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Verfahrensgang

KG, Beschl. vom 12.08.2013 – 16 UF 122/13, IPRspr 2013-125

Rechtsgebiete

Kindschaftsrecht → Kindesentführung

Leitsatz

Zum Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts eines Kindes im Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführungen vom 25.10.1980 (BGBl. 1990 II 206; HKiEntÜ).

Für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts kommt es maßgeblich auf die Dauer und Regelmäßigkeit des Aufenthalts (in der Rechtsprechung genannte Faustregel: sechs Monate) sowie eine gewisse Integration in ein soziales und familiäres Umfeld an. Lebt ein Kleinkind mit seinen Eltern und den Großeltern väterlicherseits – wenn auch unterbrochen durch mehrfache vergleichsweise kurzzeitige Aufenthalte in Deutschland – insgesamt 20 Monate im Ausland (hier: Spanien), ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls regelmäßig von der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Ausland auszugehen. Ein etwaiger innerer, nicht deutlich nach außen getretener Vorbehalt eines sorgeberechtigten Elternteils in Bezug auf eine baldige Rückkehr nach Deutschland steht dem nicht entgegen. Der andere sorgeberechtigte Elternteil (Antragsteller im Rückführungsverfahren) muss nicht den – schwierigen – Nachweis eines übereinstimmenden Bleibewillens beider sorgeberechtigten Elternteile in Bezug auf einen dauerhaften Aufenthalt im Ausland erbringen.

Rechtsnormen

HKÜ Art. 3; HKÜ Art. 12; HKÜ Art. 13
IntFamRVG § 26

Sachverhalt

Der ASt. und Vater begehrt die Rückführung und Herausgabe seines Sohnes nach Spanien. Das AG Pankow/Weißensee (FamG) hat die entspr. Anträge des ASt. zurückgewiesen, weil der ASt. nicht bewiesen habe, dass das zu diesem Zeitpunkt zweijährige Kind vor seiner Verbringung nach Deutschland seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Spanien gehabt hätte. Gegen den Beschluss des AG richtet sich die Beschwerde des Vaters.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Die zulässige Beschwerde des Vaters ist auch begründet.

[2]Entgegen der Ansicht des FamG war die am 18.3.2013 erfolgte Verbringung des Kindes durch die Mutter nach Deutschland widerrechtlich im Sinne des Art. 3 HKiEntÜ, so dass – mangels Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 13 HKiEntÜ (dazu weiter unten) – gemäß Art. 12 I HKiEntÜ die Rückführung des Kindes nach Spanien anzuordnen war.

[3]Zur Begründung nimmt der Senat zunächst Bezug auf seinen rechtlichen Hinweis an die Mutter vom 2.7.2013, der wie folgt lautet: ‚... hält der Senat nach erfolgter Beratung die Beschwerde des Vaters für begründet und beabsichtigt, die Rückführung des Kindes anzuordnen’.

[4]Entgegen der Ansicht des FamG hatte das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt vor der Verbringung nach Deutschland am 18.3.2013 in Spanien. Der Senat sieht die Verbringung durch die Mutter als widerrechtlich im Sinne des Art. 3 HKiEntÜ an.

[5]Unter dem ‚gewöhnlichen Aufenthalt’ ist der Ort zu verstehen, der Ausdruck einer gewissen sozialen und familiären Integration des Kindes ist. Hierfür sind insbes. die Dauer, die Regelmäßigkeit und die Umstände des Aufenthalts in einem Mitgliedstaat sowie die Gründe für diesen Aufenthalt und den Umzug der Familie in diesen Staat, die Staatsangehörigkeit des Kindes, die Sprachkenntnisse sowie die familiären und sozialen Bindungen des Kindes in dem betreffenden Staat zu berücksichtigen (EuGH, Urt. vom 22.12.2010 – Barbara Mercredi ./. Richard Chaffe, Rs C-497/10, Slg. 2010 I-14309, FamRZ 2011, 617; Urt. vom 2.4.2009 – Korkein hallinto-oikeus – Finnland, Rs C-523/07, Slg. 2009 I-02805, FamRZ 2009, 843). Der BGH spricht vom ‚faktischen Wohnsitz’ (BGH, FamRZ 1997, 1070) (IPRspr. 1997 Nr. 99). Es wird im Sinne einer Faustregel im Allgemeinen vom Erwerb eines gewöhnlichen Aufenthalts ausgegangen, wenn der Aufenthalt sechs Monate angedauert hat. Der Aufenthalt wird aber dann schon früher zum gewöhnlichen Aufenthalt, wenn er von vornherein auf Dauer angelegt ist (vgl. OLG Karlsruhe, FamRZ 2010, 1577 (IPRspr 2010-119a)).

