Die Vollstreckung eines Urteils, welches der verurteilten Fernsehanstalt aufgibt, eine nach Ansicht des Gerichts des Urteilsstaats in einer Äußerung enthaltene Geschichtsverfälschung zu bedauern und sich für eine nach Ansicht des Gerichts des Urteilsstaats hierin zu sehende Persönlichkeitsrechtsverletzung zu entschuldigen, verstößt offenkundig gegen das Grundrecht auf negative Meinungsfreiheit und gegen den deutschen ordre public.
[Siehe auch den vorgehenden Beschuss vom 8.2.2018 in diesem Band (IPRspr 2018-293).)
Am 15. Juli 2013 veröffentlichte die AGg. (ZDF) auf ihrer Internetseite folgende aus dem Französischen übersetzte Ankündigung eines Beitrags des Senders Arte: „Verschollene Filmschätze 1945. Die Befreiung der Konzentrationslager Deutschland, April 1945. [...] Die Entdeckung der polnischen Vernichtungslager Majdanek und Auschwitz durch sowjetische Soldaten ...“. Am 19.7.2013 beanstandete die Botschaft der Republik Polen in Deutschland die Formulierung „polnische Vernichtungslager“. Die AGg. korrigierte den Text am selben Tag. Der ASt. ist polnischer Staatsangehöriger und ehemaliger Häftling der Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau und Flossenbürg. Mit Anwaltsschreiben vom 19.7.2013 beanstandete er ebenfalls die Formulierung „polnische Vernichtungslager“ und verlangte die Veröffentlichung einer von ihm vorformulierten Entschuldigung in deutscher und polnischer Sprache in einer polnischen Tageszeitung und auf der Internetseite der AGg. sowie Zahlung von 50.000 PLN an die Vereinigung „Patria Nostra“. Mit Schreiben vom 31.7.2013 und 15.8.2013 entschuldigte sich die AGg. beim ASt. für die Formulierung „polnische Vernichtungslager“ und drückte ihr Bedauern aus. Mit Schreiben vom 14.8.2013 entschuldigte sich auch der Fernsehsender Arte. Am 11.4.2016 veröffentlichte die AGg. eine Korrekturnachricht.
2014 klagte der ASt. vor dem Bezirksgericht Krakau, Polen, gegen die AGg. auf Veröffentlichung der vorformulierten Entschuldigung und Zahlung von 50.000 PLN. Die Klage wurde abgewiesen. Die Berufung des ASt. hatte teilweise Erfolg. Mit Urteil vom 22.12.2016 verurteilte das Appellationsgericht Krakau die AGg. zur Abgabe einer auf ihrer Internetseite zu veröffentlichenden Entschuldigung. Die AGg. veröffentlichte den Text in der Zeit vom 23.12.2016 bis zum 23.1.2017 auf ihrer Internetseite. Der ASt. hält die Veröffentlichung für unzulänglich. Er hat beantragt, das Urteil des Appellationsgerichts im Inland für vollstreckbar zu erklären. Das LG hat antragsgemäß entschieden. Die sofortige Beschwerde der AGg. ist erfolglos geblieben. Mit ihrer Rechtsbeschwerde will die AGg. die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und die Abweisung des Antrags auf Vollstreckbarkeitserklärung erreichen.
II. [7] Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und zur Abweisung des Antrags des ASt.
[8] 1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.
[9] a) Das Verfahren der Vollstreckbarkeitserklärung richtet sich nach den Vorschriften der EuGVO a.F. Die Klage des ASt. im Ausgangsprozess ist im Jahr 2014, mithin vor dem 10.1.2015 erhoben worden. Gemäß Art. 66 II EuGVO gilt deshalb noch altes Recht (vgl. BGH, Beschl. vom 10.9.2015 – IX ZB 39/13 (IPRspr 2015-256), WM 2016, 574 Rz. 3). Daneben sind die Vorschriften des AVAG vom 19.2.2001 i.d.F. vom 30.11.2015 entsprechend anzuwenden (vgl. BGH, Beschl. vom 17.5.2017 – VII ZB 64/15 (IPRspr 2017-280), WM 2017, 1261 Rz. 13; vom 31.5.2017 – VII ZB 2/17 (IPRspr 2017-281), WM 2017, 1422 Rz. 5; vom 8.2.2018 – IX ZB 10/18, Rz. 4).
