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Verfahrensgang

LG Neuruppin, Urt. vom 25.02.2021 – 5 O 129/19, IPRspr 2021-213
OLG Brandenburg, Urt. vom 27.04.2022 – 7 U 63/21, IPRspr 2022-275

Rechtsgebiete

Handels- und Transportrecht → Wertpapierrecht
Zuständigkeit → Versicherungs-, Verbraucher-, Arbeitsgerichtsstand

Leitsatz

Übt ein in Österreich ansässiges Unternehmen über eine deutsche Niederlassung seine gewerbliche Tätigkeit in Deutschland aus, so ist grds. die deutsche Gerichtsbarkeit für Verfahren zuständig, die Ansprüche aus einem Vertrag betreffen, die das Unternehmen und ein Verbraucher mit Wohnsitz in Deutschland abgeschlossen haben.

Für die Folgen der grenzüberschreitende Verschmelzung auf erworbene Genussrechte gilt grds. das Recht desjenigen Staates, nach dessen Recht der übernehmende Rechtsträger gegründet worden ist. Erfolgt eine Verschmelzung nach Art. 2 Abs. 2 lit. a) oder lit. c) der Richtlinie 2005/56/EG (Kapitalgesellschaften-Verschmelzungs-RL), so gilt für Finanzierungsvereinbarungen, die die zuziehende Gesellschaft vor der Verschmelzung geschlossen hat, nach der Verschmelzung weiterhin das Recht, das vor der Verschmelzung auf diese Verträge anzuwenden war. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

BrexitAbk Art. 126; BrexitAbk Art. 127
EGBGB Art. 27
EuGVVO 1215/2012 Art. 17; EuGVVO 1215/2012 Art. 18; EuGVVO 1215/2012 Art. 66
Rom I-VO 593/2008 Art. 28
Verschmelzungs-RL 2005/56/EG Art. 2; Verschmelzungs-RL 2005/56/EG Art. 14

Sachverhalt

Die Klägerin vereinbarte mit Vertrag vom XX.XX.2006 mit der (X) Vermögensanlagen AG mit Sitz in W… den Erwerb von Genussscheinen mit Gewinn- und Verlustbeteiligung im Wert von insgesamt ... €. Nach dem Vertrag sollten Genussscheine zum (X) … Fund … erworben werden. Die (X) Vermögensanlagen AG bestätigte der Klägerin, dass diese Zeichnung angenommen wurde. Nachdem die (X) Vermögensanlagen AG sich in (Y) Investments AG umbenannte hatte, erklärte die Klägerin 2007 schriftlich, dass sie sich mit der Änderung der auf ihre Beteiligung anwendbaren Genussrechtsbedingungen dahin einverstanden erklärt, dass die Bedingungen für den (Y) … Fund 450 Anwendung finden sollten. Sie erhielt zu ihrer Vertragsnummer ein Zertifikat über Genussscheine im Wert von ... € am (Y) … Fonds 450. Diese Bezeichnung enthielten in der Folgezeit auch die Kontoabbuchungen für die monatlich zu zahlenden Beiträge der Klägerin. Im Jahr 2016 kündigte die Klägerin ihre Beteiligung und erklärte zugleich vorsorglich den Widerruf und die Anfechtung gegenüber der (Y) Investments AG. Die Prozessbevollmächtigen der (Y) Investments AG teilten mit, dass diese jetzt (Y) Investments GmbH heiße und wiesen die von der Klägerin abgegebenen Erklärungen zur Beendigung des Vertrages unter Hinweis auf dafür fehlende Voraussetzungen zurück. Ausweislich einer Registerauskunft der Republik Österreich (Anl K 8) ist die (Y) Investments GmbH aufgrund eines Beschlusses der Generalversammlung 2018 mit der Beklagten verschmolzen. Die (Y) Investments GmbH wurde 2019 aus dem Register gelöscht.

Die Klägerin hat die Auszahlung ihres angelegten Betrages von ... € und entsprechend den Genussrechtsbedingungen zum (X) … Fund … einer Überschussdividende sowie einer Sonderdividende, insgesamt Zahlung in Höhe von ... € beantragt. Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von ... € nebst Zinsen verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Gegen das Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt, mit der sie die Abweisung der Klage begehrt.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II.  

[2]Die zulässige Berufung hat nur in geringem Umfang Erfolg. Sie führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils und Klageabweisung, soweit die Beklagte zur Zahlung einer Sonderdividende verurteilt worden ist. Im Übrigen ist sie unbegründet.

[3]1.

[4]Die internationale Zuständigkeit, die auch in der Berufungsinstanz von Amts wegen zu prüfen ist (BGH, Urteil vom 28.11.2002 – III ZR 102/02 (IPRspr. 2002 Nr. 157), NJW 2003, 426 Rn. 10; BGHZ 115, 90, 91 (IPRspr. 1991 Nr. 166b); BGHZ 134, 127, 129 (IPRspr. 1996 Nr. 160)), des Landgerichts Neuruppin ist gegeben.

[5]Für die im Jahr 2020 bewirkte Zustellung finden die europarechtlichen Regelungen über die internationale Zuständigkeit noch in der bis zum 31.12.2020 geltenden Übergangsfrist Anwendung, Art. 126, Art. 127 Abs. 1 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirlands aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft vom 24.01.2020 (ABl. L 29 vom 31.01.2020, S. 7).

