Zieht der hauptsächlich betreuende Elternteil mit dem Kind vom Inland (Deutschland) in einen Nicht-EU-Staat (hier: Großbritannien), ohne dass ein widerrechtliches Verbringen des Kindes in das Ausland vorliegt, ist von einem sofortigen Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes auszugehen, der im laufenden Verfahren die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte entfallen lässt. [LS von der Redaktion neu gefasst]
Die Eltern waren miteinander verheiratet. Die Ehefrau ist französische Staatsangehörige, der Ehemann besitzt die österreichische Staatsangehörigkeit. Die Ehe wurde 2012 in Österreich geschlossen. Seit 2017 lebten beide Ehegatten in B.... 2018 trennten sie sich. 2019 haben sie in Berlin eine notariell beurkundete Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung abgeschlossen, in der u.a. vereinbart wurde, dass eine einvernehmliche Scheidung erfolgen soll. Weiter haben sie umfangreiche Regelungen zu vermögensrechtlichen Fragen sowie zum Kindes- und Ehegattenunterhalt getroffen. Die Ehe wurde im Dezember 2019 vom Amtsgericht Pankow (
Im November 2022 hat die Mutter das vorliegende Verfahren anhängig gemacht und beantragt, die gemeinsame elterliche Sorge aufzuheben und das Aufenthaltsbestimmungsrecht sowie das Recht zur Regelung der schulischen Angelegenheiten (I/128) für beide Mädchen ihr allein zu übertragen. Das Familiengericht hat beide Mädchen im März 2023 angehört (I/231): Die etwas ältere Lo... hat erklärt, den Vater nicht sehen zu wollen; sie freue sich auf London. Li... soll sinngemäß ebenfalls zum Ausdruck gebracht haben, den Vater nicht sehen zu wollen und mit einem Umzug nach London einverstanden zu sein. Mit dem am 11. April 2023 erlassenen Beschluss (Ia/273) hat das Familiengericht - unter Zurückweisung des weitergehenden Antrags - der Mutter die Befugnis übertragen, allein über den Umzug der beiden Mädchen nach London und der Anmeldung an einer dortigen Schule zu entscheiden. Gegen diesen Beschluss wendet sich der Vater mit seiner Beschwerde.
[1]II.
[2]1. Die Beschwerde des Vaters gegen Beschluss des Familiengerichts wurde zwar fristgerecht und auch sonst ordnungsgemäß angebracht und begründet (§§ 58 Abs. 1, 63 Abs. 1, 64, 65 FamFG). Gleichwohl erweist sich das Rechtsmittel, worauf der Vater hingewiesen wurde, als unzulässig, weil dem Senat die internationale Zuständigkeit fehlt:
[3]a) ... 1. ... 2. Der Senat ist zum Ergebnis gekommen, dass die Beschwerde des Vaters offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bietet:
[4]a) Das Rechtsmittel des Vaters erweist sich als unzulässig, weil dem Senat die internationale Zuständigkeit fehlt:
[5](aa) Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen. Die Bestimmung des § 65 Abs. 4 FamFG, wonach die (örtliche) Zuständigkeit mit der Beschwerde nicht gerügt werden kann, ist hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit nicht analog anwendbar (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2010 -
[6](bb) Mit dem Umzug von Mutter und Kindern nach London ist die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte entfallen:
[7](i) Das vorliegende Verfahren wurde von der Mutter am 30. November 2022 beim Familiengericht anhängig gemacht. Damit bestimmt sich die deutsche internationale Zuständigkeit grundsätzlich nach Maßgabe der Brüssel IIb-VO, weil das verfahrenseinleitende Schriftstück, der Antrag der Mutter, nach dem „Stichtag“ 1. August 2022 beim Familiengericht eingegangen ist (Art. 100 Abs. 1, 17 lit. a Brüssel IIb-VO).
