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Verfahrensgang

LG Offenburg, Urt. vom 19.02.2021 – 4 O 213/19
OLG Karlsruhe, Urt. vom 06.04.2023 – 14 U 63/21, IPRspr 2023-5

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Versicherungs-, Verbraucher-, Arbeitsgerichtsstand
Allgemeine Lehren → Rechtswahl

Leitsatz

Eine Rechtswahlklausel, wonach sich die Genussrechtsbedingungen einer österreichischen Gesellschaft sowie alle sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten ausschließlich nach dem Recht der Republik Österreich bestimmen, beinhaltet keine Rechtswahl zwischen der Gesellschaft und einem Verbraucher hinsichtlich eines Widerrufsrechts und dessen Rechtsfolgen. Denn der Zeichnungsvorgang selbst wird von dieser Klausel nicht erfasst.

Rechtsnormen

BGB § 312; BGB § 346; BGB § 357
BrexitAbk Art. 67
EGBGB Art. 27; EGBGB Art. 29; EGBGB Art. 229 § 22
EuGVVO 1215/2012 Art. 17; EuGVVO 1215/2012 Art. 18

Sachverhalt

Der Kläger zeichnete am 30.08.2007 eine Beteiligung an dem T Fund für Genussrechte der T AG mit Sitz in Wien/Österreich im Nennbetrag von insgesamt ... €. Im Rahmen der Zeichnung wurde ein Aufgeld (Agio) von 7 % auf den Nennbetrag, mithin ... €, vereinbart. Der Nennbetrag sollte in Raten beglichen werden. Die T AG nahm die Zeichnungserklärung mit Erklärung vom 05.10.2007 an. Im Zeitraum vom 01.11.2007 bis zum 31.12.2018 leistete der Kläger auf den Nennbetrag der gezeichneten Genussrechte Ratenzahlungen in Höhe von insgesamt ... €. 2019 kündigte der Kläger die Genussrechte außerordentlich fristlos und widerrief die auf die Zeichnung der Genussrechte gerichtete Willenserklärung.

Das Landgericht hat die Beklagte nach Beweisaufnahme zur Zahlung von ... € nebst Verzugszinsen seit 07.09.2019 Zug-​um-​Zug gegen Übertragung von 6.495 Stammaktien B im Nennwert von je ... € mit der Vertragsnummer SHRBVAG3 ... an der CT I. Holding Ltd. und weiterer ... € nebst Rechtshängigkeitszinsen bei Klageabweisung im Übrigen verurteilt. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II.

[2]Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.

[3]A.

[4]1. ... 2. Das Landgericht Offenburg ist nach Art. 17 Abs. 1 lit. c), 18 Abs. 1 EuGVVO örtlich und international zuständig. Vorliegend ist der Gerichtsstand für Verbrauchersachen eröffnet.

[5]a) Die internationale Zuständigkeit der Deutschen Gerichtsbarkeit ist ungeachtet des mittlerweile vollzogenen Brexits für den vorliegenden, zuvor anhängig gewordenen Rechtsstreit weiterhin nach den Bestimmungen der EuGVVO zu beurteilen. Dies ergibt sich aus Art. 67 Abs. 1 lit. a) des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft vom 24.01.2020 (s. OLG Stuttgart, Urteil vom 31.03.2021 - 20 U 24/20 (IPRspr 2021-325), Rn. 37 f., juris).

[6]b) Maßgeblich für die Einordnung als Verbrauchergeschäft ist der ursprüngliche Vertrag, aus dem die Ansprüche hergeleitet werden. Dien ist hier das Genussrechtsverhältnis zwischen dem Kläger und der T AG. Die Rechtsnachfolge auf Beklagtenseite ist unerheblich. Der Vertragspartner den Verbrauchern könnte sich sonst durch Fusionen der Bindung des Verbrauchergerichtsstandes entziehen (BGH, Urteil vom 09.02.2017 - IX ZR 67/16 (IPRspr 2017-252), Rn. 53, juris).

[7]c) Der Kläger ist im Rahmen der europarechtlichen Anknüpfung Verbraucher im Sinn des Art. 17 Abs. 1 EuGVVO, wovon das Landgericht zutreffend ausgegangen ist. Entscheidend hierfür ist der Zweck des abgeschlossenen Rechtsgeschäfts.

[8]aa) Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sind Verbraucher natürliche Personen, die zu einem privaten Zweck einen Vertrag schließen, der nicht einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Eine Vermögens- und Kapitalanlage kann ein Verbrauchergeschäft sein, wenn diene zur Verwaltung privaten Vermögens erfolgt und damit keine beruflichen oder gewerblichen Zwecke verfolgt werden (BGH, Urteil vom 09.02.2017 - IX ZR 67/16 (IPRspr 2017-252), Rn. 13 f., juris). Auch bei einem Erwerb von Gesellschaftsanteilen kann ein Verbrauchergeschäft vorliegen, wenn der Zweck des Beitritts vorrangig nicht darin besteht, Mitglied diener Gesellschaft zu werden, sondern (privates) Kapital anzulegen (BGH, Beschluss vom 20.10.2020 - X ARZ 124/20, Rn. 26, juris).