[6]Die Zuständigkeit richtet sich nach Art. 66 Abs. 1, 17 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1 EuGVVO. Danach gilt für Verfahren, die Ansprüche aus einem Vertrag betreffen, den eine Person, der Verbraucher ist, zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person zuzurechnen ist, der für die Zuständigkeit bei Verbrauchersachen anwendbare Abschnitt 4 des EuGVVO, wenn der andere Teil in dem Mitgliedstaat, in dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt. Im maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (MüKoZPO/Gottwald, Art. 17 EuGVVO Rn 9; Dörner/ EG-​Anerkennungs/ VollstreckungsZustVO, Art. 17 EuGVVO Rn. 13; Musielak/Voit/Stadler § 17 EuGVVO Rn. 7b; OLG Frankfurt, NJW-​RR 2009, 645) am 22.11.2005 richtete die (X) Vermögensanlagen AG ihre Tätigkeit in Österreich aus, sie verfügte aber auch über eine Niederlassung in S…, wie sich aus dem Vertrag (Anl K1, Bl. 11) ergibt. Damit war eine gewerbliche Tätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland gegeben. Die Klägerin war berechtigt, die Klage in der Verbrauchersache nach Art. 18 Abs. 1 EuGVVO vor dem Gericht des Ortes zu erheben, wo sie ihren Wohnsitz hat.

[7]Soweit die Beklagte später Rechtsnachfolgerin der (X) Vermögensanlagen AG geworden ist, kann sie sich nicht auf ihre fehlende eigene Tätigkeit in der Bundesrepublik berufen. Vielmehr bleibt die Rechtsnachfolge ohne Einfluss auf die einmal begründete internationale Zuständigkeit (BGH, Urteil vom 09.02.2017 – IX ZR 67/16 (IPRspr 2017-252), MMR 2018, 95).

[8]Die Klägerin handelt auch nicht als Aktionärin der Beklagten mit der Folge, dass für die internationale Zuständigkeit Gesellschaftsrecht Anwendung finden würde. Die Klägerin hat hier eine schuldrechtliche Genussrechtsbeteiligung gezeichnet, die sie mit Schreiben vom 20.01.2016 (Anl K6) gekündigt hat. Genussrechte sind Dauerschuldverhältnisse eigener Art, die keine Mitgliedschaftsrechte begründen, sondern schuldrechtliche Ansprüche, die gesellschafter- oder aktienrechtlichen Ansprüchen lediglich nachgebildet sein können und keine Mitgliedschaftsrechte begründen (BGH, Urteil vom 05.10.1992 - II ZR 172/91, BGHZ 119, 305, juris Rn 9 bzw. zu Genussrechten österreichischen Rechts: OGH, Entscheidung vom 06.07.2010 - 1Ob105/10p - ZFR 2010/140, S. 221, Ziffer 7.1. ).

[9]2. ... 3. ... 4.

[10]Eine Umwandlung der Genussrechte in Aktien ist auch nicht kraft Gesetzes eingetreten.

[11]Auf die rechtliche Beurteilung der Genussrechte ist hier österreichisches Recht anwendbar. Für bis einschließlich 16.12.2009 geschlossene Verträge gilt Art. 27 ff. EGBGB a.F., da die Rom-​I-VO nach deren Art. 28 nur für die ab dem 17.12.2009 geschlossenen Verträge gilt. Maßgeblich ist nach Art. 27 Abs. 1 EGBGB a.F. das Recht, das die Parteien gewählt haben, hier gemäß § 13 Abs. 1 der Genussrechtsbedingungen das österreichische Recht.

[12]Auch soweit die Folgen der Verschmelzung auf die erworbene Genussrechtsbeteiligung zu prüfen sind, findet österreichisches Recht Anwendung. Für grenzüberschreitende Verschmelzungen gilt zwar grundsätzlich, dass das Recht desjenigen Staates Anwendung findet, nach dessen Recht der übernehmende Rechtsträger gegründet wird (EuGH Urteil vom 12.07.2012 - C 378/10 „Vale“). Allerdings gilt Abweichendes für Finanzierungsvereinbarungen, die die zuziehende Gesellschaft vor der Verschmelzung geschlossen hat.

[13]Bei der hier eingetretenen Umwandlung handelt es sich nach dem Vortrag der Beklagten um eine grenzüberschreitende Verschmelzung durch Aufnahme, die entweder die Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 2 lit. a) oder lit c) der Richtlinie 2005/56/EG vom 26.10.2005 erfüllt, da die (Y) Investments GmbH nach dem Vortrag der Beklagten ihr Vermögen auf die Beklagte übertragen hat. Art. 2 Abs. 2 lit a) regelt den Fall der Aufnahme durch eine Gesellschaft, die nicht zuvor Anteilsinhaberin der übergehenden Gesellschaft ist und Art. 2 Abs. 2 lit c) den Fall einer Übernahme durch eine Gesellschaft, die zuvor bereits sämtliche Anteile an der übergehenden Gesellschaft hält. Für beide Formen der Umwandlung sieht Art. 14 Abs. 1 lit a) vor, dass das Aktiv- und Passivvermögen der übertragenden Gesellschaft auf die übernehmende Gesellschaft übergeht. Dies bewirkt, dass die übernehmende Gesellschaft hinsichtlich sämtlicher Verträge, die von der übertragenden Gesellschaft geschlossen wurden, als Partei an deren Stelle tritt. Damit ist das Recht, das vor der Verschmelzung auf diese Verträge anzuwenden war, auch nach der Verschmelzung anzuwenden (EuGH, Urteil vom 07.04.2016 – C-​483/14, IPrax 2016, 589 Rn. 57).

[14]...

Fundstellen

LS und Gründe

Die AG, 2022, 666

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2022-275

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