[8](ii) Am 30. November 2022 - und im Übrigen auch am 11. April 2023, dem Tag, an dem das Familiengericht die angegriffene Entscheidung erlassen hat - befand sich der Lebensmittelpunkt von beiden Kindern unstreitig in B.... Für das vorliegende Verfahren, in dem es mit der Frage, welcher Elternteil über den Umzug der Kinder nach London und deren dortige Beschulung entscheiden darf, um die elterliche Verantwortung geht (Art. 2 Abs. 2 Nr. 7 Brüssel IIb-VO), sind daher an und für sich die Gerichte desjenigen EU-Mitgliedstaates zuständig, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung - am 30. November 2022 - seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 7 Abs. 1 Brüssel IIb-VO). Eine danach gegebene internationale Zuständigkeit bleibt dem Erwägungsgrund Nr. 21 zur Brüssel IIb-VO zufolge und nach dem Grundsatz der perpetuatio fori auch dann erhalten, wenn das Kind im Verlauf des Verfahrens seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einen anderen EU-Mitgliedstaat verlegt (vgl. beispielsweise OLG Köln, Beschluss vom 8. Dezember 2016 -
[9](cc) (i) Der Grundsatz der perpetuatio fori, der Fortbestand einer einmal begründeten internationalen Zuständigkeit der Gerichte eines EU-Mitgliedstaates nach Art. 7 Abs. 1 Brüssel IIb-VO gilt, wie sich aus Art. 97 Abs. 1 lit. a Brüssel IIb-VO ergibt, indessen ausschließlich im Verhältnis zwischen EU-Mitgliedstaaten. Wenn der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes im Verlauf des Verfahrens in einen Staat außerhalb der Europäischen Union verlegt wird, muss die internationale Zuständigkeit des erkennenden Gerichts dagegen zwingend unverändert noch in dem Zeitpunkt gegeben sein, zu dem in der jeweiligen Instanz die Sachentscheidung ergeht. Das ergibt sich aus Art. 5 Abs. 2 KSÜ, dem Haager Kinderschutzübereinkommen 1996: Danach sind bei einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes in einen anderen KSÜ-Vertragsstaat im Verlauf des familiengerichtlichen Verfahrens die Behörden und Gerichte des neuen gewöhnlichen Aufenthalts zuständig. Art. 97 Abs. 1 lit. a Brüssel IIb-VO stellt dabei klar, dass die allgemeine Zuständigkeitsregelung nach dem KSÜ ausschließlich im Verhältnis der EU-Mitgliedstaaten untereinander verdrängt wird (durch Art. 7 Brüssel IIb-VO); im Verhältnis zwischen einem EU-Mitgliedstaat und einem Mitgliedstaat des KSÜ verbleibt es dagegen bei Art. 5 Abs. 2 KSÜ. Der Grundsatz der perpetuatio fori gilt daher nicht mit der Folge, dass sich ein Wegzug des Kindes in einen anderen KSÜ-Vertragsstaat unmittelbar auf die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte auswirkt (vgl. KG, Beschluss vom 2. März 2015 -
[10](ii) Das Vereinigte Königreich ist seit dem 31. Januar 2020, dem „Brexit“, kein EU-Mitgliedstaat mehr. Das Vereinigte Königreich ist jedoch seit dem 1. November 2012 (vgl. BGBl. 2013.II.155) Mitgliedstaat des KSÜ, das für Deutschland bereits seit dem 1. Januar 2011 gilt (BGBl. 2010.II.1527). Gemäß Art. 5 Abs. 2 KSÜ kommt es für die internationale Zuständigkeit des Senats daher entscheidend darauf an, wo sich im Zeitpunkt der zu erlassenden Entscheidung der gewöhnliche Aufenthalt der beiden Kinder befand: Nach der festen Überzeugung des Senats befindet sich dieser inzwischen im Vereinigten Königreich.
