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Verfahrensgang

OLG Celle, Beschl. vom 03.01.2007 – 8 W 86/06, IPRspr 2007-192

Rechtsgebiete

Anerkennung und Vollstreckung → Vermögensrechtliche Angelegenheiten

Leitsatz

Ein italienischer Mahnbescheid (decreto ingiuntivo), der nach eingelegtem Einspruch des Schuldners in Italien in einem gesonderten Verfahren für vollstreckbar erklärt wird, stellt eine anerkennungsfähige Entscheidung nach Art. 32 EuGVO dar.

Der Umstand, dass dieser Mahnbescheid ohne Sicherheitsleistung des Gläubigers vorläufig vollstreckbar ist, und die Tatsache, dass das Verfahren in Italien noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist, stellen keinen Verstoß gegen den ordre public nach Art. 34 Nr. 1 EuGVO dar.

Zum Schutz des Schuldners ist indessen in diesen Fällen im Beschwerdeverfahren regelmäßig anzuordnen, dass die Vollstreckung durch den Gläubiger im Inland nur gegen Leistung einer Sicherheit nach Art. 46 III EuGVO stattfinden darf.

Rechtsnormen

AVAG § 11; AVAG § 18
C. proc. civ. 1940 (Italien) Art. 648
EUGVVO 44/2001 Art. 32; EUGVVO 44/2001 Art. 33; EUGVVO 44/2001 Art. 34; EUGVVO 44/2001 Art. 35; EUGVVO 44/2001 Art. 43; EUGVVO 44/2001 Art. 45; EUGVVO 44/2001 Art. 46; EUGVVO 44/2001 Art. 47; EUGVVO 44/2001 Art. 54; EUGVVO 44/2001 Art. 55; EUGVVO 44/2001 Art. 58
ZPO § 708

Sachverhalt

Die AGg. wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Vollstreckbarkeitserklärung eines italienischen Mahnbescheids (decreto ingiuntivo) durch das LG Stade.

Die ASt. erwirkte beim Landgericht in Mailand einen Mahnbescheid, durch den die AGg. aufgefordert wurde, innerhalb von 50 Tagen einen Betrag von 186 743,77 €  zzgl. Verzugszinsen in Höhe von 8,13% vom Tag der Fälligkeit der einzelnen Rechnungen an die ASt. zu zahlen. Der Bescheid wurde der AGg. zugestellt. Nach mündlicher Verhandlung vor dem Landgericht in Mailand wurde der Bescheid durch Verfügung für vollstreckbar erklärt. Das Verfahren in Italien ist bisher nicht rechtskräftig abgeschlossen.

Das LG Stade ordnete durch Beschluss an, den Mahnbescheid des Landgerichts Mailand mit der Vollstreckungsklausel zu versehen. Dagegen richtet sich die Beschwerde der AGg.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Die Beschwerde ist gemäß Art. 43 EuGVO i.V.m. § 11 AVAG zulässig, insbesondere wurde sie gemäß Art. 43 V 1 EuGVO i.V.m. § 11 III AVAG jeweils innerhalb eines Monats nach Zustellung eingelegt. Nach Art. 33 EuGVO werden Entscheidungen in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. Gemäß Art. 45 I EuGVO darf die Vollstreckbarerklärung nur aus einem der in Art. 34 und 35 EuGVO genannten Gründe versagt werden. Auf dieser Grundlage ist die Beschwerde mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Vollstreckungsklausel bezüglich der Zinsen erst ab dem 3.11.2006 erteilt werden kann. Ferner ist zusätzlich anzuordnen, dass die Zwangsvollstreckung durch die ASt. von der Leistung einer Sicherheit abhängig zu machen ist.