[10] b) Die Rechtsbeschwerde ist gemäß Art. 44 EuGVO a.F., §§ 15 I AVAG, 574 I 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Ihre Zulässigkeit folgt aus §§ 15 I AVAG, 574 II Nr. 2 ZPO. Die AGg. hat die Voraussetzungen einer Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 5 GG schlüssig und substanziiert dargelegt (vgl. zum Zulässigkeitsgrund BGH, Beschl. vom 25.9.2003 – III ZB 68/02 (IPRspr. 2003 Nr. 203), WM 2004, 703, 704; zur Darlegung des Zulässigkeitsgrunds vgl. BGH, Beschl. vom 5.3.2009 – IX ZB 192/07 (IPRspr 2009-233), NJW-RR 2009, 1292 Rz. 4; vom 25.3.2010 – V ZB 159/09, MDR 2010, 830).
[11] 2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die Vollstreckung des Urteils des Appellationsgerichts Krakau vom 22.12.2016 widerspräche offensichtlich dem ordre public der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Art. 45 I 1, 34 Nr. 1 EuGVO a.F.).
[12] a) Das BeschwG hat ausgeführt: Die AGg. habe, was sie selbst nicht in Abrede stelle, mit der Formulierung ‚polnische Vernichtungslager’ eine unrichtige Tatsache behauptet. Eine unrichtige Tatsachenbehauptung unterfalle nicht dem Schutz des Grundrechts aus Art. 5 I 1 GG. Die Annahme einer hierdurch bewirkten Persönlichkeitsverletzung des ASt., der polnischer Staatsangehöriger und in Auschwitz inhaftiert gewesen sei, verstoße ebenfalls nicht gegen das GG. Auch nach deutschem Recht könne der Betroffene vom Störer die Berichtigung einer unrichtigen Tatsachenbehauptung verlangen. Mit der Angemessenheit der zur Beseitigung der Verletzungsfolgen notwendigen Maßnahmen habe sich das Gericht des Urteilsstaats sehr eingehend und ausgewogen befasst. Es habe nicht die Demütigung oder Bestrafung der AGg. beabsichtigt, sondern umgekehrt deren Geschichtsbewusstsein besonders hervorgehoben. Auch dem Berichtigungsanspruch des deutschen Rechts wohne ein entschuldigendes, nämlich die Schuld tilgendes, wiedergutmachendes Element inne. Eine inhaltliche Überprüfung des Urteils des Gerichts des Urteilsstaats sei dem Gericht des Vollstreckungsstaats verwehrt. Auf die Erfüllung des titulierten Anspruchs könne sich die AGg. im Exequaturverfahren ebenfalls nicht berufen.
[13] b) Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung in wesentlichen Punkten nicht stand.
