Für das Merkmal des „Ausrichtens“ i.S.d. Art. 17 Abs. 1 EuGVVO kommt es darauf an, ob bereits vor dem Vertragsschluss mit dem konkreten Verbraucher objektive Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass der Unternehmer Geschäfte mit Verbrauchern in dem Wohnsitzstaat des betreffenden Verbrauchers tätigen wollte, und zwar in dem Sinne, dass der Unternehmer zu einem Vertragsschluss mit diesen Verbrauchern bereit war.
Der Verbrauchergerichtsstand entfällt nicht nachträglich dadurch, dass vertragliche Ansprüche ohne Mitwirkung oder Zustimmung des Verbrauchers im Wege der Unternehmensverschmelzung auf Dritte übergehen. Der Vertragspartner des Verbrauchers könnte sich sonst durch Fusionen der Bindung des Verbrauchergerichtsstandes entziehen. [LS der Redaktion]
Der Kläger erwarb 2007 bei … AG mit Sitz in … Genussscheine mit Gewinn- und Verlustbeteiligung. Dem Vertrag lagen Genussrechtsbedingungen zugrunde. Aus der Emittentin ist die GmbH hervorgegangen. 2013 kündigte der Kläger seine Beteiligung. Die Kündigung wurde durch die GmbH anerkannt. Die GmbH ist 2018 mit der Beklagten verschmolzen. Die Verschmelzung erfolgte zum Stichtag (Wirksamkeitstag) 31.12.2018 rückwirkend zum 31.12.2017 (Verschmelzungsstichtag). Die GmbH wurde 2019 aus dem Register gelöscht. 2019 teilte die Beklagte mit, dass sich der Kläger entscheiden müsse, ob er an der Kündigung festhalte oder diese zurücknehmen und dadurch Aktien an der Beklagten erhalten wolle. Der Kläger lehnte die Rücknahme der Kündigung ab und forderte zur Zahlung auf.
Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Die Beklagte hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. Sie hat angekündigt zu beantragen, das Urteil des Landgerichts Potsdam, Aktenzeichen
[1]II. 1. ... 2. ... 2. [sic] Im Übrigen ist die Berufung des Klägers zulässig, …
[2]2.1.
[3]Wie der Senat – rechtskräftig – in seinem Beschluss vom 13.04.2021 in einem Parallelverfahren zum Aktenzeichen
[4]Das Landgericht Potsdam ist international und örtlich zuständig. Die Beklagte hat ihren Sitz in Großbritannien. Die internationale Zuständigkeit bestimmt sich daher nach den Regeln der EuGVVO, die zum Zeitpunkt der Klageerhebung gemäß Art. 127 Abs. 1 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft vom 24.01.2020 weiterhin Anwendung findet. Nach Art. 4 Abs. 1 EuGVVO sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaates zu verklagen. Nach Art. 5 Abs. 1 EuGVVO können sie vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaates nur gemäß den Vorschriften der Kapitel 2-7 EuGVVO verklagt werden.
[5]a)
[6]Zu Recht hat das Landgericht im Streitfall den Verbrauchergerichtsstand nach Art. 17 Abs. 1 c) i.V.m. Art. 18 Abs. 1 EuGVVO bejaht.
[7]Art. 17 Abs. 1 c) EuGVVO setzt voraus, dass ein Vertrag, den ein Verbraucher zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht seiner beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann, und einem Vertragspartner, der in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt oder eine solche auf diesen Mitgliedstaat ausgerichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt, den Gegenstand des Verfahrens bildet.
[8]aa) Der Kläger ist unzweifelhaft Verbraucher im Sinne des Art. 17 Abs. 1 EuGVVO. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind Verbraucher natürliche Personen, die zu einem privaten Zweck einen Vertrag schließen, der nicht einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann (vgl. EuGH, Urteil vom 20.01.2005, C 464/01; BGH, Urteil vom 09.02.2017 –
[9]bb) Die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die … AG, hatte ihre gewerbliche Tätigkeit auch auf Deutschland ausgerichtet.