[11](iii) Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne von Art. 5 KSÜ wird im KSÜ nicht definiert, sondern vorausgesetzt. Er ist grundsätzlich autonom, im Hinblick auf die Ziele des KSÜ, auszulegen und im Einklang mit der Auslegung des Begriffs in den übrigen Haager Übereinkommen sowie im europäischen Verfahrens- und Kollisionsrecht zu verstehen (vgl. KG, a.a.O., FamRZ 2015, 1214 [Rz. 11] sowie Benicke, in Nomos-KommentarBGB AT [4. Aufl. 2021], Art. 5 KSÜ Rn. 7; Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht [2. Aufl. 2018], Rn. F 421; Praxishandbuch für die Anwendung des Haager Übereinkommens 1996 [2018], Rn. 13.83). Danach kommt es auf die Dauer, die Regelmäßigkeit und die Umstände des Aufenthalts sowie die Gründe dafür und für den Umzug der Familie in dieses Land an. Weiter sind die Staatsangehörigkeit des Kindes, der Ort und die Umstände der Einschulung, die Sprachkenntnisse sowie die familiären und sozialen Bindungen des Kindes in dem betreffenden Staat zu berücksichtigen (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010 - C-497/10 PPU in der Sache Mercredi ./. Chaffe, FamRZ 2011, 617 [Rz. 56] sowie Senat, Beschluss vom 12. August 2013 -
[12](iv) An diesem Maßstab gemessen, liegt offensichtlich auf der Hand, dass die beiden Kinder im Inland (in B...) keinen gewöhnlichen Aufenthalt mehr haben:
[13]- Die Mädchen haben ihren Schulbesuch in B... eingestellt; ihr letzter Schultag war bereits am .... April 2013. Von der B... School, die sie bislang besucht haben, sind sie endgültig abgemeldet (II/60).
[14]- Die Kinder wurden im B... Einwohnermelderegister mit Wirkung zum .... Mai 2023 abgemeldet und als künftiger Wohnsitz eine Anschrift in London angegeben (II/82): Zwar ist richtig, dass die bloße melderechtliche Abmeldung grundsätzlich noch keine Aussage über eine Aufhebung des Wohnsitzes zulässt (vgl. nur Grüneberg/Ellenberger, BGB [82. Aufl. 2023], § 7 Rn. 12). Aber die Abmeldung stellt - in der Zusammenschau mit weiteren Aspekten - ein gewichtiges Indiz für den Willen dar, den Wohnsitz und damit den gewöhnlichen Aufenthalt aufzugeben (§§ 11 Satz 3, 7 Abs. 3 BGB).
[15]- Beide Kinder sind am Abend des .... Mai 2023 vom Flughafen Berlin-Brandenburg mit einem one-way-Ticket und größerem Gepäck nach London-Stansted geflogen (II/156). Dafür, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder nach B... zurückgekehrt wären, ist weder etwas ersichtlich noch wird das behauptet.
[16]- Die Versorgungsverträge (Strom, Gas, Telefon) für die von der Mutter bislang in B... innegehabte Wohnung sind von ihr allesamt gekündigt worden (II/137). Die von ihr ebenfalls beabsichtigte Kündigung des Untermietvertrages für die von ihr und den Kindern in B... bislang benutzte Wohnung - Hauptmieter ist der Vater - soll, soweit ersichtlich, bislang an der Weigerung des Vaters gescheitert sein, die Kündigung entgegenzunehmen bzw. sie an den Vermieter weiterzureichen: Dass daher - soweit ersichtlich - derzeit möglicherweise noch ein gültiger Mietvertrag über eine in B... belegene Wohnung existiert, kann auf der Basis der Rechtsgedanken nach §§ 162 Abs. 1, 242, 226 BGB deshalb den Kindern nicht entgegengehalten werden.
[17]- Im Inland hält sich keine Person mehr auf, bei der die Kinder unterkommen könnten oder die in der Lage wäre, sie zu betreuen, sie zu pflegen oder sie zu versorgen. Zwar ist es richtig, dass der Vater im Verlauf des Verfahrens angeboten hat, seinen Wohnsitz in London aufgeben und unverzüglich nach B... übersiedeln zu wollen, um die Kinder hier zu betreuen. Aber das ist nicht mehr als eine bloße Ankündigung ohne Substanz. Denn der Vater hat zu keinem Zeitpunkt Anstalten gemacht, in B... einen Wohnsitz zu begründen. Hinzukommt, dass die Kinder den Kontakt zu ihm seit März 2022 nachdrücklich ablehnen. Seither hat es allenfalls einige kurze, von Frau L… begleitete „Wiederanbahnungsversuche“ gegeben, die der Vater etwa im März/April 2023 vollständig abgesagt hat - möglicherweise, weil in London die Geburt seines vierten Kindes unmittelbar bevorstand. Von daher kann die Ankündigung des Vaters nicht als ernsthaftes Angebot gewertet werden.
