Die Aussetzung eines Exequaturverfahren kommt gemäß Art. 46 I und III EuGVO alter Fassung nicht allein deshalb in Betracht, weil gegen die Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat ein ordentlicher Rechtsbehelf eingelegt ist. Nach der Konzeption der EuGVO sollen auch nicht-rechtskräftige, nur vorläufig vollstreckbare Entscheidungen in anderen Mitgliedstaaten vollstreckt werden können.
Im Rahmen der Anwendung der EuGVO ist es einem Schuldner mangels entsprechender Regelung nicht gestattet, die Zwangsvollstreckung durch eigene Sicherheitsleistung abzuwenden. Die Regelung in § 20 AVAG betrifft nur den Fall der Sicherungsvollstreckung bis zum Ablauf des Exequaturverfahrens. [LS der Redaktion]
[Der vorgehende Beschluss des OLG Rostock vom 30.7.2014 – 1 W 40/14 – wurde bereits im Band IPRspr. 2014 unter der Nr. 244 abgedruckt.]
Der ASt. erwirkte vor dem Tribunale Ordinario di Milano in Italien im Juli 2013 ein Urteil, durch das die AGg. verurteilt wurde, als Gesamtschuldnerin an den ASt. 129 497,94 € nebst Zinsen sowie Verfahrenskosten i.H.v. 14 200 € zu zahlen. Die AGg. legte gegen das vorläufig vollstreckbare Urteil Berufung ein.
Die AGg. hat gegen die Entscheidung des LG Stralsund, das Urteil des Mailänder Gerichts mit der Vollstreckungsklausel zu versehen, Beschwerde eingelegt. Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde erstrebt die AGg. die Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse.
[3] II. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß Art. 44 EuGVO a.F. (zur Anwendbarkeit dieser Norm vgl. BGH, Beschl. vom 26.3.2015 – IX ZB 38/14 (IPRspr 2015-254), n.v. Rz. 4) i.V.m. §§ 15 I AVAG, 574 I 1 Nr. 1 ZPO statthaft ...
[7] 2. ... b) Die aufgeworfene Frage ist – ohne dass es einer Zulassung bedarf – eindeutig dahin zu beantworten, dass eine Vollstreckung des erstinstanzlichen italienischen Urteils in Deutschland nicht im Sinne von Art. 34 Nr. 1 EuGVO a.F. offensichtlich dem deutschen verfahrensrechtlichen ordre public widerspricht. Zwar sind erstinstanzliche Urteile eines italienischen Gerichts anders als entspr. Urteile eines deutschen Gerichts im gesetzlichen Regelfall ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar (Art. 282 ital. C. proc. civ., § 709 ZPO). Diese unterschiedliche Rechtslage allein rechtfertigt es jedoch nicht, die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Entscheidung nach Art. 45 I, 34 Nr. 1 EuGVO a.F. zu versagen.
[8] aa) Eine Anwendung der Vorbehaltsklausel des Art. 34 Nr. 1 EuGVO a.F. kommt nur in Betracht, wenn die Anerkennung oder Vollstreckung der in einem anderen Mitgliedstaat erlassenen Entscheidung gegen einen wesentlichen Rechtsgrundsatz verstieße und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats stünde. Es muss sich bei diesem Verstoß um eine offensichtliche Verletzung einer in der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort als grundlegend anerkannten Rechts handeln. Bei der Prüfung des Verfahrens des Urteilsstaats kann deshalb nicht schon dann die Anerkennung versagt werden, wenn die Entscheidung in einem Verfahren erlassen worden ist, das von zwingenden Vorschriften des deutschen Prozessrechts abweicht. Ein Versagungsgrund ist vielmehr nur dann gegeben, wenn die Entscheidung des ausländischen Gerichts aufgrund eines Verfahrens ergangen ist, das sich von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Maße entfernt, dass nach der deutschen Rechtsordnung das Urteil nicht als in einem geordneten, rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann (vgl. BGH, Beschl. vom 23.6.2005 – IX ZB 64/04, n.v., Rz. 6; vom 14.6.2012 – IX ZB 183/09 (IPRspr 2012-266), WM 2012, 1445 Rz. 10 f.; jew. m.w.N.).