[10]Maßgeblich ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses, sodass es auf die jetzige Tätigkeit der Beklagten nicht ankommt. Nach der Rechtsprechung des EuGH kommt es für das Merkmal des „Ausrichtens“ darauf an, ob bereits vor dem Vertragsschluss mit dem konkreten Verbraucher objektive Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass der Unternehmer Geschäfte mit Verbrauchern in dem Wohnsitzstaat des betreffenden Verbrauchers tätigen wollte, und zwar in dem Sinne, dass der Unternehmer zu einem Vertragsschluss mit diesen Verbrauchern bereit war. Dies ist im Rahmen einer Gesamtschau und Würdigung aller maßgeblichen Umstände zu ermitteln, unter denen der Vertrag geschlossen wurde und die Ausdrucksformen dieses Willens sind. Anhaltspunkte dafür, dass ein Gewerbetreibender seine Tätigkeit auf den Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers ausgerichtet hat, können sich aus dem internationalen Charakter der Tätigkeit des Gewerbetreibenden, der Marktbedeutung und dem Zuschnitt des werbenden Unternehmens, der Ausgestaltung seiner Vertriebs- oder Liefermodalitäten, der ausdrücklichen Bezugnahme auf bestimmte Rechtsnormen einer ganz bestimmten Rechtsordnung oder der inhaltlichen Ausgestaltung der Werbemaßnahme und dem Unterhalten einer international erreichbaren Internetseite ergeben (vgl. EuGH, Urteil vom 07.12.2010 – C-585/08 und C-144/09, NJW 2011, 505 Rn. 76 ff.; BGH, Urteil vom 09.02.2017 a.a.O. Rn. 23 ff.; Geimer/Schütze a.a.O. Rn. 58 ff.).
[11]Nach diesen Maßstäben kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Thomas … AG ihre gewerbliche Tätigkeit auch auf Deutschland ausgerichtet hatte, in dem sie unstreitig mit einer Vielzahl in Deutschland ansässiger privater Anleger entsprechende Kapitalanlageverträge über den Erwerb von Genussscheinen schloss, wie sich auch aus den vom Kläger zu den Gerichtsakten gereichten Gerichtsentscheidungen ergibt. Sie verfügte über Bankkonten bei deutschen Kreditinstituten und führte die Korrespondenz mit ihren Kunden in deutscher Sprache. Unerheblich ist auch, ob die Beklagte als Rechtsnachfolgerin heute noch auf dem deutschen Markt tätig ist. Der Verbrauchergerichtsstand entfällt nicht nachträglich dadurch, dass vertragliche Ansprüche ohne Mitwirkung oder Zustimmung des Verbrauchers im Wege der Unternehmensverschmelzung auf Dritte übergehen. Der Vertragspartner des Verbrauchers könnte sich sonst durch Fusionen der Bindung des Verbrauchergerichtsstandes entziehen (vgl. BGH, Urteil vom 09.02.2017 a.a.O. Rn. 53).
[12]cc) Der Verbrauchergerichtsstand nach Art. 17 EuGVVO erfasst „Ansprüche aus einem Vertrag“, also auch aus einem Vertrag resultierende Sekundäransprüche wie Schadensersatz- oder Rückabwicklungsansprüche (vgl. Geimer/Schütze, a.a.O. Rn. 35; Zöller/Geimer a.a.O. Rn. 14). Dazu gehören somit sowohl der in der Hauptsache geltend gemachte Anspruch auf Auszahlung der Genussrechtsbeteiligung als auch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Abrechnung und der als Nebenforderung geltend gemachte Anspruch auf Erstattung der Geschäftsgebühr der Prozessbevollmächtigten des Klägers.
[13]b)
[14]Die in § 13 der Genussrechtsbedingungen enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung steht der internationalen Zuständigkeit ebenfalls nicht entgegen.
[15]Nach dem eindeutigen Wortlaut handelt es sich bei der Klausel in § 13 der Genussrechtsbedingungen bereits nicht um die Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstandes. Es heißt dort ausdrücklich, dass der Sitz der Gesellschaft „ebenfalls“ Gerichtsstand ist, dieser also neben anderen, ebenfalls zulässigen Gerichtsständen tritt. Satz 3 stellt ausdrücklich klar, dass die Einleitung von Verfahren an einem (zulässigen) Gerichtsstand die Einleitung von Verfahren an einem anderen Gerichtsstand nicht ausschließt, soweit dies rechtlich zulässig ist. Das Recht des Klägers, an dem für ihn zuständigen Verbrauchergerichtsstand Klage zu erheben, wird somit dadurch nicht eingeschränkt oder ausgeschlossen. Auf die Frage der Wirksamkeit der Klausel kommt es daher nicht an.
[16]c)
[17]Die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Landgerichts ergibt sich aus Art. 18 Abs. 1 EuGVVO, da der Kläger seinen Wohnsitz im Gerichtsbezirk des Landgerichts Potsdam hat.
[18]2.2.
[19]Aus den Gründen der landgerichtlichen Entscheidung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, und von der Berufung nicht beanstandet, findet nach der getroffenen Rechtswahl gemäß § 13 Nr. 1 der Genussrechtsbedingungen das materielle Recht der Republik Österreich Anwendung, Art. 27 ff. EGBGB a.F. (vgl. nur Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 27. April 2022 –
[20]2.3.
[21]Der Kläger hat nach § 6 Abs. 4 der Genussrechtsbedingungen einen vertraglichen Anspruch auf Rückzahlung seiner Einlage in Höhe von ... €. Den Ausführungen des Landgerichts ist auch insoweit zu folgen.
[22]a) ...
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