[2]1. Der italienische Verordnungsbefehl (decreto ingiuntivo) stellt zunächst eine Entscheidung im Sinne von Art. 32 EuGVO dar (vgl. EuGH, Urt. vom 14.10.2004 – C 39/02, IPRax 1996, 262; Beschl. des Senats vom 31.10.2006 – 8 W 44/06; OLG Köln, OLGR 2005, 83 (IPRspr 2004-169), zit. n. juris mit Entscheidungsgründen; OLG Stuttgart, NJW-RR 1998, 280 (IPRspr. 1997 Nr. 182)). Voraussetzung für eine Entscheidung ist lediglich, dass einer Anerkennungs- bzw. Vollstreckbarkeitserklärung im Urteilsstaat ein kontradiktorisches Verfahren vorausgegangen ist oder hätte vorausgehen können. Hierfür reicht es aus, dass nach Ende eines nicht kontradiktorischen Verfahrensabschnitts die Sache Gegenstand einer kontradiktorischen Erörterung sein konnte, dass also die Wirksamkeit erst dann eintritt, wenn der Schuldner Gelegenheit hatte, seine Rechte geltend zu machen. Diese Voraussetzungen sind beim italienischen Mahnbescheid erfüllt, da er – weitergehend als der Mahnbescheid nach deutschem Recht – erst nach einer Sachprüfung anhand der vorgelegten Beweise erlassen wird. Für vollstreckbar erklärt wird er grundsätzlich erst nach Ablauf der 50-tägigen Einspruchsfrist. Hier war das Verfahren kontradiktorisch ausgestaltet, da die Vollstreckungsanordnung erst in einem gesonderten Termin nach mündlicher Verhandlung vom 21.2.2006 ergangen ist, nachdem die AGg. Gelegenheit hatte, nach dem am 18.5.2005 eingelegten Einspruch hierzu Stellung zu nehmen.

[3]2. Kein Anerkennungs- und Vollstreckungshindernis kann die AGg. ferner daraus herleiten, dass sie Einspruch gegen den Mahnbescheid eingelegt hat. Nach Art. 33 I EuGVO werden die in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen anerkannt. Hieraus folgt, dass die erststaatliche Entscheidung nicht formal rechtskräftig sein muss (Beschl. des Senats und OLG Stuttgart aaO; Zöller-Geimer, ZPO, 25. Aufl., Art. 33 EuGVVO Rz. 3). Es genügt vielmehr, dass die Entscheidung überhaupt einen vollstreckbaren Inhalt hat, was hier der Fall ist.

[4]3. Ein Verstoß gegen die Ordre-public-Klausel nach Art. 34 Nr. 1 EuGVO liegt ebenfalls nicht vor. Der Umstand, dass trotz des von der AGg. eingelegten Einspruchs im Urteilsstaat der Verordnungsbefehl am 6.3.2006 für vollstreckbar erklärt worden ist, lässt nicht den Schluss zu, dass das Gericht diesen unter Verletzung der Verfahrensgarantie der Gewährung rechtlichen Gehörs nicht zur Kenntnis genommen hat (vgl. OLG Köln aaO). Nachdem die AGg. gegen den Verordnungsbefehl Einspruch eingelegt hatte, begann unstreitig ein normaler Zivilprozess, wobei nach Prüfung der Einzelheiten das Gericht nach Art. 648 C. proc. civ. die vorläufige Vollstreckbarkeit anordnen konnte, was hier auch geschehen ist, und zwar nachdem ein Termin über den Einspruch stattgefunden hatte. Die AGg. hatte damit umfassend Gelegenheit, zu den Forderungen der ASt. Stellung zu nehmen. Die Möglichkeit der Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit einer Entscheidung unter diesen Umständen widerspricht nicht den Grundsätzen der deutschen Zivilprozessordnung (Senat und OLG Stuttgart aaO). Da nach italienischem Recht die vorläufige Vollstreckbarkeit erst nach Durchführung eines Termins unter Beteiligung der Parteien ausgesprochen wird, ist die Entscheidung nicht vergleichbar mit dem deutschen Mahnverfahren, weil jedenfalls eine vorläufige Prüfung der Erfolgsaussichten stattgefunden hat. Hinzu kommt, dass der Beklagte in einem italienischen Verfahren jederzeit die Möglichkeit hat, die Aufhebung oder Abänderung der ergangenen Entscheidung zu beantragen und darauf hinwirken kann, dass der Richter den Erlass bzw. die Vollstreckbarkeit von der Sicherheitsleistung durch den Gläubiger abhängig macht (OLG Stuttgart aaO).

[5]Ein Widerspruch zu wesentlichen Grundgedanken der deutschen Rechtsordnung ist in diesem Verfahren nicht zu sehen (OLG Köln und OLG Stuttgart aaO). Soweit die AGg. geltend macht, im Falle eines obsiegenden Urteils in Italien müsse sie sich bei erfolgter Vollstreckung um die Rückzahlung des Betrags bemühen und trage das Insolenzrisiko der ASt., ist dem für das hiesige Beschwerdeverfahren durch die Anordnung einer Sicherheitsleistung zulasten der ASt. zu begegnen. Im Übrigen sieht auch das deutsche Recht etwa in § 708 Nrn. 1–4 ZPO die vorläufige Vollstreckbarkeit von Urteilen ohne Sicherheitsleistung und ohne Abwendungsbefugnis des Schuldners vor.