[14] aa) Gemäß Art. 45 I 1, 34 Nr. 1 EuGVO a.F. wird eine ausländische Entscheidung dann nicht für vollstreckbar erklärt, wenn die Vollstreckung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Mitgliedstaats, in dem sie geltend gemacht wird, offensichtlich widersprechen würde. [...] Maßgeblich ist ..., ob das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts im konkreten Fall zu den Grundgedanken der Regelungen des Vollstreckungsstaats und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es für den Vollstreckungsstaat nicht tragbar ist (BGH, Beschl. vom 22.6.2017 – IX ZB 61/16 (IPRspr 2017-270b), WM 2017, 1428 Rz. 14 m.w.N.). Es geht um das Ergebnis der Anwendung ausländischen Rechts; auf die Begründung kommt es entgegen der Ansicht des BeschwG nicht an (vgl. Musielak-Voit-Stadler, ZPO, 15. Aufl., § 328 Rz. 24; Stein-Jonas-Roth, ZPO, 23. Aufl., § 328 Rz. 101). Die Vollstreckung der ausländischen Entscheidung wird nicht zugelassen, wenn sie im Ergebnis gegen einen wesentlichen Rechtsgrundsatz des Vollstreckungsstaats verstieße und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zu dessen Rechtsordnung stünde. Bei dem Verstoß muss es sich um eine offensichtliche Verletzung einer in der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort als grundlegend anerkannten Rechts handeln (EuGH, Urt. vom 2.4.2009 – Marco Gambazzi ./. DaimlerChrysler Canada Inc. u. CIBC Mellon Trust Company, Rs C-394/07, NJW 2009, 1938 Rz. 27; BGH, Beschl. vom 17.9.2015 – IX ZB 47/14 (IPRspr 2015-257), ZVI 2016, 14 Rz. 8).
[15] bb) Die Vollstreckung des Urteils des Gerichts des Urteilsstaats, mit welchem die AGg. zur Abgabe der im Tatbestand mitgeteilten Erklärung verurteilt worden ist, griffe in nicht hinnehmbarer Weise in das Grundrecht der AGg. aus Art. 5 I GG auf freie Meinungsäußerung ein.
[16] (1) Gegenstand der rechtlichen Prüfung im Rahmen der Vollstreckbarkeitserklärung ist nicht die Äußerung, die Gegenstand des Rechtsstreits vor den Gerichten des Urteilsstaats war. Der Senat hat also nicht selbständig zu beurteilen, wie die im Tatbestand mitgeteilte Programmanzeige zu verstehen war. Nur zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass eine Aussage des Inhalts, die Lager Majdanek und Auschwitz seien von Polen betrieben worden, eine unrichtige Tatsachenbehauptung darstellt. Die Äußerung, Aufrechterhaltung und Weiterverbreitung herabsetzender Tatsachenbehauptungen, deren fehlender Wahrheitsgehalt bereits im Zeitpunkt der Äußerung, Aufrechterhaltung oder Weiterverbreitung feststeht, wird von Art. 5 I 1 GG nicht geschützt ...
[17] (2) Gegenstand der rechtlichen Prüfung im Rahmen der Vollstreckbarkeitserklärung ist vielmehr ausschließlich die Erklärung, zur deren Abgabe das Gericht des Urteilsstaats die AGg. verurteilt hat. Die AGg. ist dazu verurteilt worden, die Bewertung, die ihre Erklärung durch das polnische Gericht erfahren hat, als eigene Meinung zu übernehmen und zu veröffentlichen. Dies verstößt offenkundig gegen das Grundrecht der AGg. aus Art. 5 I GG ...
[22] cc) Der durch eine Vollstreckung des Urteils des Gerichts des Urteilsstaats bewirkte Eingriff in das Grundrecht der AGg. aus Art. 5 I GG verstieße offensichtlich gegen den verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ...
[25] Angesichts der unverzüglich erfolgten Richtigstellung, der veröffentlichten Entschuldigung und der Schreiben der AGg. an den ASt. persönlich übersteigt es jedes Maß, wenn die AGg. nunmehr den vom Gericht des Urteilsstaats vorgegebenen, schon für sich genommen ihr Grundrecht aus Art. 5 I GG offensichtlich verletzenden Text für einen Zeitraum von einem Monat durch Schriftgröße, Fettdruck und Rahmen hervorgehoben auf ihrer Startseite veröffentlichen muss. Dies ist weder zur Beseitigung einer fortwirkenden Persönlichkeitsrechtsverletzung des ASt. erforderlich noch der AGg. zumutbar.