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Verfahrensgang

BGH, Beschl. vom 26.03.2015 – IX ZB 38/14, IPRspr 2015-254

Rechtsgebiete

Anerkennung und Vollstreckung → Vermögensrechtliche Angelegenheiten

Leitsatz

Gemäß § 7 I 1 AVAG kann die Zwangsvollstreckung aus einem im Ausland ergangenen Titel zugunsten eines anderen als des in dem Titel bezeichneten Berechtigten für zulässig erklärt werden, wenn der Titel nach dem Recht des Staats, in dem er errichtet worden ist, für oder gegen einen anderen vollstreckbar ist. Damit kann ein ausländischer Titel auch auf Betreiben eines Rechtsnachfolgers des ursprünglichen Klägers für vollstreckbar erklärt werden [LS der Redaktion].

Rechtsnormen

AVAG § 7; AVAG § 15
EuGVVO 1215/2012 Art. 66
EUGVVO 44/2001 Art. 44; EUGVVO 44/2001 Art. 66; EUGVVO 44/2001 Art. 76
ZPO § 293; ZPO § 574; ZPO § 576; ZPO § 727; ZPO § 731

Sachverhalt

[Der vorgehende Beschluss des OLG Düsseldorf vom 17.6.2014 – I-3 W 257/12 – wurde bereits im Band IPRspr. 2014 unter der Nr. 242 abgedruckt.]


Mehrere Versicherer erwirkten gegen drei Gesamtschuldner ein vollstreckbares Urteil des Tribunal de commerce d'Evry (11.10.2006) und eines der Cour d'appel de Paris (19.11.2009), durch die diese zur Zahlung von 105 218,34 € nebst Zinsen und Nebenforderungen an die Versicherer verurteilt worden sind. Die ASt. hat als Rechtsnachfolgerin einer der beklagten Gesamtschuldnerinnen die titulierte Forderung beglichen und nimmt nunmehr die AGg. als Rechtsnachfolgerin einer weiteren verurteilten Gesamtschuldnerin im Innenverhältnis auf Ausgleich in Anspruch. Auf ihren Antrag hat das LG Mönchengladbach angeordnet, dass die genannten Urteile zugunsten der ASt. insofern mit einer Vollstreckungsklausel zu versehen sind, als die AGg. 1/3 der titulierten Beträge an die ASt. zu zahlen habe. Auf die sofortige Beschwerde der AGg. hat das BeschwG diesen Beschluss abgeändert und den Antrag der ASt. abgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde möchte die ASt. die Aufhebung der Entscheidung des BeschwG und die Wiederherstellung des landgerichtlichen Beschlusses erreichen.

Aus den Entscheidungsgründen:

[3] II. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß Art. 44 EuGVO a.F.) i.V.m. §§ 15 I AVAG, 574 I 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nach §§ 15 I AVAG, 574 II ZPO unzulässig, weil sie nicht aufzeigt, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

[4] 1. Auf das Verfahren findet die EuGVO a.F. Anwendung, die in allen (damaligen) Mitgliedstaaten der EG mit Ausnahme Dänemarks am 1.3.2002 in Kraft getreten ist (Art. 76) und auf alle Klagen anzuwenden ist, die – wie vorliegend – danach erhoben worden sind (Art. 66 I). Die VO (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlament und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 12.12.2012 (ABl. Nr. L 351/1; fortan: EuGVO n.F.) kommt nach Art. 66 I EuGVO n.F. nicht zur Anwendung, weil das Verfahren nicht am 10.1.2015 oder danach eingeleitet worden ist. Für vor dem 10.1.2015 eingeleitete Verfahren findet nach Art. 66 II EuGVO n.F. die EuGVO a.F. weiterhin Anwendung.

[5] 2. Die von der Rechtsbeschwerde geltend gemachten Verletzungen von Verfahrensgrundrechten liegen nicht vor.

[6] a) Zutreffend ist das BeschwG – von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen – davon ausgegangen, dass gemäß § 7 I 1 AVAG die Zwangsvollstreckung aus einem im Ausland ergangenen Titel zugunsten eines anderen als des in dem Titel bezeichneten Berechtigten für zulässig erklärt werden kann, wenn der Titel nach dem Recht des Staats, in dem er errichtet worden ist, für oder gegen einen anderen vollstreckbar ist. Damit kann ein ausländischer Titel auch auf Betreiben eines Rechtsnachfolgers des ursprünglichen Klägers für vollstreckbar erklärt werden (BGH, Beschl. vom 12.1.2012 – IX ZB 211/10 (IPRspr 2012-259b), n.v. Rz. 4; vgl. auch Kropholler-v. Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Art. 38 EuGVO Rz. 15). Nach Einholung eines Rechtsgutachtens hat das BeschwG sich weiter davon überzeugt, dass die Urteile nach französischem Recht keine Vollstreckungstitel im Innenregress gegenüber einem weiteren Gesamtschuldner darstellen.

