Das Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (Abl. vom 12. November 2019/C 384 I./01) in Verbindung mit Art. 216 AEUV steht nach dem Ablauf der Übergangsfrist (Art. 126 [BrexitAbk]) der Anwendung des Art. 18 Abs. 1 EuGVVO im Klageverfahren gegen einen Beklagten mit Sitz in Großbritannien nicht entgegen.
Die Klägerin zeichnete im Oktober 2007 eine Genussrechtsbeteiligung an der D. AG, der nach Zustimmung der Klägerin die Genussrechtsbedingungen der T. AG zugrunde lagen. Die T. AG wurde nach zwischenzeitlicher Umwandlung in eine GmbH mit Wirkung zum 31. Dezember 2018 auf die in London ansässige Beklagte verschmolzen. Mit Schreiben vom Februar 2019 wurde die Klägerin über die Verschmelzung informiert wie auch darüber, dass sich ihre Genussrechte in B-Anteile gewandelt hätten. Der Wert der Genussrechte/-scheine zum 31. Dezember 2018 wurde mit ... € angegeben. Mit Schreiben vom 9. Mai 2019 erklärte die Klägerin die außerordentliche fristlose Kündigung ihrer Genussrechtsbeteiligungen und forderte die Rückzahlung von ... €. Die im November 2022 eingereichte Klage ist im Januar 2023 zugestellt worden.
Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt, an die Kläger ... € zuzüglich Zinsen und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Antrag auf Zurückweisung der Berufung der Beklagten weiter.
[3] Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
[4] I. Zur Begründung hat das Berufungsgericht (OLG München, AG 2025, 255 ff. (IPRspr 2024-211)) ausgeführt, dass die Klage unzulässig sei, da die deutschen Gerichte für die Entscheidung in der Sache nicht international zuständig seien. Eine Zuständigkeit könne sich aus Art. 17 Abs. 1 c, Art. 18 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO; ABl. L 351 vom 20.12.2012, S. 1 ff.) ergeben. Die Anwendbarkeit dieser Vorschriften sei jedoch nach Art. 67 Abs. 1 a, Art. 126 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft 2019 (AA; ABl. vom 12. November 2019, C 384 I./1.) nicht gegeben. Die Regelungen im Austrittsabkommen zur Beendigung der Anwendbarkeit der EuGVVO könnten andernfalls zum großen Teil leerlaufen, was keine der beiden Vertragsparteien so gewollt habe. Auf Art. 216 AEUV werde verwiesen. Danach sei die EuGVVO nicht anwendbar. Weitere Normen, die die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte begründen könnten, seien im vorliegenden Fall nicht einschlägig.
II.
[5] Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision nicht stand. Die Klage ist zulässig. Das Landgericht München I ist international und örtlich zuständig für die Entscheidung über die Klage.
[6] 1. Im Gegensatz zur Auffassung des Berufungsgerichts ist die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit und die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts München I aus Art. 18 Abs. 1 2. Halbsatz EuGVVO gegeben.
[7] a) Art. 18 Abs. 1 2. Halbsatz EuGVVO ist anwendbar. Art. 6 Abs. 1 EuGVVO bestimmt, dass sich vorbehaltlich des Art. 18 Abs. 1 EuGVVO die Zuständigkeit eines Gerichts eines jeden Mitgliedsstaates nach dessen eigenem Recht richtet, wenn ein Beklagter keinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats der Europäischen Union hat.
[8] Damit ist für den Fall, dass ein Beklagter keinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats der Europäischen Union hat, Art. 18 Abs. 1 EuGVVO auf einen Kläger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union anwendbar, so dass sich aus der Vorschrift ein innerstaatlicher Gerichtsstand ergeben kann. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung ist die Erhebung der Klage (vgl. EuGH, Beschluss vom 3. September 2020 C-98/20, ABl EU 2020, Nr. C 414, 19 = ZIP 2021, 266 Rn. 36).
[9] b) Die Klägerin ist Verbraucher im Sinne des Art. 18 Abs. 1 2. Halbsatz EuGVVO. Die Voraussetzungen für eine Verbrauchersache nach Art. 17 Abs. 1 c EuGVVO liegen vor.