[6]Ein Säugling bzw. ein sehr kleines Kind teilt zwangsläufig das soziale und familiäre Umfeld des Personenkreises, auf den es angewiesen ist (Rs C-497/10 aaO).

[7]Unter Berücksichtigung der hier vorliegenden Gesamtumstände ist der Senat der Ansicht, dass der gewöhnliche Aufenthalt von A. spätestens ab Mai 2012 in Spanien ... lag.

[8]Der Vater weist mit der Beschwerde zu Recht auf die zeitliche Komponente hin, die bei kleinen Kindern, die sich im Hinblick auf eine andere zeitliche Relation leichter an eine neue Umgebung gewöhnen (vgl. OLG Stuttgart, FamRBint 2011, 74 (IPRspr 2011-113); s. juris Rz. 19), in besonderem Maße mit zu berücksichtigen ist. A. reiste im Juli 2011 im Alter von drei Monaten mit seinen Eltern nach Spanien ..., wo er – unterbrochen von mehreren vergleichsweise kurzzeitigen Aufenthalten in Berlin – bis März 2013 seinen Daseinsmittelpunkt hatte. Er verbrachte den weit überwiegenden Teil seines Lebens bis zur Verbringung nach Deutschland im März 2013 in Spanien.

[9]Der Umstand, dass die Wohnung ... in Berlin während des Aufenthalts der Eltern mit dem Kind in Spanien beibehalten wurde, stellt kein Indiz gegen eine Verlegung des gewöhnlichen Aufenthaltes dar, weil die Eltern nach der Auflösung ihrer Wohnung in N. im März 2011 dort – nach der Geburt von A. – nur wenige Monate gewohnt haben und die Wohnung durch die Zeugin B. (Großmutter ms.), welche Miteigentümerin der Wohnung ist, jedenfalls bis April 2012 weiter bewohnt wurde.

[10]Bezieht man den Willen der Eltern und die Gründe für den Aufenthalt der Familie in Spanien mit in die Betrachtung ein, so weisen die Aussagen der Zeuginnen M., B. und F. in der Tat darauf hin, dass der Aufenthalt auf dem Biobauernhof der Großeltern vs. zunächst nur als ein vorübergehender Aufenthalt mit dem vorrangigen Zweck, den Großeltern beim Umbau des Hasen- und Schweinestalls in Ferienwohnungen zu helfen, gedacht war. Hiervon kann aber jedenfalls ab Mai 2012 nicht mehr ausgegangen werden. Denn entgegen der – gegenüber den Zeuginnen M. und B. zum Ausdruck gebrachten – Planung sind die Eltern im April 2012 nicht endgültig nach Berlin zurückgekehrt. Sie sind vielmehr nach einem mehrwöchigen Aufenthalt in Berlin im April 2012 nach Spanien zurückgereist und dort geblieben. Der Vater hat am 30.4.2012 bei der zuständigen spanischen Behörde einen Subventionsantrag gestellt, der an erhebliche Auflagen und Verpflichtungen gebunden war, insbesondere, die Anbauaktivität ab Erteilung der Konzession für fünf Jahre gemäß den vereinbarten Bedingungen durchzuführen. Nach den Bekundungen der Zeugen F. und de ... (Großeltern vs.) wurden das Projekt und die Subvention auch im Beisein der Mutter erörtert, wobei die Mutter allgemein davon gesprochen habe, dass sie im Rahmen des Projekts im Hinblick auf die Vermarktung von Produkten in Deutschland beitragen könnte. Die Eltern blieben in Katalonien, die Mutter nahm Katalanunterricht bei einem Privatlehrer (was ebenfalls für eine gewollte weitere Integration der Mutter spricht) und nahm mit A. regelmäßig über mehrere Monate hinweg jedenfalls bis Dezember 2012 am Eltern-Kind-Spiel/Turnen im Zentrum G. sowie am Babyschwimmen teil ... Im Februar 2013 besuchte die Mutter ausweislich der Bestätigung der Gemeindeverwaltung ... schließlich mit A. den Gemeindekindergarten und brachte die noch fehlenden Unterlagen mit, damit A. den Kindergarten besuchen könne.