[9] bb) Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Dass nicht-rechtskräftige Entscheidungen eines Zivilgerichts nur gegen Sicherheitsleistung des Gläubigers vorläufig vollstreckt werden dürfen, ist, wie die Regelungen in § 708 ZPO und § 710 ZPO zeigen, kein ausnahmslos geltender Grundsatz des deutschen Zivilverfahrensrechts. Umgekehrt stellt auch die Regelung im italienischen Verfahrensrecht den Schuldner nicht schutzlos. Er kann beim Berufungsgericht beantragen, die Vollstreckung des angefochtenen Urteils ganz oder zum Teil auszusetzen (Art. 283 ital. C. proc. civ.). Ferner ist zu berücksichtigen, dass auch im Verfahren der Vollstreckbarerklärung die Aussetzung des Verfahrens angeordnet oder die Vollstreckung von der Leistung einer Sicherheit abhängig gemacht werden kann, um den Schuldner vor den Folgen einer Vollstreckung vor Rechtskraft des Urteils zu schützen (Art. 46 I und III EuGVO a.F.). Von einer offensichtlichen, untragbaren Abweichung von Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts kann danach nicht die Rede sein.
[10] III. Der hilfsweise gestellte Antrag der Rechtsbeschwf., die Zwangsvollstreckung von der Leistung einer Sicherheit abhängig zu machen, ist jedenfalls unbegründet.
[11] 1. Nach Art. 46 I und III EuGVO a.F. kann auch noch das mit einer Rechtsbeschwerde befasste Gericht auf Antrag des Schuldners das Exequaturverfahren aussetzen oder die Zwangsvollstreckung von einer Sicherheit abhängig machen, wenn gegen die Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat ein ordentlicher Rechtsbehelf eingelegt ist (Geimer-Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl., Art. 46 EuGVVO Rz. 50; Simons-Hausmann-Althammer, Brüssel I-Verordnung, 2012, Art. 46 Rz. 1; Rauscher-Mankowski, EuZPR/EuIPR, 4. Aufl., Art. 46 Brüssel I-VO Rz. 2; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl., Art. 46 EuGVO Rz. 2). Die Entscheidung über einen solchen Antrag steht im Ermessen des Gerichts. Fraglich erscheint allerdings, ob das Rechtsbeschwerdegericht befugt ist, eine Sicherheitsleistung anzuordnen, wenn die Rechtsbeschwerde – wie hier – unzulässig und damit der Weg zu einer Sachentscheidung nicht eröffnet ist (bejahend offenbar OGH, Beschl. vom 30.5.2006 – 3 Ob 49/06 zu 3.). Einer Vorabentscheidung des EuGH zu dieser Frage nach Art. 267 AEUV bedarf es jedoch nicht, weil der Antrag in der Sache unbegründet ist.
[12] 2. Ausreichende Gründe für die Anordnung einer Sicherheitsleistung vermag der Senat nicht zu erkennen.
[13] a) Die zu vollstreckende Entscheidung ist nicht aufgrund einer lediglich summarischen Prüfung, sondern in einem ordentlichen Klageverfahren unter umfassender Beteiligung der Schuldnerin (nachfolgend: AGg.) ergangen. Nach italienischem Recht ist die Entscheidung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar; das Berufungsgericht kann aber auf Antrag die Vollstreckbarkeit beim Vorliegen schwerwiegender Gründe aussetzen (Art. 282 f. ital. C. proc. civ.). Die AGg. ist deshalb im Ausgangsverfahren nicht schutzlos.