[10] Die Klägerin ist Verbraucher im Sinne der Vorschrift, da sich die Zeichnung der Anlage in einem Rahmen bewegte, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann (vgl. EuGH, Urteil vom 3. Oktober 2019 - Rs C - 208/18, ABl EU 2019, Nr. C 413, 10 = ZIP 2020, 385 Rn. 39). Das Landgericht hat die Tatsachen zur Einordnung der Klägerin als Verbraucher als unstreitig festgestellt. Dagegen sind keine Einwendungen geltend gemacht worden oder sonst ersichtlich. Eine Vermögens- und Kapitalanlage ist ein Verbrauchergeschäft, wenn diese zur Verwaltung privaten Vermögens erfolgt und damit keine beruflichen oder gewerblichen Zwecke verfolgt werden (vgl. BGH, Urteil vom 9. Februar 2017 -
[11] Das Handeln der Rechtsvorgängerin der Beklagten ist als beruflich und gewerblich zu qualifizieren. Des Weiteren ist die Tätigkeit der Rechtsvorgängerin auf die Bundesrepublik Deutschland und damit einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union ausgerichtet gewesen. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten hat den Willen zum Ausdruck gebracht, Geschäftsbeziehungen zu Verbrauchern eines oder mehrerer anderer Mitgliedsstaaten, darunter des Mitgliedsstaats des Verbrauchers herzustellen (vgl. EuGH, Urteil vom 7. Dezember 2010 - C 585/08, 144/09, NJW 2011, 505 Rn. 75). Es ist im Falle eines Vertrags zwischen einem Gewerbebetreibenden und einem bestimmen Verbraucher zu ermitteln, ob vor dem möglichen Vertrag mit diesem Verbraucher Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass der Gewerbetreibende Geschäfte mit Verbrauchern tätigen wollte, die in anderen Mitgliedsstaaten wohnhaft sind, darunter den Mitgliedsstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, und zwar in dem Sinne, dass der Gewerbetreibende zu einem Vertragsschluss mit diesen Verbrauchern bereit war (BGH, Urteil vom 29. November 2011 -
[12] Da die Klägerin ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hat und die Beklagte ihren Verwaltungssitz in Großbritannien, das nicht (mehr) der EU angehört, ist die deutsche Gerichtsbarkeit international zuständig und der Wohnort der Klägerin zugleich maßgebend für die örtliche Zuständigkeit.
[13] 2. Im Gegensatz zur Auffassung des Berufungsgerichts steht der Anwendung des Art. 18 EuGVVO das Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (Abl. vom 12. November 2019/C 384 I./01) in Verbindung mit Art. 216 AEUV nicht entgegen.
[14] Nach Art. 216 Abs. 1 AEUV kann die Europäische Union mit Drittländern Vereinbarungen schließen, die die Organe der Union und die Mitgliedsstaaten binden. Nach Art. 126 AA war ein Übergangs- oder Durchführungszeitraum bestimmt nach Austritt des Königreichs Großbritannien und Nordirlands aus der Europäischen Union, der bis zum 31. Dezember 2020 reichte. Nach Art. 127 Abs. 1 AA galt das Unionsrecht während des Übergangszeitraums auch im Vereinigten Königreich. Nach Abs. 3 dieser Vorschrift entfaltete das Unionsrecht für das Vereinigte Königreich die gleichen Rechtswirkungen wie innerhalb der Union und ihrer Mitgliedsstaaten und sollte nach denselben Methoden und allgemeinen Grundsätzen ausgelegt und verwendet werden. Eine weitere Fortgeltung der EuGVVO ist in Art. 67 Abs. 2a AA für die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen enthalten, die in einem vor dem Ablauf der Übergangszeit eingeleiteten gerichtlichen Verfahren ergangen sind. In den Erwägungen unter der Präambel des Austrittsabkommens ist ausgeführt, dass es zur Gewährleistung der ordnungsgemäßen Auslegung und Anwendung dieses Abkommens und der Erhaltung der Verpflichtung aus diesem Abkommen wesentlich ist, Bestimmungen, die die allgemeine Governance sicherstellen, insbesondere verbindliche Streitbeilegungs- und Durchsetzungsvorschriften, festzulegen, die die Autonomie der jeweiligen Rechtsordnung der Union und des Vereinigten Königreichs sowie den Status des Vereinigten Königreichs als Drittstaat uneingeschränkt wahren.
[15] Das Vereinigte Königreich ist infolge seines Austritts aus der Europäischen Union und Ablauf des in Art. 126 AA vorgesehenen Übergangszeitraums seit dem 31. Dezember 2020 kein Mitgliedsstaat der Europäischen Union mehr, sondern ein Drittstaat (BGH, Beschluss vom 15. Juni 2021 -
[16] 3. Ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV ist nicht geboten. Die richtige Auslegung des Austrittsabkommens ist derart offenkundig zu beantworten, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bleibt ("acte clair", vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rs 283/81, DVBl 1983, 267, 268 - C.I.L.F.I.T.; Urteil vom 9. September 2015 - C-160/14, EuZW 2016, 111 Rn. 38 f; Urteil vom 6. Oktober 2021 - C-561/19, NJW 2021, 3303 Rn. 47).
III. ...
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