[11]All die vorgenannten Umstände sind Ausdruck einer sozialen und familiären Integration des Kindes in Katalonien, während eine solche Integration des Kindes in Berlin, wo sich ... A. nur jeweils wenige Wochen aufhielt, nicht gegeben war. Daran ändert auch nichts, dass die Mutter die Vorsorgeuntersuchungen des Kindes in Berlin vornehmen ließ.

[12]Nach alledem dürfte gemäß Art. 12 HKiEntÜ die Rückführung des Kindes nach Spanien anzuordnen sein.

[13]Die Voraussetzungen des Art. 13 HKiEntÜ liegen nicht vor. Insbesondere wäre die Rückführung des Kindes nicht mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden oder würde dieses auf andere Weise in eine unzumutbare Lage bringen (Art. 13 I lit. b HKiEntÜ). Die Trennung von Mutter und Kind ist mit der Rückführung nicht zwangsläufig verbunden. A. kann von seiner Mutter nach Spanien begleitet werden, wobei mit der Rückführung nicht zwangsläufig eine Übergabe des Kindes an den Vaters bzw. in dessen Umgebung verbunden wäre. Die Gefahr einer Verhaftung der Mutter in Spanien besteht nicht, nachdem das Strafverfahren gegen sie – aus Rechtsgründen – eingestellt wurde ... Es liegen keinerlei Anhaltspunkte für eine Wiederaufnahme des Verfahrens (sofern überhaupt möglich) vor.

[14]Die Mutter kann die mit einer Rückführung des Kindes nach Spanien verbundenen Umstände und ggf. auch finanziellen Einbußen versuchen dadurch zu mindern, dass sie selbst das Sorgerechtsverfahren (und evtl. Eilanträge) in Spanien schnellstmöglichst in die Wege leitet.

[15]Die Mutter erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 10 Tagen. Nach Fristablauf beabsichtigt der Senat, ohne mündliche Verhandlung (vgl. § 26 I IntFamRVG) über die Beschwerde des Vaters zu entscheiden, zumal die Beschwerdeentscheidung im Wesentlichen von der Frage des ‚gewöhnlichen Aufenthalts’ (und in diesem Zusammenhang von der rechtlichen Wertung der tatsächlichen Umstände) abhängt und von einer mündlichen Verhandlung keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.

[16]Die Ausführungen der Mutter im Schriftsatz vom 24.7.2013 führen zu keiner anderen Beurteilung der Sach- und Rechtslage.

[17]Auch wenn der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts im HKiEntÜ nicht definiert ist, ist er gleichwohl auf völkerrechtlicher Ebene autonom und einheitlich zu bestimmen. Die Materialien zum HKiEntÜ stellen hier eine wertvolle Auslegungshilfe dar, wenn es in dem Erl. Bericht von Pérez-Vera zum HKiEntÜ unter ‚Erster Teil – Allgemeine Grundzüge des Übereinkommens’ (S. 40) heißt: ‚12. Erstens geht es in allen Fällen um das Verbringen eines Kindes aus seinem gewöhnlichen Lebensraum heraus, wo es sich in der Obhut einer natürlichen oder juristischen Person befand, die ihm gegenüber rechtmäßig ein Sorgerecht ausübte. Wohlgemerkt ist einer solchen Situation die Weigerung gleichzustellen, das Kind nach einem Auslandsaufenthalt, dem die das Sorgerecht ausübende Person zugestimmt hatte, in seine Umwelt wieder einzugliedern. In beiden Fällen ist das Ergebnis in der Tat gleich: das Kind wurde aus der familiären und sozialen Umgebung gerissen, in der sich sein Leben abspielte.’