[14] b) Der Umstand, dass die im Ursprungsstaat ergangene Entscheidung noch nicht rechtskräftig ist, ist tatbestandliche Voraussetzung der Anordnung einer Sicherheitsleistung nach Art. 46 III EuGVO. Ob die Entscheidung Bestand haben wird, ist in diesem Fall notwendigerweise ungewiss. Dieser Ungewissheit allein kann deshalb bei der Ausübung des dem Exequaturgericht eingeräumten Ermessens keine ausschlaggebende Bedeutung zukommen (vgl. OLG Stuttgart, Beschl. vom 26.2. 2010 – 5 W 68/09 (IPRspr 2010-262) [juris Rz. 49]; weiter: OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, 572 (IPRspr. 1996 Nr. 182) und RIW 1998, 969 (IPRspr. 1998 Nr. 187); OLG Köln, IPRax 2006, 51, 52 (IPRspr 2004-166); OLG Celle, NJW-RR 2007, 718, 719 (IPRspr 2007-192)). Vermag der Schuldner hingegen darzulegen, dass sein Rechtsbehelf im Ursprungsstaat offenkundig Erfolg haben wird, kann dies die Anordnung einer Sicherheitsleistung nahe legen. Eine solche offenkundige Erfolgsaussicht zeigt die Rechtsbeschwerde jedoch nicht auf. Die Frage, ob bei der Beurteilung der Erfolgsaussicht alle Umstände zu berücksichtigen sind oder nur solche, die vor den Gerichten des Ursprungsstaats noch nicht vorgebracht werden konnten (so für den Fall eines Antrags auf Aussetzung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens nach Art. 46 I EuGVO a.F.: EuGH, Urt. vom 4.10.1991 – B. J. van Dalfsen u.a. ./. B. van Loon u. T. Berendsen, Rs C-183/90, Slg. 1991 I-4743 Rz. 33, 36 f.), kann daher dahinstehen.
[15] c) Auch auf die Notwendigkeit, einen möglichen Anspruch auf Erstattung der vollstreckten Beträge gegen einen in einem anderen Mitgliedstaat der EU ansässigen Gläubiger vor den dortigen Gerichten verfolgen zu müssen, kann eine Anordnung nach Art. 46 III EuGVO a.F. grundsätzlich nicht gestützt werden, weil die Rechtsverfolgung innerhalb der EU durch die Zuständigkeits- und Anerkennungsregelungen der EuGVO im Regelfall gewährleistet ist (BGH, Beschl. vom 15.5.2014 – IX ZB 26/13 (IPRspr 2014-241), NJW 2014, 2365 Rz. 8). Die Anordnung einer Sicherheitsleistung kann hingegen veranlasst sein, wenn aufgrund konkreter Umstände die begründete Besorgnis besteht, dass der Gläubiger später zur Erstattung der vollstreckten Beträge nicht mehr in der Lage sein wird. Solche Umstände trägt die Rechtsbeschwerde jedoch nicht vor.
[16] d) Der von der Rechtsbeschwerde in den Vordergrund gestellte Gesichtspunkt, dass die Verfahrensökonomie es gebiete, die Ursprungsentscheidung nur unter Anordnung einer Sicherheitsleistung für vollstreckbar zu erklären, um so einen zweiten, auf die Erstattung der vollstreckten Beträge gerichteten Prozess zu vermeiden, greift ebenfalls nicht durch. Nach der Konzeption der EuGVO sollen auch nicht-rechtskräftige, nur vorläufig vollstreckbare Entscheidungen in anderen Mitgliedstaaten vollstreckt werden können. Die Verordnung nimmt damit in Kauf, dass im Falle der Abänderung der zu vollstreckenden Entscheidung die bereits vollstreckten Beträge vom Schuldner in einem zweiten Verfahren geltend gemacht werden müssen. Gründe der Verfahrensökonomie können die Anordnung einer Sicherheitsleistung deshalb nur unter besonderen Umständen rechtfertigen, etwa wenn der im Ursprungsstaat eingelegte Rechtsbehelf offenkundig Erfolg haben muss. Dies wird von der Rechtsbeschwerde jedoch wie o.a. nicht dargelegt.
[17] 3. Der AGg. kann auch nicht gestattet werden, die Zwangsvollstreckung durch eigene Sicherheitsleistung abzuwenden. Die Normen der EuGVO sehen eine solche Möglichkeit nicht vor (vgl. OLG Stuttgart aaO). Die Regelung in § 20 AVAG betrifft nur den Fall der Sicherungsvollstreckung bis zum Ablauf des Exequaturverfahrens. Diese steht hier nicht in Rede.