[9]Vorliegend handelte er sich zweifelsfrei um eine rein private Kapitalanlage.

[10]bb) Soweit die Beklagte geltend macht, eine Zuständigkeit deutscher Gerichte komme innbesondere vor dem Hintergrund, dass der Kläger Aktionär der englischen Limited sei, nicht in Betracht, denn Aktionäre seien in ihrem Verhältnis zu ihrer Gesellschaft niemals Verbraucher, vermag diener Einwand nicht durchzugreifen. Der Kläger hat keine Aktien, sondern Genussrechte gezeichnet. Ausweislich der Genussrechtsbedingungen war gerade keine Gesellschafterstellung beabsichtigt, sondern lediglich ein schuldrechtliches Verhältnis. Hieran ändert die ohne Beteiligung des Klägern durchgeführte Umwandlung der Genussrechte in B-​Shares im Zuge der Verschmelzung nichts, denn eine einmal begründete Verbraucherstellung kann nicht durch die Gesellschaft eigenmächtig entzogen werden (so auch: OLG Celle, Beschluss vom 29.01.2021 - 9 U 66/20, Rn. 13 f., juris).

[11]cc) Den Weiteren war die Geschäftstätigkeit der Rechtsvorgängerin der Beklagten, deren Handeln sie sich zurechnen lassen muss, (auch) auf den deutschen Markt ausgerichtet. Der Senat schließt sich den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts (LGU S. 6 f.) nach eigener Prüfung an.

[12]d) Gegenteiligen ergibt sich nicht aus der Gerichtsstandsvereinbarung des § 13 Ziff. 2 der Genussrechtsbedingungen. Diese Bestimmung steht einer Zuständigkeit des Landgerichts Offenburg nicht entgegen, da nie schon ihrem Wortlaut nach unzweideutig keinen ausschließlichen Gerichtsstand begründen sollte. Das Recht des Verbrauchers, Klage am Verbrauchergerichtsstand zu erheben, wird somit nicht eingeschränkt (vgl. nur Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Urteil vom 01.07.2021 - 3 U 39/20 (IPRspr 2021-249), Rn. 31 ff., juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 14.07.2022 - 12 U 58/22 (IPRspr 2022-315), Rn. 29, juris). Auf die Frage der Wirksamkeit der Klausel kommt es daher nicht an.

[13]3. ... B.

[14]Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückzahlung der von ihm geleisteten Einlagen nebst Agio, mithin in Höhe von ... € zuzüglich ... € aus den §§ 312, 357, 346 Abs. 1 BGB a. f.. Für das streitgegenständliche Widerrufsrecht gilt deutsches Recht. Gemäß Art. 229 § 22 Abs. 2 EGBGB ist auf das streitgegenständliche Schuldverhältnis das Bürgerliche Gesetzbuch und die BGB-​Informationspflichten-​Verordnung in der am 30.08.2007 geltenden Fassung anzuwenden.

[15]Dem Kläger steht gegen die Beklagte weiter ein Anspruch auf die Herausgabe gezogener Nutzungen in Höhe von ... € aus § 346 Abs. 1, 2 BGB zu.

[16]1. Soweit die Beklagte darauf abstellt, aufgrund der getroffenen Rechtswahl sei auf das gesamte Vertragsverhältnis österreichisches und nicht deutsches Recht anwendbar, vermag sie damit nicht durchzudringen.

[17]Ausweislich der Rechtswahlklausel in § 13 Ziffer 1 der Genussrechtsbedingungen unterliegen alle sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten österreichischem Recht. Nach der Formulierung sind damit (nur) die Genussrechte und deren genaue Ausgestaltung gemeint, der Zeichnungsvorgang wird davon nicht erfasst, worauf der Kläger zutreffend hinweist. Eine Formulierung, wonach auf das gesamte Vertragsverhältnis österreichisches Recht anzuwenden sei, ist gerade nicht gewählt worden. Gemäß Art. 27 Abs. 1 Satz 3 EGBGB a.F. stand es den Vertragsparteien frei, eine Rechtswahl für den ganzen oder einen Teil des Vertrags zu treffen. Die hier erfolgte geteilte Rechtswahl erscheint auch durchaus sinnvoll, denn der Zeichnungsvorgang stellt einen klar abgrenzbaren Bereich zu der schuldrechtlichen Ausgestaltung der Genussrechte selbst dar, die sich bei einer österreichischen Gesellschaft zweckmäßigerweise nach österreichischem Recht richten.

[18]Da demgemäß hinsichtlich des Widerrufsrechts und dessen Rechtsfolgen keine Rechtswahl getroffen worden ist, unterliegt der Verbrauchervertrag nach Art. 29 Abs. 2 EGBGB a.F. dem Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, also vorliegend deutschem Recht.

[19]2. ...

Fundstellen

Volltext

Link, Landesrecht Baden-Württemberg

LS und Gründe

Die AG, 2023, 784
NZG, 2023, 1032

Bericht

Kittner, GWR, 2023, 187

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2023-5

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