[18]Der im HKiEntÜ verwendete Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist demnach durch eine gewisse Dauer und Regelmäßigkeit des Aufenthalts und das Vorhandensein solcher Beziehungen zur Umwelt charakterisiert, die die Annahme einer sozialen Integration der betreffenden Person an ihrem Aufenthaltsort rechtfertigen (OLG Frankfurt, FamRZ 2006, 883) (IPRspr 2006-81). Der EuGH (FamRZ 2011 aaO; FamRZ 2009 aaO) legt den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts dahin aus, dass darunter der Ort zu verstehen ist, an dem eine gewisse Integration des Kindes in ein soziales und familiäres Umfeld zu erkennen ist. Der tatsächliche, mindestens zeitweise Aufenthalt soll im Regelfall entweder zu durch eine gewisse Mindestdauer (in der Rspr. genannte Faustregel: sechs Monate) bekräftigten Bindungen geführt haben oder entspr. dem objektiv erkennbaren Willen des (allein) Sorgeberechtigten bzw. der gemeinsam Sorgeberechtigten auf eine solche Mindestdauer angelegt sein; er kann dann auch sofort nach dem Aufenthaltswechsel zum gewöhnlichen Aufenthalt werden (OLG Saarbrücken, FamRZ 2011, 1235 m.w.N.) (IPRspr 2010-121).

[19]Im letzterem Fall, in welchem die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts bereits nach wenigen Tagen in Betracht kommen kann, ist der Bleibewille der Person von maßgeblicher Bedeutung (vgl. EuGH, FamRZ 2011 aaO, in dem es um die Bestimmung des international zuständigen Gerichts für die Zwecke der Art. 8 und 10 EuEheVO in einem Fall ging, in dem ein Säugling von seiner Mutter rechtmäßig in einen anderen Mitgliedstaat der EU verbracht wurde und sich dort bei Anrufung des Gerichts erst seit wenigen Tagen aufhielt; vgl. auch jurisPK-BGB-Baetge, 6. Aufl., Art. 5 EGBGB Rz. 22). Die vorliegende Fallkonstellation ist jedoch eine andere. Die Eltern sind zu den Großeltern vs. nach Spanien gereist, als A. gerade einmal drei Monate alt war (Juli 2011), und A. hat sich dort – wenn auch unterbrochen durch die mehrfachen Aufenthalte in Deutschland – bis zu seiner Verbringung durch die Mutter nach Deutschland am 18.3.2013 etwa 20 Monate, somit fast sein ganzes Leben, aufgehalten. Er teilte als Säugling bzw. Kleinkind zwangsläufig das soziale und familiäre Umfeld des Personenkreises, auf den er angewiesen war (EuGH, FamRZ 2011 aaO). Dies war nicht nur seine Mutter, wenn diese ihn auch hauptsächlich betreut hat, sondern auch sein Vater und die Großeltern vs., mit denen zusammen er auf deren Bauernhof in Katalonien lebte und zu denen er nach den Berichten des Verfahrensbeistands vom 22.4. und 23.6.2013 ebenfalls eine vertrauensvolle und sichere Beziehung hat. Entgegen der Ansicht des FamG, wonach die äußeren Umstände vorliegend, insbes. was die sozialen Bindungen angehe, keine eindeutige Zuordnung ergeben würden, sprechen die äußeren Umstände (Gesamtdauer des Aufenthalts, Integration von A. in sein familiäres Umfeld) hier maßgeblich für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes in Spanien. Dabei ist mit zu berücksichtigen, dass sich kleine Kinder im Hinblick auf eine andere zeitliche Relation leichter an eine neue Umgebung gewöhnen und dass ein Säugling bzw. ein sehr kleines Kind weitgehend durch das familiäre Umfeld und die Bindungen zu den es betreuenden Personen geprägt ist, zumal es noch nicht bzw. wenig in der Lage ist, über das familiäre Umfeld hinausgehende Beziehungen zu entwickeln. Der gewöhnliche Lebensraum von A. war – jedenfalls zum Zeitpunkt der Verbringung im März 2013 – der Bauernhof der Großeltern vs. in Katalonien. Die mehrfachen zwischenzeitlichen Aufenthalte in Deutschland (fünf Aufenthalte mit einer Dauer von 10 Tagen bis zu einem Monat in der Zeit von Juli 2011 bis März 2013) sind bezogen auf den Gesamtzeitraum von 20 Monaten von untergeordneter Bedeutung.