[18](v) Dagegen haben die Kinder inzwischen einen gewöhnlichen Aufenthalt in England begründet:
[19]- Der Aufenthalt beider Kinder im Vereinigten Königreich ist rechtmäßig: Beide Kinder verfügen mittlerweile über das notwendige Visum, um sich im Vereinigten Königreich aufhalten zu dürfen (bzw. das Home Office, die für Ausländerangelegenheiten zuständige Behörde, hat angekündigt, den Kindern einen entsprechenden Aufenthaltstitel zu erteilen; Ia/235). Aufgrund der familiengerichtliche Entscheidung vom 11. April 2023 (Ia/273) war die Mutter berechtigt, mit den Kindern nach London überzusiedeln. Diese Entscheidung ist trotz erfolgter Einlegung eines Rechtsmittels wirksam (§ 40 Abs. 1 FamFG).
[20]- Beide Kinder verfügen über eine Schulanmeldung in England; ab September 2023 sollen sie das private B... College Prep K..., … …, London, besuchen (II/98). Zusätzlich besuchen sie auch die private, französischsprachige Sommerschule … école (II/186). Schließlich hat die Mutter bereits schon Termine bei einem Kinderarzt und einem Zahnarzt für sie ausgemacht (II/137).
[21]Richtig ist zwar, dass ein Kind im Fall eines Umzugs im Allgemeinen erst dann einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt erwirbt, wenn es am neuen Aufenthaltsort in einem gewissen Umfang sozial integriert ist; hierfür wird vielfach ein mehrmonatiger Zeitraum veranschlagt (vgl. etwa Hausmann, a.a.O., Rn. F 424).
[22]Dieser Gesichtspunkt steht indessen der Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts hier nicht entgegen: Zunächst ist festzuhalten, dass es sich bei diesem Ansatz allenfalls um eine erste, grobe „Faustregel“ handelt, von der im Einzelfall nach unten abgewichen werden kann (vgl. Hausmann, a.a.O., Rn. F 424). Das ist hier angezeigt: Einmal ist mit der Schulanmeldung, der Wohnsitznahme und der Kontaktierung von Ärzten, aber auch mit der Beherrschung der englischen Sprache durch beide Mädchen - sie haben in B... eine englischsprachige Schule besucht - bereits ein hohes - hinreichendes - Maß an sozialer Integration erreicht. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass in Fällen, in denen der Aufenthalt von vornherein auf längere Dauer angelegt ist, anerkannt ist, dass der neue Aufenthalt unmittelbar zum gewöhnlichen Aufenthalt erstarken kann (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 9. Februar 2011 -
[23]- Der Umstand, dass die Kinder, wie die Mutter in ihrer Berliner Abmeldebestätigung angegeben hat, zunächst - angeblich - in …, O… - also in der Londoner Innenstadt nahe der St. Paul’s Cathedral - wohnen sollten (II/82), sie nun aber im Londoner Nordosten, in B..., …, … …, wohnen und den erklärten Wünschen der Mutter zufolge es anstreben, künftig in K… in der Nähe des Hyde Park wohnen zu wollen, steht der Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts beider Kinder im Vereinigten Königreich nicht entgegen: Denn Art. 5 KSÜ stellt lediglich eine Regelung der internationalen Zuständigkeit dar. Aus dem Wortlaut der Bestimmung geht klar hervor, dass mit Art. 5 KSÜ nur der Vertragsstaat bestimmt wird, dessen Gerichte zuständig sind, nicht aber der genaue Ort (bzw. das zuständige Gericht) innerhalb des betreffenden Vertragsstaates bezeichnet wird. Vielmehr ist die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit Sache des jeweils zuständigen Vertragsstaates des KSÜ (vgl. nur Hausmann, a.a.O., Rn. F 417). Daher ist es für die vorliegende Frage völlig unerheblich, ob die Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem Londoner Innenstadtbezirk begründen oder in einem Außenbezirk oder an einem beliebigen anderen Ort in England und Wales.