[6]4. Kein Vollstreckungshindernis stellt es ferner dar, dass die ASt. eine unzureichende Bescheinigung nach Art. 54, 58 EuGVO vorgelegt hätte. Hiernach hat der Antragsteller grundsätzlich eine Bescheinigung vorzulegen, aus der sich u.a. ergibt, dass sie im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar ist und wer der Vollstreckungsschuldner ist. In der vorgelegten Bescheinigung vom 30.5.2005 ist zwar die Spalte ‚Die Entscheidung ist in dem Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar ... gegen ...’ nicht ausgefüllt. Das ist indessen unschädlich, weil im Zeitpunkt des Ausstellens der im Übrigen vollständig ausgefüllten Bescheinigung eine Vollstreckung noch gar nicht möglich war. Die Vollstreckungsklausel wurde erst nach dem Einspruch der AGg. vom 18.5.2005 aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 21.2.2006 am 6.3.2006 erteilt. Eine gesonderte Bescheinigung auch über die Vollstreckbarkeit der Bescheinigung vom 6.3.2006 ist indessen gemäß Art. 55 I EuGVO entbehrlich, weil dies zu einer weiteren Klärung des Sachverhalts nicht erforderlich ist und die AGg. selbst nicht in Abrede stellt, dass die italienische Entscheidung gegen sie in Italien vollstreckbar ist.

[7]5. Erfolg hat die Beschwerde teilweise, soweit das LG auch eine Vollstreckungsklausel bezüglich des Zinsausspruchs erteilt hat. Der in dem italienischen Mahnbescheid erfolgten Tenorierung ‚zzgl. der Verzugszinsen in Höhe von 8,13% vom Tag der Fälligkeit der einzelnen Rechnungen bis zu ihrer vollständigen Begleichung’ fehlt im Hinblick auf den Zinsbeginn die hinreichende Bestimmtheit (zur fehlenden Bestimmtheit italienischer Entscheidungen hinsichtlich des Zinsausspruchs vgl. BGH, NJW 1993, 1801 (IPRspr. 1993 Nr. 171)). Hierauf hat die AGg. bereits in ihrer Beschwerde vom 17.11.2006 hingewiesen, ohne dass die ASt. zu der auch noch im Beschwerdeverfahren möglichen Konkretisierung (BGH aaO) weiter vorgetragen hätte. Die Vollstreckungsklausel bezüglich der Zinsen kann deshalb erst ab der Zustellung des Beschlusses des LG Stade vom 20.10.2006 am 3.11.2006 verlangt werden.

[8]6. Der Umstand der fehlenden Rechtskraft der italienischen Entscheidung führt hier ferner zur Anordnung einer Sicherheitsleistung seitens der ASt. Erfolgt keine Aussetzung des Verfahrens bis zur Rechtskraft im Ursprungsmitgliedstaat, so kann nach Art. 46 III EuGVO angeordnet werden, dass die Zwangsvollstreckung aus der ausländischen Entscheidung von der Leistung einer Sicherheit abhängig gemacht wird. Dies ergibt sich daraus, dass mit der Entscheidung des Beschwerdegerichts die bisherige Beschränkung in Art. 47 III EuGVO i.V.m. § 18 AVAG, dass die Zwangsvollstreckung nicht über Maßnahmen der Sicherung hinausgehen darf, wegfällt (vgl. zur Anordnung einer Sicherheitsleistung in derartigen Fällen BGH, NJW 1983, 1979, 1980 (IPRspr. 1983 Nr. 174b); OLG Düsseldorf, RIW 2001, 620 (IPRspr. 2001 Nr. 175); 1997, 329 (IPRspr. 1996 Nr. 182); OLG Stuttgart aaO). Von dieser Befugnis macht das Beschwerdegericht hier Gebrauch, da der Ausgang des Verfahrens in Italien nicht abzusehen ist und deshalb zu verhindern ist, dass durch eine nunmehr unbegrenzt zulässige Vollstreckung vollendete Tatsachen zulasten der AGg. geschaffen werden.

Fundstellen

LS und Gründe

InVo, 2007, 251
NJW-RR, 2007, 718

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2007-192

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