[20]Das FamG hat bei seiner Entscheidung maßgeblich auf den (nicht feststellbaren) übereinstimmenden Willen der sorgeberechtigten Eltern abgestellt, in Spanien zu bleiben. Eine solche Betonung des Bleibewillens verkennt, dass es für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Wesentlichen auf die Dauer und Regelmäßigkeit des Aufenthalts sowie auf eine gewisse Integration in ein soziales und familiäres Umfeld, also auf (weitgehend) objektive Gesichtspunkte ankommt. Dementsprechend wird in der Rspr. vertreten, dass ein rechtsgeschäftlicher oder ein natürlicher Bleibewille einer Person für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts nicht erforderlich sei, zumal es immer wieder erhebliche Schwierigkeiten bereite, dessen genauen Inhalt aus den im konkreten Fall gegebenen Umständen herzuleiten, zumal sowohl Kinder als auch Erwachsene von heute auf morgen ihren Willen, an einem bestimmten Aufenthaltsort zu verweilen, revidieren könnten (OLG Frankfurt aaO; s. Rz. 24 bei juris; vgl. auch OLG Karlsruhe aaO Rz. 44 bei juris). Ob dieser Ansicht uneingeschränkt zu folgen ist, kann hier dahingestellt bleiben. Nach Ansicht des Senats kann im Rahmen einer Gesamtbetrachtung, insbes. für die Beurteilung einer ‚gewissen Integration’, nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben, dass unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme bis zum April 2012 der Aufenthalt auf dem Biobauernhof der Großeltern vs. von beiden Eltern wohl zunächst nur als ein vorübergehender Aufenthalt mit dem vorrangigen Zweck, den Großeltern beim Umbau des Stalls und bei der Feldarbeit zu helfen, gedacht war. Ob gleichwohl im Hinblick auf die erhebliche Dauer des Aufenthalts auf dem Bauernhof von Juli 2011 bis April 2012, welche bereits sechs Monate überschritten hat, schon zu diesem Zeitpunkt ein gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes in Spanien angenommen werden kann, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn spätestens im Anschluss an die Rückkehr von A. mit seiner Mutter nach Spanien im Mai 2012 – nur am Rande sei im Hinblick auf das Vorbringen der Mutter darauf hingewiesen, dass es sich auch bei ihrem Rückflugticket vom 14.5.2012 (gebucht am 29.4.2012) lediglich um ein One-way-Ticket gehandelt hat – wurde der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes in Spanien begründet, zumal der Aufenthalt – wenn auch durch mehrfache Reisen nach Deutschland unterbrochen – nochmals 10 Monate andauerte. Wie bereits im rechtlichen Hinweis des Senats vom 2.7.2013 aufgezeigt, sprechen mehrere Indizien dafür, dass ab Mai 2012 auch die Mutter von einer kurzfristigen (endgültigen) Rückkehr nach Berlin Abstand genommen hat, zumal unter Berücksichtigung der Aussagen der Zeugen F. und de ... (Großeltern vs.) davon auszugehen ist, dass ihr die Pläne des Vaters und seiner Eltern in Bezug auf das Agrarprojekt (Beantragung von Subventionen unabhängig davon, wer der konkrete Antragsteller sein sollte; Zukunftsperspektiven des Hofs, insbes. der Export von Bioprodukten nach Deutschland) nicht verborgen geblieben sind und verschiedene allgemeine Überlegungen über eine Perspektive der Mutter in Spanien angestellt wurden. Auf die Frage, ob die Mutter von der Stellung des Subventionsantrags durch den Vater als Antragsteller wusste und ob letztlich eine Bewilligung der beantragten Subventionen erfolgte, kommt es nicht an. Letztlich ist es entgegen der Ansicht des FamG für die Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes nicht erforderlich, dass der Vater den – schwierigen – Nachweis eines übereinstimmenden Bleibewillens beider Elternteile in Bezug auf einen dauerhaften Aufenthalt in Spanien erbringt. Unter maßgeblicher Berücksichtigung der Aufenthaltsdauer und der familiären Integration wurde der gewöhnliche Aufenthalt A. in Spanien spätestens im Sommer 2012 begründet, selbst wenn weiterhin ein innerer (nicht deutlich nach außen getretener) Vorbehalt der Mutter in Bezug auf eine baldige Rückkehr nach Deutschland bestanden haben sollte. Die Eltern kehrten auch im Verlauf des Jahr 2012 nicht (endgültig) nach Berlin zurück, obwohl ihnen dort die Eigentumswohnung ... zur alleinigen Nutzung zur Verfügung gestanden hätte. Sie begannen sogar noch im Oktober 2012 bei einer spanischen Psychologin eine Paartherapie, die bis zum Februar 2013 andauerte.