[24]- Aus dem gleichen Grund entbehrt der Vortrag des Vaters, Mutter und Kinder seien überhaupt nicht in der Lage, sich das Leben in London in finanzieller Hinsicht leisten zu können sowie weiter, dass Zweck des Umzugs nur gewesen sei, sich einen englischen Gerichtsstand zu „erschleichen“, um von den wirtschaftlichen Vorteilen einer Scheidungsfolgenregelung durch ein englisches Gericht profitieren zu können, jeglicher Grundlage: Die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts - zumal der Kinder! - ist eine rein faktische Frage, die nicht davon abhängig ist, ob die Mutter mit der von ihr beabsichtigten Rechtsverfolgung Erfolg hat oder der erhoffte Erfolg ihr versagt bleibt.
[25]- Ein weiteres Indiz dafür, dass die beiden Mädchen ihren gewöhnlichen Aufenthalt inzwischen in England haben, sind schließlich die Ausführungen, die nach dem von den englischen Anwälten der Mutter verfassten Terminsbericht (II/133f.) zufolge District Judge Jenkins im Anhörungstermin vom .... April 2023 vor dem Central Family Court über das Gesuch auf Gewährung von Rechtsschutz für einen Antrag auf financial relief after an overseas divorce nach sect. 13 Matrimonial and Family Proceedings Act 1984 (= MFPA 1984) gemacht haben soll: Danach sei davon auszugehen, dass Mutter und Vater in England „habitually resident“ sein; beide sollen Beziehungen zu England haben und während der Ehe zeitweilig dort gelebt haben; beide sollen „hier“ [gemeint: London] leben und England und Wales sei ein angemessenes Forum für die beabsichtigte Rechtsverfolgung (II/134).
[26]Zwar ist es richtig, dass es in diesem Gerichtsverfahren um keine kindbezogenen Fragen geht (ging), sondern ausschließlich um vermögensrechtliche Ansprüche, die die Mutter vor englischen Gerichten geltend machen will (bzw. mittlerweile auch anhängig gemacht hat, III/55). Weiter ist es richtig, dass der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes nicht vom sorgeberechtigten Elternteil abgeleitet wird, sondern eigenständig für das Kind festzustellen ist (vgl. nur Hausmann, a.a.O., Rn. F 423).
[27]Gleichwohl ist hier aber zu berücksichtigen, dass der Central Family Court, bevor es der Mutter für die von ihr erhobenen Ansprüche den Zugang zu den englischen Gerichten eröffnet hat, zunächst prüfen musste, ob 'es unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles angemessen erscheint, dass die Sache durch die Gerichte in England und Wales entschieden wird' (sect. 16 (1) MFPA 1984: „... in all the circumstances of the case it would be appropriate for such an order to be made by a court in England and Wales“). Die Erwägungen, die das Gericht gemäß sect. 16 (2) (a) bis (i) MFPA 1984 anstellen muss, um feststellen zu können, dass die englischen Gerichte ein „forum convenient“ sind, decken sich im Ergebnis weitgehend mit den Gesichtspunkten, anhand derer der gewöhnliche Aufenthalt der Kinder zu bestimmen ist. Es ist denn auch schlechterdings nicht vorstellbar, wie man der Mutter zugestehen kann, einen gewöhnlichen Aufenthalt in England zu haben, diesen Status den Kindern aber versagen will.
[28]Eine weitere Verstärkung erfährt diese Überlegung vor dem Hintergrund des von der Mutter vorgetragenen Ergebnisses des ersten Termins vor dem High Court of Justice am .... Juli 2023 (III/71): Voraussetzung für die ihr dort zugesprochenen Summen ist, dass das englische Gericht „jurisdiction“ hat. Diese wiederum ergibt sich nur, wenn davon ausgegangen wird, dass die Mutter in England und Wales entweder ihre habituel residence oder ein domicile (of choice) begründet hat (vgl. auch Mercredi ./. Chaffe, a.a.O. [2011] EWCA Civ 272 [per Thorpe LJ, Rz. 67]).
[29](dd) Im Ergebnis fehlt daher die internationale Zuständigkeit der inländischen Gerichte. Die Beschwerde erweist sich damit als unzulässig (§ 68 Abs. 2 FamFG).
[30]b) ...