[7] b) Mit der Rechtsbeschwerde macht die ASt. geltend, das BeschwG habe französisches Recht fehlerhaft angewendet. Auf eine Verletzung von ausländischem Recht kann jedoch die Rechtsbeschwerde gemäß § 576 I ZPO nicht gestützt werden. Nur eine unzureichende oder fehlerhafte Ermittlung des ausländischen Rechts nach § 293 ZPO kann mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden (vgl. BGH, Beschl. vom 4.7.2013 – V ZB 197/12 (IPRspr 2013-2), BGHZ 198, 14 Rz. 15, 24; Urt. vom 14.1.2014 – II ZR 192/13 (IPRspr 2014-276), WM 2014, 357 Rz. 14). Diesbezüglich liegen Zulässigkeitsgründe nicht vor. Weder hat das BeschwG das eingeholte Gutachten zum ausländischen Recht gehörswidrig oder willkürlich missverstanden noch hat es willkürlich davon Abstand genommen, weitere Beweiserhebungen zum ausländischen Recht vorzunehmen.

[8] aa) Das Gutachten verhält sich als Folge des ihm durch das BeschwG aufgegebenen Beweisthemas wie auch eine von der ASt. für ihre Ansicht angeführte Literaturstelle im Grundsatz nicht zu der Frage, ob die französischen Titel, die zugunsten der ASt. für vollstreckbar erklärt werden sollen, obwohl sie selbst nicht Titelgläubigerin ist, vollstreckbare Titel darstellen. Es finden sich deswegen auch keine Ausführungen in dem Gutachten zu der Frage, ob der Rechtsnachfolger eines Titelgläubigers nach französischem Recht unmittelbar oder mittels einer ihm als Rechtsnachfolger erteilten vollstreckbaren Ausfertigung (wie z.B. gemäß § 727 I ZPO nach deutschem Recht im Klauselerteilungsverfahren oder nach § 731 ZPO im Klageverfahren auf Erteilung der Vollstreckungsklausel: vgl. Staudinger-Looschelders, BGB, 2012, § 426 Rz. 141 einerseits und MünchKommZPO-Wolfsteiner, 4. Aufl., § 727 Rz. 22 andererseits) aus dem zugunsten des Titelgläubigers ergangenen Urteil vollstrecken kann. Die Ansicht der ASt. trifft deswegen nicht zu, aus dem Gutachten ergebe sich zwingend, dass sie nach französischem Recht als Rechtsnachfolgerin der Titelgläubigerin infolge der Begleichung der Gesamtschuld gegen die Mitschuldner vollstrecken dürfe, auch wenn die Haftungsanteile der Gesamtschuldner im Ausgangsverfahren nicht bestimmt worden sind. Das anders lautende Verständnis des BeschwG vom Inhalt des Gutachtens, dass eine Vollstreckung nur in Betracht komme, wenn im Ausgangsprozess die Haftungsanteile festgestellt seien, ist jedenfalls nicht gehörswidrig, weil die AGg. das Gutachten auch in diesem Sinne verstanden und dies so verlautbart hat. Das Verständnis des BeschwG ist auch nicht willkürlich. Für das Vorliegen von Willkür reicht eine nur fragwürdige oder sogar fehlerhafte Rechtsanwendung nicht aus; selbst ein offensichtlicher Rechtsfehler genügt nicht. Erforderlich ist vielmehr, dass die fehlerhafte Rechtsanwendung unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht; die Rechtslage muss mithin in krasser Weise verkannt worden sein (vgl. nur BGH, Beschl. vom 27.3.2003 – V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 299 f.). Dies ist im Streitfall nicht gegeben (vgl. BGH, Beschl. vom 26.3.2014 – VI ZR 254/12, n.v. Rz. 4).

[9] bb) Die ASt. hat in den Vorinstanzen nicht zu den Voraussetzungen der Vollstreckung durch den Rechtsnachfolger des Titelgläubigers nach französischem Recht vorgetragen, auch nicht im Anschluss an das Gutachten und den Hinweis der AGg., aus dem Gutachten ergebe sich die Berechtigung der ASt. nicht, aus den vorgelegten Titeln zu vollstrecken, nachdem die Haftungsanteile der jeweiligen Gesamtschuldner nicht im Ausgangsverfahren festgestellt worden seien. Das nach § 293 ZPO bestehende Ermittlungsermessen des Tatgerichts wird auch vom Vortrag der Parteien mitbestimmt. Angesichts dieser Einzelfallumstände und des grundsätzlich gegebenen Ermessensspielraums des Tatrichters bei der Weise der Kenntnisverschaffung über das ausländische Recht ist das Verständnis vom Inhalt des Gutachtens und die Nichteinholung eines weiteren Gutachtens jedenfalls nicht willkürlich gewesen und stellt auch keine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar (vgl. BGH, Beschl. vom 26.3.2014 aaO Rz. 5 m.w.N.).

Fundstellen

LS und Gründe

ZInsO, 2015, 1466

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2015-254

Lizenz

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