[21]Ob die Mutter im Februar 2013 noch den Gemeindekindergarten aufgesucht hat, um von beiden Eltern unterzeichnete Unterlagen eine Anmeldung von A. betreffend abzugeben ..., was sie bestreitet, kann aus den vorgenannten Gründen dahinstehen, wobei allerdings angemerkt sei, dass die von der Mutter mit Schriftsatz vom 24.7.2013 vorgelegten Unterlagen ... vom 15.10.2012 (allein vom Vater unterzeichnete Anmeldung entspr. der Bescheinigung der Gemeindeverwaltung) bzw. 31.1.2012 datieren.

[22]Die miteinander verheirateten Eltern hatten im Zeitpunkt der Verbringung des Kindes nach Deutschland nach dem insoweit maßgeblichen spanischen Recht (vgl. Art. 3 I lit. a HKiEntÜ das gemeinsame Sorgerecht für A. und übten dieses auch gemeinsam aus.

[23]Die Verbringung war nach alledem widerrechtlich, so dass gemäß Art. 12 I HKiEntÜ die Rückführung des Kindes nach Spanien anzuordnen war.

[24]Der Ausnahmetatbestand des Art. 13 HKiEntÜ greift nicht ein. Insbesondere wäre die Rückführung des Kindes nicht mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden oder würde dieses auf andere Weise in eine unzumutbare Lage bringen (Art. 13 I lit. b HKiEntÜ). Der Senat nimmt zur Begründung auf die Ausführungen in seinem rechtlichen Hinweis vom 2.7.2013 Bezug.

[25]Soweit die Mutter meint, sie müsse bei einer Rückführung des Kindes nach Spanien dort mit einer Verhaftung rechnen, so hätte sie dies durch ihr widerrechtliches Verhalten selbst zu verantworten. Der Mutter droht allerdings – soweit aus dem eingereichten Beschluss des Ermittlungsrichters in G./Spanien vom 12.4.2013 ... ersichtlich – keine Verhaftung in Spanien. Das Ermittlungsverfahren gegen die Mutter wurde aus Rechtsgründen eingestellt, weil nach spanischem Recht keine Straftat (Entziehung Minderjähriger) vorlag. Aus dem Beschluss geht nicht hervor, dass die Einstellung lediglich vorläufig erfolgte.

Fundstellen

nur Leitsatz

FamFR, 2013, 552
FamRZ, 2014, 495

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