Forderungen befreit, denen er zum Zeitpunkt des Erlasses des Insolvenzeröffnungsbeschlusses (bankruptcy order) ausgesetzt war (vgl. Sektion 281 Abs. 1, Sektion 282 Abs. 1 Insolvency Act 1986). Dies gilt für alle Schulden, die bis zu diesem Zeitpunkt rechtlich entstanden sind, unabhängig von ihrer Fälligkeit und unabhängig davon, ob die Forderungen angemeldet worden sind. Nach englischem Insolvenzrecht gehen die Verbindlichkeiten dabei endgültig unter (vgl. Sektion 281 Abs. 1, Sektion 282 Abs. 1 Insolvency Act 1986). Unabhängig davon, ob die Klägerin ihre Forderungen im englischen Insolvenzverfahren angemeldet hat, waren sie zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 22.03.2011 bereits entstanden. Hiervon geht die Klägerin nach ihrem eigenen Vorbringen selbst aus. Sie sind daher jedenfalls infolge der Entschuldungswirkung der Restschuldbefreiung nicht mehr gerichtlich durchsetzbar (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Zwischenurteil vom 25. Mai 2011
[7]Ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung gem. Art. 26 EulnsVO kann nicht angenommen werden.
[8]Nach Art. 26 EulnsVO kann sich jeder Mitgliedstaat allerdings weigern, ein in einem anderen Mitgliedstaat eröffnetes Insolvenzverfahren anzuerkennen oder eine in einem solchen Verfahren ergangene Entscheidung zu vollstrecken, soweit diese Anerkennung oder diese Vollstreckung zu einem Ergebnis führt, das offensichtlich mit seiner öffentlichen Ordnung, insbesondere mit den Grundprinzipien oder den verfassungsmäßig garantierten Rechten und Freiheiten des Einzelnen, unvereinbar ist (vgl. EuGH, Urteil vom 21. 1. 2010 - C-444/07 MG Probud Gdynia sp. z o.o). Eine Anwendung des Ordre public-Vorbehalts gem. Artikel 26 EulnsVO kommt in Betracht, wenn das Ergebnis der Anerkennung oder Vollstreckung der in einem anderen Mitgliedstaat erlassenen Entscheidung gegen einen wesentlichen Rechtsgrundsatz verstieße und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur Rechtsordnung des Anerkennungs- oder Vollstreckungsmitgliedstaats stünde. Es muss sich bei diesem Verstoß um eine offensichtliche Verletzung einer in der Rechtsordnung des Anerkennungs- oder Vollstreckungsmitgliedstaats als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort als grundlegend anerkannten Rechts handeln (vgl. EuGH, Urteil vom 28. 3. 2000 - Rs. C-7/98). Der Ordre public-Vorbehalt des [...] Artikel 26 EulnsVO kann demnach nur in Ausnahmefällen einschlägig sein (vgl. EuGH, Urteil vom 2. 5. 2006 - C-341/04 Eurofood IFSC Ltd).
[9]Dafür lässt sich dem Vorbringen der Klägerin nichts entnehmen. Ihr Vorbringen beschränkt sich im Wesentlichen darauf, zu behaupten, der Beklagte habe Insolvenztourismus betrieben und seinen Wohnsitz nicht oder jedenfalls rechtsmissbräuchlich nach Großbritannien verlegt. Dafür gibt es aber keine Anhaltspunkte. Allein die Vorteile, die das englische Insolvenzrecht dem Beklagten bietet, insbesondere die Möglichkeit, schneller als in Deutschland eine Restschuldbefreiung zu erlangen, genügen für eine solche Annahme nicht. Der Vortrag der Beklagten, bereits 2010 arbeitsbedingt nach England gegangen zu seien, nachdem sein Versuch sich eine berufliche Existenz in Österreich aufzubauen gescheitert war, und dorthin bis Anfang 2015 seinen Wohnsitz verlegt zu haben, ist schlüssig. Das Vorbringen der Beklagten wird von der Klägerin auch nicht ernsthaft in Zweifel gezogen, vielmehr hat diese im Verfahren vor dem Landgericht Düsseldorf
[10]Soweit sich die Klägerin darauf beruft, dass der Beklagte die Erlangung einer Eröffnungsentscheidung in Folge einer Täuschung des englischen Gerichts erlangt hat, kann sie diesen Einwand lediglich durch Einlegung eines Rechtsbehelfs im Eröffnungsstaat geltend machen (vgl. BGH, Urteil vom 10.9.2015
[11]Nach Art. 67 Abs. 3 Buchst. c iVm Art. 2 Buchst. e und Art. 126 des Austrittsabkommens findet die EulnsVO auch in Fällen mit Bezug zum Vereinigten Königreich weiterhin Anwendung, sofern das Hauptinsolvenzverfahren vor dem 01.01.2021 eingeleitet wurde. Hiervon ist vorliegend auszugehen, da das Insolvenzverfahren bereits im Jahr 2011 eröffnet und ein Jahr später beendet wurde.
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